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Veröffentlicht am 06.12.2023

Fleischlose Rebellin

Die Vegetarierin
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Yong-Hye, eine junge Südkoreanerin, isst plötzlich kein Fleisch mehr. Ihr Ehemann und ihre Familie reagieren mit völligem Unverständnis. Was soll das? Die zuvor unauffällige und angepasste Frau wird zum ...

Yong-Hye, eine junge Südkoreanerin, isst plötzlich kein Fleisch mehr. Ihr Ehemann und ihre Familie reagieren mit völligem Unverständnis. Was soll das? Die zuvor unauffällige und angepasste Frau wird zum Störfaktor in ihrer Umgebung. Yong-Hye wird immer dünner und für ihren Mann immer unattraktiver, verstehen kann er sie ohnehin nicht. In ihrem Schwager weckt sie jedoch Begierden.

Mit ihrer Weigerung Fleisch zu sich zu nehmen, wird Yong-Hye zur Rebellin, bis zur letzten Konsequenz. Einzig ihre Schwester versteht sie und das auch erst am Ende des Romans. Für mich eine eher verstörende Leseerfahrung. Gefallen hat mir, dass sich Yong-Hye quasi zur Pflanze entwickelt und mit ihrem Vegetarismus eine Gesellschaftskritik betreibt, indem sie aus ihrer Angepasstheit heraustritt. Das schmale Büchlein mit gerade einmal 190 Seiten ist, auch wegen des Schreibstils, schnell gelesen, lässt einen aber mit Fragen zurück.

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Veröffentlicht am 13.11.2023

Extrem und verstörend

Das Seidenraupenzimmer
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Ich weiß gar nicht, was ich erwartet hatte, aber dies nicht. Das verspielte Cover und der Klappentext lassen eher an eine romantische Liebesgeschichte denken und der Beginn ließ mich ganz - aber nur ganz ...

Ich weiß gar nicht, was ich erwartet hatte, aber dies nicht. Das verspielte Cover und der Klappentext lassen eher an eine romantische Liebesgeschichte denken und der Beginn ließ mich ganz - aber nur ganz kurz - an eine Art japanische Version von "Der Sommer, als ich schön wurde" denken.

Yuki ist eine Außenseiterin, obwohl sie es allen nur recht machen will. Sie verbündet sich in den Sommerferien auf dem Land mit ihrem Cousin Yu, in dem sie einen Vertrauten findet, der ihre Fantasien nicht nur teilt, sondern auch beflügelt. Ihr Stofftier Pyut, eine weiße Maus, ist ein Abgesandter des Planeten Pohapipinpopopia und Yuki selbst ein Magical Girl mit einer verzauberten Puderdose und einem Zauberstab. Als Yuki zehn oder elf Jahre alt ist, "heiraten" die beiden auf dem Friedhof und wollen sich lieben, bis ein Raumschiff kommt und Yu abholt. Im nächsten Sommer ist alles anders. Yuki wurde das Opfer eines Missbrauchs. Ihre Fantasien weiten sich aus und sie möchte unbedingt mit Yu intim werden. Die beiden werden von der Familie überrascht. Erst als Yuki 34 Jahre alt ist, sieht sie Yu wieder.

Zunächst fand ich die Geschichte faszinierend, wie sich ein Mädchen in eine Fantasiewelt flüchtet, um den strengen und ungerechten Eltern und ihrer älteren Schwester zu entkommen. Deutlich wird eine Kritik an der japanischen Gesellschaft geübt. Nicht von ungefähr fürchtet sich Yuki vor der "Fabrik", vor der Gehirnwäsche und der Reduktion auf die Produktion von Nachkommen, die wieder als Arbeiter:innen in die Fabrik gehen. Der Missbrauch nimmt einen großen Teil der Geschichte ein und unterstreicht Yukis Hilflosigkeit. Im zweiten Teil wird die Handlung jedoch extrem verstörend und zieht gleichzeitig die Verbindung zum Titel. Es erfolgt eine Einkapselung und eine Verpuppung im Haus auf dem Land, die mich ratlos zurückgelassen hat. Die extreme, mitunter brutale Handlung wird durch die kindliche Sprache der Ich-Erzählerin Yuki ad absurdum geführt, erscheint in Yukis Augen völlig normal. Ein Roman, der sicherlich die Gemüter bewegt und die Leserschaft spaltet.

