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Veröffentlicht am 24.09.2020

Müßiggang ist aller Laster Anfang

Lügen einer Lady
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Da sind sie also wieder, die hochwohlgeborene Lady Christabel Mowgray und ihre eigenwillige Zofe Maud, die der Leser bereits im Vorgängerband „Tod eines Lords“ kennenlernen durfte! Und wieder hat er das ...

Da sind sie also wieder, die hochwohlgeborene Lady Christabel Mowgray und ihre eigenwillige Zofe Maud, die der Leser bereits im Vorgängerband „Tod eines Lords“ kennenlernen durfte! Und wieder hat er das Vergnügen, den beiden ungleichen Amateurdetektivinnen bei ihren Ermittlungen, die sich zwischen Pannen und Geistesblitzen bewegen, amüsiert über die Schulter zu schauen! Im Unterschied zum ersten Band allerdings stolpern Lady und Zofe diesmal nicht Hals über Kopf in einen Mordfall sondern werden gar – man lese und staune! - von einer gewissen Althea Haddington, einer Freundin der für ihre Zeit recht ungewöhnlichen, weil unkonventionellen und sich dem erwünschten Stand der Ehe halsstarrig verweigernden Lavinia Mowgray, Christabels bewunderter Tante, gebeten, ihr aus einer sehr delikaten Patsche zu helfen. Die Viscountess hat sich nämlich auf dem Landgut der Familie Comerford, der Edlen von Marchbrooke, dummerweise mit einem jungen Lakai eingelassen, von dem sie nun erpresst wird. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn dieser Fehltritt ruchbar würde! Gesellschaftlich erledigt wäre die Dame, für immer und alle Zeiten, denn die herrschenden rigiden Regeln gestatteten ein solches Betragen in ihren Kreisen nicht, wiewohl außereheliche Beziehungen unter dem edlen Volk, das vor Langeweile und der Sinnlosigkeit des gesellschaftlich vorgeschriebenen Müßiggangs schier umkan, gang und gäbe waren. Nur musste dieses unmoralische Betragen unter dem fadenscheinigen Deckmäntelchen der Verschwiegenheit gepflegt werden und durfte unter keinen Umständen publik werden. Mit Heuchelei nämlich hatte man so gar keine Probleme – man sieht, dass sich daran bis heute nichts geändert hat....
Recht begeistert jedoch sind weder Miss Christabel noch die ziemlich skeptische Maud von dem Auftrag, die von dem hinterhältigen Lakaien entwendete Halskette der Viscountess zurückzustehlen, um ihm damit die Grundlage für die Erpressung zu entziehen, haben sie doch bereits erfahren müssen, wie schnell aus einem spannenden Detektivspiel, das zur Zerstreuung gedacht war, bitterer Ernst werden kann.... Und so dauert es auch gar nicht lange, bis den beiden für ihre Zeit ganz und gar nicht alltäglichen Frauen, die die Klassenschranken zwischen denen da oben und jenen da unten fröhlich missachten, feststellen, dass sie sich auch diesmal in etwas einmischen, das nicht nur eine Nummer zu groß für sie ist sondern sogar richtig gefährlich werden kann – denn dass alsbald ein Mord geschehen würde, haben sie nicht erwartet! Und auch nicht, dass ausgerechnet Maud dieser Mord in die Schuhe geschoben werden soll! Jetzt ist Christabel gefragt, denn schließlich hat sie es zu verantworten, dass Maud sich bei den von ihr angeordneten Schnüffeleien in Gefahr begeben hat. Und sie bekommt die Gelegenheit zu beweisen, dass weit mehr in ihr steckt, als man oberflächlich hinter der so sprunghaften wie launischen, sich duchaus ihrer gesellschaftlichen Vorzugsstellung bewussten, bisweilen arroganten jungen Dame vermuten könnte!
