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Veröffentlicht am 01.03.2019

Ein empfehlenswerter Krimi mit blindem Protagonisten

Blind
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Blind - Christine Brand

Dieser Krimi überzeugt gleich durch zwei grundlegende Aspekte. Zum einen ist dies ein ungewöhnliches, aber authentisch-sympathisches Ermittlerduo aus Polizist und Journalistin. ...

Blind - Christine Brand

Dieser Krimi überzeugt gleich durch zwei grundlegende Aspekte. Zum einen ist dies ein ungewöhnliches, aber authentisch-sympathisches Ermittlerduo aus Polizist und Journalistin. Zum anderen der blinde Protagonist Nathaniel, der den Leser ganz unkompliziert in die Welt eines Blinden einführt und für daraus resultierende Schwierigkeiten sensibilisiert.

Nathaniel will wissen, welches der drei Hemden vor ihm blau ist. Dafür nutzt er eine spezielle App für Blinde, be-my-eyes, mit deren Hilfe er Kontakt zu einem zufällig und anonym ausgewählten, hilfsbereiten Sehenden erhält. Doch die Verbindung wird plötzlich unterbrochen, kurz zuvor hört Nathaniel noch einen Hilfeschrei der Frau am anderen Ende der Leitung. Er ist überzeugt, dass ihr etwas zugestoßen ist und schlägt sofort Alarm. Doch wer glaubt einem Blinden, der selbst noch mit den Folgen eines schweren Kindheitstraumas kämpft?

Die meisten Kapitel beschäftigen sich mit Nathaniel und dem Ermittlerduo. Immer mal wieder ist aber ein kürzeres Kapitel eingeschoben, in dem man erfährt, wie es dem (hochschwangeren) Opfer inzwischen ergeht.
Zum Inhalt möchte ich an dieser Stelle gar nicht mehr verraten. Die Schweizer Autorin hat hier einen besonderen Protagonisten geschaffen und stellt ihn und seine Probleme in der sehenden Welt sehr glaubwürdig dar. Auch das ein oder andere Vorurteil Behinderten gegenüber wird thematisiert. Schon lange konnte mich inhaltlich kein Krimi mehr derart fesseln und überzeugen.

Der Handlungsablauf und letztendlich die Auflösung des Falls sind komplex und wirklich geschickt konstruiert. Nicht nur einmal wird der Leser auf eine komplett falsche Fährte geschickt. Der Krimi bleibt durchgehend spannend und ist immer wieder für eine Überraschung gut. Lediglich den Einstieg fand ich leider etwas holprig, aber bei dem Thema (gynäkologische Untersuchung einer Schwangeren) bin ich wohl sehr kritisch (habe selbst drei Kinder). Sprachlich gesehen fielen mir gerade in dem Bereich ein paar Ausdrücke auf, die mich gestört haben. Nach den ersten paar Seiten ist das aber komplett verschwunden.

Insgesamt eine klare Leseempfehlung für Krimifans!

Veröffentlicht am 18.02.2019

Ein Herzensbuch

Worauf wir hoffen
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Worauf wir hoffen - Fatima Farheen Mirza

Die ergreifende Geschichte einer aus Indien stammenden muslimischen Familie nach der Einwanderung in die USA.

Der Roman beginnt mit der Hochzeit der ältesten ...

Worauf wir hoffen - Fatima Farheen Mirza

Die ergreifende Geschichte einer aus Indien stammenden muslimischen Familie nach der Einwanderung in die USA.

Der Roman beginnt mit der Hochzeit der ältesten Tochter, eine Liebesheirat. Zu diesem wichtigen Ereignis kehrt ihr Bruder zurück, das schwarze Schaf der Familie, der mit dem Vater gebrochen hat. Dann macht die Handlung einen großen Schlenker zurück in die Kindheit und Jugend der drei Geschwister und nimmt den Leser mit auf die Suche nach den Ursprüngen und Gründen dieses Familienzwists.

