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Veröffentlicht am 17.11.2016

Deutliche Längen

Kind 44
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Leo Demidow hat im zweiten Weltkrieg gut gedient. Nach Kriegsende tritt er beim MGB ein und steigt dort rasch auf. Er ist ein fähiger Offizier, der Aufträge nicht lange hinterfragt sondern sie präzise ...

Leo Demidow hat im zweiten Weltkrieg gut gedient. Nach Kriegsende tritt er beim MGB ein und steigt dort rasch auf. Er ist ein fähiger Offizier, der Aufträge nicht lange hinterfragt sondern sie präzise und gnadenlos ausführt. Staatsfeinde werden zur Rechenschaft gezogen und ihrer gerechten Strafe zugeführt. Dass diese gerecht ist, davon ist Leo überzeugt. Für das höhere Ziel verschließt er die Augen und erlaubt sich weder Ethik noch Moral.

Als er schließlich einem untergeordneten Kameraden ausreden soll, dass dessen Sohn ermordet wurde, obwohl alle Indizien darauf hindeuten, beginnt sein fester Glaube in die Staatsweisheit erste Risse zu bekommen.

Bei einer weiteren Verhaftung, sieht Leo dann doch genauer hin und erkennt, die vermeintliche Unschuld des „Staatsfeindes“. Immer stärker hinterfragt er die Ziele und Vorgehensweisen des MGB.

Alles kippt schließlich, als Leo beauftragt wird, seine eigene Frau zu beschatten und schließlich der Spionage zu überführen…

Kind 44 ist der erste Teil einer dreiteiligen Thriller-Reihe von Tom Rob Smith. Wir begleiten den Protagonisten Leo und seine Frau Raisa auf ihrem Lebensweg in Russland unter Stalin.

Die Wirtschaftskraft wird vorangetrieben und ihr zugrunde liegt ein sehr eingeschränkter Kodex des Vertrauens in den Übervater Stalin, der keine Widerworte duldet und selbst das geringste Vergehen mit Verbannung oder Tod ahndet.

Der Held Leo kommt gar nicht so heldenhaft herüber, eher ist er ein Mensch, der versucht nicht aufzufallen und möglichst ungesehen die Karriereleiter hinauf zu klettern. Erst als ihm sämtliche Vergünstigungen und Annehmlichkeiten abgeschnitten werden, beginnt er eine eigene Meinung zu entwickeln und lernt zu dieser auch zu stehen.

Kind 44 besticht durch ausführliche Charakterzeichnung der ProtagonistInnen, leider krankt es an derselben für den Antagonisten.

Die überdeutlichen Längen im Buch werden unglücklicherweise nicht durch wechselnde Schauplätze oder das Einbringen einer anderen Perspektive aufgebrochen und somit gerät, der flüchtige Leser vor allem im Mittelteil leicht ins Stocken.

Insgesamt verdient „Kind 44“ eher den Titel „Kriminalroman da auf allzu blutige Szenen zumeist verzichtet wird.

Gelungen ist der düstere und beklemmende Plot, der den Protagonisten im Lauf des Buchs zu einem und zu einem einzigen Ausweg führen.

Für hartgesottene LeserInnen, die auch bei Längen dran bleiben.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Berührend

Aller Anfang fällt vom Himmel
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Korbinian glaubt alles im Griff zu haben. Nach dem Tod seiner Frau, hat er sich aus dem gesellschaftlichen Leben gänzlich zurückgezogen. Er ist ein geschätzter Kollege an seiner Arbeitsstelle, hält sich ...

Korbinian glaubt alles im Griff zu haben. Nach dem Tod seiner Frau, hat er sich aus dem gesellschaftlichen Leben gänzlich zurückgezogen. Er ist ein geschätzter Kollege an seiner Arbeitsstelle, hält sich aber grundsätzlich von Menschen fern.

Eines Abends stolpert er fast über eine minderjährige Obdachlose und kauft ihr in einem Anfall von Mitleid ein paar Sandwiches. Das schwer erkältete, fiebrige Mädchen folgt ihm nach Hause. Von der Situation überfordert, nimmt er Kontakt zu seiner Schwester auf, die er ebenfalls seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hat und so gelangt plötzlich eines zum anderen.

Ein bitterer Einzelgänger, ein Mädchen, das ihr Leben noch vor sich hat, aber zu scheitern droht und eine Kleinunternehmerin in der Krise, stehen vor der Wahl, sich alleine ihren Dämonen zu stellen, oder gemeinsam sie vielleicht ein für allemal zu vertreiben.