In der Tat erlebt der Leser eine reifere Protagonistin als im Vorgängerband, jemanden, der unerwartete Tiefen hat, ein soziales Gewissen und darüberhinaus zu wachsendem Verantwortungsgefühl in der Lage ist – wenn man ihr denn die Gelegenheit gibt, es weiterzuentwickeln. Sie gehört zu jenen Menschen, deren lange im Dornröschenschlaf verweilenden guten Eigenschaften gerade in prekären Situationen zum Vorschein kommen, wie auch ihre vielgeplagte und derzeit viel mehr mit der Sorge, dass ihre anrüchige Vergangenheit, die sich dem Leser auch in vorliegendem Band noch nicht erhellt, ans Tageslicht kommen könnte, beschäftigte Zofe konstatiert. Die Wandlung steht Christael gut zu Gesicht, lässt sie einen Schritt heraustun aus ihrer privilegierten Wolkenkuckuckswelt und bringt sie dem Leser näher, dessen Sympathie zwangsläufig den Angehörigen der unteren Schichten gelten muss, denen nämlich, die das sinnentleerte Luxusleben der Reichen und gar nicht so Schönen überhaupt erst möglich machen, den vielen unsichtbaren dienstbaren Geistern, die keinen Feierabend kennen, die den Launen ihrer Herrschaft ausgeliefert sind und wegen der geringsten Verfehlungen, die sie womöglich nicht einmal begangen haben, willkürlich und unziemlich bestraft werden können.
Die Autorin gibt auch in diesem zweiten Abenteuer der beiden jungen Frauen, die die besten Freundinnen sein könnten, wären sie hundert Jahre später geboren, einen sprechenden Einblick in das soziale Gefüge eines englischen Herrenhauses, Mikrokosmos und Spiegelbild der Gesellschaft zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts mit all seinen sozialen Missständen. Sie lässt ihre Leser sowohl Upstairs als auch Downstairs verweilen, gibt ihnen Zeit, die Interaktionen – spannender übrigens als die Krimihandlung! - sowohl zwischen dem in eine klare Hierarchie eingefügten Dienstpersonal als auch zwischen diesen und ihrer Herrschaft zu beobachten. Dabei gibt sie ihr so gründlich wie fleißig recherchiertes Wissen in unterhaltsamer Form preis, das wohl für die Mehrheit der Leser staunenswert neu ist. Dass die Handlung an sich nicht besonders spannend ist, dass die Übeltäter und deren Motive kaum auf Überraschung stoßen, ist mutmaßlich dem Genre Cosy Crime geschuldet, das vor allem Wert legt auf „cosy“, während der Krimi-Faktor wie eine nette Zugabe daherkommt – damit es nicht gar zu gemütlich zugehen möge. Aber von Gemütlichkeit kann in C.L.Potters „Häkelkrimis“ sowieso keine Rede sein – wie könnte es auch behaglich und entspannt zugehen an den Orten, zu denen die Autorin Lady und Zofe schickt? So vieles liegt dort im Argen, geht hinter der gepflegten und sorgsam aufgebauten Fassade vor sich, das niemals das Licht des Tages sehen darf, dadurch eine angespannte, durch und durch ungute Atmosphäre schaffend, die geradezu mit Händen zu greifen ist. Nein, keine Wohlfühlorte sind die prächtigen Paläste, zu denen uns C.L.Potter mitnimmt und deren Interieur sie mit sichtlichem Vergnügen am Detail sehr gründlich beschreibt. Und nicht nur Maud und ihre Ladyschaft verlassen die ungastlichen Orte nur zu gerne – um genauso gerne im Folgeband ein weiteres hochherrschaftliches Anwesen mit dem munteren Gespann aufzusuchen und sowohl den nächsten unvermeidlichen Mordfall zu lösen als auch endlich dem Geheimnis der pfiffigen Zofe auf die Spur zu kommen....

