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Veröffentlicht am 15.09.2021

Beeindruckendes Romanporträt einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war

Vor Frauen wird gewarnt
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Im Jahr 1951, vor nunmehr 70 Jahren, wurde Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ (im Englischen Original „Danger from Deer“, denn tatsächlich schrieb die Österreicherin, die mit ihrer Familie 1932 ...

Im Jahr 1951, vor nunmehr 70 Jahren, wurde Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ (im Englischen Original „Danger from Deer“, denn tatsächlich schrieb die Österreicherin, die mit ihrer Familie 1932 in die Vereinigten Staaten auswanderte, ab den Vierziger Jahren ihre Bücher nur noch auf Englisch) erstveröffentlicht. Heidi Rehn wandelte den Titel ab und nannte ihr Buch, das sich mit Vicki Baums Weg zum Erfolg zwischen den Jahren 1926 und 1931 beschäftigt, „Vor Frauen wird gewarnt“. Ein gar treffender Name für diesen Roman, denn die seinerzeit vielgelesene Autorin war eine ganz und gar ungewöhnliche Frau, in keiner Weise dem Frauenbild der damaligen Zeit entsprechend und somit durchaus eine Bedrohung für Männer - nicht nur in der Geschäftswelt -, für die Frauen ausschließlich die Rolle der treusorgenden Hausfrau und Mutter zu spielen hatten.
Selbstbewusst, unabhängig, zielstrebig machte sie sich 1926 auf den Weg aus der Provinzstadt Mannheim, in der ihr Mann Musikdirektor und erster Kapellmeister war, in die pulsierende Großstadt Berlin, dem Ruf des Verlagshauses Ullstein folgend, das ihr versprach, sie zur meistgelesenen Schriftstellerin ihrer Zeit aufzubauen. Die Sorge für die beiden noch sehr jungen Söhne überließ sie ihrem Mann Hans und zwei zuverlässigen Hausangestellten (skandalös für die meisten ihrer Zeitgenossen!) - um fortan eine geräumige Wohnung ganz für sich im Grunewald im 'Dachjuchhe' einer herrschaftlichen Villa zu bewohnen, frei, voller Neugierde und Lebenslust.
Gebannt verfolgt der Leser, aber wahrscheinlich eher die Leserin, Vickis erste Schritte sowohl im Ullsteinhaus als auch in ihrem neuen Leben in der Stadt, die in den wilden Zwanzigern ihre einzigartige Blütezeit erlebte, in der man sich amüsierte und genoss, was immer es zu genießen gab, die Nacht zum Tage machte, gerade so, als gäbe es kein morgen.
Hervorragend gelingt es der Autorin, diese Zeit auferstehen zu lassen, ihre besondere Atmosphäre einzufangen, dem Leser, beziehungsweise der Leserin, das Gefühl zu vermitteln, dabeizusein, mittendrin, in all dem Trubel, mit Vicki ins Berliner Nachtleben, auch das 'verruchte', einzutauchen, mit ihr zu tanzen bis zum Umfallen und einen Huch von der bedingungslosen Lebensfreude zu verspüren, die die Menschen damals, zwischen zwei verheerenden Weltkriegen, beseelte. Fast als würde man den kommenden Weltensturm ahnen, der Europa schon bald in Schutt und Asche legen würde....
Spannend zu lesen ist darüber hinaus die Entwicklung von Vicki Baums Karriere beim Ullstein-Verlag. Heidi Rehn gibt so interessante wie vielsagende Einblicke in die – männliche – Hierarchie des Verlages, die Art und Weise, wie solche Unternehmen arbeiten, wie Zeitungen gemacht, Autoren lanciert und auch wieder abgeschoben wurden, und wie es Vicki Baum mit Fleiß, Geschick und Können schaffte, sich in einer Männerwelt und trotz ihrer damals schon über 40 Lebensjahre – ein Fakt, den nicht nur Vicki selbst, sondern auch ihre Freundinnen, die sie unter den Kollegen rasch fand, immer wieder thematisierte, was ich ein wenig ermüdend fand – nicht nur zu behaupten, sondern auch durchzusetzen, auf ihre besondere Art!
Zudem werden wir Leserinnen Zeugen der Entstehung ihres damals für großes Aufsehen sorgenden Romans „Stud. Chem. Helene Willfüer“, in dem sie, ihrer Zeit weit voraus, Themen anschnitt, die, gelinde gesagt, heikel waren und für die die Zeit eigentlich noch nicht reif war. Entsprechend schwer taten sich die Verlagschefs auch mit der Veröffentlichung des Romans um eine, wie Vicki selbst, selbstbewusste junge Frau, die – hierin anders als Vicki – nicht nur einen Universitätsabschluss macht, sondern auch noch eine alleinerziehende Mutter ist. Dieses Buch, wie auch alle anderen Bücher der Schriftstellerin, wird nur wenige Jahre später der Bücherverbrennung der 'braunen Brut' zum Opfer fallen, genauso, wie die Autorin lange Jahre hierzulande bedauerlicherweise in Vergessenheit geraten wird.
