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Veröffentlicht am 22.06.2021

Wunderschönes Fantasyabenteuer

Elma Wortesammlerin
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Elma gehört zum Volk der Elfen. Dieses lebt in unserer Geschichte in Städten hoch oben in den Baumwipfeln und meidet tunlichst den Kontakt mit den Menschen. Doch das war nicht immer so, wie wir im Laufe ...

Elma gehört zum Volk der Elfen. Dieses lebt in unserer Geschichte in Städten hoch oben in den Baumwipfeln und meidet tunlichst den Kontakt mit den Menschen. Doch das war nicht immer so, wie wir im Laufe dieses so einnehmenden Romans erfahren – und es wird auch nicht immer so bleiben! Aber zurück zu Elma! Sie ist, wie der Titel schon sagt, eine Wortesammlerin, vielmehr will eine werden, wozu sie bei dem weisen alten Elf Ungiel in die Lehre geht. Dieser verfügt über das gesammelte Wissen der Elfenwelt und dessen spannender Geschichte, das er in Form von Liedern weitergibt, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Elma nun ist nicht nur ein aufgewecktes Mädchen, sondern auch neugierig. Sie will wissen, wie es in der Menschenwelt aussieht, die sie bisher nur aus den Liedern und den Erzählungen ihres vorwitzigen Cousins Luno kennt; und so steigt sie eines schönen Tages verbotenerweise aus den hohen Lüften der Elfenstadt hinab in eine Welt, die so fremd und neu, so anziehend wie bedrohlich ist, wie sie sehr bald feststellt, als ihr die etwa gleichaltrige Wendala, ein Menschenkind, über den Weg läuft. Wendala muss sich verstecken, denn die Häscher, eine Gruppe vermummter Kapuzenmänner mit rot glühenden Augen, hat ihr Dorf überfallen, die Kinder verschleppt und die Erwachsenen in Sklaverei genommen. Wendala ist wild entschlossen, sich auf die Suche nach dem Ort zu machen, an dem die Kinder gefangen gehalten werden – die Schwebende Stadt – und sie zu befreien. Ein wagemutiges, ein riskantes Unterfangen, aber, wie man sehr schnell sehen wird, Wendala ist nicht zu bremsen. Und sie ist so voller Tatendrang, dass sie Elma, eher vorsichtig und überlegt, einfach mitzieht! Ja, und dann beginnt ein gefährliches Abenteuer, bei dem den Mädchen zum Glück der ebenfalls entkommene Dorfälteste, die Graue Zarga, eine weise alte Frau, die über Zauberkräfte verfügt, sowie Elmas Vetter Luno, auf der Suche nach ihr, zur Seite stehen. Mehr als einmal geraten die Gefährten in scheinbar aussichtslose Situationen, aus denen sie sich mit Mut und Klugheit – eine unwiderstehliche Mischung! - retten können. Oft nur um Haaresbreite und dank der einen oder anderen glücklichen Fügung.
Doch das Schlimmste und Erschreckendste steht ihnen noch bevor, als sie mit einem vom Ältesten besorgten fliegenden Schiff – dem Fortbewegungsmittel der Häscher, Hauptmänner und Soldaten – die Schwebende Stadt erreicht haben und dem Großmeister, dem Herrscher dieses Stadtungetüms, gegenüberstehen. Und dieser allmächtige Mann, von schönem Antlitz, becircendem Charme und enormer Willenskraft, verfallen Wendala und vor allem Elma auf der Stelle – entgegen dem eigenen festen Willen, sich zu widersetzen. Unter dem Bann dieser Figur sind die entführten Kinder, die er zu willfährigen Soldaten gemacht hat, ihm ausgeliefert. Er dringt in ihre Gedanken ein, kann sie lesen, wann immer ihm danach zu Mute ist, zwingt sie, sich ihm zu öffnen.