Veröffentlicht am 23.09.2020

Wenn einer eine Reise tut...

Zwei Kofferträger in Shanghai
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Eigentlich sollten Mona und ihr Mann Aldo, Inhaber eines kleinen Malerbetriebs, nur die Ferienwohnung des Herrn Wang streichen! Dass sie dadurch in den recht zweifelhaften Genuss kommen würden, an einer ...

Eigentlich sollten Mona und ihr Mann Aldo, Inhaber eines kleinen Malerbetriebs, nur die Ferienwohnung des Herrn Wang streichen! Dass sie dadurch in den recht zweifelhaften Genuss kommen würden, an einer Studienfahrt in die chinesische Metropole Shanghai teilzunehmen, hätten sie sich nie träumen lassen! Aber abenteuerlustig und Neuem gegenüber aufgeschlossen, wie die beiden Mitfünfziger nun einmal sind, wagen sie die Reise – ihre erste wirkliche Reise überhaupt – ins Unbekannte und entdecken dabei ein Land, das sich als so fremd und unverständlich herausstellt, wie sie es sich auch mit viel Phantasie nicht vorgestellt hatten. Genauso wenig wie diejenigen unter den Lesern, die das Reich der Mitte und seine Gepflogenheiten lediglich vom Hörensagen oder aus Dokumentarfilmen kennen, die ohnehin zumeist nur die schönen Seiten des riesigen asiatischen Landes, dessen eindrucksvolle Natur zeigen und vielleicht sogar auch ein wenig über Politik und Traditionen verraten, die so ganz anders sind als hierzulande.
Nun, nach der zwölftägigen Reise sind Mona und Aldo klüger – und mit ihnen die Leser! Klüger und um einiges desillusionierter, denn was ihnen widerfährt, was sie sehen und hören und spüren in dem geheimnisvollen Land, das sich auch schon im Jahre 2004, denn so lange lag der anstrengende Besuch schon zurück, bevor Mona sich entschied, die Leser an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen ( es ist zu mutmaßen, dass sie diese erst einmal verdauen musste, so haarsträubend und widersprüchlich, wie sie waren ), zu einer der führenden Wirtschaftsmächte unseres Planeten aufgeschwungen hatte, mag wohl nur die unerschütterlichsten, die eingefleischtesten unter den China-Liebhabern nicht abschrecken!
Gewiss, dem dominanten, neugierigen und systemtreuen Reiseführer Herrn Chang mit den zwei Gesichtern war vor allem daran gelegen, die zugegebenermaßen beträchtlichen Errungenschaften des Landes, vereint in der Vorzeigestadt Shanghai, und seine Sonnenseiten herauszustellen, ausschließlich Prestigeobjekte und Prestigeviertel zu zeigen – vom wirklichen Leben wurden Mona, Aldo und ihre Truppe möglichst ferngehalten. „Freigang“ war ebenso reglementiert und fand vorzugsweise nur unter Bewachung lächelnder, aber eisenharter chinesischer Begleiterinnen statt. Aber trotzdem konnte der kleine Diktator, der sehr bald schon mit einer Art Taktstock auftauchte, um die Reisegruppe nach seiner Pfeife tanzen zu lassen ( alte Gewohnheiten in dem roten Sternestaat sind halt schwer abzuschütteln, sofern man das überhaupt anstrebt! ), nicht verhindern, dass gelegentlich das wahre China hervorblitzte, die unvorstellbare Armut und Rückständigkeit der unzähligen Chinesen, die jenseits der Riesenstädte eine nicht menschenwürdige Existenz fristen, die buchstäblich im Dreck leben, von dem sie sich auch ernähren, die nicht teilhaben an dem in rasender Geschwindigkeit voranschreitenden technischen und ökonomischen Fortschritt, für den viele Milliarden ausgegeben werden und der ein erschreckend seelenloser ist. Kritische Fragen wurden von vornherein abgeschmettert mit dem so lapidaren wie nichtssagenden Satz: „Wir sind hier in China“. In einem Land also, so mein Eindruck während und nach der Lektüre, dessen prunkvolle Fassaden eben nur das sind: Fassaden, hinter denen selbst die privilegierten Chinesen ein von unzähligen Regeln eingeschränktes Leben führen. Zucht und Ordnung – so fasst es die wackere Mona mit den vernünftigen Wanderschuhen sehr treffend zusammen, angesichts derer sie – genauso wie ich als Leserin – froh ist, in dem so freien Deutschland leben zu dürfen, in dem jede vermeintliche oder tatsächliche, sei es auch noch so winzige Einschränkung dieses hohen Gutes Freiheit mit lautem Protestgeschrei kommentiert wird und vor allem auch kommentiert werden darf!!
Es ist ein kurzes Buch, das die Autorin als Roman deklariert, das aber nichtsdestoweniger vermuten lässt, dass es auf eigenen einschlägigen Erlebnissen basiert, aber es vermittelt einen aufschlussreichen Blick auf die bereits erwähnten Fassaden, auf das, was sie vorgaukeln wollen, wie auch auf das, was dahinter steckt. Die Ich-Erzählerin Mona weiß unterhaltsam über ihre merkwürdige Reise und deren vielen kleinen, so sprechenden, nur vordergründig amüsanten Begebenheiten und ebenso vielen Unannehmlichkeiten zu berichten, die man wohl nur mit einer guten Portion Humor und Gleichmut ertragen kann, ohne – was ja ganz und gar gegen chinesische Sitten wäre! - seine Empörung laut herauszuschreien.
Ist mir China näher gekommen, fragte ich mich am Schluss? Konnte ich aus den vielen Puzzleteilchen ein Gesamtbild zusammensetzen? Wohl kaum, denn dazu war die Reise des trotz aller Widrigkeiten dauerhaft fröhlichen Paares zu kurz und zu einseitig organisiert, eine Vorzeigereise viel eher als eine Studienreise, als die sie apostrophiert wurde. Soviel aber habe ich erkannt: in diesem Leben wird das wohl nichts mehr mit einer Annäherung zwischen China und mir! Ich werde es gewiss auch weiter vorziehen, mir in meinem freien Land die schönen Heile-Welt-Reportagen anzuschauen, als einen Fuß in das ostasiatische Riesenreich zu setzen, das mir ein Rätsel bleiben wird – trotz der Schlaglichter, mit denen das nette, flott geschriebene kleine Buch versucht haben mag, etwas zu erhellen, was ein freier Westeuropäer niemals verstehen wird noch gar tolerieren kann!

Veröffentlicht am 10.09.2020

Verschwörung gegen Fidelitas von Frauenalb

Hexenglut
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Titel und Cover verraten es unzweideutig! Es geht um Hexen oder vielmehr jene bedauernswerten Frauen, die als solche verunglimpft und angeklagt wurden. Und wenn man die Autorin kennt, kann man schon beklommen ...

Titel und Cover verraten es unzweideutig! Es geht um Hexen oder vielmehr jene bedauernswerten Frauen, die als solche verunglimpft und angeklagt wurden. Und wenn man die Autorin kennt, kann man schon beklommen ahnen, dass sie ihren begierigen Lesern einiges an Erschröcklichem zumuten wird!

