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Veröffentlicht am 23.06.2019

Gut konstruiert und vielschichtig

Westwall
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Westwall – Benedikt Gollhardt

Ein Thriller, der beängstigend realitätsnah tief in das Milieu des Rechtsextremismus eintaucht.

Julia, die Polizeianwärterin, ist mit ihrem Vater in einer abgelegenen Kommune ...

Westwall – Benedikt Gollhardt

Ein Thriller, der beängstigend realitätsnah tief in das Milieu des Rechtsextremismus eintaucht.

Julia, die Polizeianwärterin, ist mit ihrem Vater in einer abgelegenen Kommune mit Aussteigern aufgewachsen. Für ihre Ausbildung ist sie nun nach Köln gezogen.
Sie verliebt sich in Nick, einen widersprüchlichen jungen Mann. Nach einer gemeinsamen Nacht entdeckt sie ein riesiges Hakenkreuz-Tattoo auf seinem Rücken. Ihr Vater scheint sich vor irgendjemandem aus der Vergangenheit zu fürchten. Julia beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Die Spur führt zurück in ihre Vergangenheit und zu einer rechtsextremen Gruppe, die sich in einem Haus am Westwall, dem alten Verteidigungssystem aus dem zweiten Weltkrieg, versteckt. Dieser Westwall war mir vor der Lektüre tatsächlich noch kein Begriff (Bildungslücke!).

Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und bald schon weiß der Leser nicht mehr, wer auf welcher Seite steht.
Dies ist das Thriller Debüt des Autors Benedikt Gollhardt, der sich jedoch bereits als Drehbuchautor einen Namen gemacht hat. Und tatsächlich liegt eine Stärke dieses Buches in der detailgenauen Beschreibung des Settings. Beinahe meint man, selbst irgendwo in einem finsteren Wald in der Eifel zu sein.

Gleich mehrere hochinteressante Themen und brisante gesellschaftliche und politische Entwicklungen, denen sich niemand entziehen kann, wurden hier gut verarbeitet. Dazu noch liebevoll konstruierte Charaktere machen den Thriller sehr vielschichtig.
Ein gut konstruierter Thriller mit einem brandaktuellen Thema, der nicht in der 0815-Schiene mitläuft.
In einem Interview am Anhang des Buches erzählt der Autor, dass er sich bereits Gedanken über eine Fortsetzung macht. Ich würde mich darüber freuen!
Klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 18.06.2019

Anspruchsvoller Roman mit kriminalistischen Elementen

All die unbewohnten Zimmer
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All die unbewohnten Zimmer – Friedrich Ani

Gleich um zwei Fälle geht es in diesem Kriminalroman und in beiden sind Polizisten als Opfer beteiligt. Dafür treffen in diesem Werk, wie zur gegenseitigen Unterstützung, ...

All die unbewohnten Zimmer – Friedrich Ani

Gleich um zwei Fälle geht es in diesem Kriminalroman und in beiden sind Polizisten als Opfer beteiligt. Dafür treffen in diesem Werk, wie zur gegenseitigen Unterstützung, alle vier von Anis Ermittlern aus vorhergehenden Büchern aufeinander. Vier sehr spezielle, aber alles starke und sehr gut ausgearbeitete interessante Charaktere. Der Ex-Mönch Polonius Fischer, die erst verstoßene, dann kürzlich rehabilitierte Fariza Nasri, der schweigsame Vermisstenfahnder Tabor Süden und der bereits verrentete Jakob Franck.
Sie alle bewegen sich in immer enger werdenden Kreisen um die beiden Fälle. Es macht Freude, ihnen bei der Auflösung zu folgen. Die gleichen Begebenheiten werden teilweise aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt.
Dabei ist es wohl fast egal, worüber Ani schreibt, das Brillante an diesem Roman ist auf jeden Fall seine Sprache. Sehr fein und tiefsinnig thematisiert er gleich mehrere Probleme unserer Gesellschaft.

Eigentlich handelt es sich hierbei um einen Roman mit kriminalistischen Elementen, der durchaus anspruchsvoll zu lesen ist und wunderbar nachdenklich, beinahe schwermütig geschrieben ist. Wer allerdings einen atemberaubenden Pageturner erwartet, könnte enttäuscht werden.

"Dabei war er nur ein alter Mann, der zu viele Tote gesehen hatte, zu viele Hinterbliebene, eingemauert in Leid und Einsamkeit; und seine Worte reichten für einen erlösenden Trost niemals aus." Seite 180

Gekonnt schlägt Ani einen Bogen von den abgehängten Gebieten im Osten Deutschlands zu den heutigen Auswüchsen des Fremdenhasses. Auch die Rolle der Medien nimmt großen Raum ein.
Das Ende schließlich fand ich überraschend und schockierend. Trotzdem überaus passend und insgesamt nachdenklich stimmend.
Von mir eine große Leseempfehlung für jeden, der gerne etwas anspruchsvollere Krimis liest.


