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Veröffentlicht am 25.11.2021

Der Himmel über Bay City

Der Himmel über Bay City
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Der Himmel über Bay City – Catherine Mavrikakis

Dieser Roman hat mich tatsächlich an meine Grenzen gebracht. Dabei ist es so nett anzuschauen mit dem Himmel in altrosa auf dem Cover. Auch der Titel ließ ...

Der Himmel über Bay City – Catherine Mavrikakis

Dieser Roman hat mich tatsächlich an meine Grenzen gebracht. Dabei ist es so nett anzuschauen mit dem Himmel in altrosa auf dem Cover. Auch der Titel ließ mich an eine nette Geschichte denken. Und so stolperte ich unbedarft in dieses doch recht spezielle Werk.

Die Schwestern Denise und Babette lassen 1960 die Heimat Europa hinter sich und wagen einen Neuanfang in Bay City. Beide bekommen je ein Kind. Eines davon ist Amy, unsere Protagonistin, die diese haarsträubende Geschichte erzählt.

Grundsätzlich war ich von der sehr eindringlichen Schreibweise erst einmal fasziniert, im zweiten Teil dann irritiert, schlussendlich aber nur noch abgestoßen und schockiert. War ich Anfangs noch versucht, anzunehmen Frau Mavrikakis hätte möglicherweise eine sehr besondere, literarisch hochwertige Art zu schreiben, musste ich das aber auch wieder verwerfen.

Es ist nicht ganz einfach zu beschreiben, worum es hier eigentlich geht. Das liegt daran, dass die Grenzen zwischen Wahrheit und Wahn immer mehr verschwimmen. Aber ich will es versuchen: Amy hat eine sehr schwierige Kindheit, denn die Mutter scheint unfähig zu sein, sie zu lieben. Im Gegenteil macht sie täglich deutlich, wie unerwünscht und ungeliebt Amy ist. Ein zutiefst unglückliches Kind ist die logische Folge. Es gibt unzählige Szenen, die schwer zu ertragen sind. Insbesondere auch durch eine seltsam unbeteiligte Erzählstimme. Auch eine starke Todessehnsucht wird schon früh deutlich. Der Grund für die Unfähigkeit zu lieben, liegt in der Vergangenheit der Mutter. Denise und Babette sind die Töchter, Jüdinnen, der in Auschwitz umgekommenen Großeltern. Dies ist ein riesengroßes Thema in diesem Roman. Tod, Judenverfolgung, Feuer, Religion. Die Szenen sind teilweise brutal und abstoßend. Vor allem aber ist es immer wieder das gleiche. Es ist absolut wahnhaft. Es ist unheimlich bedrückend.

„Man kann den Menschenstaub, der sich mit der Luft vermischt und das ganze Jahrhundert vergiftet hat, nicht ausgraben. Noch immer atmen wir die sterblichen Überreste meiner Eltern, meiner Onkel, meiner Tanten, die vom Wind herbeigeweht werden. Seit über 50 Jahren atmen wir unsere Toten ein, sie dringen durch Nase, Lunge, durch sämtliche Poren unserer Haut.“ Seite 67

Amys Geisteszustand scheint sich immer weiter zu verschlechtern, es ist furchtbar. Wobei ich an etlichen Punkten einfach nicht mehr wusste, was Realität ist und was nicht. Es ist furchtbar deprimierend. Amys Mutter hat ihr Trauma nie überwunden und deshalb wird auch sie selbst niemals darüber hinwegkommen. Dabei ist Amy in Amerika geboren, hat die umgekommenen Großeltern nie kennengelernt. Wie kann das sein?

Der Schreibstil ist einerseits sehr distanziert, wirkt beinahe gleichgültig. Doch vielleicht gerade dadurch ist er sehr provozierend. Es ist als würde die Autorin, oder Amy, Anklage erheben gegen die ganze Welt nach dem Motto: wie kann irgendwer jemals wieder glücklich sein, nach allem was passiert ist? Sicherlich ein wichtiges Thema, vielleicht wurde dafür hier aber die falsche Form gewählt.

Wer sich bis zu diesem Punkt noch nicht abgeschreckt fühlt, dem möchte ich nur noch folgendes mitgeben. Es wird schließlich auch noch esoterisch.

Am Ende war ich sehr froh, das Buch zuklappen zu dürfen. Eine wirklich schwierige Lektüre und meiner Meinung nach auch nicht gelungen. 2 Sterne.

 

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Veröffentlicht am 20.11.2021

Lucy und William

Oh, William!
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Oh William! – Elizabeth Strout

Dies war mein erster Roman von Elizabeth Strout und – ja, der Schreibstil ist auf jeden Fall sehr eingängig und angenehm lesbar.

