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Veröffentlicht am 05.02.2019

"Betonwasserwindhimmel"

Die Mauer
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Die Mauer – John Lanchester

"Betonwasserwindhimmel"

Eine wahnsinnig bedrückende, gerade weil so realistische Dystopie!

Großbritannien in der Zeit nach dem (Klima-)Wandel. Jeder junge Brite muss zwei ...

Die Mauer – John Lanchester

"Betonwasserwindhimmel"

Eine wahnsinnig bedrückende, gerade weil so realistische Dystopie!

Großbritannien in der Zeit nach dem (Klima-)Wandel. Jeder junge Brite muss zwei Jahre seines Lebens auf der Mauer dienen, die die Insel umgibt und vor Eindringlingen (den Anderen) schützt. So tritt auch Kavanagh seinen Dienst an und kämpft gegen die Kälte und Monotonie an, die auf der Mauer herrschen.
Dieses Großbritannien der Zukunft agiert gnadenlos und streng gegenüber seinen Feinden, aber auch seinen Verteidigern gegenüber. Schaffen es Andere, ins Landesinnere vorzudringen, werden im Gegenzug die verantwortlichen Verteidiger auf dem Meer ausgesetzt. Die Notwendigkeit leuchtet ein. Trotzdem, die Frage stellt sich: Ist das ein Land, in dem man leben möchte? Andererseits ist es wohl das Land, das es noch am besten getroffen hat.
Für die Briten ist es der Wandel, für die Anderen das Ende (Gänsehaut!).
Kavanagh und seine Mitstreiter (eine Liebesgeschichte bahnt sich an!) sind Kinder ihrer Zeit, trotzdem sind es intelligente junge Menschen, die für sich vieles hinterfragen. Gerade das macht diesen Roman so spannend, denn wir dürfen an den Gedanken und Ängsten der Protagonisten teilhaben, auch wenn diese zum Teil nicht besonders detailliert gezeichnet sind.
"Die Alten haben das Gefühl, die Welt unwiederbringlich vor die Wand gefahren und es dann zugelassen zu haben, dass wir in sie hineingeboren wurden. Und was soll ich dir sagen? Genauso ist es." Seite 72
Interessant fand ich hier die Schuldfrage, der sich die Elterngeneration zu stellen hat (Warnung!)

Lanchester bedient sich einer teils poetischen, dennoch einfachen Sprache. Erbarmungslos zeigt er menschliche Abgründe und Ängste auf. Ein tolles, durchaus mögliches Setting. Doch der Autor macht es sich hier keineswegs an der Oberfläche gemütlich, sondern er gräbt tief und deckt nach und nach die Hintergründe auf, wie es zum "Wandel" kam, warum die "Mauer" erbaut wurde.
Was soll ich sagen, ein leider sehr vorstellbares Zukunftsszenario. Bedrückend. Erschreckend.

Der Autor hat hier sehr aktuelle Probleme verarbeitet, wie etwa die Flüchtlingsströme, Angst vor Überfremdung und was diese Angst mit einer Gesellschaft macht. Andererseits kam mir beim Lesen auch immer wieder die deutsche Vergangenheit in den Sinn. Die Verteidigung einer Mauer weckte besondere Assoziationen, ebenso wie die Schuldfrage einer ganzen Generation (Holocaust).

Lanchesters Intention zu diesem Roman ist m.E. die Warnung vor dem Klimawandel. Er zeichnet eine mögliche Zukunft nach dem Klimawandel und es geht ihm darum zu warnen, dass unsere Generation von allen folgenden dafür verantwortlich gemacht werden dürfte, was nun versäumt wird. Dass er den Brexit thematisiert, kann ich persönlich so nicht sehen. Klar, Großbritannien ist vom restlichen Europa abgeschlossen, der Grund dafür ist aber ein geografischer, weniger ein politischer. Da wird für mich zu viel hineininterpretiert.

