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Veröffentlicht am 07.08.2023

Tradition vs. Moderne

Mattanza
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Mattanza ist eine traditionelle Art des Thunfischfanges, die im Mittelmeerraum bei Sardinien und Sizilien praktiziert wurde. Sie gilt heute als zu blutrünstig und brutal, war jedoch einst rituell, sakrosankt ...

Mattanza ist eine traditionelle Art des Thunfischfanges, die im Mittelmeerraum bei Sardinien und Sizilien praktiziert wurde. Sie gilt heute als zu blutrünstig und brutal, war jedoch einst rituell, sakrosankt und mit traditionellem Kulturgut verknüpft. Das Buch „Mattanza“ schildert die Entwicklung der Mittelmeerinsel Katria von 1960 bis 2012 vor dem Hintergrund der modernen Veränderungen und der dadurch verdrängten Traditionen rund um die Mattanza.

Sehr dicht erzählt Germana Fabiano im Buch auf knapp 200 Seiten die Geschichte von Nora, die als erste weibliche Raìs die Traditionen der Mattanza aufrecht erhalten soll. Gott muss hier einen Fehler gemacht haben, denn es wurde traditionell ein Junge erwartet. Behutsam, leise und unaufgeregt werden Brauchtum und Sitte der Thunfischfänger geschildert. Schnell wird dann aber deutlich, dass die fortschreitende Zeit Neuerungen bringt, welche Stück für Stück die reale und ideelle Heimat der traditionellen Mattanza überformt und verdrängt. Beginnend bei Versuchen der kommerziellen Vermarktung, den Möglichkeiten der industriellen Massenproduktion, über voyeuristischen Tourismus, Überfischung des Mittelmeers durch Fischfanggiganten, Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts, hin zu Flüchtlingsströmungen und Überforderung der Mittelmeerregion mit der Flüchtlingswelle. Beim Lesen wird der ethische Konflikt eines Ungleichgewichts von Tradition vs. Moderne deutlich.

Dieses Buch ist in meinen Augen kein Roman. Es ist mehr ein Lehrstück, das auf wenig Raum zum Innehalten aufruft und nachdenklich macht bei jedem Stück Thunfisch, das wir essen.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Märchen von einem Mädchen

Paradise Garden
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Jeder hat seine Geschichte und dies ist die Geschichte von Erzsébet, genannt Billie. Die Erzählung ist nicht selbstverständlich, denn Billie kämpft um ihr Recht an der eigenen Geschichte. Herzergreifend, ...

Jeder hat seine Geschichte und dies ist die Geschichte von Erzsébet, genannt Billie. Die Erzählung ist nicht selbstverständlich, denn Billie kämpft um ihr Recht an der eigenen Geschichte. Herzergreifend, einfühlsam und wendungsreich schreibt Elena Fischer einen Roman jenseits eines Paradise Gardens.

Billie lebt mit ihrer aus Ungarn stammenden Mutter allein. Vater unbekannt. Mutter und Tochter haben Urlaubsträume, die aufgrund des Todes der Mutter nicht eintreffen, aber geträumt werden. Als sperrige Familie bleibt für Billie nur die Oma aus Ungarn. Und dann entschließt sich die Fünfzehnjährige, ihrer eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen.

Beim Lesen dieses modernen Märchens bleibt kein Auge trocken. Der Autorin gelingt es, die in Armut lebende Billie schockierend authentisch genauso darzustellen wie die innige Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Der Roman ist auch einer über die Trauer einer Jugendlichen sowie die Unberechenbarkeit der Abschied nehmenden Emotionen und wird dabei zu mehr als einem Coming-of-Age-Roman oder einem Roadmovie. In diesem Buch war ich als Leserin mittendrin.