Bekannte Strukturen! Wie jeder Diktator strebt auch dieser selbsternannte Großmeister nach Weltherrschaft und der totalen Kontrolle, macht seine Untergebenen, die im Buch nicht umsonst allesamt Kinder sind, denn der Bann funktioniert nur bei ihnen, deren Geist noch formbar ist, zu Instrumenten seiner Macht und seines Größenwahns.
Doch noch ist nicht aller Tage Abend! Bevor sie unter des Großmeisters Bann geriet und fürchtend, dass genau dies geschehen würde, hat Elma nämlich, denn das kann sie inzwischen so gut, dass Ungiel stolz auf sie wäre, könnte er sie denn sehen, ein Lied erfunden, das sie daran erinnern soll, wer sie ist, nämlich nur sie selbst. Und dieses Lied könnte letztlich ihre und die Rettung all der versklavten, manipulierten Kinder in dieser so grausigen Stadt sein....
Ein wirklich schönes Fantasyabenteuer mit sehr realistischen Zügen, parabelhaft anmutend, habe ich mit „Elma Wortesammlerin“ gelesen! Ein Jugendbuch – doch anziehend für jedwede Altersgruppe, für alle, wenn sie denn für die Märchen ihrer Kindheit offen geblieben sind. Eine Geschichte von erstaunlicher Tiefe, an der rein gar nichts auszusetzen ist. Kein Wort war zu viel, keine Szene zu lang – obwohl das Buch ein recht umfangreiches ist. Neugierig bin ich den Ideen gefolgt, mit denen der Autor seine Handlung sich hat entwickeln lassen, wobei der rote Faden, die inhärente Logik, nie abgerissen ist. Ich bin Figuren begegnet, die so einnehmend wie überzeugend waren, deren Interaktionen und Gespräche nie aufgesetzt oder an den Haaren herbeigezogen waren. Gemeinsam mit den Protagonisten habe ich mich dem Bösen, dem Manipulativen, verkörpert beileibe nicht nur in der schauerlich-attraktiven Figur des Großmeisters, gegenüber gesehen – und dabei immer wieder Parallelen gezogen zur Realität, der gegenwärtigen und der vergangenen. Und immer wieder auch hängengeblieben bin ich an der Gedankenfreiheit, die hier zunichte gemacht wird durch aggressivste Gehirnwäsche – auch dies ist durchaus bekannt aus der Realität, zu der jeder seine eigenen Assoziationen entwickeln mag. Elma aber, eine genaue Beobachterin, durchschaut die Mechanismen, nach denen der Großmeister vorgeht, und wehrt sich dagegen. Mit aller Macht! „Ich will immer nur ich selber sein“. Ihr Lied. Das genau ist es, das ist für mich die Quintessenz dieser mitreißenden Geschichte. Und sich diese Aussage immer wieder bewusst zu machen ist der beste Schutz gegen alles, was von außen an Üblem an einen herangetragen wird! Ich bin ich und ich entscheide über das, was ich tun möchte und was nicht, ich alleine entscheide über meine Gedanken.
Summa summarum: Ein wunderschönes Märchen – aber noch viel mehr, wie man beim Lesen gewahr wird – mit ganz bezauberndem Ende, Trost in dunklen Zeiten, eine unbestimmte Sehnsucht weckend nach Freundschaft, Zusammenhalt, Füreinanderdasein. Was für ein helles, lichtes, mutmachendes Buch! Danke dafür!

