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Veröffentlicht am 20.03.2020

ökologisches und gesellschaftliches Weltbild

Fleischeslust
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Nicht ganz unberechtigt wird der amerikanische Schriftsteller Thomas C. Boyle als ein politischer Schriftsteller bezeichnet, der so viel Energie in sich trägt, dass es einfach brennen muss, wie es die ...

Nicht ganz unberechtigt wird der amerikanische Schriftsteller Thomas C. Boyle als ein politischer Schriftsteller bezeichnet, der so viel Energie in sich trägt, dass es einfach brennen muss, wie es die amerikanische Kritikerin Lynn Neary von NPR.org ausdrückte. Das vorliegende Bändchen “Fleischeslust”, welches mir in der von Werner Richter übersetzten deutschen Fassung vorlag, mit insgesamt fünfzehn Geschichten ist der Beton, der diese Meinung zu untermauern versteht. Fünfzehn Geschichten voller Schicksale, voller Unterhaltung, voller Spannung und natürlich voller Engagement eines Schreibers, für den die Szenarien nicht nur Kulisse für eine unterhaltsame Lektüre sind, sondern der Grund für das Entstehen der Geschichte bilden. In jeder Geschichte spürt man das tiefe Interesse Boyles, sich mit einem umwelt- und gesellschaftspolitischen Thema zu befassen, über Ursache und Wirkung nachzudenken, den besten (schriftstellerischen) Weg zu finden, den Leser über eine unterhaltsame und spannende Geschichte an das Thema heranzuführen, ihn zum Nachdenken anzuregen.
So handelt „Großwildjagd“ von einem die Savannen Afrikas nachbildenden Park in Kalifornien, der zu kommerziellen Zwecken für die Großwildjagd angeboten wird. „Keimende Hoffnung“ fantasiert vom alles erfüllenden Sex auf einem Teppich aus Fröschen und Kröten in der puren Natur. Wie kann man einer Familie helfen, die in ihrem Müll erstickt, weil sie nichts, aber auch gar nichts, wegschmeißen können? „Sammlerinnen und Jäger“ lässt darüber nachdenken.
„Ich lernte sie kennen – das heißt, unsere Wege kreuzten sich -, weil mich ein Freund beauftragt hatte, sie abzuholen … Während ich durch die Flughafengänge joggte und übernächtigten Sikhs, jovialen Briten und umsichtigen Geschäftsleute aus Japan und Korea auswich, rasten mir die klingenden Namen – Solschenizyn, Tschechow, Dostojewski, Tolstoi – wie Beschwörungsformeln durch den Kopf, bis ich sie plötzlich sah.“ Mit solchen Bildern, die dank einer hervorragenden Übersetzung bestens wiedergegeben wurden, beginnt in „Ohne Held“ eine romantische Liebe zwischen einem Amerikaner und einer Russin, die noch auf eine harte Probe gestellt werden sollte. Mit der „Ehrenwerten Gesellschaft“ begibt sich der Leser nach Sizilien und erfährt über das Leben mafiöser Familien aus der Sicht ihres Hausarztes. „Höhere Gewalt“ spielt für Willis mit den Hüftgelenken und seiner morgens ewig nörgelnden Ehefrau in Form eines vorbei rauschenden Hurricanes eine wichtige Rolle. Der Frage nach dem Sinn von Lehrfilmen gegen Drogen wird in „Zurück ins Eozän“ nachgegangen. Die Titelgeschichte „Fleischeslust“ erzählt von einem jungen Mann, der sich in eine extremgrüne Veganerin verliebt, sich ihrer Gruppe anschließt und versucht, sich ihr anzupassen und nach ihren Vorstellungen zu leben. Wird er scheitern? Kann er für immer auf fleischliche Nahrung verzichten? „Die 100 Gesichter des Todes, Folge IV“ scheint darauf hinzuweisen, dass auf dem Nachttisch des Autors Berge von Kriminalromanen liegen müssen, damit man so viele Todesarten aneinanderreihen kann. Jedoch war eine Videoserie vor den Zeiten des Internets der tatsächliche Auslöser für diese Geschichte. Obwohl die Mannschaft mit „56:0“ gerade verloren hat, will sich Ray Arthur nicht wie seine Sportkameraden verkriechen und motiviert sie zum nächsten Footballspiel. Wird die Niederlagenserie durchbrochen? Eher als philosophische Abhandlung liest sich „Das Ende der Nahrungskette“: Nachdenken über die Notwendigkeit jedes einzelnen Lebewesens auf der Erde. „Bird the Third“ handelt von der Eroberung des Südpols durch Amundsen und Scott aus der Sicht eines Demenzkranken, der sich verlaufen hat und kaum merkt, dass er ausgeraubt wird. Eine überaus tragische, dennoch wunderschöne Geschichte. „Beat“ handelt vom Leben und Geschehen in der Generation Ende der Fünfzigerjahre in Amerika. Weihnachten feiern bei seinem Idol. Doch ist dessen Mutter darüber begeistert? In einer von Weißen dominierten, amerikanischen Kleinstadt erinnert sich der Ich-Erzähler an eine schwarz-asiatische Schulkameradin, deren Familie aus dem Ort vertrieben wurde. Auslöser für diese Erinnerung ist „der Nebelmann“, der zweimal die Woche mit einem Auto durch die Siedlung rauscht und so viel Nebel hinter sich lässt, dass kaum die Bäume auf der anderen Straßenseite erkennbar sind. „Auf dem Dach der Welt“ befindet sich die Feuermelderin in ihrem Feuerturm und schwankt zwischen wütend sein, Angst und Interesse über und für den Mann, der sie hier in der Einsamkeit belästigt.
Alles in allem ein Büchlein mit vielen kurzen, aber voluminösen Geschichten, die sich schnell lesen lassen und immer mal zwischendurch passen. Alle sind unterhaltsam und könnten so für sich stehen bleiben. Der Leser kann aber auch darüber nachdenken und sie in sein ökologisches und gesellschaftliches Weltbild einfließen lassen.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 20.03.2020

