Die Wikinger hinterließen Spuren in ganz Europa, so wurden etwa auf Rügen Schmuckstücke gefunden (Thorshammer, Armreifen), die wohl König Harald Blauzahn (die Bluetooth – Technologie mit den Runenzeichen könnte man als Hommage sehen) gehörten.
Die Netflix – Serie „The Last Kingdom“ habe ich daher sehr gerne geguckt. Da es eine Buchverfilmung ist, wollte ich unbedingt die literarische Vorlage lesen, um zu sehen, wie sich die beiden Versionen unterscheiden.
Im neunten Jahrhundert haben die Dänen fast alle englischen Königreiche (damals sprach man noch nicht von England, der Autor nennt der Einfachheit halber das Territorium in seiner Gänze so) besetzt und unterworfen, den Anfang nahm das Ganze mit der Plünderung des Klosters Lindisfarne im Jahre 793. Einzig das Königreich Wessex unter König Alfred (dem Großen) leistet noch Widerstand.
Uhtred von Bebbanburg wird, nachdem sein Bruder und Vater in der Schlacht getötet worden sind, vom Wikinger Ragnar gefangen genommen. Er muss schwere körperliche Arbeit verrichten, doch Ragnar zieht ihn und die Mitgefangene Brida wie eigene Kinder auf, und so wird der Adelsspross zu Uhtred Ragnarsson; er assimiliert sich und betet die nordischen Götter an, wobei er mit dem Volksglauben, der mit dem Christentum konkurrierte, schon in seiner Heimat Kontakt hatte, da es hieß, dass seine Familie von Wotan abstamme. Uhtred und Brida werden von den Engländern gerettet, sie selbst empfinden es als Entführung, da sie bei den Wikingern ein relativ freies Leben führten. Es geht hin und her, mal kämpft Uhtred gegen die Dänen, mal für sie. Und er scheint sich auch als Däne zu fühlen, daher fand ich seine Handlungen im Buch teils unlogisch und wankelmütig.
König Alfred möchte sich die Innenansichten des jungen Mannes zunutze machen, etwas über die Kampftechnik der Nordmänner erfahren; außerdem soll der aus Northumbria stammende Fürstensohn zum Christentum zurückfinden. Obwohl er vom Geistlichen Beocca zweimal getauft wurde, glaubt er nämlich an die heidnischen Götter und hält sein Thorshammer – Amulett in Ehren. Als Ragnar von seinem Schiffsmeister Kjartan getötet wird und man den Mord Uhtred zur Last legt, ist für den Fürstensohn klar, dass er seinen Besitz, die Ländereien und die Burg zurückholen will, was nicht so einfach ist, da sein Onkel ein Kopfgeld auf den Erben ausgesetzt hat und ihm nach dem Leben trachtet…
„Das letzte Königreich“ ist eigentlich eine Coming – Of – Age Geschichte. Der Ich – Erzähler blickt auf sein Leben zurück und lässt die Ereignisse Revue passieren. Diese Erzählperspektive lässt das Ganze authentisch wirken, denn der Autor Cornwell erzählt eine fiktive Geschichte, die sich aber an historischen Fakten orientiert, im Zentrum steht dabei die Gründung Englands. In der heutigen säkularen Zeit ist es sehr spannend zu sehen, wie wichtig der Glaube für die Menschen war. Gemäß der nordischen Mythologie glaubt der Protagonist daran, dass das Leben von schicksalhaften Ereignissen bestimmt werde. Das Christentum mit seinem monotheistischen Ansatz steht im krassen Gegensatz zum Paganismus, und so geht es im Roman auch um Glaubensfragen, wobei ich finde, dass auf die Kirche, die immerhin ein Bildungsträger war und identitätsstiftende Funktion besaß, kein gutes Licht fällt, vielleicht zu Unrecht. Der Kult um Odin wird hingegen meines Erachtens zu positiv dargestellt.
Der Autor zeigt aber auf, dass eben die Geistlichen dem Analphabetismus zu trotzen versuchten. So will etwa Pater Beocca dem Helden das Lesen beibringen. Auch König Alfred setzt auf die Alphabetisierung. Überhaupt fand ich die Figuren Alfred und Beocca fast spannender als die Hauptfigur.
Die Handlung ist von brutalen Passagen und plastischen Schlachtszenen geprägt, auch verweist der Autor für meinen Geschmack etwas zu bildlich auf Alfreds Darmbeschwerden. Positiv finde ich aber, dass es im ganzen Roman keine schwülstigen Liebesszenen gibt.
Die Geschichte ist sehr spannend, aber ich hätte mir zum Teil doch eine Straffung gewünscht. Insofern finde ich die Verfilmung fast gelungener als das Original. Andererseits finde ich es schade, dass die Figur Beocca für die Serie aufgehübscht wurde und dass Uhtred, der im Buch ein Blondschopf ist, im Film dunkelhaarig ist.
Der Roman „Das letzte Königreich“ ist in der Gesamtschau ein toller Auftakt zu einer zehnteiligen Reihe, die ich gerne zur Lektüre empfehle!