Zeitweise plätschert die Handlung, so dass lange nicht absehbar war, worum es gehen wird und worauf die Handlung hinauslaufen wird. Und gerade das macht dieses Buch spannend. Lesenswert ist es auch aufgrund des Erzählstils und der Sprache, die emotional mitnimmt, Bilder malt und diese flüssig aneinander reiht.

Ein wirklich lesenswertes Buch, ein fulminanter Debütroman, ein bleibender Eindruck.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Ein Vatermal lässt sich nicht wegpusten

Vatermal
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Arda tippt auf das Vatermal in seinem Gesicht, das an seiner Fingerkuppe kleben bleibt und dann pustet er es weg. So einfach wie es geschrieben steht, ist es nicht, denn ein Leben ohne Vater zeichnet fürs ...

Arda tippt auf das Vatermal in seinem Gesicht, das an seiner Fingerkuppe kleben bleibt und dann pustet er es weg. So einfach wie es geschrieben steht, ist es nicht, denn ein Leben ohne Vater zeichnet fürs Leben.

Seinen Vater Metin kennt Arda nicht. Als er mit Organversagen in der Klinik liegt, wendet er sich mit dem Text des vorliegenden Buches an Metin. „Ich habe dich nicht vermisst oder so, aber du warst halt nicht da.“ Ardas Mutter Ümran ist zwar in Ardas Leben, aber sie ist auf ihre Weise abwesend. Und Ardas ältere Schwester Aylin ist auch gegangen.

In berührenden mosaikhaften Sequenzen der Vergangenheit aus dem Leben der Eltern und von Arda und Aylin wird deutlich, wie eine entwurzelte Jugend mit türkischem Kulturhintergrund und schwerfälliger Integration eine Identität gestaltet. Mit hoher emotionaler Tiefe, tragweiten Worten und einer leichten Schwere porträtiert Necati Öziri eine Parallelwelt, die bewegt.

Der Schreibstil ermöglicht flüssiges Lesen, so dass das Buch in einem Ritt gefressen werden kann. Ich musste mein Lesen ab und zu zu Hilfen greifen, weil mir türkische Vokalen wie Anneanne oder Teyze nicht bekannt waren. Wieder was gelernt.

Dieses Buch ist kein leichtes Buch, aber eines das sich wirklich lohnt.

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Veröffentlicht am 25.07.2023

Ein Lebenslied auf die Großeltern

Sylter Welle
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Feinsinnig, empfindsam und mit einer Ehrlichkeit, die ohne Vorsicht und von Herzen menschlich eine glaubwürdige Huldigung der Großeltern zeichnet, so begegnet mir „Sylter Welle“. Der geradsinnige, wortsensible, ...

Feinsinnig, empfindsam und mit einer Ehrlichkeit, die ohne Vorsicht und von Herzen menschlich eine glaubwürdige Huldigung der Großeltern zeichnet, so begegnet mir „Sylter Welle“. Der geradsinnige, wortsensible, autobiographische Roman kommt mit schmalem Plott aus und lebt bei einer Prise Humor von den Emotionen. Zurück bleibt nach dem Lesen eine warme, weiche und zugleich aufwühlende Darstellung der Beziehung zwischen Enkel Max und seinen Großeltern, der Familie von Max insgesamt. Und ich stellte mir wie der Erzähler Max selbst die Frage „ Wen von den ganzen Leuten würdest du eigentlich mögen, wenn es nicht deine Familie wär?“

Die Handlung des Romans ist nur ein Teil des Erfolgs. Max verbringt ein vermutlich letztes Mal mit Oma Lore und Opa Ludwig auf Sylt. Max ist ein Esser in den Augen seiner Oma und Max fühlt sich anders als die anderen. Selbst als die, die auch anders sind. Während sich zu Beginn der drei Tage die Erinnerungen an die Zeiten mit den Großeltern, an Geschichten aus dem Familienalbum und die nur dezente Handlung ineinander verstricken, zeigt sich erst am dritten Tag ein Fokus auf die eigentlich stattfindende Reise, denn mit Opa Ludwig ist etwas anders.

