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Veröffentlicht am 24.11.2023

Jagd durch Europa und durch die Zeiten

Die Bibliothek im Nebel
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1917 muss ein Bibliothekar aus Sankt Petersburg fliehen, nachdem er in den Wirren der Revolution seine Familie verloren hat. Auf einer Fähre macht er zwei schicksalverändernde Begegnungen – mit dem Mann, ...

1917 muss ein Bibliothekar aus Sankt Petersburg fliehen, nachdem er in den Wirren der Revolution seine Familie verloren hat. Auf einer Fähre macht er zwei schicksalverändernde Begegnungen – mit dem Mann, der sein Glück zerstört hat, und einem Mann, der nicht nur sein Leben retten wird.
1928 gerät ein kleines Mädchen in große Gefahr und ahnt noch nicht, dass ihr ganzes Leben bald Kopf stehen wird.
1957 ist aus diesem Mädchen eine erwachsene Frau geworden, die sich auf Spurensuche begibt und doch selbst Geheimnisse hütet.

Erneut ist Kai Meyer ein genial konstruierter Roman gelungen, dessen große Stärke darin besteht, dass eben diese Konstruktion nicht wuchtig im Vordergrund steht. Vielmehr kann man sich ganz auf diese Geschichte mit all ihren mannigfaltigen Eindrücken, grandiosen Beschreibungen und rätselhaften Komponenten einlassen und sich ihr ganz hingeben, ehe sich nach und nach die Zusammenhänge erschließen.

Was mich aber noch mehr begeisterte als der Roman an sich war dessen meisterhafte Verflechtung mit dem Vorgängerroman „Die Bücher, der Junge und die Nacht“. Meyer selbst sagte in einer Lesung, die ich besuchen durfte, dass „Die Bibliothek im Nebel“ keine Fortsetzung sein. Wohl wahr, denn es ist soviel mehr. Motive und Orte werden aufgegriffen, umklammert und eingeflochten, Personen werden zu Brückenpfeilern für später folgende Ereignisse. Vieles erscheint nun in einem anderen Licht und nach dem Ende des Romans packt mich das starke Bedürfnis, das zuvor erschienene Buch gleich noch einmal zu lesen und auf Spurensuche zu gehen. Ich bin übrigens aus tiefstem Herzen überzeugt, dass in einem Winkel des Gartens des Montecristo irgendwo eine sehr geliebte Minze wächst.

Insgesamt fand ich das erste Buch ein klein wenig vielschichtiger und komplexer, auch was die mythischen Komponenten anbelangt. Dafür konnte das zweite Buch mit Szenen wie aus alten Horrorstreifen punkten. So schnell werde ich mich keinem Puppentheater nähern können! Ich bin wahnsinnig gespannt, welche Überraschungen das dritte Buch für uns bereithält und gebe mich der Hoffnung hin, dass dies nicht der letzte Besuch im graphischen Viertel in Leipzig und nicht die letzte Begegnung mit einem russischen Gärtner und Abenteurer war.

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Veröffentlicht am 24.11.2023

Zarte Gefühle wie ein Blatt im Herbstwind

Die Melodie von rotem Ahorn
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Die Arbeit führt Nick für einige Wochen nach Japan, doch es gibt da auch noch die familiären Wurzeln seiner verstorbenen Mutter, die diese Reise für ihn besonders machen. Seine japanische Mutter war damals ...

Die Arbeit führt Nick für einige Wochen nach Japan, doch es gibt da auch noch die familiären Wurzeln seiner verstorbenen Mutter, die diese Reise für ihn besonders machen. Seine japanische Mutter war damals von ihren Eltern verstoßen worden, als sie zu Nicks Vater nach Deutschland gegangen war. Nick reist also ohnehin mit schwerem emotionalem Gepäck an, und dann trifft sie ihn wie ein Blitz, die Begegnung mit Lisa. Die Studentin läuft ihm gleich mehrmals über den Weg, und sehr schnell wird beiden klar, dass dies kein purer Zufall sein kann. Aber wie mit dem vermeintlichen Schicksal umgehen, wenn doch die äußeren Umstände so sehr dagegen sprechen? Während Nick bereit ist, sich Hals über Kopf in den Strudel der Gefühle zu stürzen und alles Weitere auf sich zukommen zu lassen, ist Lisa gefangen in ihren Ängsten und schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit.

