Es gibt Menschen, die sich nur einmal im Leben verlieben, heftig und bedingungslos, und danach nie mehr. Und die sich, wenn sie sie verlieren, nie mehr binden und diese eine große Liebe bewahren bis an ihr Lebensende. Karl, der Ich-Erzähler des Romans, der wie ein Krimi beginnt, aber doch viel mehr ist, wie man bald feststellt, ist einer von diesen Menschen. Bei Recherchen zu einem Buch, das er über „Il divino Guido“, Guido Reni, der einer der berühmtesten Künstler des 17. Jahrhunderts war, zu schreiben gedenkt, lernt er im winterlichen Venedig (ja, auch zu dieser Jahreszeit kann die verfallende Lagunenstadt wunderschön sein!) die rätselhafte Caterina kennen – und verliebt sich, zu dieser Zeit nicht mehr ganz jung, Hals über Kopf in sie. Doch ist dieser Liebe keine Erfüllung beschert, denn nach unerklärlichen Ereignissen, in deren Mittelpunkt der Diebstahl eines monumentalen Kunstwerkes aus einer der unzähligen so reichen Stadt im Meer und der Tod eines unsympathischen und recht dubiosen Kunstkritikers steht, der aber ein von der Polizei verschwiegener Mord ist, erhält Karl einen Brief von Caterina, in dem sie ihm mitteilt, dass sie die Stadt und ihre Familie verlassen wird und ihn bittet, nicht nach ihr zu suchen.
Daran hält sich Karl – und es müssen zwanzig Jahre vergehen, bevor er, zu dieser Zeit ein Gast auf dem englischen Landgut eines Freundes, unvermittelt wieder auf die unvergessenen Tage in Venedig gestoßen wird, denn das damals entwendete und seitdem spurlos verschwundene Kunstwerk ist wieder aufgetaucht! Für Karl, der inzwischen die 60 überschritten und keine Zeit mehr zu verlieren hat, gibt es nun kein Halten mehr. Unverzüglich und mit einer in zwanzig Jahren gewachsenen Entschlossenheit macht er sich auf den Weg nach Venedig, in der Hoffnung, Aufklärung zu bekommen über die damaligen Vorkommnisse und gleichzeitig bestrebt, Caterina wiederzufinden – um entweder einen Abschluss machen zu können oder einen Neubeginn. Nun – welche Überraschungen ihn im erneut winterlichen Venedig erwarten konnte er nicht ahnen – genauso wenig, wie der Leser!
Leicht ist es gewiss nicht zu lesen, dieses Buch, das ich als Liebesgeschichte mit Krimielementen bezeichnen möchte. Jenes Krimielement, der Kunstdiebstahl und seine Hintergründe, über die der Protagonist erst ganz am Schluss aufgeklärt wird, ist schließlich der Schlüssel für das, was all die vielen Jahre zuvor geschah und eine Kette von Ereignissen in Gang setzte, die die beiden Liebenden trennte, denn wir haben es hier keineswegs mit einer einseitigen Liebesgeschichte zu tun, wie ich lange gemutmaßt habe. Der Roman mit gemächlich sich entwickelnder Handlung – was natürlich so gar nicht zu einem echten Krimi passen will – ist vor allem eines: ein Buch, das sich einer erlesenen Sprache bedient, geschrieben in höflichem, altmodisch anmutendem, aus der Zeit gefallenem, aber unendlich wohltuendem Stil, vor allem angesichts der sich rasant entwickelnden Neigung, sich im Telegrammstil, durchsetzt von zahlreichen passenden oder – zumeist – unpassenden und völlig überflüssigen Anglizismen miteinander zu verständigen. Ein Abwägen der Worte, das eine immer höfliche, nie verletzende Distanz kreiert oder aber das Gegenteil, Nähe, die niemals plump und distanzlos ist. Es ist ein Genuss, das zu lesen und es ist das, was die Geschichte, die ich hier gelesen habe, zu etwas Besonderem macht, fern von der Massenware, die den Büchermarkt überschwemmt.
Zweier Handlungsorte bedient sich der Roman : in Venedig beginnt er und dort endet er auch, unterbrochen von dem bereits erwähnten Besuch des Ich-Erzählers, Karl, auf dem Landgut seines Freundes in England. Doch welch ein Gegensatz! Von der auch im Winter von der Sonne erleuchteten Lagunenstadt, deren Flair der Autor so überzeugend zu vermitteln vermag, direkt ins graue und triste vorweihnachtliche England! Da ist besagtes Flair nicht im geringsten zu spüren, stattdessen trifft man auf Steifheit, auf gepflegte Langeweile, den Müßiggang der Reichen und auf Personen, zu denen man keine Nähe entwickeln kann – und die doch beinahe alle zum Fortgang der Ereignisse beitragen werden. Der kühl-distanzierte Umgang miteinander lässt keine Wärme aufkommen – und doch muss dieses Intermezzo offensichtlich sein, denn hier, in fröstelnder Atmosphäre, ereilt Karl seine Vergangenheit, hier beschließt er, diese mit der Gegenwart zu verknüpfen und etwas zu Ende zu bringen, das vor so vielen Jahren begonnen hat und dann so abrupt abgebrochen wurde...
Summa Summarum: Einen nicht alltäglichen Roman habe ich mit „Dass du in Venedig wärst“ gelesen, einen Roman, über den man lange nachsinnen, in dem man verweilen und den man auch mehr als einmal lesen kann. Einen Roman auch, bei dem vieles erfühlt und erahnt werden muss, mit Protagonisten, die durchaus vielschichtiger, aber nicht unbedingt sympathischer sind, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Man muss schon versuchen, hinter die Fassaden zu blicken, um sie und ihre Handlungsweise zu verstehen, nachempfinden zu können. Und ich kann mir gut vorstellen, dass man da zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kommen kann....