Veröffentlicht am 11.06.2019

Eine Zumutung

Der europäische Frühling
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Der europäische Frühling – Kaspar Colling Nielsen

Grundsätzlich bin ich ein großer Fan guter Dystopien. Und es liegt in der Natur der Sache, dass diese eher keine Wohlfühlromane sind. Die Grundidee von ...

Der europäische Frühling – Kaspar Colling Nielsen

Grundsätzlich bin ich ein großer Fan guter Dystopien. Und es liegt in der Natur der Sache, dass diese eher keine Wohlfühlromane sind. Die Grundidee von „Der europäische Frühling“ klang gut und brandaktuell. Dennoch empfand ich dieses Werk insgesamt als Zumutung. Zu einem beträchtlichen Teil kann man es als Satire betrachten, doch meiner Meinung nach sind auch hier irgendwann gewisse Grenzen des Erträglichen erreicht.

Der Plot ist großartig. Überspitzt, trotzdem erschreckend realitätsnah schildert Nielsen eine mögliche nahe Zukunft Dänemarks, in der insbesondere unerwünschte arabische Einwanderer auf eine eigene, überwachte und eingezäunte Landfläche in Mozambique ausquartiert werden. Dabei spielt der Autor mit Stereotypen und Vorurteilen. Einwanderer werden grundsätzlich als aggressiv und gewaltbereit dargestellt.
Die Wissenschaft ist auf dem Vormarsch, auch im medizinischen Bereich und der künstlichen Intelligenz wird mit Hochdruck geforscht. Die daraus resultierenden Privilegien, sind jedoch nur für Reiche und Künstler erreichbar.

Ein Grundproblem der Geschichte sind die allesamt extrem unsympathischen Protagonisten. Ausnahmslos haben alle einen an der Klatsche. Am Schlimmsten fand ich den Künstler Christian, der nur für Sex lebt, welcher dankenswerterweise auf ordinäre und sexistische Art und Weise beschrieben wird. Zu allem Überfluss ist seine Sexpartnerin für viele pornografische Szenen eine geistig behinderte 18jährige, die er am Ende noch kauft. Was das allerdings mit der durchaus guten Grundidee zu tun haben soll, blieb mir schleierhaft. Als hätte der Autor einfach ein Bedürfnis zu provozieren und zu schockieren.

Im krassen Widerspruch zu plumpen, abstoßenden sexuellen Beschreibungen stehen dann wieder anspruchsvolle, beinahe philosophische Abschnitte über künstliche Intelligenz und deren Schattenseiten, die Fortschritte der Forschung und die Künstlerszene.
Dann gibt es noch recht gelungene Einschübe aus viel späterer Zeit. Tiere wurden mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und stehen dem Menschen grundsätzlich in nichts mehr nach. Auch das ein Bereich, ein Thema, das unheimlich spannend hätte ausgearbeitet werden können und das hier leider nur angerissen wurde. Das hier wäre doch wesentlich interessanter gewesen, als die sexuellen Verirrungen eines Künstlers!

Oft fragt man sich als Leser, meint der Autor das ernst? Nimmt er alle auf die Schippe? Ist es als einzige große Satire zu sehen? Auch wenn man es als sarkastische Überspitzung betrachtet, ist das Ganze eine Zumutung. Nielsen bricht genüsslich gleich mehrere Tabus. Scheinbar einfach nur aus Lust an der Provokation.

Im Endeffekt habe ich die Message nicht verstanden und der Humor, der vermutlich dahinter steckt, ist nicht meiner. Aus dem Klappentext glaube ich zu lesen, dass dieses Werk eine Warnung darstellen soll, dass die Kontrolle über gewisse gesellschaftliche Entwicklungen bereits außer Kontrolle geraten sei. Hm.
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Veröffentlicht am 07.06.2019

Die Zerstörungskraft einer Sucht

All das zu verlieren
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All das zu verlieren – Leila Slimani

Die französisch-marokkanische Autorin und Prix Goncourt-Preisträgerin Leila Slimani wird in Frankreich für ihre Erzählkunst gefeiert. Der Klappentext verweist auf ...

All das zu verlieren – Leila Slimani

Die französisch-marokkanische Autorin und Prix Goncourt-Preisträgerin Leila Slimani wird in Frankreich für ihre Erzählkunst gefeiert. Der Klappentext verweist auf die Beschreibung einer „modernen Madame Bovary“. Tatsächlich gibt es einige Ähnlichkeiten in Plot und Personal. Doch gerade die Handlung und deren Hintergründe (die fehlen), reichen bei Weitem nicht an das Original heran.