unterhaltsames Lesevergnügen

Ivanhoe
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Sir Walter Scott, ein schottischer Schriftsteller, der als der Vater des historischen Abenteuerromans gilt. Zu einem seiner bedeutendsten Werke gehört zweifelsohne der 1819 geschriebene Roman „Ivanhoe“, ...

Sir Walter Scott, ein schottischer Schriftsteller, der als der Vater des historischen Abenteuerromans gilt. Zu einem seiner bedeutendsten Werke gehört zweifelsohne der 1819 geschriebene Roman „Ivanhoe“, die Geschichte des jungen Gefolgsmannes von Richard Plantagenet, dem König Englands, der sich als Kreuzritter einen Namen machte und als „Richard Löwenherz“ bekannt ist. Während er sich im Namen der Christenheit um das Heilige Kreuz bemüht und um Jerusalem kämpft, versucht sein Bruder John ihn daheim in England des Throns zu berauben. Walter Scott war nicht der erste Schriftsteller, der sich dieses historischen Materials annahm und es in seine fiktiven Texte zur Unterhaltung aufbereitete. Er trat beispielsweise auch in die Fußstapfen von Shakespeare, der aus den historischen Fakten unvergessliche Stücke formte. Scott jedoch hat sich mit dem Material der Unterhaltungsliteratur verschrieben und gezeigt, wie die bruchstückhaften Fakten mit der Fantasie eines Schriftstellers zu einem neuen Ganzen zusammengefügt werden können. Dabei erhebt er nicht den Anspruch, selbst ein Historiker oder Wissenschaftler zu sein. Er begnügt sich damit, wunderbare Geschichten zu erzählen. Das von dtv vorgelegte Buch hält sich an eine der ersten Ausgaben und lässt in die Sprechweise zu Zeiten seiner Entstehung blicken. So hat der Autor jedem Kapitel ein Zitat eines Kollegen vorangestellt, welches als Ausblick auf das im Kapitel folgende Geschehen dienen mag. Mangelte es ihm an einem Zitat, so soll er sich auch nicht zu schade gewesen sein, selbst eines unter Pseudonym zu schreiben. Doch mit welcher Geschichte wird der Leser in „Ivanhoe“ konfrontiert? Er bekommt einen Einblick in die Mutter unzähliger Abenteuerromane. Denn neben Richard Löwenherz und Ivanhoe werden ihm die Geächteten von Sherwood Forrest samt ihres Anführers Robin Hood und dem Einsiedler Bruder Tuck vorgestellt. Der Leser erlebt die Arroganz normannischer Fürsten und lernt die Loyalität aufrichtiger Tempelritter kennen. Er kann sich ein Bild von den detailliert beschriebenen Ritterkämpfen am Hofe machen, er folgt den oft zweideutigen Witzen des Narren Wamba und erfährt, dass die Juden bereits im Hochmittelalter zwar verhöhnt, aber dank ihres Geschicks im Umgang mit Geld dennoch höchst willkommen waren. Abgesehen vom Schreibstil zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in welchem der Leser sehr direkt vom Schriftsteller angesprochen und auf bestimmte Details aufmerksam gemacht wurde, ist „Ivanhoe“ auch heute noch ein sehr gut lesbarer und unterhaltender Roman. Obwohl mittlerweile fast 200 Jahre seit seinem Entstehen vergangen sind, haben etliche Passagen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Hinzu kommt, dass die vorliegende Ausgabe mit reichlich Bonusmaterial versehen ist, welches neben einer historischen Einordnung des Werkes und seines Schöpfers, über Anmerkungen des Schriftstellers und Kartenmaterial verfügt. Der Roman bietet selbst in der heutigen Zeit noch ein unterhaltsames Lesevergnügen.