Doch dies ist nicht Gegenstand von Heidi Rehns Romanbiographie, die an dem Punkt endet, da Vicki Baum ihren größten Triumph feiert: internationale Anerkennung mit dem beeindruckenden Buch „Menschen im Hotel“, zeitlos in seiner entlarvenden Studie der Menschen und ihrer Verhaltensmuster, das Vorlage war für den gleichnamigen berühmten Hollywoodfilm mit den damaligen Superstars Greta Garbo und den Barrymore-Brüdern. Dies nahm die österreichische Schriftstellerin jüdischer Herkunft zum Anlass, den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu tun und mit ihrer Familie in die sie mit offenen Armen empfangenden USA auszuwandern – ein glücklicher Entschluss, denn er kam gerade zur rechten Zeit....
Überhaupt bestand, so wie ich den hier zu besprechenden Roman lese, Vicki Baums Leben aus vielen glücklichen Zufällen, wobei – Vicki überließ eigentlich wenig dem Zufall, das entsprach nicht ihrem Naturell! Sie wusste, was sie wollte, was sie konnte und wie die Ziele zu erreichen waren, die sie sich gesteckt hatte. Eine egozentrische Karrierefrau, so könnte man meinen. Doch gewährt Heidi Rehn immer wieder auch einen Blick auf die andere Seite der Vicki Baum, die sich zwar für einige Jahre von der Familie getrennt hatte, um sich selbst zu verwirklichen, wie man heute so schön sagt, doch waren Mann und Söhne ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Teil ihres Lebens und sie nutzte jede Gelegenheit, Zeit mit der Familie zu verbringen. Von einer 'freien Beziehung' ist in dem Roman oft die Rede – sehr modern für die 20er Jahre und sicherlich auch heute noch ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. Erstaunlicherweise aber funktionierte dieses Konzept anscheinend im Falle von Vicki und ihrem Mann. Nie verloren sie sich, immer standen sie einander zur Seite, bis zu Vickis Tod im Jahre 1960, wie man dem lesenswerten Nachwort entnehmen kann.
Offensichtlich sehr gründliche Recherchen hat die Autorin für ihren Roman rund um Vicki Baum gemacht, hierin kann ich dem Klappentext nur zustimmen. Aber - „Vor Frauen wird gewarnt“ ist in erster Linie ein Roman und als solcher immer subjektiv! Fiktion trifft Realität, vermischt sich mit ihr und kreiert etwas ganz Eigenes, ja, auch etwas Neues. Wie auch immer es in der realen Vicki Baum, eigentlich Hedwig Baum, geschiedene Prels, wiederverheiratete Lert, aussah, weiß nur sie selbst und allenfalls die enge Familie. Aber so, wie Heidi Rehn sie sieht und in ihrem Roman geschildert hat, könnte sie durchaus der Wahrheit sehr nahe gekommen sein. Von primärer Bedeutung ist das nicht, was zählt ist vielmehr, dass Rehn ihre Leserinnen die Bekanntschaft machen lässt mit einer so begabten wie disziplinierten und durchsetzungsfähigen, dabei aber auch an sich zweifelnden Frau, auf deren Werke unverdienterweise ein wenig abschätzig herabgeblickt wird, die einstmals von den Nationalsozialisten als 'Asphaltliteratur' verfemt wurden, und die sich selber einmal als 'erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte' bezeichnet hat – vielleicht mit dieser ironischen Bemerkung ihe Verletztheit über das Belächeln, die Geringschätzung ihre Werke durch die Kritikerpäpste ihrer Zeit überspielend.
Für mich ist sie eine hervorragende Autorin von exzellent geschriebener Unterhaltungsliteratur (in keinem anderen Land wird, soweit mir bekannt ist, so geringschätzig herabgeblickt auf dieses Genre, in keinem anderen Land auch macht man ein solches Gewese um den Unterschied zwischen Belletristik und Literatur), an der sich der Großteil der heutigen Schreiberlinge, die nicht mal eine ordentliche deutsche Orthographie beherrschen, ein Beispiel nehmen sollte! Es lohnt sich allemal, Vicki Baums Romane zu lesen, auch und gerade heute – und Heidi Rehns mit, so will mir scheinen, Leidenschaft und Hingabe geschriebene Romanbiographie könnte durchaus ein Anstoß dazu sein!