Drei mehr oder wenig sympathische ProtagonistInnen werden von Veronika Peters in einen stimmungsvollen Eintopf geworfen. Der eigenbrötlerische Korbinian zeigt seinen wahren Charakter erst im Verlauf des Buches und es kann passieren, dass er mitunter unterschätzt wird. Gerade diesen raffinierten Aufbau des Charakters verdankt das Buch einen seiner besonderen Reize.

Billa gibt nicht alles von sich Preis, sie ist aber ein glaubhaftes junges Mädchen, an der Schwelle zur Erwachsenen, mit all ihren Problemen, Wünschen und Hoffnungen. Peters stellt glaubhaft dar, mit welcher Naivität ganz junge Menschen ihre ersten selbstständigen Schritte in ein eigenständiges Leben machen.

Emilia schließlich ist Korbinians‘ Schwester. Das eigene Leben scheint entgleist, dennoch setzt sie sich mit all ihrer Kraft und Leidenschaft für ihren Bruder und das fremde Mädchen ein und wird bald zum wichtigen Bindeglied zwischen den beiden.

Veronika Peters‘ Roman besticht durch leise Zwischentöne, er benötigt keinen Paukenschlag um Spannung aufzubauen oder Dynamik in die Geschichte zu bringen. Allein das Plätschern des Lebens ist genug um die LeserInnen für viele Stunden zu fesseln und sie schließlich berührt und hoffnungsfroh in ihren Alltag wieder zu entlassen.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Großartiges Finale

Die Bestimmung - Letzte Entscheidung
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Die Fraktionen sind zerfallen, Tris‘ Heimat liegt im Chaos. Die Fraktionslosen schließen sich zusammen und greifen unter Fours‘ Mutter Evelyn nach der Macht. Allerdings sind nicht alle von der Veränderung ...

Die Fraktionen sind zerfallen, Tris‘ Heimat liegt im Chaos. Die Fraktionslosen schließen sich zusammen und greifen unter Fours‘ Mutter Evelyn nach der Macht. Allerdings sind nicht alle von der Veränderung in der Stadt begeistert, es bilden sich Gruppen, die die Fraktionen wieder einrichten wollen.

Mitten in diesen Geschehnissen versuchen Tris und Four sich zurecht zu finden und landen in einer Mission, die sie aus der Stadt herausführen soll. Den Grenzzaun aber hinter sich gelassen, sind sie im Begriff eine Wahrheit zu erfahren, die ihr gesamtes bisheriges Leben absurd erscheinen lässt.

Mit „Letzte Entscheidung“ schließt die Trilogie um Tris und Four. Wir erleben die Geschichten von liebgewonnen Charakteren, die wir nun über drei Bücher begleiten durften und schon auf den ersten Seiten gelingt es Veronica Roth mit Leichtigkeit die LeserInnen wieder in ihr dystopisches Universum zu entführen.

Tris und Four sind nicht nur ein Liebespaar sondern auch ein disharmonisches Team. Ihr größtes Problem scheint die zu große Liebe zum jeweils anderen zu sein. Mit ihrem Bestreben den, die Andere vor Schaden zu bewahren, fügen sie einander oft Schmerz zu.

Die beiden sind ein Beispiel für gute Absichten, die wenn nicht ausgesprochen zu Katastrophen führen können und ihre verzweifelten Anstrengungen, alles richtig zu machen, begleiten wir im abschließenden Band von „Die Bestimmung“.

Roth gelingt es über drei Bände einen logischen Bogen zu spannen, der in sich schlüssig ist, und bleibt ihrem Stil und der Geschichte bis zum Ende treu.

Uneingeschränkte Leseempfehlung für alle drei Bände.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Bleibt an der Oberfläche

All die verdammt perfekten Tage
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Theodore Finch lernt Violet auf dem Glockenturm der Schule kennen. Sie starrt paralysiert in die Tiefe und er kann sie vor dem Sturz in den sicheren Tod bewahren.

Violet hat ihre Schwester erst vor einigen ...

Theodore Finch lernt Violet auf dem Glockenturm der Schule kennen. Sie starrt paralysiert in die Tiefe und er kann sie vor dem Sturz in den sicheren Tod bewahren.

Violet hat ihre Schwester erst vor einigen Monaten bei einem Verkehrsunfall verloren. Sie ist einsam, weicht Lehrern und Eltern aus, versteckt sich hinter ihrer Trauer und steuert auf die komplette Apathie zu.

Theodore kann sie überzeugen, mit ihm gemeinsam an einem Schulprojekt zu arbeiten, das sie zu entlegenen Winkeln von Indiana führt.

Violet beginnt Vertrauen in Finch, wie ihn alle nennen, zu fassen und sich wieder dem Leben zu öffnen. Mit jedem Stückchen Lebensfreude, das sie sich zurückerobert, scheint Finch jedoch genau diese Lebensfreude zu verlieren.