"Und vielleicht gibt es etwas in ihr, das, grausam und nachtragend, schon immer darauf gewartet hat, dass Amar endlich erkennt, was sie die ganze Zeit gespürt hat: dass hier im Haus kein Platz für ihn ist." Seite 250

Ein wichtiges Thema ist die Zerrissenheit zwischen den Kulturen. Gerade die drei Kinder schwanken stark zwischen dem modernen Leben der Wahlheimat ihrer Eltern und den Gebeten und strengen Regeln einer Heimat/Religion, die sie niemals kennengelernt haben. Die Familie lebt in einer islamischen Gemeinschaft in der Fremde und hält sehr stark am Islam fest. Eine Herausforderung.
Die beiden Töchter passen sich weitgehend an, nicht so jedoch der drittgeborene Junge Amar. Von Anfang an ist er der Rebell und Fremdkörper in der Familie. Auch wenn sich schließlich auch die Mädchen durchsetzen und studieren, statt zu heiraten, Amar findet seinen Platz im Leben nur schwer. In der Familie und in dem Land, dem er sich nicht zugehörig fühlt. Woran das genau liegt, an der Persönlichkeit Amars, an der Entwurzelung, an der Religion, mit der er sich nicht identifizieren kann, an der Familienkonstellation? Gerade diese Unklarheit, bzw. unglückliche Verkettung von Umständen, lässt mich als Leser grübeln und das Buch lange nachwirken.

Die Figuren sind liebevoll und empathisch gezeichnet, eigentlich lieben alle einander, alles läuft (von kulturellen, religiösen Besonderheiten abgesehen), wie in jeder anderen Familie auch. Also, was ist schiefgelaufen? Über die Jahrzehnte hat sich ein Labyrinth aus Schuldgefühlen und Verdrängung entwickelt. Diese Empathie, die die Autorin so mühelos für ihre Protagonisten erzeugt, ist es, die dieses Buch so besonders macht.

Die Geschichte ist alles andere als chronologisch erzählt. Munter springt sie hin und her. Zwischen Protagonisten und Zeiten. Kunstvoll sind die einzelnen Erzählebenen miteinander verwoben und sorgen dafür, dass man sich trotzdem immer schnell wieder zurechtfindet. Beispielsweise spielt die Uhr des Vaters eine wichtige Rolle und taucht immer mal wieder auf. Des Öfteren liest man von ein und derselben Begebenheit, nur aus der Sicht eines anderen Familienmitglieds. Und die Autorin schafft es, dass man Verständnis, Mitleid für alle Beteiligten hat. Sogar versteht, dass derjenige in seiner Situation gar nicht anders handeln konnte.

Ein weiteres großes Thema sind die Geschwisterbeziehungen und die unvermeidliche Eifersucht untereinander. Banalitäten werden von jedem der drei Kinder unterschiedlich ausgelegt, jeder ist der Meinung benachteiligt, ja, weniger geliebt zu werden. Gerade als Mutter von ebenfalls drei Kindern, haben mich die ein oder andere Situation und deren Auswirkungen stark getroffen.

Ein Herzensbuch. Ergreifend und berührend, das großartige Debüt einer jungen Autorin. Unbedingt empfehlenswert!

Veröffentlicht am 11.02.2019

Träumereien in Utrecht

Frühling in Utrecht
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Frühling in Utrecht – Julia Trompeter

"Die Welt war so schön, so reich, so anbetungswürdig, und man selbst als Teil von ihr bisweilen so tot." Seite 111

Klara hat ihren Freund und ihr bisheriges Leben ...

Frühling in Utrecht – Julia Trompeter

"Die Welt war so schön, so reich, so anbetungswürdig, und man selbst als Teil von ihr bisweilen so tot." Seite 111

Klara hat ihren Freund und ihr bisheriges Leben in Berlin zurückgelassen. Hals über Kopf zieht sie nach Utrecht, um dort ein neues Leben anzufangen. In angenehmem Plauderton lässt sie den Leser an ihren Gedanken und Sprachverwirrungen teilhaben. Mit Neugier und Witz erobert sie sich die niederländische Kultur und Sprache. Hat sie sich bisher in Berlin schon etwas ziel- und planlos treiben lassen, setzt sie dies nun in neuer Umgebung fort. Dabei lässt sie natürlich das ein oder andere Fettnäpfchen nicht aus.