Veröffentlicht am 14.09.2021

Auf Loretta und die Freunde ist Verlass

Ein Männlein liegt im Walde
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Kevin heißt das Männlein aus dem Buchtitel, ist Angies Lebensgefährte und Ernährer und liegt nun mausetot im Regen, erstochen! Neben ihm liegt noch jemand, Dennis, Besitzer eines Callcenters und mit Loretta ...

Kevin heißt das Männlein aus dem Buchtitel, ist Angies Lebensgefährte und Ernährer und liegt nun mausetot im Regen, erstochen! Neben ihm liegt noch jemand, Dennis, Besitzer eines Callcenters und mit Loretta Luchs verbandelt – bewusstlos! Kevin und Dennis also, Träger zweier vorurteilsbehafteter Vornamen. Nomen est Omen? Bei Kevin schon, so ist zu mutmaßen, während Dennis ein rundum netter und anständiger Kerl ist, der seine wilde Jugend erfolgreich hinter sich gelassen hat, wenn man mal absieht von seiner speziellen Art sich zu kleiden. Aber zu seinem Mungo Jerry Look steht er, seriös ist er in seinem Innern, flippig-abgefahren nach außen.
Ganz und gar nicht seriös aber ist die bereits erwähnte, stinkfaule Angie, Mutter der genauso stinkfaulen Miriam, die, wie sie meint, vor der ganz großen Karriere als Influencerin steht, in seliger Unkenntnis der Tatsache, dass für eine solche ohne Fleiß kein Blumentopf zu gewinnen ist. Und Miriam wiederum ist die Freundin, besser die von ihm so genannte 'Bitch' eines gewissen TocTocSeven, Möchtegern Gangsta-Rapper und erwiesenermaßen eine talentfreie Hohlbirne, wie Lorettas Freundin Diana ihn treffend einstuft. Kevin war der dauerbekifften, extrem arbeitsscheuen, selbsternannten Buddhistin Angie und ihrer nichtsnutzigen Tochter, die er zur Arbeit motivieren wollte, ein zunehmendes Ärgernis – und daher wurde ein perfider Plan geschmiedet, ihn über die Wupper zu wuchten, um mal frei im schlagfertigen Jargon zu bleiben, dessen sich die Geschichte befleißigt, was ihr sehr gut zu Gesicht steht. Ein Plan, der den arbeitsamen, gutmütigen Dennis involvierte, denn dem wurde Miriam als Tochter untergeschoben. Dennis und eben jene Angie, die auch damals schon ein egozentrischer Blutsauger war, der nichts anbrennen ließ, nämlich, hatten zu Hippiezeiten auf Ibiza eine Affäre, deren Resultat die Tagediebin Miriam ist. Sein soll! Angeblich!
Dass Dennis, erstmal völlig erschlagen von der vermeintlichen Tatsache, Vater zu sein, nur Mittel zum Zweck ist, der darauf gerichtet ist, Kevin zu beseitigen, merkt er allerdings erst, als die durchtriebene Angie gemeinsam mit der hirnfreien Tochter bei der Polizei zu Protokoll gibt, dass Dennis versucht hätte, sie zurückzugewinnen und ihm daher Kevin im Weg gewesen wäre. Ein Motiv, das die ermittelnde Polizei, genauer gesagt Kommissarin Küpper ('die Kobra'), als schwerwiegend genug ansieht, um den freundlichen Callcenter-Chef, der doch in Wirklichkeit nur seine Loretta und seine puscheligen Zwergseidenhühnchen liebt, in Untersuchungshaft zu nehmen.
