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Veröffentlicht am 03.11.2023

SATC in den 1950ern

Das Beste von allem
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Manhatten 1952: Caroline Bender startet ihr Berufsleben in einem New Yorker Verlagshaus. Fabian Publications wird ebenso ihr Zuhause, wie das von zahllosen anderen jungen Frauen - fünfmal in der Woche ...

Manhatten 1952: Caroline Bender startet ihr Berufsleben in einem New Yorker Verlagshaus. Fabian Publications wird ebenso ihr Zuhause, wie das von zahllosen anderen jungen Frauen - fünfmal in der Woche von 9.00 bis 17.00 Uhr. Eigentlich ist es eher eine Warteschleife, denn das erklärte Ziel der allermeisten Mitarbeiterinnen ist die Heirat mit einem schmucken jungen Mann.

Über drei Jahre verfolgen wir das Schicksal von fünf jungen New Yorkerinnen, die alle nur glücklich sein wollen. Im Trubel der Stadt, zwischen Dates, Weihnachtsfeiern, übergriffigen Chefs, winziges Apartments, Affären und reichlich Alkohol, versuchen sie den Kopf über Wasser zu halten.

Die Autorin veröffentlichte das Buch mit 26 Jahren und beschreibt darin auch ihre eigenen Erlebnisse, zudem hat sie mit 50 Frauen Interviews geführt und nach deren Erfahrungen in der Arbeitswelt gefragt. Herausgekommen ist ein Stück Gesellschaftsgeschichte in Romanform. Wir tauchen tief ein in das New York der damaligen Zeit, in die Arbeitswelt - geprägt von Männern, in der Frauen in den meisten Fällen nicht nur unterschätzt, sondern kaum geachtet werden - und das Gefühlsleben der Protagonistinnen, das ebenfalls vom Wohl und Wollen der Männer abhängt. Rona Jaffe schreibt detailliert, daher gibt es durchaus Längen in diesem Roman. Allerdings hat er mich insgesamt sehr gut unterhalten, auch wenn die Rolle der Frau in der Gesellschaft schon recht häufig Grund zum lauten Schreien gegeben hat. Besonders die Figur der Caroline reflektiert aber auch über die traditionellen Wünsche der Frauen, ob die Erfüllung des eigenen Lebens in einer Heirat zu suchen sei.

Eine sehr interessante Lektüre mit viel New York Flair und einem spannenden Nachwort der Autorin.

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Veröffentlicht am 29.10.2023

Hier wird auch nur mit Wasser gekocht

Into the Water - Traue keinem. Auch nicht dir selbst.
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Beckford ist bekannt für seinen Fluss und eine besondere Stelle in ihm, die der Drowning Pool genannt wird. Dort wurden schon vor Jahrhunderten Frauen mittels der Hexenprobe ertränkt. Jetzt ist dort Danielle ...

Beckford ist bekannt für seinen Fluss und eine besondere Stelle in ihm, die der Drowning Pool genannt wird. Dort wurden schon vor Jahrhunderten Frauen mittels der Hexenprobe ertränkt. Jetzt ist dort Danielle Abbott - angeblich - in den Tod gesprungen. Sie hat sich intensiv mit den Geschichten der toten Frauen, die im Pool ihren Tod fanden, beschäftigt. Nach 15 Jahren kehrt Nels Schwester Julia nun zurück zu ihrer Nichte Lena, die sie noch nie gesehen hat. Julia kommt nicht gerne nach Beckford, denn sie wäre als Jugendliche fast selbst im Fluss ertrunken.

Das klang so gut und hatte so viel Potential. Eine Dorfgemeinschaft, die irgendwelche Geheimnisse hütet. Eine Frau, die nach langer Zeit wieder in ihr Elternhaus zurückkehrt, mit ganz viel Jugendtraumata im Gepäck und ein undurchsichtiger Todesfall.