In schöner, poetischer Sprache vermittelt Julia Trompeter Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den Niederlanden. Beinahe mutet das Buch wie ein Kultur-Reiseführer an.
Außerdem geht es darum, eine Lebenskrise zu meistern, und um schädliche Beziehungen. Alles für sich sehr interessant, dennoch meiner Meinung nach zu wenig für einen Roman von 260 Seiten. Während ich die erste Hälfte des Buches sehr genossen habe, wurde mir das Ganze irgendwann nämlich dann doch zu langatmig. Denn tatsächlich passiert praktisch nichts. Klara hat sehr viele kluge, beinahe weise Gedanken, ihre Handlungen stehen dazu aber in starkem Kontrast. Diese sind nämlich oft kindisch und unreif. Und das Ende schlägt schließlich dem Fass den Boden aus. Man möchte sie aufrütteln: „Klara, Zeit erwachsen zu werden und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen!“

Bedingt empfehlenswert für all jene, die sich für die niederländische Sprache und Kultur interessieren und über eine nervige, selbstbezogene Protagonistin milde hinwegsehen können.

Veröffentlicht am 05.02.2019

"Betonwasserwindhimmel"

Die Mauer
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Die Mauer – John Lanchester

"Betonwasserwindhimmel"

Eine wahnsinnig bedrückende, gerade weil so realistische Dystopie!

Großbritannien in der Zeit nach dem (Klima-)Wandel. Jeder junge Brite muss zwei ...

Die Mauer – John Lanchester

"Betonwasserwindhimmel"

Eine wahnsinnig bedrückende, gerade weil so realistische Dystopie!

Großbritannien in der Zeit nach dem (Klima-)Wandel. Jeder junge Brite muss zwei Jahre seines Lebens auf der Mauer dienen, die die Insel umgibt und vor Eindringlingen (den Anderen) schützt. So tritt auch Kavanagh seinen Dienst an und kämpft gegen die Kälte und Monotonie an, die auf der Mauer herrschen.
Dieses Großbritannien der Zukunft agiert gnadenlos und streng gegenüber seinen Feinden, aber auch seinen Verteidigern gegenüber. Schaffen es Andere, ins Landesinnere vorzudringen, werden im Gegenzug die verantwortlichen Verteidiger auf dem Meer ausgesetzt. Die Notwendigkeit leuchtet ein. Trotzdem, die Frage stellt sich: Ist das ein Land, in dem man leben möchte? Andererseits ist es wohl das Land, das es noch am besten getroffen hat.
Für die Briten ist es der Wandel, für die Anderen das Ende (Gänsehaut!).
Kavanagh und seine Mitstreiter (eine Liebesgeschichte bahnt sich an!) sind Kinder ihrer Zeit, trotzdem sind es intelligente junge Menschen, die für sich vieles hinterfragen. Gerade das macht diesen Roman so spannend, denn wir dürfen an den Gedanken und Ängsten der Protagonisten teilhaben, auch wenn diese zum Teil nicht besonders detailliert gezeichnet sind.
"Die Alten haben das Gefühl, die Welt unwiederbringlich vor die Wand gefahren und es dann zugelassen zu haben, dass wir in sie hineingeboren wurden. Und was soll ich dir sagen? Genauso ist es." Seite 72
Interessant fand ich hier die Schuldfrage, der sich die Elterngeneration zu stellen hat (Warnung!)

Lanchester bedient sich einer teils poetischen, dennoch einfachen Sprache. Erbarmungslos zeigt er menschliche Abgründe und Ängste auf. Ein tolles, durchaus mögliches Setting. Doch der Autor macht es sich hier keineswegs an der Oberfläche gemütlich, sondern er gräbt tief und deckt nach und nach die Hintergründe auf, wie es zum "Wandel" kam, warum die "Mauer" erbaut wurde.
Was soll ich sagen, ein leider sehr vorstellbares Zukunftsszenario. Bedrückend. Erschreckend.

Der Autor hat hier sehr aktuelle Probleme verarbeitet, wie etwa die Flüchtlingsströme, Angst vor Überfremdung und was diese Angst mit einer Gesellschaft macht. Andererseits kam mir beim Lesen auch immer wieder die deutsche Vergangenheit in den Sinn. Die Verteidigung einer Mauer weckte besondere Assoziationen, ebenso wie die Schuldfrage einer ganzen Generation (Holocaust).