Loretta ist am Boden zerstört, besinnt sich dann aber auf die beachtlichen detektivischen Qualitäten, über die sie verfügt, wie man im Laufe der Lektüre erfährt und von denen man sich auch selbst überzeugen kann. Und dann – wozu hat man denn Freunde, allzeit hilfsbereit, immer zur Stelle? Also mobilisiert sie Frank und Bärbel, Erwin und Doris – und ruft Okko aus dem hohen Norden, seines Zeichens versierter Anwalt und Ehemann ihrer besten Freundin Diana, herbei, um Dennis rechtlich zu vertreten und ihn so schnell wie möglich zu ihr zurückzubringen. Denn dass Dennis das Bauernopfer in einem dreist-bösartigen Komplott ist, ist sonnenklar! Jetzt gilt es, die garstige Angie und ihre Helfershelfer zu überführen, was nahezu aussichtslos erscheint, denn die Böse ist mit allen schmutzigen Wassern gewaschen....
Turbulent geht es zu in diesem Roman, der die Bezeichnung 'Krimödie' völlig zu Recht trägt. Ungewöhnlich ist freilich, dass der Täter beziehungsweise die Tätergruppe von Anfang an bekannt ist! Wenn man nun allerdings meint, dass der Geschichte damit ein Gutteil an Spannung genommen wird, irrt man sich gewaltig! Selbst diejenigen unter den Krimifreunden, die sich gerne selbst an der Entlarvung des Übeltäters beteiligen und herumrätseln wollen, werden auf ihre Kosten kommen, freilich anders, als sie es gewohnt sind. Hier geht es nämlich nicht um das Auffinden des Drahtziehers einer kriminellen Angelegenheit sondern um dessen Überführung – und das ist so spannend wie im höchsten Maße amüsant geschrieben und lässt darüberhinaus einen Blick werfen auf die mühselige und unflexibel anmutende Polizeiarbeit, wie auf das vorgeschriebene Prozedere nach dem Fund einer Leiche und der Einlassung von Zeugen. Der gute Leumund des Beschuldigten hat, so lese ich erstaunt, keinen Aussagewert, es zählen nur Fakten, in unserer 'Krimödie' also die Tatsache, dass der ohnmächtige Dennis blutbeschmiert und mit einem Messer in der Hand neben dem toten Kevin gefunden wurde und die darauf folgende Aussage der beiden gewissenlosen Frauen. Und wenn die Beweislage hieb- und stichfest ist, gibt es für die Polizei keinen Grund, weiter zu ermitteln, anderen möglichen Spuren nachzugehen!
Was also wäre aus Dennis geworden, wenn da nicht Loretta und die Freunde, allen voran der ehemalige Polizist Erwin, gewesen wären, denen ja gar nichts übrig bleibt, als auf eigene Faust den kotelettengeschmückten Hühnerliebhaber wieder zu einer reinen Weste und damit zur Freiheit zu verhelfen? Das tun sie mit Engagement, Schwung, Einfallsreichtum und lockeren Sprüchen, im feinsten Ruhrpottslang, sobald Karate-Frank seinen Mund aufmacht – und es ist aufs Höchste unterhaltsam zu lesen! Wortwitz pur! Und einfach herrliche Charaktere – von den sympathischen bis hin zu den Übelkrähen!
Es verwundert mich und ist mir darüberhinaus ein Rätsel, warum mir die Bücher der Autorin Lotte Minck bislang noch nicht untergekommen sind, zumal, wie ich während der Lektüre herausgefunden habe, es schließlich bereits eine beachtliche Reihe von 'Krimödien' um Loretta Luchs (aka 'Hornbrillen-Girl', wie man dem Covertext entnehmen kann) gibt und in denen, so ist anzunehmen, auch Dennis, Diana, Erwin und die übrigen Freunde eine Rolle spielen. Aber dieses Versäumnis kann und wird behoben werden, denn es lohnt sich allemal, die Begegnung mit einer derart sympathischen, witzigen, schlagfertigen, herrlich normalen und das Herz auf dem rechten Fleck habenden Bande nicht eine einmalige sein zu lassen, sondern im Gegenteil die Bekanntschaft zu intensivieren!