Leider, leider hat mich das Buch überhaupt nicht gepackt. Ich habe ewig gebraucht, um es durchzulesen und war zwischendrin kurz davor, es abzubrechen. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektive von - Moment, ich muss kurz nachzählen - vierzehn (!) Personen erzählt. Ich mag ja multiperspektivische Geschichten, aber bis ich hier alle Personen sortiert hatte, musste ich erst das halbe Buch lesen. Das war einfach zu viel des Guten. Auch der Spannungsbogen war für mich gar nicht vorhanden, das plätscherte so vor sich hin, ich weiß auch nicht. Aber es steht ja auch Roman auf dem Umschlag, nicht Krimi oder Thriller. Da bin ich wahrscheinlich dem Cover-Bild auf dem Leim gegangen. Mir hatte schon "Girl on the train" nicht hundertprozentig gefallen, aber von diesem Buch war ich enttäuscht. Da passte es dann auch, dass das Ende ehe farblos war. Schade.

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Veröffentlicht am 21.10.2023

Die Psychiatrie als Großfamilie

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
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Der siebenjährige Josse, eigentlich Joachim, entdeckt auf dem Schulweg im Kleingartenverein einen toten Rentner. Mit dieser frohen Kunde erhofft er sich in seiner Klasse einen tollen Auftritt. So stolpern ...

Der siebenjährige Josse, eigentlich Joachim, entdeckt auf dem Schulweg im Kleingartenverein einen toten Rentner. Mit dieser frohen Kunde erhofft er sich in seiner Klasse einen tollen Auftritt. So stolpern wir in das Leben von Joachim, das skurriler nicht sein könnte. Sein Vater ist der Leiter einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Nähe von Schleswig mit über 1.000 "Gästen" und unzähligen Gebäuden, dazu gehört auch das Wohnhaus der Familie, mitten auf dem Gelände. Josse ist tagtäglich umzingelt von Personen mit ganz besonderen Eigenschaften, die ihm teilweise so vertraut sind, wie die eigene Familie. Die beiden älteren Brüder, die kaum mehr als Spott und Häme für ihn übrig haben, der Mutter, die alles wuppt und innerlich so viel Kummer trägt und dem imposanten Vater, der sein Leben außerhalb des Dirketorendaseins lesend in seinem Sessel verbringt - von gelegentlichen, völlig überzogenen Aktivitätsversuchen abgesehen.

Meyerhoff schreibt unglaublich witzig über diesen autobiografischen Alltag, über das Erwachsenwerden zwischen dem beruhigenden Gebrüll der "Gäste". Sein Schreibstil ist voller ungewöhnlicher, überraschender Kombinationen von Adjektiven und Substantiven und Neuwortschöpfungen; ich musste so oft laut lachen. Auch die scheinbar absurdeste Situation wird in völliger Ernsthaftigkeit aus der Sicht eines Kindes dargestellt. Mich hat das total angesprochen. Die episodenhafte Darstellung hat schon mal zu Kritik an diesem Buch geführt, es gäbe keinen roten Faden. Das habe ich so nicht empfunden, denn die Geschichte von Josse und seiner Familie wird fortlaufend erzählt, in Episoden, dennoch ist deutlich eine Linie zu erkennen. Da reihen sich denkwürdige Ereignisse aneinander. Einige meiner Highlights waren: Der Glöckner, Der große Klare aus dem Norden (völlig missratener Besuch von Ministerpräsident Dr. Gerhard Stoltenberg), Der Segelschein, Schneekastrophe (habe ich auch miterlebt) und natürlich Blutsbrüder (mit dem geliebten Familienhund).

Bei aller Komik macht sich Meyerhoff über seine Figuren nicht lustig. Er durchschaut sie, sieht auch hinter die Fassade, besonders bei den Eltern, deren Lebensgemeinschaft alles andere als harmonisch verläuft. Im Zentrum steht die Beziehung zum Vater, den Josse über alles liebt und den er doch bis zum Ende nicht richtig kennenlernt. Der tote Rentner zu Beginn des Buches ist bereits ein Hinweis darauf, dass es auch Verluste im Leben von Josse geben wird, nicht wenige und unglaublich schmerzlich. Der Roman hat mich sehr gut unterhalten, es flossen Tränen vor Lachen und vor Traurigkeit.


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Veröffentlicht am 09.10.2023

Bergsteiger und Bildhauer nähern sich dem Himmel

Den Himmel finden
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Schon seit einem Jahr sucht der Pfarrer nach einem Bildhauer, der die lebensgroße Darstellung des gekreuzigten Jesus in seiner Kirche in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt, d.h. den Lendenschurz ...