Veröffentlicht am 21.06.2021

Was damals wirklich geschah...

Dass du in Venedig wärst
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Es gibt Menschen, die sich nur einmal im Leben verlieben, heftig und bedingungslos, und danach nie mehr. Und die sich, wenn sie sie verlieren, nie mehr binden und diese eine große Liebe bewahren bis an ...

Es gibt Menschen, die sich nur einmal im Leben verlieben, heftig und bedingungslos, und danach nie mehr. Und die sich, wenn sie sie verlieren, nie mehr binden und diese eine große Liebe bewahren bis an ihr Lebensende. Karl, der Ich-Erzähler des Romans, der wie ein Krimi beginnt, aber doch viel mehr ist, wie man bald feststellt, ist einer von diesen Menschen. Bei Recherchen zu einem Buch, das er über „Il divino Guido“, Guido Reni, der einer der berühmtesten Künstler des 17. Jahrhunderts war, zu schreiben gedenkt, lernt er im winterlichen Venedig (ja, auch zu dieser Jahreszeit kann die verfallende Lagunenstadt wunderschön sein!) die rätselhafte Caterina kennen – und verliebt sich, zu dieser Zeit nicht mehr ganz jung, Hals über Kopf in sie. Doch ist dieser Liebe keine Erfüllung beschert, denn nach unerklärlichen Ereignissen, in deren Mittelpunkt der Diebstahl eines monumentalen Kunstwerkes aus einer der unzähligen so reichen Stadt im Meer und der Tod eines unsympathischen und recht dubiosen Kunstkritikers steht, der aber ein von der Polizei verschwiegener Mord ist, erhält Karl einen Brief von Caterina, in dem sie ihm mitteilt, dass sie die Stadt und ihre Familie verlassen wird und ihn bittet, nicht nach ihr zu suchen.
Daran hält sich Karl – und es müssen zwanzig Jahre vergehen, bevor er, zu dieser Zeit ein Gast auf dem englischen Landgut eines Freundes, unvermittelt wieder auf die unvergessenen Tage in Venedig gestoßen wird, denn das damals entwendete und seitdem spurlos verschwundene Kunstwerk ist wieder aufgetaucht! Für Karl, der inzwischen die 60 überschritten und keine Zeit mehr zu verlieren hat, gibt es nun kein Halten mehr. Unverzüglich und mit einer in zwanzig Jahren gewachsenen Entschlossenheit macht er sich auf den Weg nach Venedig, in der Hoffnung, Aufklärung zu bekommen über die damaligen Vorkommnisse und gleichzeitig bestrebt, Caterina wiederzufinden – um entweder einen Abschluss machen zu können oder einen Neubeginn. Nun – welche Überraschungen ihn im erneut winterlichen Venedig erwarten konnte er nicht ahnen – genauso wenig, wie der Leser!
Leicht ist es gewiss nicht zu lesen, dieses Buch, das ich als Liebesgeschichte mit Krimielementen bezeichnen möchte. Jenes Krimielement, der Kunstdiebstahl und seine Hintergründe, über die der Protagonist erst ganz am Schluss aufgeklärt wird, ist schließlich der Schlüssel für das, was all die vielen Jahre zuvor geschah und eine Kette von Ereignissen in Gang setzte, die die beiden Liebenden trennte, denn wir haben es hier keineswegs mit einer einseitigen Liebesgeschichte zu tun, wie ich lange gemutmaßt habe. Der Roman mit gemächlich sich entwickelnder Handlung – was natürlich so gar nicht zu einem echten Krimi passen will – ist vor allem eines: ein Buch, das sich einer erlesenen Sprache bedient, geschrieben in höflichem, altmodisch anmutendem, aus der Zeit gefallenem, aber unendlich wohltuendem Stil, vor allem angesichts der sich rasant entwickelnden Neigung, sich im Telegrammstil, durchsetzt von zahlreichen passenden oder – zumeist – unpassenden und völlig überflüssigen Anglizismen miteinander zu verständigen. Ein Abwägen der Worte, das eine immer höfliche, nie verletzende Distanz kreiert oder aber das Gegenteil, Nähe, die niemals plump und distanzlos ist. Es ist ein Genuss, das zu lesen und es ist das, was die Geschichte, die ich hier gelesen habe, zu etwas Besonderem macht, fern von der Massenware, die den Büchermarkt überschwemmt.
Zweier Handlungsorte bedient sich der Roman : in Venedig beginnt er und dort endet er auch, unterbrochen von dem bereits erwähnten Besuch des Ich-Erzählers, Karl, auf dem Landgut seines Freundes in England. Doch welch ein Gegensatz! Von der auch im Winter von der Sonne erleuchteten Lagunenstadt, deren Flair der Autor so überzeugend zu vermitteln vermag, direkt ins graue und triste vorweihnachtliche England! Da ist besagtes Flair nicht im geringsten zu spüren, stattdessen trifft man auf Steifheit, auf gepflegte Langeweile, den Müßiggang der Reichen und auf Personen, zu denen man keine Nähe entwickeln kann – und die doch beinahe alle zum Fortgang der Ereignisse beitragen werden. Der kühl-distanzierte Umgang miteinander lässt keine Wärme aufkommen – und doch muss dieses Intermezzo offensichtlich sein, denn hier, in fröstelnder Atmosphäre, ereilt Karl seine Vergangenheit, hier beschließt er, diese mit der Gegenwart zu verknüpfen und etwas zu Ende zu bringen, das vor so vielen Jahren begonnen hat und dann so abrupt abgebrochen wurde...
Summa Summarum: Einen nicht alltäglichen Roman habe ich mit „Dass du in Venedig wärst“ gelesen, einen Roman, über den man lange nachsinnen, in dem man verweilen und den man auch mehr als einmal lesen kann. Einen Roman auch, bei dem vieles erfühlt und erahnt werden muss, mit Protagonisten, die durchaus vielschichtiger, aber nicht unbedingt sympathischer sind, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Man muss schon versuchen, hinter die Fassaden zu blicken, um sie und ihre Handlungsweise zu verstehen, nachempfinden zu können. Und ich kann mir gut vorstellen, dass man da zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kommen kann....

