Aufschrei einer Gequälten
MaimordeWir alle kennen sie, diese Menschen, die allzu ungeschickt sind, die sich immerzu in prekäre Situationen bringen, ohne das zu wollen, die stolpern und sich dabei wehtun, die einfach rechte Tolpatsche sind! ...
Wir alle kennen sie, diese Menschen, die allzu ungeschickt sind, die sich immerzu in prekäre Situationen bringen, ohne das zu wollen, die stolpern und sich dabei wehtun, die einfach rechte Tolpatsche sind! Und als solchen hat Angelika Godau ihren, in vorliegendem Band bereits zum vierten Mal ermittelnden, Privatdetektiv Detlev Menke angelegt. „Deti“ wird er genannt – und der Spitzname beziehungsweise die Verniedlichung seines eigentlichen Vornamens, passt wie die Faust aufs Auge! Mir jedenfalls fällt bei „Deti“ genau der Typ Mann ein, den ich hier kennen lerne: ein nettes, harmloses, liebenswürdiges Wesen, bar jeden Args, voller menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten, so frei jeglicher, nerviger Supermannqualitäten, dass man ihm auf Augenhöhe begegnen kann. Dass er dennoch über nicht unbeträchtliche Ermittlerqualitäten verfügt, stellt er in „Maimorde“ durchaus unter Beweis, wenn auch auf seine eigene, skurrile Weise und nicht ohne die eine oder andere Blessur davonzutragen. Zunächst einmal stolpert er – und das scheint ihm öfter zuzustoßen – über die Leiche des Gynäkologen Brandt, eines gar unsympathischen Zeitgenossen, der sein offensichtlich mangelndes Selbstwertgefühl durch ständige Affären mit seinem weiblichen Personal aufpolieren möchte um sie, wenn die Frauen Forderungen zu stellen beginnen, mit einer netten Summe loszuwerden und vor allem zum Schweigen zu bringen.
Julia, die Angetraute dieses Widerlings – übrigens nicht seine erste! - macht sich über den Charakter ihres Mannes keine Illusionen, schließlich kennt sie seine Masche, war sie doch dereinst selber bei ihm angestellt, hat ihn aber, cleverer als all die vielen Nebenbuhlerinnen, die sich geradezu anstellen, um von dem weder physisch noch charakterlich anziehenden Doktor vernascht zu werden, festgenagelt, wie man so schön sagt. Seltsam, wie attraktiv seine Profession respektive das Geld, das man damit verdient, doch immer noch für viele Angehörige des weiblichen Geschlechts zu sein scheint...
Aber bleiben wir bei der schönen Julia, Liebhaberin von Luxus, Botox und Silikon, denn von ihr führt der Weg direkt in medias res, in anderen Worten, zu der Frau, die im Mittelpunkt der gar erschröcklichen Geschichte steht und deren Psychogramm Frau Godau vor dem mitfühlenden, gelegentlich auch unverständig staunenden Leser entwickelt. Melanie heißt sie, ist Julias Freundin, wie man lesen kann – aber da scheint es gravierende Missinterpretationen des Begriffs Freundschaft zu geben, was sogar Menke auffällt, der Julia, mit der er in der Vergangenheit einmal eine Nacht verbracht hat ( wer nicht, fragt man sich, nachdem man die Gynäkologenwitwe etwas näher kennengelernt hat...), passenderweise ins Gesicht sagt, dass wer so eine Freundin hat, keine Feinde braucht! Wie wahr! Melanie ist, wie sich herausstellt, selbst ihre eigene größte Feindin...
Wir lernen besagte Frau, inzwischen um die 40, zu einem Zeitpunkt kennen, an dem sie nach langen Jahren des Psychoterrors, den sie sich, einst erfolgreiche Juristin und auf dem besten Wege Karriere zu machen, von ihrem Ehemann Roger, ebenfalls Jurist, wobei es treffender ist zu sagen, dass er von Beruf rückgratloser Sohn ist, und dessen bösartiger Mutter gefallen ließ, als sie schon längst nicht mehr rational zu denken imstande ist. Der Alkohol, in den sie sich aufgrund des Drucks von Seiten Rogers und der Schwiegermutter, doch endlich „den Erben“ zur Welt zu bringen, geflüchtet hatte, hat sein Übriges getan. Der Kreislauf von Verzweiflung, Versagen und Alkohol war nicht mehr zu durchbrechen. Wehret den Anfängen? Ja, das ist sicherlich richtig, genauso wie es unverständlich ist, wie eine junge, vermutlich kluge und erfolgreiche Frau unsrer Tage sich auf eine solche Art erniedrigen lassen konnte, wie sie zum willfährigen Instrument in den Händen von zwei krassen Egoisten ohne Mitgefühl hatte werden können. Doch wer weiß schon, welche – unbewusst – erlernten Mechanismen uns antreiben....