Schon seit einem Jahr sucht der Pfarrer nach einem Bildhauer, der die lebensgroße Darstellung des gekreuzigten Jesus in seiner Kirche in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt, d.h. den Lendenschurz entfernt. Da klopft eines Tages ein etwa 60-jähriger Mann aus einem kleinen Bergdorf an seine Tür, der auf der Suche nach Arbeit ist. Kleine Reparaturen an Skulpturen, vielfach in Kirchen, sind eines seiner vielen Talente, aber er ist kein professioneller Bildhauer; vor dem Krieg war er Bergsteiger. Schließlich nimmt er den Auftrag an und nähert sich der Statue auf höchst ungewöhnliche Weise. Immer wieder wird er von Zweifeln geplagt, als er jedoch die Verhüllung vorsichtig entfernt hat, gibt es kein zurück mehr. Er muss nun die Nacktheit darstellen.

Dieser Zufallsfund vom Wühltisch hat mich wegen des Covers und des ungewöhnlichen Klappentextes angesprochen; der in Italien sehr bekannte Autor war mir bisher nicht geläufig. Das war mal wieder ein richtiger Glücksfund. Was für ein schönes Büchlein. Der Bildhauer, der ebenso wie alle anderen Figuren im Roman namenlos bleibt, erzählt aus der Ich-Perspektive. Die respektvolle, fast ehrfürchtige Kontaktaufnahme mit dem Gekreuzigten, mit dem Kunstwerk eines anderen, bereits verstorbenen Bildhauers, ist außergewöhnlich dargestellt. Er geht bis zur Schmerzgrenze, will die Situation so gut wie möglich nachempfinden, um der Darstellung gerecht zu werden - von Körper zu Körper. Indem der Mann die Statue regelrecht erforscht, wie er auch die Berge erforscht hat, nähert er sich ebenso der Religion an. Durch den Kontakt zu einem Rabbiner und einem algerischer Moslem, zieht er über den Gekreuzigten geschickt Verbindungslinien von einer Region zur anderen. Er, der vorher keinen Kontakt zur Religion hatte, steht jetzt im Zentrum von drei Religionen.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Eine klare Sprache, kurze Sätze und eine wirklich ungewöhnliche Geschichte, die von Religion, Philosophie und Menschlichkeit handelt.

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Veröffentlicht am 30.09.2023

Das unangepasste Kind

Brüderchen
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In den Cevennen, dem südöstlichsten Teil des französischen Zentralmassivs, lebt eine Familie abgeschieden auf einem alten Hof. Teile der Gebäudeanlage sollen noch aus dem Mittelalter stammen und deswegen ...

In den Cevennen, dem südöstlichsten Teil des französischen Zentralmassivs, lebt eine Familie abgeschieden auf einem alten Hof. Teile der Gebäudeanlage sollen noch aus dem Mittelalter stammen und deswegen können die rötlichen Steine im Hof die Geschichte des unangepassten Kindes und seiner Geschwister am besten erzählen. Die Steine sehen alles und "stehen auf der Seite der Kinder" (S. 10), auf sie richtet sich ihr Blick. Folglich wird auch die Geschichte jeweils aus der Sicht eines der Geschwisterkinder erzählt.

Als das unangepasste Kind geboren wird, verändert sich für jedes Familienmitglied spürbar das eigene Leben. Wie die Geschwister mit dieser Herausforderung umgehen, ist einfach unglaublich schön und teilweise tieftraurig beschrieben. Die Autorin findet ganz wunderbare Worte, um in die Gefühlswelten der Figuren einzutauchen. Die karge, ursprüngliche und dennoch berauschende Landschaft spielt ebenso eine große Rolle im Roman und wird auf poetische Weise auf dem Papier zum Leben erweckt.

Mich hat diese Geschichte mit gerade einmal 174 Seiten zu Tränen gerührt und ich kann sie einfach nur weiterempfehlen. Trotz des ernsten und auch traurigen Themas wirkt der Roman insgesamt einfach nur sanft, leise und liebevoll und gleichzeitig ist es ein beeindruckendes und intensives Leseerlebnis. Während die Familie auf ihrem alten Hof und in den Bergen fest verortet ist, bleiben alle Personen namenlos. Was einerseits Distanz schafft, andererseits aber auch Raum läßt, damit die Figuren ganz nahe heranrücken können.

"Wenn man ein Kind hat, dem es schlecht geht, muss man ein Auge auf die Geschwister haben." (S. 94)

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