Der Roman lebt von der Zeichnung der Großeltern. Oma Lore ist eine harte Frau mit weichen Wangen. Und weil sie „eine praktische Frau ist, neigt sie auch dazu, unnötige Wörter einfach wegzurationalisieren.“ Sie erschlägt Mäuse mit dem Spaten, zaubert mit Maggie Fondor und „weint leise in den Käsekuchen“. Opa Ludwig ist ein Flüchtlingskind und hat „keinen bösen Knochen am Körper“. Dass mit ihm etwas nicht stimmt, wird deutlich, als er plötzlich nach lebenslangem Tagebuchschreiben auf die letzte Seite schreibt „Es reicht jetzt. Ich habe keine Lust mehr.“ Bei den Großeltern sind Kartoffeln heilig und Brathähnchenknochen werden abgesucht. Und zu einer Reise nach Sylt gehören Apfelringe.

Dieses Buch ist eine herrliche Erzählung voller alltäglicher Absurdität für alle die, die ihre schrulligen Großeltern doch irgendwie in ihr Lebensherz geschlossen haben, die sie manchmal kopfschüttelnd lieben wie sie sind und mit warmem, weichen, erinnernden Herzen auf sie zurückschauen.

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Veröffentlicht am 16.07.2023

Imposanter Familienroman

Porträt auf grüner Wandfarbe
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Imposant und mitreißend kommt dieses Buch daher, mehr als ein Roman. Es handelt sich eher um ein Geflecht, das komplex ineinander greifend erzählt wird.

Auf zwei Zeitebenen, Vergangenheit ab 1918 und ...

Imposant und mitreißend kommt dieses Buch daher, mehr als ein Roman. Es handelt sich eher um ein Geflecht, das komplex ineinander greifend erzählt wird.

Auf zwei Zeitebenen, Vergangenheit ab 1918 und Gegenwart ab 1992, erzählt Elisabeth Sandmann die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Frauen, Ilsa und Ella. Beide sind unauflöslich, nah und phasenweise schmerzhaft miteinander verbunden. In einer gehaltvollen Story erzählt und in einem vielschichtigen Familiengeflecht eingebettet, gelingt der Autorin eine Familienevolution zu schreiben, in der Schweigen über die eigene Familiengeschichte zum Kern des Problems wird. Geheimnisse werden wohl gehütet, Schuld hin und her geschoben, Lösungen durch Unterschlagen zu erzwingen versucht. „Der Regen kehrt nicht mehr nach oben zurück“, wird über die Vergangenheit gesprochen. Ans Licht gelangt und in die Gegenwart gebracht wird die Story durch Ilsas Enkelin Gwen und deren Recherchen in alten Aufzeichnungen, Gesprächen im Hier und Jetzt sowie einer Reise nach Polen. „Gwen war in eine Familiensaga geraten, und ihr schien es, als käme ihr als zentraler Figur nun die Schlüsselrolle zu, über Verlauf und Ende dieses vor langer Zeit begonnenen Romans zu bestimmen. Sie war es, die die nächsten Kapitel schreiben würde.“

Auch wenn Bösewichte hier schwarz oder weiß gemalt werden, damit die emotionale Betroffenheit beim Leser / bei der Leserin gnadenlos erzeugt wird, ist das Buch kein einfaches. Anspruch besteht in dem Familienkonstrukt, das durch eine Teilauflistung der handelnden Personen auf dem Lesezeichen zu verstehen erleichtert werden soll. Das gelingt nur zum Teil, ein echtes Personenregister hätte wahrlich geholfen. Der Schreibstil wiederum nimmt mit, ist flüssig, phasenweise etwas langatmig.

Dieses Buch ist für alle Freunde von Beziehungskisten, Familiengeschichten und historischen Romanen geeignet. Für diese spreche ich eine Leseempfehlung aus.

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