„All die verdammt perfekten Tage“ ist ein Jugendroman im Fahrwasser von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter, eine Liebesgeschichte zweier junger Menschen, die an der Schwelle zum Erwachsen werden stehen und drohen zu scheitern.

Finch ist ein Eigenbrödler, ein seltsamer Kauz – kurz ein richtiger Nerd. Er ist die Zielscheibe von Hohn und Spott an der Schule, scheint sich aber kaum etwas daraus zu machen. Er spielt mit unterschiedlichen Charakterzügen, so wie andere Menschen ihre Kleider wechseln. Finch hat ein schwieriges Elternhaus und ist sich oft selbst überlassen. Es mangelt ihm an Vorbildern, zu denen er aufsehen und sich orientieren kann.

Violet ist genau das Gegenteil, bis zum Tod ihrer Schwester war sie beliebt, ein Cheerleader aus einem geordneten Elternhaus. Sie gerät ins Straucheln und Theodore Finch scheint nicht unbedingt geeignet sie langfristig aus dem tiefen Loch zu befreien zu können, in dem sie seit dem Tod ihrer Schwester steckt.

Die Geschichte an sich, folgt einer nachvollziehbaren Idee. Leider springt der Funke für mich nicht so wirklich über. Finchs‘ Vergangenheit bleibt über weite Strecken im Dunkeln, was ihn tatsächlich so zerstört, finden die LeserInnen nicht heraus. Somit bleiben auch viele seiner Handlungen unverständlich.

Die zahlreichen wortschweren Zitate, die die Autorin für die Nachrichten nutzt, die Finch und Violet sich schreiben, geben dem Roman leider nicht mehr Tiefe sondern führen ihn in den Bereich der Pseudophilosophie. Es scheint, dass jedes Gespräch zwischen den ProtagonistInnen zum einzigartigen Moment hochstilisiert wird und das wirkt spätestens ab der Hälfte des Romans nur noch ermüdend.

Der Fort- und später Ausgang der Geschichte ist bald klar und kommt dann wenig überraschend daher, was auch dazu beiträgt, dass sie sich wie Kaugummi zieht.

Leider kann ich hier keine wirkliche Leseempfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Bei den Wikingern

Das letzte Königreich
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Osbert ist der zweite Sohn des Aldermanns Uhtred von Bebbanburg. Der Vater hat wenig Interesse an seinem 10-jährigen Sohn und nimmt sich seiner erst an, als der erste Sohn von den einfallenden Dänen ermordet ...

Osbert ist der zweite Sohn des Aldermanns Uhtred von Bebbanburg. Der Vater hat wenig Interesse an seinem 10-jährigen Sohn und nimmt sich seiner erst an, als der erste Sohn von den einfallenden Dänen ermordet wird.

Fortan heißt Osbert Uhtred nach seinem Vater, da er nun der Erbe Bebbanburg ist. Das Schicksal hat aber anderes mit ihm vor. Der Vater fällt in einer Schlacht gegen die Dänen und Uhtred gerät in deren Gefangenschaft.

Ragnar der Furchtlose führt die Dänen an und findet Gefallen an dem impulsiven Jungen. Er nimmt ihn auf und ist ihm ein liebevoller Vater. Der Engländer Uhtred wächst heran wird beinahe zum Dänen. Doch das Schicksal ist wie eine wankelmütige Frau…

Bernard Cornwell verarbeitet in seiner Buchreihe rund um „Uhtred Ragnarson“ die Geschichte von Alfred dem Großen, ein Herrscher in England als es noch weit entfernt war von einem geeinten Land. Wir bewegen uns in der Geschichte um 866 nach Christus und begleiten sowohl die Dänen bei ihrem Einfall als auch die Engländer, die immer weiter von der Übermacht der Dänen verdrängt werden.

Cornwell beschreibt die geschichtlichen Details mit großer Liebe zur Wahrheit, schmückt aber da und dort gerne aus, was der Geschichte insgesamt sehr gut tut. Sein Stil ist bemüht sachlich, verwöhnte LeserInnen wünschen sich da und dort vielleicht mehr Einblicke in die Beweggründe der ProtagonistInnen, der Spannung tut der trockene Schreibstil aber keinen Abbruch.

Im Gegenteil, man wird mit großer Geschwindigkeit in eine längst vergangene Zeit gerissen und lebt so mit, dass man den Braten über den Lagerfeuern meint selbst erschnuppern zu können, den Leichengestank nach einer großen Schlacht im Übrigen auch. ?

Ein fulminanter Auftakt einer Reihe, der Lust auf mehr macht.