Wie auch immer, Melanie hätte allen Grund gehabt, den Doktor ohne Ethik und Moral zu beseitigen, nachdem der eine – oh Wunder nach all den Jahren der vergeblichen Mühen und Strapazen! - Schwangerschaft Melanies bestätigt, sie gleichzeitig aber warnt, dass das Kind, dessen Vater, wie er sich leicht ausrechnen kann, bestimmt nicht Roger ist, aufgrund des jahrelangen Alkoholmissbrauchs behindert sein könnte. Sie weiß, dass sie sich auf die Diskretion des Mannes ihrer „besten Freundin“ Julia keinesfalls verlassen kann – was läge also näher, als ihm das unwerte Lebenslicht auszublasen? Zumal sie längst ihre Rachepläne, Roger und dem Schwiegermonster zugedacht, geschmiedet hat. Finstere Pläne, einem kranken, nicht mehr logisch denkendem Geist zuzuschreiben.
Nun, jetzt kommen erst einmal die Ermittler ins Spiel, sprich die Kripo Ludwigshafen, in Person von Menkes Freundin Tabea und deren Kollegen Sandmann, letzterer einer der wenigen sympathischen Charaktere in der garstigen Geschichte! Menke selbstverständlich schwirrt auch herum, hat ihn doch Julia kurzerhand auf dem folgenschweren Geburtstagsempfang des Melanie-Ehemannes Roger rekrutiert, um Beweise für die Untreue des Gatten zu sammeln, der ihr den aufwändigen Lebensstil ermöglicht, in dem sie ihre Erfüllung sieht!
Und von nun an wird es turbulent, immer wieder aufs Neue überraschend, gar skurril und komödienhaft, was allein Menke geschuldet ist, der tapsig gemeinsam mit Dackel Alli, seinem ständigen Begleiter, nach allen Seiten ermittelt, misstrauisch und unwillig beäugt von der ihm gegenüber sehr nörgelig auftretenden Tabea, der eigentlichen Ermittlerin im Falle Brandt.
Als dann noch kurz hintereinander zwei weitere Morde geschehen, denn sowohl die böse Schwiegermutter als auch deren nicht ganz so böser, aber leider Gottes stark dünkelbehafteter Ehemann dürfen endlich ihrem Schöpfer gegenüberstehen, scheint die Sache klar für den Leser, der ja schließlich die Geschichte wechselweise aus Menkes und aus Melanies Sicht verfolgt: Melanie war's! Ist Amok gelaufen – wer kann es ihr verdenken? Einen Helfer hatte sie auch: den sehr simpel gestrickten Krankenpfleger und Kindsvater Björn, der für Melanie, die er zur Märtyrerin hochstilisiert, einfach alles tun würde!
Doch so einfach ist die Sache nicht, denn wir haben es hier ganz sicher nicht mit einem Standardkrimi zu tun! Wie ich ihn aber einordnen soll, weiß ich nicht, ob als Provokation, als rabenschwarze Krimikomödie oder als ernstgemeinte, wenn auch überspitzte Kritik an Angehörigen eines gewissen Standes – oder etwas ganz anderes. Ich denke, das sollte jeder für sich selbst definieren. Habe ich mich amüsiert? Nicht wirklich! Vielmehr habe ich mich, voller Unverständnis für die Handlungsweise der Protagonistin und somit nicht fähig, Empathie zu empfinden, über Melanie geärgert, die nicht nur ihr selbstbestimmtes Leben – freilich durch die Mitwirkung der Familie, in die sie blauäugig hineingeheiratet hat – sondern auch ihren Willen aufgegeben und sich auf eine Weise hat degradieren lassen, für die ich mich als ihre Geschlechtsgenossin schäme. Darüber hinaus kann ich mich nicht anfreunden mit einem Ende, das gar keines ist, das offen gelassen wurde, so wie ich den Roman gelesen habe, beziehungsweise das mit einem sehr unwahrscheinlichen Geständnis aufwartet, das der Wahrheit nicht entsprechen kann. Unverständlich, dass die Polizei sich damit zufrieden gibt oder es einfach hinnimmt, obwohl sie weiß, dass es so nicht gewesen sein kann – einfach, um den nervigen Fall, in dem gelogen wurde, dass sich die Balken bogen, ad acta legen zu können. Nun ja, man kann eben nicht alles haben. Dennoch – ein wenig mehr Menke und viel weniger Melanie, Julia, Roger und Co. hätte dem Krimi sicherlich nicht zum Nachteil gereicht....