Das Cover finde ich sehr passend. Es ist zweigeteilt und zeigt dadurch sehr deutlich die Zerrissenheit der Protagonistin. Ihr Leben ist durch eine Sexsucht geprägt und weist eine dunkle, depressive Seite auf, die sie aber mit allen Mitteln geheim zu halten versucht. Nach außen zeigt sie eine perfekte, strahlende Seite.
Adèle ist mit ihrem Leben unzufrieden. Mit ihrem Mann verbindet sie eine reine Zweckehe, mit dem Kind ist sie überfordert – ihre einzige Ablenkung ist schneller, harter Sex. Sie will begehrt werden, um sich selbst zu spüren.
"Sie wäre so gerne die Ehefrau eines reichen Mannes, der nie da ist." Seite 15

Der Roman ist kühl und distanziert erzählt, gerade die vielen Sexszenen werden nüchtern erzählt. Zum Glück, denn nur durch die sachliche Beschreibung, werden diese abstoßenden Akte erst erträglich.
Es ist eine stakkato artige Aneinanderreihung von einzelnen Sequenzen aus ihrem Leben. Die Autorin wirbt nicht um Verständnis für Adèle, sie hält den Leser auf Distanz, die Geschichte berührt nicht, sondern provoziert und schockiert durch ihre Direktheit und den Hang zur Selbstzerstörung der Protagonistin.

Man kann und soll sich nicht mit Adèle identifizieren, man kann sie auch nicht verstehen, sie ist ein absolut unsympathischer, lebensunfähiger Mensch. Sie konnte noch nicht mal mein Mitleid erwecken. Wohl aber kann man diesen Roman als Darstellung der Zerstörungskraft einer Sucht lesen. Adèle kämpft dagegen an, gelobt Besserung und scheitert immer wieder.
Geradezu emotionslos was den Alltag betrifft, sucht sie Betäubung und Ablenkung bei fremden Männern. Sie baut sich geradezu ein Doppelleben auf.

Am Ende bin ich unschlüssig, wie dieses Buch zu bewerten ist. Ich fand es nicht schlecht, aber auch nicht gut. Letztendlich war es mir zu distanziert, dadurch bleiben für mich sowohl die Figuren als auch die Handlung blass. Slimani erklärt nicht, liefert keine Begründungen oder Hintergründe, es ist eine reine Zustandsbeschreibung.
Die hochgelobte Sprachkunst, die ich gerne anerkenne, reicht mir hier leider nicht.

Veröffentlicht am 05.06.2019

Konnte die Erwartungen leider nicht erfüllen

Die Nickel Boys
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Die Nickel Boys – Colson Whitehead

Von Whitehead habe ich zuletzt den Bestseller „Underground Railroad“ gelesen und war begeistert. „Die Nickel Boys“ konnten mich leider bei Weitem nicht so mitreißen ...

Die Nickel Boys – Colson Whitehead

Von Whitehead habe ich zuletzt den Bestseller „Underground Railroad“ gelesen und war begeistert. „Die Nickel Boys“ konnten mich leider bei Weitem nicht so mitreißen und dieses Werk bleibt meiner Meinung nach weit dahinter zurück.
Das Thema der Rassenproblematik in Amerika durchzieht sämtliche Werke des Autors und so geht es auch hier um die Probleme der schwarzen Bevölkerung, die der Willkür von Weißen schutzlos ausgeliefert sind. Ein dunkles Kapitel der amerikanischen Geschichte, umso beeindruckender, als diese Erzählung auf wahren Begebenheiten beruht.

Elwood ist ein fleißiger, pflichtbewusster Sechzehnjähriger, der es geschafft hat, einen Platz am College zu ergattern. Durch einen dummen Zukunft und die Ignoranz der Justiz, wird Elwood zum Nickel, einer Besserungsanstalt, verurteilt. Hier werden die Jungen misshandelt und ausgebeutet. Und nicht jeder verlässt die Anstalt lebend wieder.

Diese Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Im ersten Teil erfährt der Leser Einzelheiten über Elwoods Leben vor Nickel, das ebenfalls durch Rassenbenachteiligungen geprägt war. Dann erlebt man mit dem Protagonisten die Besserungsanstalt Nickel und seine Brutalitäten. Schließlich widmet sich der Autor den Auswirkungen, die eine solche Inhaftierung mit sich bringt.
Leider bleibt in diesem Roman die Distanz zu den Personen sehr groß, so dass man die Szenerie mehr von außen beobachtet. Es gelingt dem Autor nicht, dass man als Leser wirklich mitfiebert. Vielleicht liegt es an der relativ geringen Seitenzahl, dass mir das Buch als nicht ganz ausgearbeitet und unausgereift erschien. Insgesamt bleibt es weit hinter „Underground Railroad“ zurück, auch wenn das schriftstellerische Talent Whiteheads immer mal wieder durchblitzt und für großartige Szenen sorgt, kann es sich leider nicht durchsetzen. Für mich blieben sowohl Elwood und seine Leidensgenossen, als auch die Handlung sehr blass und holzschnittartig. Schade, denn das Thema ist wichtig.