© Detlef Knut, 2010

Veröffentlicht am 20.03.2020

unglaublich spannend erzählte Geschichten

América
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Mit diesem 1994 erschienenen Roman hat sich der amerikanische Bestsellerautor und Literaturprofessor ein Denkmal gesetzt. Zunächst hat er es damit geschafft, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland ...

Mit diesem 1994 erschienenen Roman hat sich der amerikanische Bestsellerautor und Literaturprofessor ein Denkmal gesetzt. Zunächst hat er es damit geschafft, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland in die Schulen als offizielles Schulbuch zu gelangen. Das hat natürlich seinen Grund, der unmissverständlich darin besteht, einen überaus fassbaren Gesellschaftsroman geschrieben zu haben, der den Spuren John Steinbecks „Früchte des Zorns“ nacheifert (Die Übersetzung von Werner Richter mag allerdings nicht ganz unschuldig an der Entscheidung der deuten Gremien gewesen sein.). Vielleicht ist es weniger ein Nacheifern als vielmehr ein Update, quasi eine aktualisierte Fassung des alten Klassikers aus heutiger Sicht. Mittlerweile sind seit seinem Erscheinen wieder sechzehn Jahre vergangen, aber von seiner Brisanz hat er nichts eingebüßt. Eher noch ist wahrscheinlich die eine oder andere überspitze Ironie totale Realität geworden.
Worum geht es? In der für Boyle üblichen Weise schreibt er in abwechselnden Kapiteln zunächst zwei völlig voneinander getrennt laufende Geschichten. In der einen Geschichte geht es um eine Familie aus der amerikanischen Mittelschicht, die in einer gehobenen Wohnsiedlung in der Nähe von Los Angeles lebt. In der anderen Geschichte geht es um ein mexikanisches Pärchen, die illegal in die USA gelangt sind, um sich hier den amerikanischen Traum zu verwirklichen. Dass beide Geschichten irgendwann einmal ineinander fließen, kann man ahnen, denn die amerikanische Mittelschicht kann nur in solch einem Wohlstand leben, weil sie gerne die billigen Arbeitskräfte aus Mexiko für sich arbeiten lassen. Schonungslos zeigt der Autor die Scheinheiligkeit und Verlogenheit solcher Vorgehensweise auf und benutzt dabei sein unglaubliches Handwerkszeug für kreatives Schreiben. Die Namen der Mittelständler in der Wohnsiedlung weisen beispielsweise alle darauf hin, dass sie irgendwie europäischer Abstammung und somit auch Einwanderer sind. Ihr Sprachstil zeugt von einer Schulbildung, wie sie für die weiße Mittelschicht üblich ist. Sie greifen alle mit großer Selbstverständlichkeit auf illegal eingewanderte Dienstboten zurück. Dennoch sind sie der Meinung, wenn sie sich schon mit einem Zaun vor den Kojoten schützen müssen, dann können sie aus dem Zaun auch gleich eine Mauer machen, die sie vor den mexikanischen Einwanderern schützt. Cándido und América, das Einwandererpärchen hingegen, werden wieder und wieder von Schicksalsschlägen getroffen, die sie einfach nicht aus der Gosse kommen lassen. Sie sprechen auch eine viel einfachere Sprache mit weniger Vokabular. Das bisschen durch mühselige Arbeit verdiente Geld wird gestohlen oder bei einem Brand vernichtet, das Essen sammelt Cándido aus den Mülltonnen. Bei dem Kaninchenbraten handelt es sich um einen falschen Hasen, dafür wird plötzlich eine Katze vermisst. Nur gut, dass América davon nichts mitbekommen hat. Die Wege dieser beiden so unterschiedlichen Familien müssen sich einfach kreuzen, bevor es schließlich zum großen Desaster kommt.
Das Leben dieser beiden Familien ist stellvertretend für das Leben in der aktuellen Gesellschaft. Faszinierend die zu Beginn einführende Geschichte mit den Kojoten, der sich an die Hunde macht und die als Gleichnis und Symbol fast eine Vorausschau der späteren Haupthandlung bildet.
Der Roman lässt sich schnell und flüssig lesen. Trotz aller Gesellschaftskritik, die er enthält, sind es unglaublich spannend erzählte Geschichten, die den Leser bis zur letzten Seite im Würgegriff halten.