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Veröffentlicht am 20.09.2023

Bücher und Menschen

Tage des Lesens
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Mit Textsammlungen ist es immer so eine Sache, manche Auszüge gefallen einem sehr, andere weniger.

Dieses Büchlein beginnt mit einem Textauszug von Marcel Proust "Tage des Lesens" oder eher dem Versuch ...

Mit Textsammlungen ist es immer so eine Sache, manche Auszüge gefallen einem sehr, andere weniger.

Dieses Büchlein beginnt mit einem Textauszug von Marcel Proust "Tage des Lesens" oder eher dem Versuch zu lesen, wenn einen die anderen denn lassen würden. Das kennt Ihr bestimmt auch. Es wird gesagt: "Lies doch ruhig was." Und tut man es dann: "Lass Dich nicht stören." Und dann geht's erst richtig los und man kommt natürlich nicht zum Lesen. Da hab ich mich sofort wiedererkannt und empfand es als einen sehr schönen Einstieg in das Buch. Dann folgt ein Auszug aus einem meiner Lieblingsbücher "Ein Baum wächst in Brooklyn". Es gibt eine wunderschöne Kurzgeschichte von Claire Beyer, die hat mich irgendwie auf dem falschen bzw. richtigen Fuß erwischt hat und ich hatte Tränen in den Augen. Es gibt noch Bezüge zu (der von mir sehr geliebten) Agatha Christie und zur brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector, von der ich schon zwei Bücher und eine Biografie besitze - alles noch nicht gelesen. Aus dem mir bereits bekannten "Anton Reiser" gibt es eine Passage und sehr gefallen hat mir auch der Auszug aus "Das Papierhaus" von Domínguez. Diese Erzählung werde ich mir noch kaufen.

Insgesamt sind viele wirklich schöne Geschichten rund um das Lesen und Bücher hier versammelt. Ich habe immer mal wieder ein paar Texte gelesen und es hat mir Freude gemacht. Die für mich nicht so interessanten Auszüge waren in der Unterzahl.

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Veröffentlicht am 29.06.2023

Sommerferien in der Weimarer Republik

Schloß Gripsholm / Rheinsberg
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Das passt ja wunderbar zum Beginn der großen Ferien: In den beiden Erzählungen von Kurt Tucholsky macht sich jeweils ein (unverheiratetes!) Paar auf den Weg in die Sommerfrische. Rheinsberg (1921) erscheint ...

Das passt ja wunderbar zum Beginn der großen Ferien: In den beiden Erzählungen von Kurt Tucholsky macht sich jeweils ein (unverheiratetes!) Paar auf den Weg in die Sommerfrische. Rheinsberg (1921) erscheint mir dabei wie ein "Versuch", wesentlich kürzer und nicht so ausgereift wie "Schloß Gripsholm" (1931). Auch der Aufenthalt der Liebenden weitet sich aus, in Rheinsberg ist es nur ein Wochenende, in Gripsholm mehrere Wochen.

Kurt/Peter/Daddy und die um einiges jüngere Sekretärin Lydia/die Prinzessin finden nach einigem hin und her im schwedischen Schoß Gripsholm eine Unterkunft. In die Idylle aus Sonne, Trägheit und verbalem Geplänkel bricht zunächst Karl, ein alter Freund von Kurt/Peter/Daddy, ein und nach dessen Abreise die liebreizende Billie, eine Freundin von Lydia. Dann gilt es noch ein kleines Mädchen aus den Klauen einer wirklich bösen Kinderheimleiterin zu befreien.

"Gripsholm" beginnt sehr charmant, mit einem (fiktiven) Briefwechsel zwischen Tucholsky und dem Verleger Ernst Rowohlt, der sich von dem Autor eine leichte, ein wenig frivole Sommererzählung wünscht. Lydia schnackt bevorzugt platt, was einerseits recht humorig ist, sie aber andererseits manchmal auch etwas "schlicht" dastehen läßt. Auch wenn es im Roman heißt, dass es "kein bäurisches Platt" sei (S. 15). Dass Kurt/Peter/Daddy die Prinzessin oft mit "Alte" anredet, klingt natürlich heute etwas despektierlich. Sei's drum. Es gibt mehr oder weniger versteckte Andeutungen zum politischen Zeitgeschehen und sicherlich auch einige Anspielungen, die ohne vertieftes Hintergrundwissen an mir vorbeigerauscht sind. In Rheinsberg wird die Protagonistin Claire ebenfalls mit einer sprachlichen Auffälligkeit ausgestattet, was der Erzähler mit einem kindlichen Idiom gleichsetzt, obwohl Claire offenbar Medizinerin ist.

