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Veröffentlicht am 23.09.2025

kafkaesker Zauberberg

Haus zur Sonne
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Haus zur Sonne – Thomas Melle
Dieser beeindruckende Roman steht aktuell auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025.
Auch in diesem Werk verarbeitet Thomas Melle seine eigene Depression und Erfahrungen ...

Haus zur Sonne – Thomas Melle
Dieser beeindruckende Roman steht aktuell auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025.
Auch in diesem Werk verarbeitet Thomas Melle seine eigene Depression und Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen. Solch detaillierte und spezifische Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt depressiver und bipolarer Menschen kann nur ein Betroffener bieten. Alleine aufgrund des sehr schweren Themas ist dieses Buch sicherlich nicht für jeden geeignet. Beklemmend und faszinierend zugleich bringt der Autor seinen Protagonisten und natürlich seine Leser noch dazu in ein ganz spezielles Setting.
Nach einer schweren, sich über zwei Jahre hinziehenden manischen Episode mit darauf folgender Depression, sieht der Ich-Erzähler sich endgültig am Ende seines Lebens angelangt. Die Suizidgedanken, die ihn bereits seit Jahrzehnten begleiten, werden schier übermächtig – doch nicht einmal dazu fühlt er sich in der Lage. Da scheint das „Haus zur Sonne“, eine staatlich finanzierte Institution, die beim selbstbestimmten Suizid helfen soll, gerade richtig. Zuvor sollen jedoch noch alle offenen Wünsche erfüllt werden. Es entsteht eine faszinierende kafkaeske Zauberberg-Kulisse – nur eben mit dem Hintergrund des Todeswunsches. Nur ist der Erzähler hier nicht mehr allein mit seinen Gedanken, sondern unter Seinesgleichen. Es entspinnen sich teils sonderbare, teils tiefgründige Gespräche. Sowohl diese Begegnungen als auch das Thema an sich, Todeswunsch, immer neue Überlegungen über Todesarten etc. werden geradezu genüsslich ausgeführt. Im Kontrast dazu immer etliche Illusionen, denen der Patient unterzogen wird mit Szenarien, welche alternativen Leben möglich gewesen wären, wenn… Gleichzeitig blickt der Erzähler zurück auf ein zerrissenes Leben, auf Wendepunkte, Ursachen, auch auf gute Momente. Im Großen und Ganzen lernt man den armen Mann also doch ziemlich gut kennen.
Ein beeindruckendes Werk, das sich aber dennoch auch immer wieder wiederholt und hin und wieder auch etwas zieht. Die Gedanken des Patienten drehen sich im Kreis; er sieht keinen Ausweg, in diesem Leben nicht und auch nicht hinaus.
Ein Roman, der mir sicherlich im Gedächtnis bleiben wird ob seiner Ungewöhnlichkeit. Völlig zurecht steht er auf dieser Shortlist und ist dabei auch noch sehr gut lesbar!
5 Sterne trotz kleinerer Kritikpunkte.


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Veröffentlicht am 16.09.2025

Versicherungen

Lebensversicherung
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Lebensversicherung – Kathrin Bach
Dieser Roman hat es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft. Mich konnte er leider nur mäßig begeistern.
Wie der Titel bereits vermuten lässt, geht es ...

Lebensversicherung – Kathrin Bach
Dieser Roman hat es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft. Mich konnte er leider nur mäßig begeistern.
Wie der Titel bereits vermuten lässt, geht es um Versicherungen. Die Ich-Erzählerin wächst in den 90ern in einer Familie von Versicherungsvertretern auf. Früh ist ihr das allgegenwärtige Risiko bewusst, dass immer etwas passieren kann. Sie beschäftigt sich viel mit dem Tod und Übelkeit. Versicherungen bauen natürlich immer auf irgendeiner Form von Angst auf, etwas zu verlieren – sei es das Leben, die Gesundheit, Vermögen, die Existenzgrundlage. Versicherungen geben ein (möglicherweise trügerisches) Gefühl von Sicherheit.
Den Schreibstil kann man wohl experimentell nennen. Fast durchgehend ist die Sprache betont einfach gehalten, was sich wohl an den Umstand angleichen soll, dass die Erzählerin zum großen Teil aus ihren Kindheitserinnerungen erzählt. Die Kapitel sind kurz, bestehen oft aus wenigen Sätzen oder aber häufig auch aus Aufzählungen nach dem Motto: Was es in unserem Ort alles gab…. Auch diese Stichpunktlisten beschäftigen sich zunehmend mit dem Tod.
Dieses Werk ist sehr einfach zu lesen, kurzweilig, aber trocken. Man kann einzelne Kapitel auch einfach mal überspringen, weil es so übersichtlich ist. Etwa ab der Mitte nimmt die Geschichte ein wenig Fahrt auf, aber auch nicht zu viel.
Gefallen hat mir die Darstellung einer Kindheit in den 90ern, da die Ich-Erzählerin ein ähnliches Alter wie ich hat. Ansonsten konnte ich dieser Geschichte leider nicht allzuviel abgewinnen. Kann man lesen, muss man aber nicht.
3 Sterne.

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Veröffentlicht am 14.09.2025

Marie und die Anatomie

Wachs
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Wachs – Christine Wunnicke
Kandidat der Longlist des Deutschen Buchpreises 2025
Auf jeden Fall ist dieser Roman etwas sehr besonderes. Extrem beeindruckt bin ich von der Komplexität der Geschichte, die ...

