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Veröffentlicht am 09.07.2019

Viel zu unruhig und bruchstückhaft

Sofia trägt immer Schwarz
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Sofia trägt immer schwarz – Paolo Cognetti

Hat mich sein Roman "Acht Berge" letztes Jahr einfach nur begeistert, so fand ich Cognettis Debütroman „Sofia trägt immer schwarz“ weitaus schwieriger.

Wie ...

Sofia trägt immer schwarz – Paolo Cognetti

Hat mich sein Roman "Acht Berge" letztes Jahr einfach nur begeistert, so fand ich Cognettis Debütroman „Sofia trägt immer schwarz“ weitaus schwieriger.

Wie der Titel schon verrät, geht es in diesem Roman um das Mädchen bzw. die junge Frau Sofia. Man erfährt, dass sie tatsächlich aus einem nicht optimalen Elternhaus kommt. Ob aus diesem Grund, oder aus einem anderen, auf jeden Fall hat sie einen wirklich schwierigen Charakter. Ein Psychologe hätte wohl seine wahre Freude an ihr. Sie ist rastlos und fühlt sich nirgendwo zu Hause. Soweit also ein Thema, das wir von dem Autor bereits kennen. Der Wunsch nach Freiheit einerseits, irgendwo anzukommen andererseits. Und übergeordnet die Suche nach dem ganz individuellen Glück.

Dieser Autor kann schreiben, ohne Frage. Trotzdem konnte mich Sofia nicht wirklich erreichen. Obwohl handlungstechnisch gar nicht so viel passiert, ist es ein wahnsinnig unruhiger und bruchstückhafter Roman. Cognetti fährt gefühlt alles an möglichen stilistischen Mitteln auf, was man sich vorstellen kann. Mit jedem Kapitel wechselt er scheinbar willkürlich zwischen den Zeiten und Perspektiven. Als irgendwann ein Erzähler, wer auch immer, Sofia in der Du-Form anspricht, fühlte ich mich komplett abgehängt. Zusätzlich werden ständig neue Personen eingeführt, die ebenso schnell wieder verschwinden und für die Handlung nur begrenzte Bedeutung haben. Keine Chance, sich auch nur ein bisschen auf Sofia einzulassen. So gesehen ein krasser Gegensatz zu den Acht Bergen, bei denen mich gerade die ruhige und stille Atmosphäre so sehr beeindruckt hatte. Am Ende bleibt der Leser zurück mit der Frage, was denn nun eigentlich die Aussage, oder auch nur die Handlung dieses Buches war.

Trotz aller Kritik habe ich diesen Roman gerne gelesen. Er beinhaltet viele tolle Stellen und stille Wahrheiten. Nur das Gesamtpaket hat hier für mich nicht ganz gepasst.

Veröffentlicht am 07.07.2019

Monteperdido

Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Mädchen
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Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Mädchen – Agustin Martinez

Vor fünf Jahren sind zwei elfjährige Mädchen spurlos aus einem abgelegenen Pyrenäendorf verschwunden. Nun ist plötzlich die mittlerweile ...

Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Mädchen – Agustin Martinez

Vor fünf Jahren sind zwei elfjährige Mädchen spurlos aus einem abgelegenen Pyrenäendorf verschwunden. Nun ist plötzlich die mittlerweile sechzehnjährige Ana wieder da, vollkommen verstört. Die Ermittlungen werden neu aufgenommen und die örtliche Polizei um zwei Kommissare aus Madrid verstärkt.

Der Fall um die beiden verschwundenen Mädchen ist überzeugend und durchweg spannend. Das Besondere an diesem Krimi ist jedoch die ganz besondere, verstörende Atmosphäre des Schauplatzes. Das in sich abgeschlossene Bergdorf und die düsteren Wälder ringsum, die Abgeschiedenheit und Geheimniskrämerei der eigenbrötlerischen Bewohner, die ganz offensichtlich etwas vor den hinzugerufenen Kommissaren aus Madrid verbergen. Grundsätzlich sind Fremde in Monteperdido nicht gern gesehen und werden bestenfalls geduldet. Ganz aufgenommen werden sie nie. Und nun greifen erneut die Verdächtigungen um sich. Denn zu verbergen haben hier einige etwas.