Lanchesters Intention zu diesem Roman ist m.E. die Warnung vor dem Klimawandel. Er zeichnet eine mögliche Zukunft nach dem Klimawandel und es geht ihm darum zu warnen, dass unsere Generation von allen folgenden dafür verantwortlich gemacht werden dürfte, was nun versäumt wird. Dass er den Brexit thematisiert, kann ich persönlich so nicht sehen. Klar, Großbritannien ist vom restlichen Europa abgeschlossen, der Grund dafür ist aber ein geografischer, weniger ein politischer. Da wird für mich zu viel hineininterpretiert.

Auch möchte ich darauf hinweisen, dass diese Geschichte in drei Teile gegliedert ist. Der literarisch und inhaltlich wertvollste und stärkste Teil ist meiner Meinung nach tatsächlich der erste. Besonders der dritte Abschnitt erinnert an eine Abenteuergeschichte, wobei ich auch solche gerne mag.
Ich habe dieses Buch regelrecht verschlungen und spreche eine klare Leseempfehlung aus!

Veröffentlicht am 03.02.2019

Warum ist die Welt so unendlich?

Die zehn Lieben des Nishino
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Die zehn Lieben des Nishino – Hiromi Kawakami

„Warum ist die Welt so unendlich?“ Ein Buch über die Liebe.

Ein melancholischer, ein wirklich eigenartiger Roman. Wenn es denn überhaupt als Roman bezeichnet ...

Die zehn Lieben des Nishino – Hiromi Kawakami

„Warum ist die Welt so unendlich?“ Ein Buch über die Liebe.

Ein melancholischer, ein wirklich eigenartiger Roman. Wenn es denn überhaupt als Roman bezeichnet werden kann, besteht das Büchlein doch aus zehn zeitlich ungeordneten Sequenzen, die allesamt das Liebesleben des Nishino zum Thema haben. Und das hat es in sich. Zehn Verflossene (allesamt moderne, emanzipierte Frauen) erzählen, wie es ihnen mit Nishino erging, den sie nicht zu lieben glaubten, dann aber nicht vergessen konnten.
Nishino scheint der perfekte Mann zu sein, attraktiv, allseits beliebt. Trotzdem sind seine Beziehungen nur von recht kurzer Dauer. Aus irgendeinem Grund kann er keine der Frauen länger halten. Er will lieben, bleibt dabei aber geisterhaft unverbindlich. Und liebt eigentlich immer mehrere Frauen gleichzeitig.

Auf jeden Fall hat dieses Buch einen sehr japanischen Stil. Poetisch und leise, doch seltsam distanziert beleuchtet die in Japan sehr populäre Autorin gründlich menschliche Beziehungen und hinterlässt den Leser dennoch nachdenklich. Man kann diese Aneinanderreihung von Geschichten als Studie von Paarbeziehungen unserer Zeit lesen. So wird die Flüchtigkeit und Kurzlebigkeit der modernen, im Zweifel unverbindlichen, Liebe dargestellt. Dem seltsamen Verhalten Nishinos könnte man problemlos Bindungsangst unterstellen. Aber das ist meine Interpretation.

Die zehn Geschichten sind alle nach dem gleichen Schema aufgebaut, es wird am Ende beinahe etwas langweilig. Und weil die Kapitel nicht chronologisch geordnet sind, weiß man auch schon recht früh, dass Nishino sich nicht ändern wird. Er selbst bleibt bis zum Schluss sehr blass. Eher nervig, ständig wiederkehrende Diskussionen, wer wen mehr liebt, nicht mehr liebt, nicht genügend liebt, zu spät bemerkt hat, dass er doch liebt,.... jedes Mal etwas anders, aber doch immer ähnlich.

Man sollte japanische Literatur mögen und auch willens sein, sich Gedanken über das Gelesene zu machen. Dann kann man als Leser vielleicht etwas daraus mitnehmen. Mich konnte es leider nicht so wirklich überzeugen. Am Ende fand ich nicht nur die Lieben des Nishino, sondern auch das Buch etwas flüchtig.