Und in der Tat ist die Hexenverfolgung, die zwischen 1550 und 1650, also in etwa zu der Zeit, in der Simone Dorras historischer Kriminalroman angesiedelt ist, in Mitteleuropa ihren Höhepunkt erreichte, sicherlich eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte. In einer Zeit, da Dinge wie Krieg, Klimaveränderung, Hunger und Entbehrungen, Seuchen und Massensterben für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung weder rational noch gar wissenschaftlich erfassbar war, wurden Sündenböcke gesucht – und gefunden! Hexen mussten es gewesen sein ( und, das sollte nicht unerwähnt bleiben, Juden, die ewig Verfolgten und Verfehmten ), die mit ihrem Schadzauber Unheil heraufbeschworen hätten! Und da der Stand der Frau in der Gesellschaft in jenen düsteren Tagen ohnehin ein schlechter war, Angehörige des weiblichen Geschlechts als Menschen zweiter Klasse galten, ab ihrer Verheiratung Eigentum ihres Mannes waren und sich sowieso in die ihnen zugewiesenen Rollen zu fügen hatten, insgesamt also keinerlei Lobby besaßen, war die Verfolgung derjenigen unter ihnen, die sich nicht ins Schema einpassen konnten oder wollten, vorprogrammiert! Nichts leichter, als den Selbstbewussten in ihrer Mitte, denjenigen, die sich beispielsweise mit Heilpflanzen auskannten, solchen, die als Hebammen arbeiteten, den Unverheirateten oder gar denen, die ohne verheiratet zu sein ein Kind bekamen, einen Denkzettel zu verpassen, sie kurzerhand der Hexerei zu beschuldigen und sich ihrer zu entledigen – aus reiner Bösartigkeit, Neid, Hass und anderen niederen Beweggründen mehr, oder aber tatsächlich in der festen Überzeugung, dass alle Unbillen, mit denen man gestraft war, auf ihre Hexenkunst und ihren Bund mit dem Leibhaftigen zurückzuführen seien.

Wem aber war die Protagonistin in Simone Dorras „Hexenglut“ ein Dorn im Auge? Was hatte sie, die Kräutermeisterin des Klosters Frauenalb, sich zuschulden kommen lassen? Gewiss, die junge Nonne, die von ihrer ihr wohlgesonnenen Äbtissin, Katharina von Bettendorf, mit dem Tuchhändler Vinzenz Stöcklin nach Freiburg gesandt wurde, um sich um dessen aus unerklärlichen Gründen leidende Ehefrau Regula zu kümmern, tritt selbstsicher und aufrecht auf, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn ihr etwas falsch oder ungerecht erscheint und vertritt ihre Meinung, auch wenn diese so manchem Zeitgenossen nicht behagt. Aber ist dies ein Grund, sie, eine Klosterfrau, der Hexerei zu beschuldigen, sie den von ihrer eigenen Bedeutung berauschten Ratsherren und damit dem unaufhaltsamen Prozess der jedweder Anschuldigung folgenden Folterungen, die sich durch besondere Grausamkeit auszeichneten, und einem unvermeidlichen Tod auf dem Scheiterhaufen auszuliefern? Nun, während der Hoch-Zeit des Hexenwahns reichten freilich schon Kleinigkeiten, nicht begründete Anschuldigungen, um sich unliebsamer Mitmenschen als vermuteter Teufelsbündler zu entledigen....

Was aber Fidelitas anbelangt, so stieß der sanfte Einfluss, den sie auf Vinzenz Stöcklins Vater, Heinrich, ausübte, bei dessen verschlagenem Beichtvater Paulus Mayr, einem fanatischen Anhänger des unsäglichen, damals viel gelesenen Werkes des ebenso fanatischen und rachsüchtigen Mönchs Heinrich Kramer, „Malleus Maleficarum“ - „Der Hexenhammer“ -, auf größten Unwillen, zumal er dazu führte, dass ihm, dem Priester mit der schwarzen, von Hass zerfressenen Seele, die Rolle des Beichtvaters – und damit ein erkleckliches, wiewohl unverdientes, Einkommen – gekündigt wurde. Als sich die Ereignisse im Hause Stöcklin überschlagen und kurz hintereinander zuerst der Senior Heinrich und dann auch seine ihm Angetraute Gundis, die ein strenges Regiment führte sowohl in familiären als auch in geschäftlichen Angelegenheiten, tot aufgefunden werden, sieht der unheimliche Beichtvater seine Stunde gekommen und nimmt Rache an der jungen Nonne, dank deren Heilkunst die Hausherrin Regula inzwischen auf dem Wege der Genesung ist, und beschuldigt sie völlig grundlos des Mordes an den beiden Stöcklins und obendrein auch noch der Hexerei. Nun beginnt Fidelitas Leidensweg, den Simone Dorra erschreckend realistisch und gleichzeitig einfühlsam schildert, dabei niemals einer möglichen Versuchung erliegend, die Sensationslust der eher blutrünstig veranlagten unter ihrer Leserschaft zu bedienen.