Auch möchte ich darauf hinweisen, dass diese Geschichte in drei Teile gegliedert ist. Der literarisch und inhaltlich wertvollste und stärkste Teil ist meiner Meinung nach tatsächlich der erste. Besonders der dritte Abschnitt erinnert an eine Abenteuergeschichte, wobei ich auch solche gerne mag.
Ich habe dieses Buch regelrecht verschlungen und spreche eine klare Leseempfehlung aus!

Veröffentlicht am 03.02.2019

Warum ist die Welt so unendlich?

Die zehn Lieben des Nishino
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Die zehn Lieben des Nishino – Hiromi Kawakami

„Warum ist die Welt so unendlich?“ Ein Buch über die Liebe.

Ein melancholischer, ein wirklich eigenartiger Roman. Wenn es denn überhaupt als Roman bezeichnet ...

Die zehn Lieben des Nishino – Hiromi Kawakami

„Warum ist die Welt so unendlich?“ Ein Buch über die Liebe.

Ein melancholischer, ein wirklich eigenartiger Roman. Wenn es denn überhaupt als Roman bezeichnet werden kann, besteht das Büchlein doch aus zehn zeitlich ungeordneten Sequenzen, die allesamt das Liebesleben des Nishino zum Thema haben. Und das hat es in sich. Zehn Verflossene (allesamt moderne, emanzipierte Frauen) erzählen, wie es ihnen mit Nishino erging, den sie nicht zu lieben glaubten, dann aber nicht vergessen konnten.
Nishino scheint der perfekte Mann zu sein, attraktiv, allseits beliebt. Trotzdem sind seine Beziehungen nur von recht kurzer Dauer. Aus irgendeinem Grund kann er keine der Frauen länger halten. Er will lieben, bleibt dabei aber geisterhaft unverbindlich. Und liebt eigentlich immer mehrere Frauen gleichzeitig.

Auf jeden Fall hat dieses Buch einen sehr japanischen Stil. Poetisch und leise, doch seltsam distanziert beleuchtet die in Japan sehr populäre Autorin gründlich menschliche Beziehungen und hinterlässt den Leser dennoch nachdenklich. Man kann diese Aneinanderreihung von Geschichten als Studie von Paarbeziehungen unserer Zeit lesen. So wird die Flüchtigkeit und Kurzlebigkeit der modernen, im Zweifel unverbindlichen, Liebe dargestellt. Dem seltsamen Verhalten Nishinos könnte man problemlos Bindungsangst unterstellen. Aber das ist meine Interpretation.

Die zehn Geschichten sind alle nach dem gleichen Schema aufgebaut, es wird am Ende beinahe etwas langweilig. Und weil die Kapitel nicht chronologisch geordnet sind, weiß man auch schon recht früh, dass Nishino sich nicht ändern wird. Er selbst bleibt bis zum Schluss sehr blass. Eher nervig, ständig wiederkehrende Diskussionen, wer wen mehr liebt, nicht mehr liebt, nicht genügend liebt, zu spät bemerkt hat, dass er doch liebt,.... jedes Mal etwas anders, aber doch immer ähnlich.

Man sollte japanische Literatur mögen und auch willens sein, sich Gedanken über das Gelesene zu machen. Dann kann man als Leser vielleicht etwas daraus mitnehmen. Mich konnte es leider nicht so wirklich überzeugen. Am Ende fand ich nicht nur die Lieben des Nishino, sondern auch das Buch etwas flüchtig.

Veröffentlicht am 31.01.2019

Wiedersehen in Holt

Abendrot
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Abendrot – Kent Haruf

"Abendrot" ist der zweite Teil der Trilogie "Plainsong" um die Bewohner von Holt. Das Buch ist aber durchaus auch ohne den Vorgänger lesbar. Und, um es gleich vorab zu sagen, auch ...