Veröffentlicht am 13.09.2021

Von Astrologen, Esoterikern und anderen Wirrköpfen

Der Himmel über Nordfriesland
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Regionalkrimis! Die einen lieben sie und vergessen nie, das ihnen unvermeidlich anhaften müssende 'Lokalkolorit' (so recht weiß ich nie, wie man das messen kann) zu preisen, die anderen verspotten sie ...

Regionalkrimis! Die einen lieben sie und vergessen nie, das ihnen unvermeidlich anhaften müssende 'Lokalkolorit' (so recht weiß ich nie, wie man das messen kann) zu preisen, die anderen verspotten sie als 'Cosy Crimes', also als im Grunde harmlose Kriminalgeschichten, ohne Spannung oder gar Action, in heimeliger Umgebung, in denen es Amateuren zufällt, die jeweiligen Fälle, auch eher harmloser, auf jeden Fall wenig spektakulärer Natur, zu lösen, wobei ihnen für gewöhnlich Freund Zufall, so unglaubwürdig, weil an den Haaren herbeigezogen, er auch ist, zu Hilfe eilt.
Den an dieser Stelle zu besprechenden, als Küstenkrimi apostrophierten Roman in diese so oberflächlich charakterisierte Kategorie pressen zu wollen, muss unweigerlich schiefgehen! Wir haben es hier mit einem handfesten Krimi zu tun, der zwar so, wie er angelegt ist, nirgendwo sonst spielen kann als an der Nordsee, dem aber gottseidank jegliche angestrengte Bemühung um das unbestimmbare, reichlich vage 'Lokalkolorit' abgeht, der entschieden nicht von harmlos-naiven Figuren bevölkert wird, in keiner Weise beschaulich ist, dessen Handlung eine so interessante wie höchst ungewöhnliche und gewiss kontroverse Thematik zugrunde liegt und mit einem komplizierten Fall aufwartet, dessen Aufklärung in den Händen von Profis, nämlich zwei Kriminalbeamten, liegt.
Und jene beiden Ermittler, Gustav Hilgersen und Waldemar Flottmann, letzterer ehemals Leiter der Bonner Mordkommission, aber, des erhofften ruhigeren Lebens wegen, zur Husumer Polizei gewechselt, sind Dreh- und Angelpunkt, oder treffender Herz und Seele auch dieses fünften Bandes einer Reihe, deren Protagonisten eben die beiden zuvor Erwähnten, 'Gustl' und 'Waldi', sind. Und in der Tat, ihr hintersinnig-spöttischer, liebevoll-frotzelnder verbaler Schlagabtausch ist das, was dem sich hier entfaltenden skurrilen Geschehen, das in einem Mord gipfeln wird, die Härte, die Beklemmung, die Düsternis nimmt, eine Balance schafft zu dem Ausnahmezustand, den ein Verbrechen, welcher Art auch immer, stets darstellt. Die beiden Kommissare sind einander zugetan, der eine kann sich auf den anderen verlassen, selbstverständlich, ohne dies besonders betonen zu müssen. 'Wie ein altes Ehepaar' sagt Flottmann so treffend an einer Stelle.
Gegensätzliche Charaktere sind sie freilich! Während Flottmann ein Skeptiker ist, ganz und gar dem Rationalen anhaftend, ein Pragmatiker, hält Hilgersen es durchaus für möglich, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die mit dem Verstand nicht zu erklären sind, hat er ein Faible für paranormale Geschehnisse und ist auch für Astrologie durchaus empfänglich.