Und während Fidelitas verzweifelt und nicht verstehend der Dinge harrt, die unaufhaltsam ihren Gang nehmen, treibt der niemals explizit genannte, dem Leser aber dennoch schon frühzeitig bekannte Bösewicht, der all die der Nonne angelasteten Untaten zu verantworten hat, weiterhin sein gewissenloses Spiel – bei dem er durchaus als Sieger hätte hervorkommen können, wenn da nicht ein mutiges junges Liebespaar gewesen wäre, dem das Schicksal der so hilfreichen Nonne nicht gleichgültig war und dessen Verdacht sich sehr bald schon auf den wahren Schurken richtet!

Doch halt! Da ist nämlich noch jemand! Ein gewisser Juan Alvarez de Santa Cruz y Fuego, seines Zeichens verwegener Landsknecht und ehemaliger Söldner in den Diensten vieler Herren, die schillerndste, zwiespältigste, beeindruckendste Persönlichkeit – ein typischer, ein unvergesslicher Simone Dorra – Held! - des Romans, derjenige, dem gewiss die uneingeschränkte Sympathie gar manchen Lesers respektive Leserin gilt. Er und die junge Nonne sind alte Freunde, man könnte auch sagen, dass Fidelitas von Frauenalb die Achillesferse des so zwielichtigen wie hartgesottenen Haudegens mit dem weichen Herzen ist. Ein Fürsprecher, wie man ihn sich in jedweder Not nur wünschen kann! Gemeinsam mit Vinzens Stöcklins Tochter Veronika und deren heimlichem, weil nicht standesgemäßem Freund, dem Uhrmacherlehrling Jörg Danner, schmiedet er einen abenteuerlichen Plan, um die Nonne zu retten und gleichzeitig dem wahren Schurken das verbrecherische, das niederträchtige Handwerk zu legen...

Summa summarum: auch dieser Roman, im übrigen der zweite Band um die ehemalige Oblate Fidelitas, Kräutermeisterin ihres Klosters, überzeugt auf ganzer Linie! Er ist, wie alles, was die Autorin ihren Lesern vorlegt, so mitreißend geschrieben, dass man ihn kaum aus der Hand legen mag, die klug ersonnene Handlung hat Tiefe wie auch das nötige historische Flair vor realem Hintergrund und besticht mit immer wieder aufs Neue überraschenden Entwicklungen. Besonders hervorzuheben sind die, wie bei Simone Dorra nicht anders zu erwarten, eingängigen, immer überzeugenden Charaktere, im Guten wie im Bösen, die ich während der Lektüre allesamt mühelos mit Gesichtern und Stimmen versehen konnte, die sich aus Worten vor meinem inneren Auge materialisiert haben: die Peiniger und Niederträchtigen mit ihren hasszerfressenen Fratzen oder aber langweiligen Spießbürgergesichtern; die Freundlichen und Wohlmeinenden, die Courage zeigen und auch über den eigenen Tellerrand hinausblicken und die um eines Mitmenschen willen etwas wagen, das fatale Folgen nach sich ziehen könnte; die Schwachen mit ihren vagen Gesichtszügen und unscharfen Konturen; die Klatschsüchtigen mit aufgeregtem Funkeln in den Augen, wenn sie etwas wittern, das weitergegeben werden und sie für einen Moment interessant machen kann; und nicht zuletzt die verwegenen Abenteurer, die die Schurken ohne mit der Wimper zu zucken ins Jenseits befördern, deren Herz aber für diejenigen schlägt, die unverschuldet in Lebensgefahr gebracht worden sind. Ein ganzes Kaleidoskop von Charakteren versammelt die Autorin in diesem so spannenden wie makellos geschriebenen und nach guter alter Tradition erzählten Roman, der sicherlich nicht nur mir ein wahres Leseabenteuer beschert hat!

Veröffentlicht am 10.09.2020

Psychopathen und Mittelalter-Freaks

Die grüne Fee und der Mord auf der Marksburg
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Hoch über dem Rhein thront sie, die Marksburg, eine beeindruckende Höhenburg aus dem 12. Jahrhundert und gleichzeitig die einzige Burg ihrer Kategorie am Mittelrhein, die nie zerstört wurde im Laufe ihrer ...