Lucy Burton blickt auf ein langes Leben ...

Oh William! – Elizabeth Strout

Dies war mein erster Roman von Elizabeth Strout und – ja, der Schreibstil ist auf jeden Fall sehr eingängig und angenehm lesbar.

Lucy Burton blickt auf ein langes Leben zurück. Davon und insbesondere von ihrer Ehe mit ihrem ersten Mann William und den gemeinsamen Töchtern erzählt sie hier. Obwohl sie und William seit Jahrzehnten geschieden sind, verbindet die beiden eine intensive Freundschaft. Ein Leben lang haben die beiden sich gegenseitig begleitet. Als William nun Hilfe benötigt, ist es natürlich Lucy, die er darum bittet.

Es sind keine großen Geschehnisse, von denen hier erzählt wird. Vielmehr sind es die alltäglichen Sorgen und Schicksalsschläge um die es hier geht. All die kleinen Versäumnisse und Verletzungen, die man sich in einer Ehe gegenseitig zufügt. Sowohl Lucy als auch William haben Narben aus der Kindheit davongetragen, die wiederum ihre spätere Beziehung beeinflussten. Doch wie so oft sieht man die Verbindungen und Hintergründe erst später – zu spät.

Die Sprache ist sehr eindringlich, als würde Lucy vor einem sitzen und ihre Geschichte erzählen. So nah. Es herrscht eine melancholische Grundstimmung und es ist berührend, wie nahe sich Lucy und William stehen. Die beiden gehen sehr liebevoll miteinander um. Das ist schön zu lesen, aber auch traurig, denn die Geschichte steckt voller verpasster Gelegenheiten.

Elizabeth Strout hat eine wunderbar warmherzige Art und Weise, ihre Figuren zu zeichnen. Sensibel und verständnisvoll lotet sie Abgründe menschlicher Seelen aus, und was diese für unsere Beziehungen bedeuten.

Eine sehr ruhige Geschichte, quasi die Rückschau auf ein teils gemeinsames, teils getrenntes Leben, die von einer poetischen Sprache und der melancholischen Atmosphäre lebt.

Hat mir sehr gut gefallen! 4 Sterne.

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Veröffentlicht am 17.11.2021

Drei Brüder

Die Überlebenden
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Die Überlebenden – Alex Schulman

Drei Brüder – Benjamin, Pierre und Nils kehren nach dem Tod ihrer Mutter, nach zwanzig Jahren an das Holzhaus am See zurück. Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Dort ...

Die Überlebenden – Alex Schulman

Drei Brüder – Benjamin, Pierre und Nils kehren nach dem Tod ihrer Mutter, nach zwanzig Jahren an das Holzhaus am See zurück. Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Dort haben sie Sommer für Sommer die Ferien verbracht. Aber was ist passiert, dass die drei sich heute so fremd sind?

Die Kindheit der Brüder war nicht ganz unproblematisch. Der Alkoholkonsum der Eltern mindestens übermäßig, die Erziehungsmaßnahmen fragwürdig, die Liebe der Mutter schwankend. Sommer zwischen Freiheit und Vernachlässigung. Aber die Jungs hatten sich gegenseitig und hielten im Großen und Ganzen zusammen. Also: was ist passiert, dass sie sich heute nicht mehr in die Augen sehen können?

Es ist eine recht unkonventionelle Erzählweise, die der Autor hier zeigt. Von der Gegenwart, den sprachlosen Männern, geht es abschnittweise zurück in die Kindheit. Von Episode zu Episode immer näher an diesen letzten Sommer, der alles verändert. Auf jeden Fall ist das fesselnd geschrieben.

Tatsächlich lüftet Herr Schulman das große, alles verändernde Geheimnis erst auf den letzten zwanzig Seiten. Und es hat mich wirklich schockiert. So viele unangemessene Reaktionen und Ungereimtheiten sind auf einmal klar. Damit ist es zu einem der Bücher geworden, das man am liebsten gleich nochmal von vorne lesen möchte – mit dem neuen Wissen, um alle Andeutungen endlich zu verstehen.

Sprachlich ist der Roman gut, aber unauffällig geschrieben. Genau richtig also, um sich voll und ganz auf den Inhalt konzentrieren zu können. Ein emotional aufwühlendes Leseerlebnis, dessen wahre Brisanz erst auf den letzten Seiten offenbar wird. Sehr gut gemacht! 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 15.11.2021

Affäre

Alles Begehren
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Dies ist ein guter Roman, trotzdem hätte ich ihn beinahe abgebrochen. Der Schreibstil ist angenehm und fesselnd, der Aufbau raffiniert und toll gemacht. Es ist vielmehr die Handlung selbst, die mich richtiggehend ...

