Der Text eines Lebens
TEXTDmitry Glukhovsky - Text
Ein russischer Autor der modernen Generation, der in seinem neuen Roman auf außergewöhnliche Art und Weise das moderne Russland thematisiert, auch soziale Missstände benennt, ...
Dmitry Glukhovsky - Text
Ein russischer Autor der modernen Generation, der in seinem neuen Roman auf außergewöhnliche Art und Weise das moderne Russland thematisiert, auch soziale Missstände benennt, doch gleichermaßen die Abgründe menschlicher Existenzen berührt. Ja, das Regime (gemeint ist Putins Russland) trägt eine Mitschuld, indem es durch Korruption die kleinen Leute im Stich lässt. Trotz alldem ist jeder seines Glückes Schmied und muss zusehen, wie er selbst wieder auf die Beine kommt. Damit erinnert dieses Werk durchaus an bekannte russische Schriftsteller, wie Tolstoi und Dostojewski, mit den klassischen Themen der Schuld und Sühne, nur in moderner Ausführung.
Nach sieben endlosen Jahren wird Ilja aus dem Straflager entlassen, in ein Leben, das ihm nicht mehr gehört. Er muss feststellen, dass seine Mutter nur wenige Tage vor seiner Rückkehr verstorben ist, seine Freundin hat ihn längst verlassen. Völlig überfordert kommt er mit seiner lang ersehnten Freiheit nicht zurecht und ertränkt seinen Kummer, nach russischer Art, mit Wodka.
"Außen war seine Haut rein geblieben, aber die Innenhaut war voller Tätowierungen. Niemand kann im Gefängnis sein Inneres schützen." Seite 58
In seiner Verzweiflung beginnt er zu suchen und trifft schließlich tatsächlich auf den Mann, der ihn damals aus reiner Willkür und Bosheit ins Straflager gebracht hatte, Petja, von Ilja auch genannt, das Schwein. Überwältigt vom Alkohol und Rachegelüsten ersticht er ihn und nimmt sein Handy an sich. Um die Entdeckung seiner Tat hinauszuzögern, beginnt er, auf Nachrichten, die an das Opfer gerichtet sind, zu antworten. Nach und nach setzt er aus älteren Chats und Aufzeichnungen wie aus Puzzleteilen das Leben dieses Mannes zusammen.
Ilja hat den Text seines Lebens gefunden und hat sich unversehens viel zu sehr darin verfangen. Nachdem er in sein eigenes Leben nicht mehr zurückfindet, schlüpft er in die Rolle des Anderen und nimmt ein Stück weit dessen Identität an, denn dies ist alles, was ihm geblieben ist.
Ilja hat im Eifer des Gefechts Gott gespielt. Indem er den Täter ermordet hat, hat er ihn zu seinem Opfer und sich selbst wiederum zum Täter gemacht. Doch Ilja hat das Herz eigentlich am rechten Fleck und fühlt sich nun für die Angehörigen Petjas verantwortlich. (Schuld und Sühne)
Glukhovsky hat einen besonderen, sehr kraftvollen Erzählstil. In diesem Roman beschäftigt sich Ilja über weite Teile hauptsächlich mit dem Handy seines Opfers. Hauptsächlich auf der Grundlage von WhatsApp-Nachrichten und Mails erfährt man zeitgleich mit Ilja Hintergründe aus dem Leben seines Opfers. Das ist schon sehr gut gemacht und erfrischend anders. So etwas habe ich in der Art noch nicht gelesen.
Zwangsläufig spielt so der Einfluss der sozialen Medien eine große Rolle. In diesem Fall machen sie ein ganzes Leben nachvollziehbar, alles ist gespeichert. Offensichtlich leidet jedoch der persönliche Kontakt zueinander. Ein Handy kann man einfach wegdrücken oder ignorieren. Eine knappe Nachricht ist schnell geschrieben. Verstörend, wenn die Angehörigen tagelang nicht bemerken, dass es nicht Petja ist, der ihnen schreibt.
Mir hat der Schreibstil sehr gut gefallen und neugierig gemacht auf die früheren Werke des Autors. Mit der dystopischen Metro-Trilogie hat er einen Weltbestseller gelandet.
Auf jeden Fall, absolut empfehlenswert!