Hoch über dem Rhein thront sie, die Marksburg, eine beeindruckende Höhenburg aus dem 12. Jahrhundert und gleichzeitig die einzige Burg ihrer Kategorie am Mittelrhein, die nie zerstört wurde im Laufe ihrer langen und wechselvollen Geschichte. Das gelang erst den Amerikanern im März des Jahres 1945, deren Artilleriebeschuss vom gegenüberliegenden Rheinufer die imposante Höhenburg erheblich schädigte!
Wie dem auch immer sein mag – jene Marksburg ist Schauplatz des hier zu sprechenden Kriminalromans in mittelalterlicher Verkleidung. Und was könnte eindrucksvoller sein als das Szenario, das sich die Autorin ausgedacht hat für ihre Mörderjagd, auf genau dieser Burg anzusiedeln, in der nach einem plötzlich hereinbrechenden Sturm die Gruppe Menschen, die eben noch mehr oder minder fröhlich den Geburtstag der schönen, scheinbar vom Glück begünstigten, Viktoria Kreuteler feierten, von der Außenwelt abgeschnitten verharren müssen?
Agatha Christie lässt grüßen! Bei so manchem Leser tun sich Assoziationen auf zu jenem Klassiker der Kriminalliteratur, der den Originaltitel „And Then There Were None“ trägt, nur dass es anstelle einer Burg eine einsame Insel in der Nordsee ist, auf der sich die Gäste, deren Zahl nach und nach dezimiert wird, eingeschlossen und auf sich selbst gestellt finden.
Aber der Reihe nach! Unsere Geschichte beginnt damit, dass die Gauklerin Isa und ihre etwas chaotische Band, einigen Lesern bekannt aus zwei Vorgängerbänden, für besagte Geburtstagsfeier der mittelalterlich affinen Viktoria, allseits beliebt ob ihrer Freundlichkeit und Wohltätigkeit, als Unterhalter engagiert werden. Ein Fest in mittelalterlichem Gewande, so ausgerichtet, wie man sich dergleichen in jener längst vergangenen, so viele Menschen heutzutage faszinierenden Epoche vorstellt. Und wer weiß, vielleicht lief es ja tatsächlich so oder ähnlich ab...
Dass bereits während der so ausgelassenen wie, so mein Eindruck, andererseits auch recht verkrampften, mit unguten Untertönen angereicherten Feier, der perfide Plan, der durch den unerwarteten Sturm begünstigt wurde, und der darauf abzielte, der reichen Gastgeberin, die nun wirklich keinen einzigen Feind auf der ganzen weiten Welt haben konnte, das Lebenslicht auszublasen, feststand, ist wohl zu vermuten, doch hätte er ohne das Unwetter so nie in die Tat umgesetzt werden können – schlicht und einfach aus Mangel an Gelegenheiten!
Hat der Mörder also geradezu unverschämtes Glück gehabt? Hätte er einen Ausweichplan gehabt oder ist er einfach nur dilettantisch zu Werke gegangen, in der Hoffnung, der Plan würde schon irgendwie klappen? Das zu entscheiden bleibt jedem Leser selbst überlassen, klärt es sich doch bis zum Ende nicht auf. Überhaupt wird vieles dem Leser anheim gestellt, ist Interpretationssache, wird von der Autorin offen gelassen, was keine schlechte Idee ist, bewegt es den Leser doch über die Lektüre hinaus....
Nachdem Viktoria nun also von einem Morgenstern, passend zu der mittelalterlichen Kulisse, erschlagen im Abort aufgefunden wird, entläd sich das latent vorhandene Misstrauen der reichlich merkwürdigen Gäste wie auch Angestellten; keiner traut dem anderen, jeder könnte der Mörder sein. Oder gibt es da vielleicht noch jemanden anderen, den großen Unbekannten, der irgendwo im Verborgenen lauert und seine eigenen finsteren Pläne schmiedet? Jemanden, der womöglich eine ganz andere Zielscheibe im Auge hatte als die verblichene Kreuteler-Erbin? Isa, die grüne Fee, jedenfalls ist nun ganz in ihrem Element, zumal sie ein leidenschaftliches Interesse an Kriminalfällen hat und sich selbst als begabte Detektivin sieht. Dass sie es tatsächlich ist, mag man zunächst bezweifeln, so forsch und wenig professionell wie sie sofort die Ermittlungen an sich reißt; doch beweist sie es am Ende und nach zwei weiteren Morden, denn auch der gewiefteste und dank der Lektüre unzähliger Kriminalromane erfahrene Hobbyermittler unter den Lesern hätte nicht zu den abenteuerlichen, erstaunlicherweise aber zutreffenden Deduktionen gelangen können, mit denen die naseweise Gauklerin mit den irgendwann nervig werdenden flotten Sprüchen aber goldrichtig liegt. Zu Hilfe kommen ihr dabei ihre genauen Kenntnisse der Mittelalterszene, in denen sich die meisten der auf der Burg Eingeschlossenen, die letztendlich fast alle als mögliche Mörder in Frage kommen, bewegen, denn in genau dieser findet sich das wahre Mordmotiv, bezüglich dessen allerdings die eine oder andere Frage offen bleibt. Nun, auch das kann ich gelten lassen, wiewohl es so manchen Leser unbefriedigt am Ende das Buch zuklappen lassen mag...
Was man dem Roman gewiss nicht absprechen kann, ist Spannung, denn gerade gegen Ende geht es tüchtig zur Sache, wird es zunehmend unheimlich und beängstigend – und für die neugierige Schnüfflerin hochgefährlich. Wiewohl man davon ausgehen kann, dass die Autorin ihre bewährte Protagonistin schon nicht sterben lassen wird, muss man doch um Isas Leben fürchten, die aber, davon kann man sich immer wieder überzeugen, Nerven aus Stahl hat und wunderbarerweise ungeschoren aus dem ganzen Schlamassel, in den sie sich sehenden Auges begeben und dem sie mit ihrem Verhalten durchaus auch ein wenig Vorschub geleistet hat, herauskommt – einer Katze mit den sprichwörtlichen sieben Leben gleich!
Apropos sprichwörtlich! Die Autorin versieht ihre Geschichte immer wieder mit interessanten geschichtlichen Informationen und Anekdoten, nebst Erklärungen zu geflügelten Worten und Ausdrücken, über deren Ursprung man sich kaum Gedanken macht, weil sie längst fester Bestandteil unserer Sprache geworden sind. Gleichzeitig gibt sie häppchenweise – und daher leicht verdaulich – Hintergrundwissen zu der Zeit preis, der sich die Mehrzahl der Romanfiguren beruflich oder in ihrer Freizeit verschrieben haben, so dass, wenn man alle Versatzteilchen, die den Roman im Übrigen entscheidend bereichern, zusammensetzt, durchaus ein Bild herauskommt, das auch dem mit mittelalterlichen Welten nicht vertrauten Leser schließlich in der Tat ein gewisses Gefühl für besagte Zeit vermittelt. Und genau dies sehe ich als die eigentliche Stärke der zwar stilistisch angenehm geschriebenen aber ansonsten recht haarsträubenden Geschichte an, die sicherlich ein Tummelplatz für Psychologen wäre, denn wer sonst könnte sich in die Hirnwindungen einiger der Beteiligten, ausgewachsener Psychopathen, wie es den Anschein hat, hineindenken außer eben diesen?

