Cover-Bild América
13,00
inkl. MwSt
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 400
  • Ersterscheinung: 01.11.2006
  • ISBN: 9783423209359
T. C. Boyle

América

Roman
Werner Richter (Übersetzer)

Dumpfe Ressentiments und bohrende Engstirnigkeit – eine zum Brüllen tragikomische Geschichte

Zwei Welten, die sich fremder nicht sein könnten: hier América und Cándido, illegale Einwanderer aus Mexiko, dort das Ehepaar Mossbacher – liberale, umwelt- und ernährungsbewußte Angloamerikaner in Los Angeles ... Der Zusammenstoß Cándidos mit Delaney Mossbachers wachsgepflegtem Auto ist ein wortwörtlicher: Cándido, auf dem Weg zur Arbeit, rennt Delaney direkt vor die Haube und wird schwer verletzt. Da die Schuldfrage sich nicht klären läßt und der Mexikaner offenbar kein Englisch kann, drückt Delaney ihm eine 20-Dollar-Note in die Hand ...

Delaney sieht seine geschützte Welt zunehmend bedroht: Kojoten dringen in das Grundstück ein und töten die kleinen Hunde, dunkelhäutige, verdächtige Gestalten lungern herum, wo er seine Wanderungen macht. Jenseits der eleganten Villensiedlung, tief unten im Topanga Canyon, hausen Cándido und América wie die Tiere. Sie versuchen ihr Glück auf dem illegalen Sklavenmarkt – verfolgt von der Immigrantenpolizei, vom Hunger, von der Verachtung der Weißen, von der Bösartigkeit der eigenen Landsleute. 

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.03.2020

unglaublich spannend erzählte Geschichten

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Mit diesem 1994 erschienenen Roman hat sich der amerikanische Bestsellerautor und Literaturprofessor ein Denkmal gesetzt. Zunächst hat er es damit geschafft, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland ...

Mit diesem 1994 erschienenen Roman hat sich der amerikanische Bestsellerautor und Literaturprofessor ein Denkmal gesetzt. Zunächst hat er es damit geschafft, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland in die Schulen als offizielles Schulbuch zu gelangen. Das hat natürlich seinen Grund, der unmissverständlich darin besteht, einen überaus fassbaren Gesellschaftsroman geschrieben zu haben, der den Spuren John Steinbecks „Früchte des Zorns“ nacheifert (Die Übersetzung von Werner Richter mag allerdings nicht ganz unschuldig an der Entscheidung der deuten Gremien gewesen sein.). Vielleicht ist es weniger ein Nacheifern als vielmehr ein Update, quasi eine aktualisierte Fassung des alten Klassikers aus heutiger Sicht. Mittlerweile sind seit seinem Erscheinen wieder sechzehn Jahre vergangen, aber von seiner Brisanz hat er nichts eingebüßt. Eher noch ist wahrscheinlich die eine oder andere überspitze Ironie totale Realität geworden.
Worum geht es? In der für Boyle üblichen Weise schreibt er in abwechselnden Kapiteln zunächst zwei völlig voneinander getrennt laufende Geschichten. In der einen Geschichte geht es um eine Familie aus der amerikanischen Mittelschicht, die in einer gehobenen Wohnsiedlung in der Nähe von Los Angeles lebt. In der anderen Geschichte geht es um ein mexikanisches Pärchen, die illegal in die USA gelangt sind, um sich hier den amerikanischen Traum zu verwirklichen. Dass beide Geschichten irgendwann einmal ineinander fließen, kann man ahnen, denn die amerikanische Mittelschicht kann nur in solch einem Wohlstand leben, weil sie gerne die billigen Arbeitskräfte aus Mexiko für sich arbeiten lassen. Schonungslos zeigt der Autor die Scheinheiligkeit und Verlogenheit solcher Vorgehensweise auf und benutzt dabei sein unglaubliches Handwerkszeug für kreatives Schreiben. Die Namen der Mittelständler in der Wohnsiedlung weisen beispielsweise alle darauf hin, dass sie irgendwie europäischer Abstammung und somit auch Einwanderer sind. Ihr Sprachstil zeugt von einer Schulbildung, wie sie für die weiße Mittelschicht üblich ist. Sie greifen alle mit großer Selbstverständlichkeit auf illegal eingewanderte Dienstboten zurück. Dennoch sind sie der Meinung, wenn sie sich schon mit einem Zaun vor den Kojoten schützen müssen, dann können sie aus dem Zaun auch gleich eine Mauer machen, die sie vor den mexikanischen Einwanderern schützt. Cándido und América, das Einwandererpärchen hingegen, werden wieder und wieder von Schicksalsschlägen getroffen, die sie einfach nicht aus der Gosse kommen lassen. Sie sprechen auch eine viel einfachere Sprache mit weniger Vokabular. Das bisschen durch mühselige Arbeit verdiente Geld wird gestohlen oder bei einem Brand vernichtet, das Essen sammelt Cándido aus den Mülltonnen. Bei dem Kaninchenbraten handelt es sich um einen falschen Hasen, dafür wird plötzlich eine Katze vermisst. Nur gut, dass América davon nichts mitbekommen hat. Die Wege dieser beiden so unterschiedlichen Familien müssen sich einfach kreuzen, bevor es schließlich zum großen Desaster kommt.
Das Leben dieser beiden Familien ist stellvertretend für das Leben in der aktuellen Gesellschaft. Faszinierend die zu Beginn einführende Geschichte mit den Kojoten, der sich an die Hunde macht und die als Gleichnis und Symbol fast eine Vorausschau der späteren Haupthandlung bildet.
Der Roman lässt sich schnell und flüssig lesen. Trotz aller Gesellschaftskritik, die er enthält, sind es unglaublich spannend erzählte Geschichten, die den Leser bis zur letzten Seite im Würgegriff halten.

© Detlef Knut, 2010