Genau darum dreht sich denn auch die Handlung unseres Küstenkrimis! Wir werden mit vermeintlich übernatürlichen Phänomenen konfrontiert, wie einem aus dem Nichts und über Nacht entstandenen, für Aufruhr sorgenden und auf großes Medieninteresse stoßenden Kornkreis, einen auf geheinmisvolle Weise geleerten Löschteich, mysteriösem Glockengeläut aus dem Meer, das eine alte Legende zu bestätigen scheint, Stimmen aus dem Nichts, das eine Gruppe junger Leute in einem Bunker aufnimmt, zu dem sie sich verbotenerweise Zutritt verschafft haben, treffen auf wenig seriöse, verantwortungslose Astrologinnen, die einer dafür empfänglichen Kundenschar weismachen wollen, dass ihr Schicksal in den Sternen liegt, dass nur diese ihnen den Weg durchs Leben weisen können, auf Esoteriker, Handleser, das Pendel rotieren lassende Fehlgeleitete, denen mehr als nur eine Latte am Zaun fehlt, und machen darüberhinaus auch die Bekanntschaft mit einem seriösen Wissenschaftler, der Flottmann – und somit auch uns Lesern – eine so verständliche wie faszinierende Einführung in die Astronomie gibt und gleichzeitig den Sinn und Unsinn der so konträren Schwesterdisziplin Astrologie entlarvt – die eine junge, seelisch angeknackste Frau in den Tod getrieben hat.
Und nun endlich bin ich in medias res angelangt! Da gibt es nämlich jemanden, der es auf Astrologinnen abgesehen hat, sie entführt, im Watt einbuddelt, das Gesicht wie zum Hohn dem sie angeblich leitenden Sternenhimmel zugewandt – womit man den Titel des Krimis deuten könnte - , und sie der Flut und dem sicheren Tod überlässt! Diesen Unbekannten gilt es zu finden und dingfest zu machen, bevor sein mörderischer Plan aufgeht, bevor er sein Ziel erreicht hat. Eine unmöglich scheinende Aufgabe, solange sowohl das Motiv als auch die Identität des Mörders im Dunkeln liegen.
Doch wer zweifelt daran, dass Hilgersen und Flottmann auf ihre bedächtige Art den wohl ungewöhnlichsten, vielleicht auch dramatischsten Fall ihrer bisherigen Zusammenarbeit in einem spannenden Finale aufklären werden? Da sie keine Superdetektive a la Sherlock Holmes sind, die von leuchtenden Geistesblitzen heimgesucht werden und die Verbrechen quasi im Vorübergehen mit der linken Hand lösen, darf ihnen ruhig gelegentlich der Zufall zu Hilfe kommen, in Gestalt etwa des genialen, wenn auch sehr speziellen Leon Gerber, der Dinge hören und spüren kann, die Normalsterbliche nicht wahrnehmen, oder eines falschen Zuges des Täters selbst, eines im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlichen, zum Äußersten entschlossenen Psychopathen.
Summa summarum: Ich habe hier einen wirklich guten, vielschichtigen, abwechslungsreichen Krimi gelesen! Es gibt nichts, was ich daran auszusetzen hätte, keinerlei Ungereimtheiten, nichts an den Haaren Herbeigezogenes – es stimmte einfach alles! Ein Ermittlerduo, das mir mit seinen oft ironischen Dialogen Freude gemacht hat, ein ungewöhnlicher, spannender Fall, auf einem Thema aufgebaut, das ich sowohl faszinierend (Astronomie) als auch verwunderlich (Astrologie, Esoterik) finde, Figuren, die nicht nur vernünftige, alltägliche Namen tragen, sondern überaus lebendig sind, fragwürdig, gefährlich, liebenswürdig, ein wenig spinnert oder gar völlig überkandidelt, aber alle glaubwürdig in den Rollen, die ihnen zugedacht sind. Ein von mir als insgesamt ruhig und unaufgeregt empfundener, aber dem zum Trotz in einem spannenden Finale gipfelnder Krimi ohne blutige Szenen, dafür aber zum Nachdenken anregend – und dies nicht nur über Sinn und Unsinn der Astrologie! Fürwahr, lieber Autor, eine solche Bücherserie muss man einfach weiterführen!