Veröffentlicht am 17.07.2020

Zeitloses Meisterwerk der Kinderliteratur

Pünktchen und Anton
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Auch 56 Jahre nach seinem Tod erfreuen sich vor allem die Kinderbücher des Moralisten und skeptischen Optimisten Erich Kästner, der sich selber viel eher als Gebrauchslyriker sah, unverminderter Beliebtheit. ...

Auch 56 Jahre nach seinem Tod erfreuen sich vor allem die Kinderbücher des Moralisten und skeptischen Optimisten Erich Kästner, der sich selber viel eher als Gebrauchslyriker sah, unverminderter Beliebtheit. Gewiss, das mag auch an den unzähligen, teils wagemutigen, Adaptionen fast aller seiner Werke liegen – von „Emil und die Detektive“ allein gibt es inzwischen acht Verfilmungen, von Theaterstücken, sogar Musicals ganz zu schweigen! -, doch letzten Endes sind es doch die Botschaften, die humanistische Grundhaltung und der unerschütterliche Humor des Schriftstellers, der zeitlebens ein sozial denkender und empfindender Mensch war, jemand, für den Tugenden wie Anständigkeit, Mut, Treue, Toleranz, Solidarität, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft beileibe nicht nur Worte waren, die seine Kinderliteratur, wie überhaupt alles, was er zu Papier gebracht hat, durchzogen und über ihe Zeit hinaus wirksam bleiben lassen!
Lehrer wollte er werden, schon als kleiner Junge, doch entschied er sich um, sagte später einmal, dass ihm im Lehrerberuf die Kinder zu nahe seien; erstaunlich also, dass er, auf Anraten seiner Verlegerin, mit dem Schreiben gerade von Kinderbüchern begann - „Emil und die Detektive“ war das erste und hatte einen durchschlagenden Erfolg -, in denen er den Kindern so nahe war, wie nur denkbar, in denen er sich nicht nur – lebenslanges Kind, das er war – als profunder Kenner von Kinderseelen erwies, sondern, sich der Formbarkeit des kindlichen Charakters sehr bewusst, stets auch an sie appellierte, die Welt ein klein wenig besser zu machen!
Ja, der moralische Zeigefinger des Herrn Kästner wird in all seinen Büchern erhoben, durchzieht seine Lyrik, weniger anklagend als vielmehr nachdenklich, mahnend, hoffend, dass seine Appelle nicht auf taube Ohren stoßen mögen. Botschaften sind sie – und in keinem seiner Bücher wird das so deutlich wie in „Pünktchen und Anton“, seinem zweiten Kinderbuch, 1931 erstveröffentlicht, vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und dem herannahenden Weltensturm, dem auch er, dem auch seine Werke zum Opfer fallen sollten. Doch davon ist in dem hier zu besprechenden Roman nichts zu ahnen; Kriege und all das Hässliche, das sie mit sich bringen, ist nichts, was er den Kindern zumuten wollte.
Armut freilich wird immer wieder in Kästners Geschichten thematisiert, lapidar beinahe und ganz und gar nicht larmoyant, und seine jungen Protagonisten kommen gewöhnlich nicht aus Familien, die im Überfluss leben sondern wachsen bei zumeist nur einem Elternteil auf, der ums Überleben kämpfen muss. Anton, einer der beiden Hauptcharaktere unsrer Geschichte, eine ganz typische Kästner-Figur, ein Junge nämlich mit Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein, mutig, zuverlässig und gutherzig, gehört zu der wenig privilegierten Bevölkerungsschicht im Vorkriegsberlin. Er lebt alleine mit seiner Mutter, zu der er eine außerordentlich enge und liebevolle Bindung hat und die seit einiger Zeit schwer erkrankt ist, weshalb Anton sich neben der Schule ( dass er nicht nur ein Musterknabe sondern auch ein Musterschüler ist, ist klar bei Erich Kästner! ) um den Haushalt kümmern muss. Er tut das klaglos, denn er liebt seine Mutter – so wie dereinst der Autor die seine. Die biographischen Bezüge sind nicht zu übersehen! Doch Antons Sorgen erdrücken ihn langsam, denn durch die Krankheit der Mutter ist auch kein Verdienst da, weshalb der Junge des Nachts betteln geht. Und, Glück im Unglück, dabei lernt er die mit Witz, Herz und Phantasie gesegnete Pünktchen kennen, die eigentlich Luise Pogge heißt und ebenfalls bettelt, gemeinsam mit ihrem Kindermädchen, dem Fräulein Andacht.