Dies ist ein guter Roman, trotzdem hätte ich ihn beinahe abgebrochen. Der Schreibstil ist angenehm und fesselnd, der Aufbau raffiniert und toll gemacht. Es ist vielmehr die Handlung selbst, die mich richtiggehend abgestoßen hat. Es gibt zwei Zeitebenen: 1985 und 2003. 1985 trifft der glückliche Familienvater Callum zum ersten Mal auf die schöne Studentin Kate. Die sexuelle Anziehung ist immens - und natürlich erliegt er ihr. Und das obwohl seine Ehefrau, die er sehr liebt mit dem dritten gemeinsamen Kind hochschwanger ist. Natürlich dauert es nicht lange, bis die Sache auffliegt. 2003 begegnen sich Callum und Kate erneut. Und - es ist zum Haare raufen - es passiert wieder genau das gleiche wie bereits vor siebzehn Jahren. Der hormongesteuerte Ehemann schaltet sein Hirn aus und stürzt sich erneut ins Verderben. Es ist wirklich grausam mitanzusehen, bzw zu lesen, wie man sich sein Leben und das seiner Familienmitglieder derart selbst zerstören kann. Als Leser fragt man sich, warum eigentlich? Genau das ist wohl die Intention der Autorin. Man beginnt zu überlegen, welche Gründe glücklich verheiratete Personen dazu verleiten, eine Affäre zu beginnen. Ist es tatsächlich einfach die sexuelle Anziehung, oder der Reiz den Neuen? Wie bereits erwähnt, war ich ein paarmal kurz davor, dieses Buch abzubrechen. Es hat mich einfach zu sehr aufgewühlt. Schließlich bin ich aber doch bei der Stange geblieben. Die Autorin erzählt nämlich wirklich toll. Auch einige interessante Nebenfiguren wollte ich mir nicht einfach so entgehen lassen. Also gefallen hat mir diese Lektüre eigentlich nicht, trotzdem hat sie mich sehr beschäftigt und auch beeindruckt. Deshalb trotz allem 4 Sterne von mir!

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Veröffentlicht am 13.11.2021

Djamila und Geoffroy

Die wärmste aller Farben
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Die wärmste aller Farben – Gregoire Delacourt

Dieser Roman beschäftigt sich für seine gut 250 Seiten mit ziemlich vielen großen Themen. Die Geschichte beginnt recht politisch – und bleibt es auch. Die ...

Die wärmste aller Farben – Gregoire Delacourt

Dieser Roman beschäftigt sich für seine gut 250 Seiten mit ziemlich vielen großen Themen. Die Geschichte beginnt recht politisch – und bleibt es auch. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind ein Ventil durch das Pierre Luft ablassen kann. Denn zuhause läuft es längst nicht mehr gut. Die Ehe ist am Ende. Die Schuld daran gibt er dem autistischen Sohn Geoffroy, mit dem er einfach nicht zurecht kommt. Alleine dieser Teil der Handlung ist so tieftraurig und voller verpasster Gelegenheiten.

Der dreizehnjährige Geoffroy hat aufgrund seines Autismus unzählige Besonderheiten. Beispielsweise begreift er die Welt in Farben. Mit Gleichaltrigen kommt er daher kaum zurecht. Doch eines Tages lernt er auf dem Schulhof Djamila kennen und zwischen den beiden entwickelt sich nicht nur eine tiefe Freundschaft sondern sogar eine zarte Liebesgeschichte. Doch Djamila kommt aus einer muslimischen Familie und fühlt sich von deren strengen Regeln eingeengt.

Ein weiterer Erzählstrang begleitet Geoffroys Mutter Louise, die sich von ihrem Mann Pierre im Stich gelassen fühlt und auf der Suche nach ein wenig Zärtlichkeit ist. Besonders interessant ist dies auch, da Louise beruflich auf der Palliativstation Patienten auf ihrem letzten Weg betreut.

Das sind eine Menge schwere Themen und tatsächlich liegt mir dieses Buch noch etwas im Magen. Es ist poetisch schön, aber auch tieftraurig und melancholisch. Der Autor hat einen ganz wunderbaren Schreibstil, der einen zu fesseln vermag.

Die Charaktere sind sehr vielschichtig dargestellt, so dass man jeden von ihnen irgendwo auch verstehen kann, sogar den gewalttätigen Protestler. Zudem entwickeln sie sich alle im Lauf der Handlung weiter – nur nicht immer in die gleiche Richtung.

Nachdem ich das Buch zugeklappt hatte, war ich sehr niedergeschlagen und aufgewühlt. Aber ich war auch sehr beeindruckt von der schriftstellerischen Leistung des Autors und der Sprachgewalt, mit der er diese Geschichte erzählt.

4 Sterne

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