Beide Texte lesen sich sehr leicht, witzig, sprachlich intelligent und man meint selbst auf einer sommerlichen Wiese zu sitzen oder eine Bootsfahrt zu unternehmen. Die Wirkung, die die Erzählungen damals hatten, lässt sich auf die heutigen Leser*innen nicht mehr so gut übertragen. Allein, dass die Paare unverheiratet verreist sind, war ja ein Skandal und dazu wird auch recht unverblümt angedeutet, was ausser Bootsfahrten noch so passiert. Das treibt heute niemandem mehr die Röte ins Gesicht. Als literarisches Kontrastprogramm zum tristen und für viele entbehrungsreichen Alltag in der Weimarer Republik waren die Texte sicherlich sehr willkommen.

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Veröffentlicht am 20.03.2023

Von Ostfriesland nach Paris

Der Traum vom Leben
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Luise ist 1,86 m groß, füttert morgens um kurz nach fünf die Kühe auf dem elterlichen Hof und fährt dann mit dem Rad zum Frisörladen von Gitte, in dem sie arbeitet. In ihrem kleinen Dorf in Ostfriesland ...

Luise ist 1,86 m groß, füttert morgens um kurz nach fünf die Kühe auf dem elterlichen Hof und fährt dann mit dem Rad zum Frisörladen von Gitte, in dem sie arbeitet. In ihrem kleinen Dorf in Ostfriesland ist es Anfang der 1990er Jahre noch recht beschaulich. Größter Aufreger sind die geplanten Windräder auf dem Acker des Nachbarn. Als Luise jedoch in Bremerhaven eine Platzierung beim Preisfrisieren erreicht, wird jemand auf sie und ihr Talent aufmerksam. Udo Hammer, ein bekannte Coiffeur, will sie als seine Assistentin mit nach Paris zu den Prét-à-porter-Shows nehmen. Und tatsächlich verläßt Luise den kleinen Hof in Ostfriesland, um sich für eine Woche in ein Abenteuer zu stürzen und um eine Liebe zu vergessen.

Katharina Fuchs beschreibt das Dorf und den Hof in Ostfriesland ebenso detailfreudig, wie das schillernde Paris 1992/93, als die Supermodels alle Laufstege beherrschten und so bekannt waren wie Popstars. Es werden poppige und glamouröse Frisuren, Kleider und Shows der großen Designer beschrieben; das Nachtleben von Paris und die Arbeit von Modelagenturen. Überall begegnet Luise den weltbekannten Covergirls und Modeschöpfern. Dieser Einblick in die Model- und Designerwelt ist wirklich sehr interessant und lebendig, eine richtige Zeitreise. Die Geschichte liest sich wie ein modernes Aschenputtelmärchen und der Schreibstil der Autorin ist wunderbar flüssig und bildreich. Für die Einstimmung auf die Protagonisten hat sich Katharina Fuchs viel Zeit gelassen und das ist prima gelungen, so hatte man als Leserin eine sehr gute Vorstellung, wer da jetzt im Mercedes von Udo Hammer sitzt und mit nach Paris fährt. Aber gerade weil man Luise gut kennt, ging mir ihre Verwandlung dann doch etwas zu schnell. Besonders schwierig fand ich den Umgang mit der Sprachbarriere. In wenigen Tagen sein Schulenglisch derart aufpolieren zu können und sogar kleine Unterhaltungen in Französisch zu führen und Gehörtes wiedergeben zu können, fand ich schon sehr erstaunlich. In Paris scheint Luise ein ganz anderer Mensch zu sein. Scheinbar mühelos bewegt sie sich in dieser für sie absolut fremden Welt.

Ingesamt ein schöner Schmöker, der in einer wunderbaren Stadt und zu einer interessanten Zeit spielt. Und wenn man den Aspekt Märchen im Auge behält, kann man über die Logiklöcher hinwegsehen. Den Roman habe ich gerne gelesen, er konnte mich allerdings nicht so packen wie z.B. Lebenssekunden, der wirklich mitreißend war.

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