Profilbild von DunkleLilith

DunkleLilith

Lesejury-Mitglied
offline

DunkleLilith ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit DunkleLilith über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.10.2020

Faszinierende Familiengeschichte

Der Apfelbaum
0

In dem Roman „Der Apfelbaum“ beschreibt Christian Berkel auf interessante Weise die Lebensgeschichten seiner Eltern und Großeltern. Um sich mit der fortschreitenden Demenz seiner Mutter auseinander zu ...

In dem Roman „Der Apfelbaum“ beschreibt Christian Berkel auf interessante Weise die Lebensgeschichten seiner Eltern und Großeltern. Um sich mit der fortschreitenden Demenz seiner Mutter auseinander zu setzen, führte er viele Gespräche mit ihr über die Familiengeschichte.
Daraus entstand ein Roman, der sich mäandernd durch einen langen Zeitraum bewegt, der von zwei Weltkriegen und den jeweiligen schweren Zeiten danach geprägt ist.
Die beiden Paare stammen aus völlig verschiedenen Kreisen. Die Frauen, jüdisch geboren, eint eine Eigenständigkeit, die bewundernswert ist und gleichzeitig überrascht für diese Zeiten. In gewisser Weise sind sie alle vier Freigeister, die versuchen sich von den Umständen und dem Geist der Zeit freizumachen, um sich ein Leben zu erkämpfen welches ihrer Vorstellung entspricht.
Es gibt viel Schweres in diesem Buch, das heraufziehende 3. Reich, die Kriegszeiten, die schwere Kindheit Berkels Vaters, die einem manchmal die Tränen in die Augen treibt. Doch trotz all der Schwere gibt es viele schöne Momente, Zeiten in denen man glücklich war, und auch immer wieder
die Versuche von allen Beteiligten sich wieder aufzurichten, um Würde und Lebensmut zu kämpfen. Was sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, ist der von Mutter auf Tochter und Enkel weitergegebene Kampf um die Liebe der Mutter und das Gesehenwerden von ihr.
Man bekommt gute Einblicke in das Innenleben der Protagonisten, auch Berkels Verletzungen schimmern immer wieder durch.Der Seelenzustand von Kriegsheimkehrern wird eindringlich beschrieben. Das Abstumpfen des Gefühls, die Erkenntnis, dass man nicht dort weitermachen kann, wo man vor dem Krieg aufgehört hat und gleichzeitig die Sprachlosigkeit dem eigenen Umfeld gegenüber. Männer, die sich normalerweise nur schwer öffnen, verschließen sich wie Austern und trinken, spielen oder verprügeln ihre Familien weil sie nicht wissen, wie sie mit ihren inneren Dämonen umgehen sollen.
Das Buch ist vor allem als Hörbuch ein Erlebnis. Die angenehme Stimme Berkels zieht einen gleich tief in das Buch. Der Autor liest – nein, er erzählt und setzt auf diese Weise dass um was er sich beim Schreiben gedacht und gemeint hat. Die Stimme ist mal heller, höher, ernst oder streng, süffisant, fröhlich und auch hart. Durch den Tonfall und die Betonungen erscheinen die Personen zweidimensional und vermitteln einen lebendigen Eindruck ihrer Persönlichkeiten. Vor dem inneren Auge entstehen Bilder von Situationen und Orten, dem Matsch und Morast eines französischen Internierungslagers genauso wie dem Lager der russichen Kriegsgefangenschaft.
Es ist ein sehr berührendes Buch, in einem klaren Stil und einer schönen Sprache, und es läßt einen nicht mehr los. Ich hoffe, es bleibt nicht bei dem einzigen Buch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.10.2020

Eine mörderische Abhängigkeit

Seelen unter dem Eis
0

Der wahre Schmerz, jener, der uns bis in die Tiefe unseres Seins leiden lässt, macht aus einem nicht reflektierenden Mann zuweilen einen ernsten und bedachten Menschen. ...

Der wahre Schmerz, jener, der uns bis in die Tiefe unseres Seins leiden lässt, macht aus einem nicht reflektierenden Mann zuweilen einen ernsten und bedachten Menschen.

Fjodor Dostojewski

Tom Döbbe ist ein erfolgreicher Mann, einer, sein Leben selbst bestimmt und lenkt – so denkt er jedenfalls.
Nach dem Tod seiner Mutter muss er seinem Vater versprechen, dass er „nie zufrieden sein wird“, und in der Trauerzeit verspürt er zum ersten Mal eine tiefe innere Leere. Nichts von seinem bisherigen Leben vermag sie zu füllen, nicht der Erfolg mit seiner Werbeagentur oder seine materiellen Güter. Selbst der Kinderwunsch seiner Frau, der unerfüllt bleibt, berührt sein Innerstes nicht so wirklich.
Tom entscheidet sich dafür, nebenher Studenten in einer Universität zu unterrichten. Dort begegnet er in seiner Vorlesung Amal, einer Studentin, die von Beginn an die Konfrontation mit ihm sucht.
Nichts an ihr ist wirklich schön, weder das Aussehen noch der Charakter und damit wird sie quasi zum dunklen Gegenpol zu seinem äußerlich perfekten Leben. Er lässt sich von ihr in eine Affäre ziehen und verstrickt sich mehr und mehr darin. Amal weckt in ihm Emotionen, die er so nie gespürt hat, sie weckt das Leben in ihm.
Seine Frau hat sich sexuell von ihm abgewandt, es ist kühl geworden zwischen ihnen. Dennoch möchte Tom sie nicht verlassen und versucht deshalb immer wieder die Beziehung zu Amal zu beenden – was letztlich in einer Katastrophe endet.
Nun sitzt er im Todestrakt, wartet auf seine Hinrichtung und schreibt rückblickend seine Geschichte auf. In den zwei Jahren seiner Haft entdeckt er die eigentliche Wahrheit an der ganzen Geschichte und bestimmt dann sogar aus der Todeszelle heraus sein Leben bis zum Schluß....