Veröffentlicht am 12.09.2021

Wellnessurlaub mit Leiche

Frau Maier macht Dampf
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Wo Frau Maier (ohne Vorname, wenigstens will sie diesen nicht preisgeben) hinkommt, findet sich alsbald auch eine Leiche ein! Das wissen all diejenigen Leser, die der in die Jahre gekommenen, etwas rundlichen ...

Wo Frau Maier (ohne Vorname, wenigstens will sie diesen nicht preisgeben) hinkommt, findet sich alsbald auch eine Leiche ein! Das wissen all diejenigen Leser, die der in die Jahre gekommenen, etwas rundlichen Dame aus Kauzing, Besitzerin eines urgemütlichen kleinen Hauses am See und einer schwarzen Katze, ebenfalls ohne Namen (gegen die scheint Frau Maier grundsätzlich etwas zu haben), bereits in den vier Vorgängerbänden begegnet sind. Und denen, die sie noch nicht kennen, wird das sehr bald und auf gewohnt vergnügliche Art und Weise klar werden! Etwas eigentümlich ist sie schon, die bodenständige Frau, für die es nichts Schöneres gibt als den Ort, an dem sie lebt und den sie eigentlich um nichts in der Welt verlassen möchte. „Home is where the heart is“, so denkt sie sich immer wieder und Elvis Presleys Lied begleitet sie durch den unterhaltsamen fünften Band der Krimireihe von Jessica Kremser, denn da treffen wir sie anstatt an ihrem geliebten See in einem Wellnesshotel in der Steiermark an.
Frau Maier und Wellness? So recht scheint das nicht zu passen, und am skeptischsten ist die patente Protagonistin mit dem ausgeprägten Eigenwillen selber. Und ungehalten ist sie, über sich selbst ärgerlich, weil sie sich diesen Wellnessurlaub von ihrer Bekannten Elfriede, die beinahe schon eine Freundin ist (auch mit diesem Begriff tut sich die kauzige Heimatverbundene schwer), hat aufschwatzen lassen. Ein Gewinn war er – und sowas darf man nicht verfallen lassen, selbst wenn man sich das Handgelenk gebrochen hat, meint die resolute Leiterin der Sparkasse in Kauzing. Und solchen Argumenten hat Frau Maier, finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet, nichts entgegenzusetzen! Zudem deutet die Elfriede etwas von dunklen Machenschaften und einem verschwundenen Hoteldirektor in Frau Maiers künftigem Erholungsdomizil, dem Steirischen Hof an – und da wird die Gute doch aufmerksam und neugierig! Sie hat eben einen sechsten Sinn für Verbrechen aller Art und schnüffelt für ihr Leben gern in verdächtigen Angelegenheiten herum, die eigentlich Sache der Polizei sind (zu der Frau Maier kein sonderliches Vertrauen hat), – wie sie auch in dieser Geschichte unter Beweis stellen wird, denn in der Tat dauert es nicht lange, bis sie im Wellnesshotel, in dem sie sich zuerst recht fehl am Platz fühlt, allmählich aber doch all die Annehmlichkeiten zu schätzen lernt, die es bietet und sie weidlich ausnutzt, nicht nur auf ungewöhnliche Vorgänge und ebensolches Verhalten einiger Angestellter stößt, sondern – wie kann es anders sein? - des Nachts die Leiche des Hotelbuchhalters in dem von ihr als 'Kannibalenkochtopf' getauften Whirlpool findet.
Doch das ist erst der Anfang, denn Frau Maiers Neugierde bleibt nicht unbemerkt von denen, die etwas zu verbergen haben, etwas Schändliches, das niemals das Licht des Tages erblicken sollte. Flugs gerät sie von einer brenzligen Situation in die nächste und schließlich gar in höchste Lebensgefahr! Und wäre da nicht der Hotelgast Wolfgang Woitschak – Woitschi! - gewesen, der in mehrfacher Hinsicht ein Auge auf die entschlossene Hobbydetektivin geworfen hatte, dann hätte diese womöglich ihr Haus, ihren See, ihre Katze und nicht zuletzt den netten Nachbarn Andreas, dem sie mehr als nur Sympathien entgegenbringt, nie mehr wiedergesehen....
In der Tat, auch der fünfte Band um die sympathische, durchaus spezielle Frau Maier, nicht gerade ein Ausbund an Freundlichkeit - womit sie aber nur ihr gutes Herz und auch ihre Verletzlichkeit verbergen möchte -, die eigentlich ihr beschauliches, wenngleich auch einsames Leben, worüber sie oft traurig ist, durch nichts auf der Welt eintauschen möchte, auch nicht gegen einen noch so schönen Urlaub, ist so liebenswert, wie er spannend und abwechslungsreich ist. Und dass die Autorin eine gewisse Vorliebe für Wellnessurlaube hat, kann sie auch nicht verleugnen! Selbst diejenigen, die sich aus Aufenthalten in den Verwöhnoasen nichts machen, könnten in Versuchung geraten, wenn sie gemeinsam mit der Protagonistin die Tagesroutine in einer solchen Einrichtung langsam kennen- und schätzen lernen. Wenn Frau Maier sich zögernden Schrittes auf ihr unbekanntes Terrain begibt, sich zuerst in den Whirlpool – wir erinnern uns: den, in dem der tote Buchhalter ruhte! - unterm Sternenhimmel wagt, dann ganz berauscht ist vom warmen, wirbelnden Wasser und am liebsten gar nicht mehr herausklettern würde, und später sogar in die Sauna vordringt und richtig Gefallen daran findet, dann würde gar mancher Leser sicher gerne und sofort mit ihr tauschen.
Also ja, die besondere Atmosphäre eines Wellnesshotels wird wunderbar eingefangen in diesem netten Vertreter des Cosy Crime – sieht man einmal ab von den merkwürdigen Vorkommnissen, die in aufregendem Gegensatz stehen zu dem Frieden und der Entspannung, die die Gäste dort zu finden hoffen. Aber wie Frau Maier weiß – das Verbrechen lauert überall und macht auch vor Inseln der Ruhe und der Erholung nicht Halt! Damit aber all das wieder einkehren kann, ist es auf jeden Fall ihre Aufgabe, darin Agatha Christies berühmter Miss Marple nicht unähnlich, es zu bekämpfen, bevor sie sich wieder auf den Heimweg macht zur Katze, dem Haus, dem See – und Andreas. Denn getreu nach Elvis: „Home is where the heart is“...

Veröffentlicht am 11.09.2021

Lügen werfen lange Schatten

Ziemlich turbulente Zeiten
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Der Titel verspricht in der Tat nicht zu viel, denn turbulent geht es zu in diesem leichten, trotz der vielen, freilich harmlosen Verwicklungen, unbeschwerten Roman. Die rechte Lektüre für Regentage, denn ...