Veröffentlicht am 20.03.2020

unglaublich spannend erzählte Geschichten

América
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Mit diesem 1994 erschienenen Roman hat sich der amerikanische Bestsellerautor und Literaturprofessor ein Denkmal gesetzt. Zunächst hat er es damit geschafft, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland ...

Mit diesem 1994 erschienenen Roman hat sich der amerikanische Bestsellerautor und Literaturprofessor ein Denkmal gesetzt. Zunächst hat er es damit geschafft, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland in die Schulen als offizielles Schulbuch zu gelangen. Das hat natürlich seinen Grund, der unmissverständlich darin besteht, einen überaus fassbaren Gesellschaftsroman geschrieben zu haben, der den Spuren John Steinbecks „Früchte des Zorns“ nacheifert (Die Übersetzung von Werner Richter mag allerdings nicht ganz unschuldig an der Entscheidung der deuten Gremien gewesen sein.). Vielleicht ist es weniger ein Nacheifern als vielmehr ein Update, quasi eine aktualisierte Fassung des alten Klassikers aus heutiger Sicht. Mittlerweile sind seit seinem Erscheinen wieder sechzehn Jahre vergangen, aber von seiner Brisanz hat er nichts eingebüßt. Eher noch ist wahrscheinlich die eine oder andere überspitze Ironie totale Realität geworden.
Worum geht es? In der für Boyle üblichen Weise schreibt er in abwechselnden Kapiteln zunächst zwei völlig voneinander getrennt laufende Geschichten. In der einen Geschichte geht es um eine Familie aus der amerikanischen Mittelschicht, die in einer gehobenen Wohnsiedlung in der Nähe von Los Angeles lebt. In der anderen Geschichte geht es um ein mexikanisches Pärchen, die illegal in die USA gelangt sind, um sich hier den amerikanischen Traum zu verwirklichen. Dass beide Geschichten irgendwann einmal ineinander fließen, kann man ahnen, denn die amerikanische Mittelschicht kann nur in solch einem Wohlstand leben, weil sie gerne die billigen Arbeitskräfte aus Mexiko für sich arbeiten lassen. Schonungslos zeigt der Autor die Scheinheiligkeit und Verlogenheit solcher Vorgehensweise auf und benutzt dabei sein unglaubliches Handwerkszeug für kreatives Schreiben. Die Namen der Mittelständler in der Wohnsiedlung weisen beispielsweise alle darauf hin, dass sie irgendwie europäischer Abstammung und somit auch Einwanderer sind. Ihr Sprachstil zeugt von einer Schulbildung, wie sie für die weiße Mittelschicht üblich ist. Sie greifen alle mit großer Selbstverständlichkeit auf illegal eingewanderte Dienstboten zurück. Dennoch sind sie der Meinung, wenn sie sich schon mit einem Zaun vor den Kojoten schützen müssen, dann können sie aus dem Zaun auch gleich eine Mauer machen, die sie vor den mexikanischen Einwanderern schützt. Cándido und América, das Einwandererpärchen hingegen, werden wieder und wieder von Schicksalsschlägen getroffen, die sie einfach nicht aus der Gosse kommen lassen. Sie sprechen auch eine viel einfachere Sprache mit weniger Vokabular. Das bisschen durch mühselige Arbeit verdiente Geld wird gestohlen oder bei einem Brand vernichtet, das Essen sammelt Cándido aus den Mülltonnen. Bei dem Kaninchenbraten handelt es sich um einen falschen Hasen, dafür wird plötzlich eine Katze vermisst. Nur gut, dass América davon nichts mitbekommen hat. Die Wege dieser beiden so unterschiedlichen Familien müssen sich einfach kreuzen, bevor es schließlich zum großen Desaster kommt.
Das Leben dieser beiden Familien ist stellvertretend für das Leben in der aktuellen Gesellschaft. Faszinierend die zu Beginn einführende Geschichte mit den Kojoten, der sich an die Hunde macht und die als Gleichnis und Symbol fast eine Vorausschau der späteren Haupthandlung bildet.
Der Roman lässt sich schnell und flüssig lesen. Trotz aller Gesellschaftskritik, die er enthält, sind es unglaublich spannend erzählte Geschichten, die den Leser bis zur letzten Seite im Würgegriff halten.