Veröffentlicht am 20.06.2021

Und das Sterben nimmt kein Ende....

Es wird jemand sterben
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Verweilen wir zunächst einen Moment beim Titel „Es wird jemand sterben“, ausgesprochen von der wunderlichen alten Dorfbewohnerin Sofia Henschenmacher, der Dorfhexe, wie es sie auch noch in den 50er Jahren ...

Verweilen wir zunächst einen Moment beim Titel „Es wird jemand sterben“, ausgesprochen von der wunderlichen alten Dorfbewohnerin Sofia Henschenmacher, der Dorfhexe, wie es sie auch noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – der Roman spielt im Jahre 1955 – allenthalben gab, denn da stand der Aberglaube noch in voller Blüte. Jemand? Nun, es wird tüchtig gestorben in diesem düsteren Buch – totgeschlagen, gelyncht, mitleidlos sterben gelassen, gemordet! Die ganze Bandbreite!
Alles beginnt mit dem Verschwinden der jungen, lebensfrohen Ursula, die mit ihrer Mutter nach der Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in dem kleinen Dorf am Rande der Eifel, in dem die Geschichte spielt, eine Behelfsunterkunft, aber beileibe keine Heimat gefunden hat. Flüchtlinge gehören nun einmal nicht zu einer eingeschworenen und unerträglich selbstgerechten Dorfgemeinschaft. Damals genauso wenig wie heute! Ein Verdächtiger ist schnell gefunden in dem Dorfdeppen Martin, der der oben zitierten eingeschworenen Gemeinschaft, die sich gerade auf das kommende Wirtschaftswunder vorbereitet, schon seit langem ein Dorn im Auge war. Behinderte passen eben auch nicht in das ehrenwerte Dorf, sie gehören weggesperrt! Wie gut, dass man längst gelernt hat, andere Wege zu gehen und um Integration und Inklusion zumindest bemüht ist.
Der junge Martin also wird zum nächsten Opfer, hingemetzelt von vier Gerechtigkeitsbürgern. Und damit wird eine Lawine in Gang gesetzt, die das vordergründig heile Dorf in eine eigentümliche Mischung aus Passivität, Wegschauen, Angst, Misstrauen, Hass, unbändige Aggressionen und Gewalt – da kann es einen schon gewaltig schaudern! - versetzt und sich unaufhaltsam ihren Weg bahnt. Die unwillig und höchstens zaghaft ermittelnde Polizei steht vor einer Mauer des Schweigens, niemand will etwas wissen und diejenigen, die Informationen geben könnten, stellen sich unwissend. Der Polizei vertraut man noch lange nicht und ist überdies sicher, mit dem Unheil, das über das Dorf gekommen ist, selbst fertig zu werden, zumal es Dinge hinter den bürgerlichen Fassaden gibt, die dort auch bleiben sollen und auf keinen Fall das Licht des Tages erblicken dürfen.