Aus tiefgehenden, richtig guten Charakterzeichnungen, hochwertiger Sprache und grandiosen Naturbeschreibungen entwickelt sich eine unheimlich dichte, beklemmende Atmosphäre. und dies ist das eigentlich tolle an diesem Krimi. Beinahe hat man das Gefühl, selbst in den Bergwäldern der Pyrenäen um sein Leben zu laufen. Und die Pappelwälder rauschen zu hören.

Ein qualitativ hochwertiger Krimi, der sehr positiv aus den vielen anderen hervorsticht. Sehr lohnenswert.

Veröffentlicht am 02.07.2019

Leben in der Optimalwohlgesellschaft

Die Unvollkommenen
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Die Unvollkommenen – Theresa Hannig

Dieser Roman spielt in der Bundesrepublik Europa, 2057.
„Es herrscht Frieden in der Optimalwohlökonomie, einem lückenlosen Überwachungssystem, in dem mithilfe von Kameras, ...

Die Unvollkommenen – Theresa Hannig

Dieser Roman spielt in der Bundesrepublik Europa, 2057.
„Es herrscht Frieden in der Optimalwohlökonomie, einem lückenlosen Überwachungssystem, in dem mithilfe von Kameras, Linsen und Chips alles erfasst und gespeichert wird. Menschen und hochentwickelte Roboter sollen Seite an Seite leben. Störenfriede werden weggesperrt. So auch die Systemkritikerin Lila. (…)“ (Klappentext)

Normalerweise übernehme ich nur sehr selten Teile von Klappentexten etc. Hier finde ich aber die Ausgangssituation sehr schön zusammengefasst. Zumal Die Unvollkommenen der zweite Band nach Die Optimierer ist, den ich leider nicht kenne. Zum Glück war diese Tatsache zumindest für den Einstieg kein Problem. Denn zum einen werden viele Dinge aus dem Vorgängerband noch einmal erklärt. Zum anderen, ist selbst die Protagonistin Lila nicht auf dem aktuellen Stand. Denn seit den Geschehnissen des letzten Bandes sind fünf Jahre vergangen, die Lila verschlafen hat. Sie ist eine Gegnerin der herrschenden Optimalwohlökonomie und wurde zu fünf Jahren Verwahrung verurteilt. Als würde man jemanden einfach ausschalten.
Den Rest ihres Lebens soll sie nun in einem Internat verbringen. Auf den ersten Blick reiner Luxus, Schlaraffenland, wenn auch umgeben und kontrolliert von Robotern. Lila plant von Anfang an ihre Flucht.

Spannend und fesselnd erzählt, eine spannende Ausgangssituation, dennoch konnte es mich nicht zu hundert Prozent packen.
Die dargestellte Zukunftsvision ist sehr interessant, wenn auch nicht erstrebenswert. Dabei wirft die Geschichte viele grundlegende Fragen auf. Beispielsweise über den Wert des Lebens, Selbstbestimmung, Recht auf Privatsphäre und die Vor- und Nachteile bzw. Gefahren künstlicher Intelligenz. Also wirklich lesenswert, wenn man das Genre mag.

Insgesamt war mir die Geschichte allerdings etwas zu eindimensional sowohl was den Plot betrifft, als auch von der Erzählstruktur her. Die Erzählweise ist relativ streng chronologisch, ausschließlich aus Lilas Perspektive. Da hätte ein klein wenig Raffinesse nicht geschadet. Etliche Handlungsstränge wären noch ausbaufähig gewesen. Wenn man ersten Band nicht kennt, fehlt letztendlich doch ein wenig der Weltenaufbau. Teilweise schien mir der Roman recht zahm und weichgespült, sehr stark am Jugendroman orientiert.
Dennoch, eine bodenständige, unterhaltsame Lektüre, die ich sehr gern gelesen habe!

  • Einzelne Kategorien
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  • Figuren
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 23.06.2019

Gut konstruiert und vielschichtig

Westwall
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Westwall – Benedikt Gollhardt

Ein Thriller, der beängstigend realitätsnah tief in das Milieu des Rechtsextremismus eintaucht.

Julia, die Polizeianwärterin, ist mit ihrem Vater in einer abgelegenen Kommune ...

Westwall – Benedikt Gollhardt

Ein Thriller, der beängstigend realitätsnah tief in das Milieu des Rechtsextremismus eintaucht.