Wie? Was? Ein Kinderfräulein hat die pfiffige Kleine – und muss betteln? Naja, das muss sie natürlich nicht, denn Pünktchens Vater ist reich, besitzt eine Spazierstockfabrik, kann ihr also jeden Wunsch erfüllen. Dennoch findet man die zaundürre Andacht und ihren Schützling jede Nacht auf einer wohlfrequentierten Berliner Brücke! Des Rätsels Lösung: Fräulein Andacht hat einen gar zwielichtigen Bräutigam, „Robert der Teufel“ hat die pfiffige Kleine ihn getauft, - und dieser unsympathische Zeitgenosse erpresst das Fräulein, verlangt ständig Geldzuwendungen von ihr. Und als sei das noch nicht genug lässt er sich von dem verblendeten Fräulein einen genauen Plan der Poggeschen Wohnung zeichnen, die er auszurauben gedenkt. Zum Glück aber kommt Anton, der längst dicke Freundschaft mit dem ulkigen Mädchen geschlossen hat, das seine Einsamkeit durch Schlagfertigkeit und selbstbewusstes Auftreten zu kompensieren sucht, denn seine Eltern sind zwar reich, interessieren sich aber nicht für ihr Kind, zu sehr sind sie mit dem Geldverdienen ( der Vater ) und dem Geldausgeben ( die Mutter ) beschäftigt, hinter den perfiden Plan und weiß ihn zu vereiteln. Ja, und dann überschlagen sich die Ereignisse, zumal Pünktchens Vater von dem unsympathischen und verschlagenen Nachbarsjungen Klepperbein erfahren hat, was seine Tochter des Nachts alles anstellt und daraufhin zu überraschenden, aber durchaus befriedigenden Einsichten gelangt und prompt Entscheidungen fällt, mit denen alle Beteiligten am Ende mehr als zufrieden sein können....
Eigentlich geschieht gar nicht sehr viel in der so bezaubernden wie warmherzigen Geschichte um Pünktchen und Anton, könnte man bei oberflächlichem Lesen meinen – was man tunlichst vermeiden sollte, denn hier ist es unabdingbar, zwischen den Zeilen zu lesen, genau hinzuschauen auch, was uns der Herr Kästner in seinen insgesamt sechzehn „Nachdenkereien“, die sich jedem Kapitel anschließen und sich aus diesem ein Thema, einen Satz, eine vielleicht nur beiläufige Bemerkung herauspicken, um darüber zu sinnieren und philosophieren, mitzuteilen hat. Diese „Nachdenkereien“, mit denen sich Kästner direkt an die Leser wendet – und die er ihnen im Übrigen freistellt zu lesen oder einfach zu überblättern -, handeln zum Beispiel von der Pflicht, von Stolz, von der Phantasie, vom Mut oder von der Neugierde und sind es unbedingt wert, aufmerksam gelesen zu werden. Sie machen dieses Buch zu etwas ganz besonderem, fassen Kästners gesamtes Ethos zusammen, können prägend sein – worauf er hofft! - für seine jungen Leser. Er spricht das für ihn Wesentliche unmittelbar an, kann dabei beißend kritisch sein, nennt das Kind, um im Bilde zu bleiben, beim Namen – vielleicht ist das der verhinderte Lehrer in ihm... -, ist mal ernst und mahnend, dann wieder humorvoll und augenzwinkernd-liebevoll. Das tut er auf seine ganz besondere Art, in seiner ganz besonderen, ausgefeilten, geschliffenen, dabei geschmeidigen und federleichten Sprache, der man den ehemaligen Feuilleton-Redakteur anmerkt, den begnadeten Lyriker, und die er bis zur Perfektion beherrscht.
Fazit: Auch 90 Jahre nach seinem Erscheinen ist „Pünktchen und Anton“ so aktuell wie eh und je – die grundsätzlichen Werte verschieben sich vielleicht minimal, so bleibt zu hoffen, aber sie verjähren und verfallen nicht, denn sie sind Pfeiler in einem menschlichen Miteinander. Und es ist nichts Verwerfliches daran, wenn ein moralischer Zeigefinger, zudem wenn dieser Erich Kästner gehört, ruhig immer wieder einmal daran erinnert!

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