Und so kommt es, wie es in einem Roman wie diesem kommen muss: zur Katastrophe, die durchaus hätte verhindert werden können. So könnte man meinen, bekommt aber Zweifel, wenn man verfolgt, wie oberflächlich, geradezu dilettantisch der Polizeiapparat, der nur langsam in die Gänge kommt, ermittelt! Der im Klappentext angekündigte junge, ehrgeizige Kommissar, der aus der Kreisstadt zu Hilfe gerufen wurde und angeblich einen Blick „hinter die biederen Fassaden“ wagt, tut nämlich genau das nicht! Sehr schnell schießt er sich auf den Apothekersohn Felix, der Ursula heiraten wollte, als Mörder ein, hinterfragt nichts, zieht keine andere Möglichkeit auch nur in Betracht, sondern steckt den jungen Mann ins Gefängnis und reibt sich zufrieden die Hände! Kann man denn noch dilettantischer vorgehen – um dieses Adjektiv noch einmal zu benutzen?
Und kein Wunder, dass die Dörfler sich für bessere Ermittler halten – aber eigentlich schlagen sie nur vorurteilsbehaftet um sich! - als diese Polizei, die in Herbert Pelzers Roman vertreten ist. Ein arg negatives Bild und man sollte nicht auf den Polizeiapparat an sich schließen! Genauso wenig, wie man das hier beschriebene Dorfleben mit all seinen abstoßenden Abartigkeiten als repräsentativ ansehen sollte. Hier hat beinahe jeder eine Leiche im Keller, von teilweise monströsen Ausmaßen – und man scheut davor zurück, so tief zu blicken, wie es der Autor seine Leser tun lässt. Mit erschreckender Rohheit und äußerster Brutalität wird man konfrontiert, mit unbegreiflicher Kaltblütigkeit und Gewissenlosigkeit nicht nur einer einzigen Person. Um das ertragen zu können, braucht man vielleicht stärkere Nerven, als ich sie habe...
Lange habe ich mich gefragt, ob es in dem Roman, von dem ich auch jetzt noch nicht weiß, ob ich ihn wirklich als Kriminalroman bezeichnen möchte, denn auch positive, aufrechte Charaktere gibt. Zum Glück ist das so, doch wird ihnen, gerade ihnen, viel Leid zugemutet, an dem sie entweder zerbrechen oder zu zerbrechen drohen. Mit den Bösewichten wird aber genauso gnadenlos verfahren – keiner kommt mit dem Leben beziehungsweise gänzlich ungeschoren davon! Ausgleichende Gerechtigkeit? Ja, aber mit dem Vorschlaghammer, roh und brutal!
Bücher müssen ihre Leser finden, das heißt, dass Leser und Buch zusammenpassen müssen. Doch gelegentlich ist dem nicht so – das ist enttäuschend für den Leser wie auch für den Autor. Was ich hier gelesen habe, ist ein pechschwarzes, deprimierendes, beinahe durchweg negatives Buch. Dass die Geschichte realistisch ist oder sein soll – wiewohl in einzelnen Aspekten zu kategorisch verallgemeinernd -, macht es nicht besser. Unbestreitbar aber ist, dass der Roman gut, logisch und enorm spannend geschrieben ist; und auch wenn er nicht der meine ist, so wird er doch ganz gewiss seinen begeisterten Leserkreis finden.

Veröffentlicht am 14.06.2021

Wer ist Marlene Torvett?

Marlene Torvett und das falsche Geld
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Ort der Handlung ist das Land der tausend Seen, genauer gesagt die Gegend um Neustrelitz. Und es geht um Falschgeld, das seit einiger Zeit von einem oder mehreren Unbekannten unter die Leute gebracht wird. ...