Der Titel verspricht in der Tat nicht zu viel, denn turbulent geht es zu in diesem leichten, trotz der vielen, freilich harmlosen Verwicklungen, unbeschwerten Roman. Die rechte Lektüre für Regentage, denn er zaubert südliche Sonne und mehr als nur einen Hauch von Fröhlichkeit in den grauen Alltag, lässt darüberhinaus Sehnsüchte wachsen nach Bella Italia oder, wie die Italiener selbst ihr wunderschönes Land nennen, dem Bel Paese. Denn dort, genauer gesagt in der Toskana, noch präziser auf einer Art Bio-Bauernhof, der exquisite kulinarische Produkte vermarktet, spielt ein Großteil der Geschichte voller kleiner Geheimnisse, noch kleinerer Lügereien, Missverständnissen am laufenden Band und einer Vielzahl hausgemachter Problemchen, die überhaupt die Ursache sind für das sich immer mehr verknotende Durcheinander, das sich, wie könnte es bei dieser Art von Roman auch anders sein, am Ende natürlich in Wohlgefallen auflöst. So wie im wahren Leben? Schön ware es... Derartige Happy Ends aber gibt es leider nur in Romanen, möchte ich behaupten. Und genau da gehören sie auch hin, gaukeln dem Leser eine Zeitlang eine beruhigende, heile Welt vor und lenken von den Widrigkeiten des eigenen Lebens ab. Somit haben sie ihren Zweck erfüllt.
Wenn man den vorliegenden Roman unter dieser Prämisse liest, was man vorzugsweise dann tun sollte, wenn man dringend eine kleinere oder größere Aufmunterung braucht, kann er sogar so etwas wie eine Lebenshilfe sein, es geht einem danach besser – man kann ja auch imaginäre Sonne tanken! Hat man allerdings selber ernsthafte Probleme, vor denen keiner gefeit ist, dann kann das, was man in „Ziemlich turbulente Zeiten“ vorgesetzt bekommt, worüber sich also die Protagonistin Ilona, die gleichzeitig die Ich-Erzählerin ist, grämt und was ihre beiden Busenfreundinnen Anna und Zoe, die einander offensichtlich auch die intimsten Geheimnisse anvertrauen (befremdlich!), umtreibt, schon für Verwunderung und auch Ungehaltensein sorgen.
Alle drei Frauen haben keinerlei finanzielle Probleme, die eine ist sogar so wohlhabend, dass sie sich jeden Wunsch auf der Stelle erfüllen kann (die Kapverdischen Inseln warten schon und eben mal in die Toskana düsen – kein Ding!), ihr Privatleben ist alles andere als desolat, die eine, Anna, mit den perfekten Töchtern gesegnet, steht kurz vor ihrer zweiten Vermählung, die beiden anderen sind Single, würden diesen Zustand aber gerne ändern, was zumindest bei der Ich-Erzählerin genau darauf hinauslaufen wird. Letztere hat jedoch noch ein Problem, womit sich wiederum viele Leserinnen (wir haben es hier selbstredend mit einem ausgesprochenen Frauenbuch zu tun) identifiziern können und mehr oder minder stark darunter leiden. Ilona also bringt ein paar Kilo zuviel auf die Waage! Eine 'Katastrophe' für unzählige junge Frauen, die sich für unattraktiv oder gar hässlich halten, wenn sie nicht so aussehen wie das Hungerhakenartige, das man ihnen tagtäglich im Fernsehen und in den sozialen Medien als Schönheitsideal vorsetzt. Aber für eine über 50jährige? Dazu noch eine mit Delikatessenladen und einem Faible fürs Kochen? Hm! Ein Problemchen Marke Eigenbau, fürwahr! Das aber, und dies ist ein netter Aspekt des Romans von Angelika Schwarzhuber, sich ganz allmählich in Luft auflöst. Mit Hilfe der beiden Freundinnen, wobei die gewöhnungsbedürftige Zahnärztin Zoe eher zu Schocktherapien neigt mit ihren unverblümten Bemerkungen, die sie gelegentlich besser hinunterschlucken sollte, - und vor allem dank der Zuneigung des Mannes, der sich in sie verliebt und der sie genauso nimmt, wie sie ist, nachdem alle Missverständnisse aufgeklärt sind, die Ilona höchstselbst verursacht hat durch das Vorgeben falscher Tatsachen (jung, schön, sportlich, anstatt mittleren Alters, durchschnittlich es Aussehen, vollschlank), kleine Flunkereien, gegen die der Traumprinz allerdings allergisch ist.
Mehr zum Inhalt soll hier aber nicht preisgegeben werden; was die Leserinnen erwartet, können sie dem sehr aussagekräftigen Klappentext entnehmen. Und dann – Buch aufschlagen und hinein ins Vergnügen! Das umso größer ist, wenn man sich einfach hineinziehen lässt in das Geschehen, nicht zuviel nachdenkt über das, was man da liest, nicht zu kritisch ist, was die Handlung selbst und die Protagonisten und ihre Eigenarten, sowie weitere stereotype Figuren anbelangt. Zumal die Autorin unzweifelhaft eine flotte und amüsante Art des Schreibens und Erzählens hat, wobei ich persönlich mich immer mal wieder gestört habe an gewissen, sich wiederholenden Wörtern und Ausdrücken, die mich auch im 'wahren Leben' nerven, wenn zum Beispiel der hohe Grad einer Eigenschaft, eines Adjektivs, mit 'total' gekennzeichnet wird – genutzt von allen handelnden Personen übrigens -, oder wenn es mit dem manchmal bemüht anmutenden Wortwitz übertrieben wird. Aber nun, das sind Kleinigkeiten, vielleicht Spitzfindigkeiten, das Lesevergnügen, das natürlich auch ich mit dem Buch hatte, konnten sie nicht nachhaltig trüben!