Julia, die Polizeianwärterin, ist mit ihrem Vater in einer abgelegenen Kommune mit Aussteigern aufgewachsen. Für ihre Ausbildung ist sie nun nach Köln gezogen.
Sie verliebt sich in Nick, einen widersprüchlichen jungen Mann. Nach einer gemeinsamen Nacht entdeckt sie ein riesiges Hakenkreuz-Tattoo auf seinem Rücken. Ihr Vater scheint sich vor irgendjemandem aus der Vergangenheit zu fürchten. Julia beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Die Spur führt zurück in ihre Vergangenheit und zu einer rechtsextremen Gruppe, die sich in einem Haus am Westwall, dem alten Verteidigungssystem aus dem zweiten Weltkrieg, versteckt. Dieser Westwall war mir vor der Lektüre tatsächlich noch kein Begriff (Bildungslücke!).

Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und bald schon weiß der Leser nicht mehr, wer auf welcher Seite steht.
Dies ist das Thriller Debüt des Autors Benedikt Gollhardt, der sich jedoch bereits als Drehbuchautor einen Namen gemacht hat. Und tatsächlich liegt eine Stärke dieses Buches in der detailgenauen Beschreibung des Settings. Beinahe meint man, selbst irgendwo in einem finsteren Wald in der Eifel zu sein.

Gleich mehrere hochinteressante Themen und brisante gesellschaftliche und politische Entwicklungen, denen sich niemand entziehen kann, wurden hier gut verarbeitet. Dazu noch liebevoll konstruierte Charaktere machen den Thriller sehr vielschichtig.
Ein gut konstruierter Thriller mit einem brandaktuellen Thema, der nicht in der 0815-Schiene mitläuft.
In einem Interview am Anhang des Buches erzählt der Autor, dass er sich bereits Gedanken über eine Fortsetzung macht. Ich würde mich darüber freuen!
Klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 18.06.2019

Anspruchsvoller Roman mit kriminalistischen Elementen

All die unbewohnten Zimmer
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All die unbewohnten Zimmer – Friedrich Ani

Gleich um zwei Fälle geht es in diesem Kriminalroman und in beiden sind Polizisten als Opfer beteiligt. Dafür treffen in diesem Werk, wie zur gegenseitigen Unterstützung, ...

All die unbewohnten Zimmer – Friedrich Ani

Gleich um zwei Fälle geht es in diesem Kriminalroman und in beiden sind Polizisten als Opfer beteiligt. Dafür treffen in diesem Werk, wie zur gegenseitigen Unterstützung, alle vier von Anis Ermittlern aus vorhergehenden Büchern aufeinander. Vier sehr spezielle, aber alles starke und sehr gut ausgearbeitete interessante Charaktere. Der Ex-Mönch Polonius Fischer, die erst verstoßene, dann kürzlich rehabilitierte Fariza Nasri, der schweigsame Vermisstenfahnder Tabor Süden und der bereits verrentete Jakob Franck.
Sie alle bewegen sich in immer enger werdenden Kreisen um die beiden Fälle. Es macht Freude, ihnen bei der Auflösung zu folgen. Die gleichen Begebenheiten werden teilweise aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt.
Dabei ist es wohl fast egal, worüber Ani schreibt, das Brillante an diesem Roman ist auf jeden Fall seine Sprache. Sehr fein und tiefsinnig thematisiert er gleich mehrere Probleme unserer Gesellschaft.

Eigentlich handelt es sich hierbei um einen Roman mit kriminalistischen Elementen, der durchaus anspruchsvoll zu lesen ist und wunderbar nachdenklich, beinahe schwermütig geschrieben ist. Wer allerdings einen atemberaubenden Pageturner erwartet, könnte enttäuscht werden.

"Dabei war er nur ein alter Mann, der zu viele Tote gesehen hatte, zu viele Hinterbliebene, eingemauert in Leid und Einsamkeit; und seine Worte reichten für einen erlösenden Trost niemals aus." Seite 180

Gekonnt schlägt Ani einen Bogen von den abgehängten Gebieten im Osten Deutschlands zu den heutigen Auswüchsen des Fremdenhasses. Auch die Rolle der Medien nimmt großen Raum ein.
Das Ende schließlich fand ich überraschend und schockierend. Trotzdem überaus passend und insgesamt nachdenklich stimmend.
Von mir eine große Leseempfehlung für jeden, der gerne etwas anspruchsvollere Krimis liest.