Ort der Handlung ist das Land der tausend Seen, genauer gesagt die Gegend um Neustrelitz. Und es geht um Falschgeld, das seit einiger Zeit von einem oder mehreren Unbekannten unter die Leute gebracht wird. Die Spurensuche erweist sich als schwierig, zumal der ermittelnde Kommissar, Tony Babuske, nicht in bester Form ist und nicht nur von seinen privaten Problemen abgelenkt wird, sondern sich überdies auch noch mit voreilig und daher unklug handelnden Vorgesetzten herumschlagen muss – was mehr oder weniger den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen mag, hier aber überzeichnet wird. Nur träge laufen die Nachforschungen an, sind weitgehend unkoordiniert und werden, so mein Eindruck, erst dann ernst genommen und entsprechend forciert, als ein Kind verschwindet, dessen Leiche bald darauf gefunden wird.
Nicht unrealistisch erscheint mir das zunächst! Und in der Tat ist die Handlung nicht schlecht ausgedacht und verspricht Spannung – wenn sie denn folgerichtig, konsequent und ohne Brüche umgesetzt worden wäre, was leider nicht der Fall ist! Und wenn der zerrissen wirkende, sehr menschliche Hauptkommissar mit dem desolaten Eheleben und seinen geheimen Sehnsüchten – übrigens der einzige nicht flache Charakter der Geschichte – im Mittelpunkt gestanden hätte und nicht die Marlene Torvett aus dem Titel und also Hauptperson, aus der ich mir bis zum sehr unbefriedigenden, weil nichts wirklich erklärenden Ende des Kriminalromans keinen rechten Reim machen konnte. Sie ist keine Polizistin und weiß dennoch über Polizeiinterna bestens Bescheid (ein Unding in der Realität!); sie wird in die Ermittlungsarbeiten nicht nur einbezogen sondern man gewinnt sogar den Eindruck, sie würde diese leiten. Eine einflussreiche Person ist sie – was auch immer sie dazu machen mag -, kommt überheblich und sich der eigenen Wichtigkeit bewusst daher, dirigiert, delegiert, bestimmt, befiehlt, ihr Wort ist Gesetz. Eine wahrhaft unsympathische Nervensäge, dennoch allseits bewundert. Warum das so ist, entzieht sich meinem Verständnis, wurde vielleicht im Vorgängerband erklärt – und wenn das so ist, hätte ich unbedingt eine kurze Vorstellung der Dame erwartet.
Gegen Rätselraten habe ich überhaupt nichts, aber ein solches sollte in einem Kriminalroman schon aufgeklärt werden! Und zwischen den Zeilen zu lesen ist ebenfalls in Ordnung, wenn es denn etwas zu lesen gibt. Für diese Art des Lesens braucht man ein wenig mehr Ansatzpunkte als man sie hier bekommt, mehr, als am Ende das über die seltsame Frau Torvett zu wissen, was man schon am Anfang erfährt: offensichtlich schreibt sie ein Buch, ob es ihr Erstling ist, weiß man nicht, ist auch egal, sie liebt Tango und strebt nach der Erfüllung ihrer Sehnsüchte (die scheinbar eine Art Leitmotiv des Romans sind). Welcher? Man bekommt es nicht mitgeteilt, man kennt sie zu wenig, um es sich denken zu können – und das, was man vielleicht denkt, ist denn doch zu banal.
Und zu guter Letzt sind da die viel zu vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler! So etwas kann mir auch ein wesentlich schlüssigeres Buch als dieses hier verleiden! Ganz schade! Und an meiner am Ende gar nicht positiven Meinung zu dem Kriminalroman kann auch eine einnehmende Figur wie besagter Babuske sowie die Betroffenheit über den sinnlosen Tod eines Kindes, des falschen Kindes, wenn man Schlüsse zieht aus dem, was man gelesen hat, und das Entsetzen über einen brutalen und gewissenlosen Täter, dessen Persönlichkeit insgesamt im Dunkeln geblieben ist, wenig ändern.

Veröffentlicht am 14.06.2021

Die besten Ferien von allen

Frida und die Blaubeersuppe
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Leni ist ein aufgewecktes Frankfurter Mädchen, das den geplanten Spanienurlaub mit den Workaholic-Eltern und der großen Schwester herbeisehnt. Endlich mal alle zusammen, denkt sie – und wird dann doch ...