Wachs – Christine Wunnicke
Kandidat der Longlist des Deutschen Buchpreises 2025
Auf jeden Fall ist dieser Roman etwas sehr besonderes. Extrem beeindruckt bin ich von der Komplexität der Geschichte, die die Autorin hier auf gerade mal 176 Seiten (!) entstehen lässt.
Es ist ein historischer Roman, der im Frankreich des 18. Jahrhunderts spielt. Erste Erkenntnisse aus der Anatomie treffen auf die Vorläufer der französischen Revolution. Eine Liebe zwischen zwei Frauen spielt eine Rolle. Marie Biberon ist eine bemerkenswerte Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist und bereits als Kind am liebsten Leichen seziert. Sie wird von diesem literarischen Werk in Schlaglichtern ein Leben lang begleitet. Die zweite Protagonistin Madeleine zeichnet Pflanzen und verdient sich damit ihren Lebensunterhalt. Somit sind die beiden unabhängige Frauen, was für ihre Zeit doch recht untypisch ist.
Ein faszinierender Mix aus Grusel und Abscheu, Historie und Wissenschaft, Absurdität und Humor. Auch die Sprache ist dabei noch bemerkenswert. Gut verständlich und authentisch im historischen Zusammenhang. Experimentell wird diese Geschichte vor allem Gegen Ende inhaltlich.
Dieses Buch hatte ich bereits vor seiner Nominierung auf meiner Merkliste und es hat mich nicht enttäuscht.
4 Sterne.

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Veröffentlicht am 12.09.2025

Motte

Das Schwarz an den Händen meines Vaters
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Das Schwarz an den Händen meines Vaters – Lena Schätte
Ein toller, sehr berührender Roman, der völlig zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises aufgeführt ist.
Die Ich-Erzählerin Motte berichtet ...

Das Schwarz an den Händen meines Vaters – Lena Schätte
Ein toller, sehr berührender Roman, der völlig zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises aufgeführt ist.
Die Ich-Erzählerin Motte berichtet von ihrer Kindheit in sogenannten „einfachen Verhältnissen“, die geprägt ist von Armut und Alkoholsucht des Vaters. Nun liegt er im Sterben und Motte zieht Bilanz. Was hat ihre Kindheit mit ihr gemacht und war vielleicht doch nicht alles schlecht?
Es ist wohl diese Selbstverständlichkeit, mit der Motte und ihr Bruder ihre frühen Jahre erleben – und sicherlich auch das Deja-vu-Erlebnis, das mich doch immer mal wieder überkam (auch ich komme aus einer Arbeiterfamilie), das so betroffen macht. Der Schreibstil an sich ist nämlich eher nüchtern und sachlich gehalten.
Es werden hier auf moderne Art und Weise diverse Themen aufgegriffen, die vielen von uns bekannt vorkommen dürften. Eine Kindheit in einfachen Verhältnissen, in der die Bedürfnisse der Kinder nicht an erster Stelle stehen. Sorgen und Nöte von Arbeiterfamilien. Alkoholsucht und Co-Abhängigkeit (das hat mich hier besonders bestürzt, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Konsum einfach hingenommen wird und sich danach gerichtet wird). Schließlich auch Krankheit und Tod. Die Gefühle, die Kinder einer solchen Familie über die Jahre haben und die Auswirkungen auf das spätere Leben. Motte und ihr Bruder haben von Anfang an ganz andere Wege, damit umzugehen.
Spannend, wichtig, bedrückend. Unheimlich authentisch.
Ein Highlight. 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 11.09.2025

sehr ruhig

Onigiri
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Onigiri – Yuko Kuhn
Eine extrem leise deutsch-japanische Familiengeschichte, die kaum aus Handlung, jedoch viel aus Erinnerungen besteht.
Akis Mutter Keiko ist alt geworden und dement. Einmal noch möchte ...

Onigiri – Yuko Kuhn
Eine extrem leise deutsch-japanische Familiengeschichte, die kaum aus Handlung, jedoch viel aus Erinnerungen besteht.
Akis Mutter Keiko ist alt geworden und dement. Einmal noch möchte die Tochter ihre Mutter in ihr Heimatland Japan, das diese vor über fünfzig Jahren verlassen hat, zurückbringen. Der Ortswechsel verwirrt Keiko zunächst zusätzlich. Es ist eher Aki, die in Erinnerungen schwelgt, über die Vergangenheit nachdenkt. Über das Leben der Mutter und ihr eigenes. Es sind Leben zwischen zwei Kulturen, mit fehlenden Wurzeln, hier wie dort fremd geblieben bzw. geworden.
Über Japan erfährt man tatsächlich so einiges. Auch über die unterschiedlichen Gepflogenheiten in beiden Ländern.
Schließlich ging es mir aber hier wie bei etlichen asiatischen Werken so, dass ich den Erzählstil als sehr distanziert wahrgenommen habe. Die Lebenswege werden von außen betrachtet; man muss sich konzentrieren, um Tochter, Mutter, Großmutter nicht zu verwechseln. Wirklich nahe kommt man keiner der Frauen. Dazu kommt, dass einfach wirklich kaum etwas passiert. Es werden Gegenstände in diversen Wohnungen genauestens beschrieben und erklärt, etc. Es grenzt teilweise an Langeweile. Rettend ist der wirklich wunderschöne zarte Sprachstil und die Kürze dieses Romans.
Kann man lesen, muss man aber nicht.
3 Sterne

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