Abendrot – Kent Haruf

"Abendrot" ist der zweite Teil der Trilogie "Plainsong" um die Bewohner von Holt. Das Buch ist aber durchaus auch ohne den Vorgänger lesbar. Und, um es gleich vorab zu sagen, auch dieser Roman hat mich wieder begeistert.

Es gibt ein Wiedersehen mit einigen bereits bekannten Darstellern. Die großmütigen Viehzüchter-Brüder McPheron beispielsweise dürfen natürlich nicht fehlen. Gleich zu Beginn müssen sie den Wegzug ihrer Ziehtochter Victoria mit der kleinen Katie verkraften.
Aber auch neue Bewohner Holts dürfen wir kennenlernen. Da ist zum Beispiel die Familie, die in einem Wohnwagen am Existenzminimum die Familie zusammenzuhalten versuchen. Oder der elfjährige Junge, der sich tagaus-tagein um seinen alten Großvater kümmert. So aussichtslos die Lage vieler hier ist, gibt es doch immer wieder jemanden mit einem großen Herz, der helfen will.

Kent Harufs großes Thema ist auch hier wieder die Einsamkeit und Perspektivlosigkeit vieler Menschen in den Great Plains. Das Leben auf dem Land ist hart und Haruf liegen die kleinen Leute am Herzen. Er schreibt absolut authentisch, oft mit wenigen Worten, die aber viel beinhalten. Trotz oft knapper, gar distanziert wirkender Sprache, vermittelt der Autor Mitgefühl für seine Figuren, die es alle nicht leicht haben. Wie überall gibt es solche, die an Schicksalsschlägen wachsen oder sich zumindest wieder aufrappeln, und solche, die daran zerbrechen. Gerade die Belange der Kinder und Heranwachsenden sind Haruf wichtig. Sie sind es, die für ihre Situation am wenigsten können und gleichzeitig am meisten darunter leiden.
Trotz teils ausufernder Beschreibungen liest sich dieser Roman wie ein Krimi, gerade weil man als Leser so großen Anteil an den Geschicken dieser einsamen Menschen nimmt.

Eigentlich bin ich kein Reihen-Leser, auf den letzten Band dieser Trilogie werde ich aber hinfiebern. Ich muss unbedingt wissen, wie es den Bewohnern von Holt weiterhin ergeht.

Veröffentlicht am 31.01.2019

Melancholisch und feinsinnig

Agathe
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Ein kleines, feines Büchlein. Ein vielversprechendes Debüt.

Ein 72-jähriger, ausgebrannter Psychiater und seine allerletzte Patientin, Agathe, die sich einfach nicht abwimmeln lassen will. Agathe scheint ...

Ein kleines, feines Büchlein. Ein vielversprechendes Debüt.

Ein 72-jähriger, ausgebrannter Psychiater und seine allerletzte Patientin, Agathe, die sich einfach nicht abwimmeln lassen will. Agathe scheint erst eine Patientin wie jede andere, doch bald verändert sich etwas in der Beziehung zwischen den beiden.
Im Vordergrund der Geschichte steht in erster Linie jedoch nicht die Patientin, wie es der Titel vermuten lassen würde, sondern der Psychiater selbst, von dem wir keinen Namen erfahren. Dieser ist in höchstem Maße einsam. Hat weder Familie noch Freunde, eigentlich überhaupt keinen Kontakt zu Menschen außerhalb seiner Praxis, zumindest erfahren wir nichts desto gleich. Und auch bei seiner Arbeit ist er zunehmend überfordert und geradezu genervt von den Problemen seiner Patienten. So zählt er beständig die noch verbleibenden Termine bis zum baldigen Ruhestand. Doch was kommt eigentlich danach?