Leni ist ein aufgewecktes Frankfurter Mädchen, das den geplanten Spanienurlaub mit den Workaholic-Eltern und der großen Schwester herbeisehnt. Endlich mal alle zusammen, denkt sie – und wird dann doch enttäuscht! Wieder einmal! Denn ach so wichtige berufliche Verpflichtungen der Eltern machen die Pläne zunichte und statt Spanien soll es Schweden sein! Ausgerechnet, murrt Leni, und noch dazu ohne die ältere Schwester Pauline, die es vorzieht, mit ihren Freundinnen zu verreisen. Leni ist sauer, ach so sauer ist sie! Schweden! Das kann doch nur stinklangweilig werden.... Offensichtlich gehört das Kind mit dem lockeren Mundwerk nicht zu denen, die mit Astrid Lindgrens unsterblichen Kinderbüchern groß geworden sind und sich nichts Schöneres vorstellen können, als auf Michels, Pippis, Maditas, Tjorvens, und wie sie alle heißen. Spuren zu wandeln. Sonne, Strand, Meer – das zieht Leni vor. Und genau so war es abgemacht.
Doch nach einer langen Reise endlich in Schweden angekommen, wird nichts aus Lenis Vorhaben, alles doof zu finden und sich schrecklich zu langweilen, denn da purzelt Frida in ihr Leben, mindestens ebenso pfiffig wie Leni selbst, immer fröhlich, stets einen flotten Spruch auf den Lippen, und reißt die schmollende Leni einfach mit! Vorbei ist es mit Groll und Langeweile und ein wunderschöner Sommer in dem roten Ferienhaus am See beginnt. Jeder Tag steckt voller Überraschungen – und zwischen Entenretten, Oma Ingas unwiderstehlicher Blaubeersuppe (ein Rezept dazu wollen uns die Autorinnen nicht verraten!), köstlichen Zimtschnecken und Zwistigkeiten mit dem Unruhestifter Jonne und seiner Bande findet Leni nicht einmal Zeit – und hat sowieso keine Lust – mit den Eltern, die ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit plötzlich etwas gemeinsam unternehmen wollen, auf Ausflüge zu gehen.
Aber leider gehen die wunderbaren Ferien viel zu schnell zu Ende – die Freundschaft mit Frida jedoch, das versprechen sich die beiden Mädchen, die wird nie ein Ende haben....
Ein rundum fröhliches Kinderbuch schenken die beiden Autorinnen hier ihren Lesern! Sie lassen die Protagonistin Leni selbst erzählen – und die tut das auf flotte und witzige Art, denn auf den Mund gefallen ist sie wirklich nicht. Versteht sich doch von selbst für ein Großstadtkind! Genauso könnte sie es gesagt haben.... Ihre Art zu erzählen, frisch von der Leber weg, immer spontan und wie ihr der Schnabel gewachsen ist, spricht Kinder ihres Alters natürlich an – die Zielgruppe würde ich auf 8 bis 11 Jahre einschätzen -, und mancher junge Leser mag sie um ihre ausgesprochene Schlagfertigkeit beneiden.
Soweit zum Formalen. Aber es steckt mehr in der Geschichte als einzig ein amüsantes, gute Laune machendes Ferienabenteuer! Da sind die Eltern, die Leni immer wieder enttäuschen; sie hat gelernt, ihren Versprechungen erst einmal zu misstrauen. Die Hingabe ihrer Eltern an ihren Job und die damit verbundene Karriere, scheinbar um jeden Preis, und den daraus resultierenden Zeitmangel nimmt Leni inzwischen hin – und gegen Ende der Geschichte erfährt man, dass Frida ebenso mit beruflich schwer beschäftigten Eltern beschenkt wurde. Nun, sie hat immerhin ihre originelle Oma Inga! Und die kümmert sich, wie es eben nur eine Oma vermag....
Ich denke, dass vielen Kindern Lenis und Fridas Situation bekannt vorkommt – und schon ist ein Band mehr da zwischen den Mädchen und ihren Lesern. Erwachsene mögen das Buch anders lesen und gerne ein paar Wörtchen mit den arbeitsbesessenen Eltern reden, um ihnen klarzumachen, dass manchmal eine noch so strahlende berufliche Karriere nicht das ist, was im Leben wirklich zählt.... Aber das soll nicht weiter thematisiert werden. Vielmehr wünsche ich dem Buch, dessen Cover in reizenden Zeichnungen die gesamte Geschichte erzählt, die sich dahinter verbirgt, wie man am Ende feststellen kann, jede Menge kleiner wie auch größerer Leser, die dann sicher, gemeinsam mit mir, auf ein baldiges Wiedersehen mit Schweden und den beiden Freundinnen hoffen.