Astrid Korten hat mit „Seelen unter dem Eis“ einen sehr gereiften Thriller geschrieben. Der Fokus liegt dieses Mal nicht unbedingt so sehr auf dem Verbrechen, sondern auf der Todesstrafe mitsamt ihren ganzen Unmenschlichkeiten und stellt sie ganz berechtigt in Frage. Sie hat im Gefängnis von Huntsville umfangreich recherchiert, und diese gründlichen Recherchen merkt man dem Buch an. Astrid Korten weiß, wovon sie schreibt, wenn sie schreibt, und dies ist ein Aspekt, den ich sehr an der Autorin schätze und der sich wie ein roter Faden durch ihre Bücher zieht.
Tom ist ein Macher, der sich ein luxuriöses Leben geschaffen hat. Das Verhältnis zu seinem Vater ist unterkühlt, nach dem Tod der Mutter erlebt er, wie sie durch eine neue Frau ersetzt wird. Auch das Verhältnis zu seiner Frau ist nicht gerade geeignet, ihn aufzufangen.
Astrid Korten gelingt es hervorragend, nebenbei aufzuzeigen, was das Thema unerfüllter Kinderwunsch aus und mit einer Frau machen kann.
„Seele unter dem Eis“ ist eine sehr treffende Bezeichnung für einen Mann, der unbewusst versucht seine inneren Defizite mit Äußerlichkeiten zuzudecken. Den Geschäftsmann Tom fand ich nicht unsympathisch, ein wenig nichtssagend vielleicht. Was sich allerdings schlagartig ändert, als er beginnt die Kontrolle zu verlieren und aus seinem bisherigen Leben heraus katapultiert wird. Seine Entwicklung kann ich zu einem gewissen Teil nachvollziehen und spätestens da hatte er auch meine Sympathie.
Das Buch ist kein blutrünstiger Thriller, sondern zeigt sehr subtil ein in Trümmer zerfallendes Leben und die Aussichtslosigkeit in der Todeszelle.
Dafür meine absolute Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.09.2018

Ein Liebeswahn der besonderen Art

Puppenmutter
0

Tessa Simonet lebt in Ruhe mit ihrem Mann Jules in einer Villa in einem beschaulichen Vorort von Paris. Eines Tages wird sie in ihrem Haus überfallen und in derselben Nacht begeht ihr Mann Selbstmord. ...

Tessa Simonet lebt in Ruhe mit ihrem Mann Jules in einer Villa in einem beschaulichen Vorort von Paris. Eines Tages wird sie in ihrem Haus überfallen und in derselben Nacht begeht ihr Mann Selbstmord. Tessas Leben gerät völlig aus den Fugen. Ihre Familie und ihre Freundin Amelie sind zwar für sie da, doch jeder spielt sein eigenes Spiel und hat dabei nicht unbedingt Tessas Wohl im Auge. Es gibt Geheimnisse und Unwahrheiten – Tessa beginnt jedem zu mißtrauen und an sich selbst zu zweifeln, erkennt ihre eigene Verstrickungen nicht und gerät in große Gefahr....
Astrid Kortens 13. Thriller hat es wieder in sich. Sie erzählt, ähnlich wie im Gleis der Vergeltung, die Geschichte aus verschiedenen Ansichten, nämlich der von Tessa und von Amelie, dazwischen gibt es noch anonyme Liebesbriefe und das immer wiederkehrende „Zwischen den Zeilen“ – mit Alice, die das Ganze noch unheimlicher macht.
Neben der Haupthandlung haben wir wieder ein paar lose Enden zu Beginn, die sich bis zum Schluß sehr logisch einbinden in das ganze Geschehen. Das Buch ist unglaublich spannend geschrieben, ich habe es auf einmal durchgelesen und konnte es nicht aus der Hand legen bevor ich damit fertig war. Es fesselt durch die Story, die fulminant beginnt und einen das ganze Buch hindurch permanent auf Spannung hält.
Astrid Korten beschreibt ihre Charaktere sehr präzise. Tessa, die völlig aus ihrer Bahn geworfen wird, Dinge wahrnimmt und Geräusche hört. Nach einem Unfall und einem Mord in ihrer Umgebung hat sie zusätzlich Ängste und entwickelt Mißtrauen gegen jeden und findet sich in einem nicht endenwollenden Alptraum wieder.
Ihre eigentlich beste Freundin Amelie, die selber ein großes Geheimnis vor Tessa hat, empfindet aufgrund dessen sehr ambivalent. Sie kümmert sich zwar vordergründig um Tessa, kocht aber dabei ihr ganz eigenes Süppchen.
Frau Korten legt wieder eine Menge falscher Fährten und so wird man – wie so oft bei ihr - von dem unglaublichen Schluss völlig überrascht. Was bei ihren Büchern immer wieder so erschreckt ist die Schilderung, welch tiefe Abgründe sich hinter vermeintlich bürgerlichen Fassaden verbergen können.
Ein Psychothriller der Extraklasse, in dem es letztendlich um einen Liebeswahn der ganz besonderen Art geht und den man jedem Thrillerfan ans Herz legen möchte.