Die Geschichte spielt in einem Pariser Vorort, 1948. Etwas seltsam mutet es daher an, dass der Krieg und seine Auswirkungen mit keinem Wort erwähnt werden und scheinbar überhaupt keine Rolle spielen. Die Autorin konzentriert sich offensichtlich voll und ganz auf das Seelenleben ihrer Protagonisten. Die Handlung wirkt somit zeitlos und würde in jedem beliebigem Rahmen gleich verlaufen. Vollkommen losgelöst von allen möglichen äußeren Umständen. Auch viele wichtige Hintergrundinformationen, zum Leben des Psychiaters etwa, fehlen komplett.

Sprachlich hat mir das Büchlein hervorragend gefallen. Locker zu lesen, dabei aber verspielt und tiefsinniger als auf den ersten Blick vermutet, trifft die Autorin Lebensweisheiten auf den Punkt. Mit wenigen Worten vermag sie viel zu sagen. Eine nachdenkliche, melancholische Grundstimmung bleibt zurück.

Insgesamt ungewöhnlich, aber durchaus empfehlenswert!


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Veröffentlicht am 23.01.2019

Ein bewegtes Leben

Olga
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Olga – Bernhard Schlink

Soweit ich mich erinnere, konnte mich schon das bekannte Werk Schlinks "Der Vorleser" zu Schulzeiten nicht so wirklich begeistern. Viele Jahre habe ich die Finger von dem Autor ...

Olga – Bernhard Schlink

Soweit ich mich erinnere, konnte mich schon das bekannte Werk Schlinks "Der Vorleser" zu Schulzeiten nicht so wirklich begeistern. Viele Jahre habe ich die Finger von dem Autor gelassen, nun wagte ich mich an seinen neuesten Roman "Olga".

Erzählt wird die Geschichte einer Frau, Olga. Beginnend in ihrer Kindheit und Jugend, gelangt der Leser in rasender Geschwindigkeit in das Leben Olgas als alter Dame. Jahrzehnte eines Lebens werden innerhalb weniger Seiten abgehandelt. Irgendwo dazwischen befindet sich ihre Liebe zu Herbert, eine Beziehung, die ich insgesamt nur schwer nachvollziehen kann. Die beiden passen von Anfang an nicht zusammen, führen niemals ein gemeinsames Leben. Nach wenigen, auch diese Zeit von längeren Auslandsaufenthalten unterbrochenen, Jahren, verschwindet er schließlich ganz und Olga trauert ihm bis zum Ende 50 Jahre lang nach.
Hm, nunja, mit Olga konnte ich mit so gar nicht identifizieren. Sie führt ein trauriges, unausgefülltes Leben, allerdings zum großen Teil aus eigener Schuld. Diese Schicksalsergebenheit und Untätigkeit, warten bis ihr irgendetwas in den Schoß fällt, hat mich wahnsinnig gemacht! Aber vermutlich tue ich ihr damit Unrecht, schließlich ist es eine andere Zeit, geprägt vom Krieg. Auch hat sie sich bereits durchgesetzt, indem sie Lehrerin wurde. Eine tolle Leistung. Nur im Privaten fehlt ihr dieses Durchsetzungsvermögen dann so ganz…

Obwohl ich Schlinks Sprache als sehr angenehm und schön empfinde, bleiben die Figuren seltsam fremd. Die Geschichte an sich konnte mich nicht überzeugen. Gerade weil ich Olga als Hauptfigur als nerv tötend empfand und die riesigen Zeitsprünge als mühsam. Insbesondere im Mittelteil des Romans empfand ich trotz des großen Erzähltempos etliche Passagen als richtiggehend langweilig. Durch die vielen Sprünge hatte ich einfach auch den Draht zur Geschichte verloren.
Zum Ende stellt sich die Frage, ob und was uns der Autor mit der Geschichte sagen will? Etwas in der Richtung, jeder ist seines Glückes Schmied? Ich bin mir nicht sicher...
Talent hat Schlink. Gerade im letzten Teil, der aus Briefen besteht, kommt dies wieder klar zum Vorschein. Umso enttäuschender, dass dies nicht immer zum Ausdruck kommt.