© Detlef Knut, 2010

Veröffentlicht am 20.03.2020

Seine Kollegen bezeichnen ihn als „Duke“

Pandora
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Das Autorenduo hat sich mit dem gerade vorgestellten Kriminalroman eines Themas aus der düstersten jüngeren Geschichte bemächtigt: Euthanasie-Verbrechen des Dritten Reiches.

Es ist 1948. Berlin ist gerade ...

Das Autorenduo hat sich mit dem gerade vorgestellten Kriminalroman eines Themas aus der düstersten jüngeren Geschichte bemächtigt: Euthanasie-Verbrechen des Dritten Reiches.

Es ist 1948. Berlin ist gerade gespaltet in den Ostsektor und die drei Westsektoren. Im westlichen Teil wurde eine eigene Polizei unter ihrem Chef Stumm aufgebaut (StuPo). Es etablieren sich getrennte Stadtverwaltungen. Hans-Joachim Stein ist Sohn eines Emigranten und hatte den Krieg in England verbracht. Von dort nach dem Krieg zurückgekehrt arbeitete er zunächst bei der Polizei im Ostteil der Stadt, wo auch sein Vater, ein glühender Verfechter des Kommunismus, im Polizeidienst tätig ist. Doch Stein kommt sowohl mit seinem Vater als auch mit den Methoden der Volkspolizei (VoPo) nicht klar und geht in den Westen. Dort bezeichnen ihn seine Kollegen als „Duke“ und behandeln ihn zunächst wie einen arroganten Briten. Er muss sich seinen Respekt erkämpfen. Das geschieht einerseits über den aktuellen Mordfall an einem Bordellbesitzer, andererseits an einem Fall von nach dem Krieg ums Leben gekommenen Frauen, deren Akte eigentlich geschlossen werden sollte. So will es jedenfalls sein unmittelbarer Vorgesetzter Krüger oder jemand, der diesen in der Hand hat.

Die Autoren haben es hervorragend geschafft, das Milieu in Berlin in diesen Nachkriegsjahren darzustellen. Der Kampf der Polizeibehörden, der Kampf Ost gegen West und umgekehrt, die Schieberszene, die Bordellszene und dazwischen immer wieder die Verweise auf die Tötung von behinderten Menschen oder solchen Menschen, die mittels psychiatrischer Gutachten zu Behinderten gemacht wurden.

Das Figurenensemble wurde konfliktreich und sympathisch gestaltet. Konflikte zwischen einzelnen werden offensichtlich im Verlaufe der Handlung gelöst oder aber auch für Fortsetzungen offen gehalten. Die Beziehungen zum anderen Geschlecht, vergangene und zukünftige, werden aufgezeigt und angelegt. Es ist erkennbar, dass jeder so unmittelbar nach dem Krieg eine Last mit sich herumträgt, die er nicht so schnell loswerden kann wie er möchte. So mancher Figur wünscht man das Beste. Ob es klappt, zeigt der Roman .

Die Gräueltaten der Nazis werden unverblümt angesprochen, jedoch nicht blutrünstig dargestellt wie in anderen Roman. Sie bilden den Hintergrund und kommen zur Sprache.

Die Auflösung bahnt sich tatsächlich erst zum Ende hin an. Es ist daher keine Knallerüberraschung, sondern eher sehr plausibel und folgerichtig, es ist nachvollziehbar und hinterlässt auch Betroffenheit beim Leser. Denn die Aufarbeitung der Naziverbrechen lief in den ersten Jahren nach dem Krieg tatsächlich nicht so wie sie hätte sein müssen.

Interessante Figuren, ein geschichtliches Thema, spannende Ermittlungen – alles zusammengepackt in beste Unterhaltung. Mehr davon, bitte!


© Detlef Knut, Düsseldorf 2020