Für mich spiegelte sich der Handlungsort Japan nicht nur in zahlreichen Ortsbeschreibungen und Alltagserfahrungen wider, sondern auch im Erzähltempo und dem Sprachstil. Dabei nähert sich der Autor respektvoll und verständniswerbend, aber durchaus auch mit Humor der japanischen Kultur und Lebensweise an, wobei es durchaus auch kritische Betrachtungen etwa des Frauenbildes gibt. Sven Jähnel schafft es darüber hinaus, Zartheit, Sanftmut und eine gewisse Melancholie allein durch seinen Erzählstil zu transportieren und damit die Geschichte von Nick und Lisa in eine besondere Atmosphäre zu hüllen. Seine Sprache verleiht dem Roman eine ganz besondere Grundstimmung, und genau hierin liegt für mich die Magie dieser Erzählung. Besonders gut gefielen mir auch die tiefen Charaktere, denen er Ecken und Kanten, Zögern und Zweifel zugesteht. Gerade Lisas Hadern und Zaudern sorgt dafür, dass die Liebesgeschichte nicht zu süß oder gar kitschig gerät, sondern es sind überwältigende Emotionen, die beide Liebende im ersten Moment überfordern.

Für mich ein ganz wunderbarer Roman über Japan, über die Liebe und den besonderen Zauber des japanischen Herbstes.

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Veröffentlicht am 19.11.2023

Die Schlange im Paradies

Die Frauen der Kamelien-Insel
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Nachdem mich der Auftakt der Kamelieninsel-Reihe so verzaubern konnte, freute ich mich ganz besonders auf die Rückkehr in die Bretagne. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn gleich zum Einstieg in den zweiten ...

Nachdem mich der Auftakt der Kamelieninsel-Reihe so verzaubern konnte, freute ich mich ganz besonders auf die Rückkehr in die Bretagne. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn gleich zum Einstieg in den zweiten Band dürfen wir an der bretonischen Hochzeit von Sylvia und Maël teilhaben.

Doch wie es im Leben oft so ist, kommt nach dem Höhepunkt der Romantik der Alltag mit all seinen Hürden und Ernüchterungen, und so haben Sylvia und Maël auch bald alle Hände voll zu tun mit der Versteigerung der Sylviana-Kamelie, der Modernisierung der Bauten auf der Insel – und einem gänzlich unterwarteten Problem namens Chloé. Die Ex-Freundin von Maël hat eine wahre Überraschung im Gepäck, nämlich dessen angeblichen Sohn Noah, und benimmt sich fortan wie die Schlange im Kamelienparadies.

Der Roman bietet Spannung, unerwartete Wendungen und Entwicklungen sowie ausgefeilte, starke Charaktere. Vor allem zeigt Tabea Bach wieder einmal ihr enormes Talent, auf den Gefühlen ihrer Leser*innen zu spielen wie auf einem Instrument. Immer wieder staune ich, wie sehr mich ihre Romane emotional aufwühlen. Gerade die Konstellation, dass sich Chloé zwischen Maël und Sylvia und in die Abläufe der Insel drängt, hat mein Blut in Wallung versetzt, ich war wütend, litt mit Sylvia und spürte ihre Verletzungen. Oh, wie habe ich mit Maël gehadert, seinem bisweilen gedankenlosen und unsensiblen Verhalten. Aber genau darin liegt die Stärke dieser Romane, denn sie berühren und lassen beim Lesen nicht kalt. Im Gegenteil, nach einer wahnsinnig aufregenden Szene gab es einen Moment, der mich tatsächlich zu Tränen gerührt hat. Das ist es letztendlich doch, was wir uns beim Lesen wünschen, nämlich berührt zu werden, uns bewegen zu lassen. Wer sich darauf einlassen kann, wird in diesem Roman reich belohnt.

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Veröffentlicht am 17.11.2023

Frei wie ein Wildpferd

Two Lives to Rise (Breaking Waves 2)
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Die Fortsetzung der vierteiligen Reihe rund um fünf Freundinnen holt uns zurück nach Harbour Bridge. Wie bereits im Auftakt springt die Handlung zwischen der Gegenwart und den Rückblicken in ...

Die Fortsetzung der vierteiligen Reihe rund um fünf Freundinnen holt uns zurück nach Harbour Bridge. Wie bereits im Auftakt springt die Handlung zwischen der Gegenwart und den Rückblicken in die vielen gemeinsam verbrachten Sommer. Allerdings erleben wir die Geschichte dieses Mal aus der Perspektive von Isabella – und ihrem nervigen Nachbarn Preston. Der führt sich nämlich auf wie ein Heimwerker-King und stört den ganzen Tag mit Lärm und Staub, stellt Isabella den Strom und das Wasser ab und sieht dabei auch noch unverschämt gut aus. Und bald legt er den Finger in Isabellas seelische Wunden, als er die Einzelgängerin partout nicht in Frieden lässt, sondern mit seinen Provokationen aus ihrem Schneckenhaus lockt. Die Story von Isa und Preston ist so stürmisch wie der Hurrikan, der eine wichtige Rolle spiel, so ungezähmt wie die Wildpferde in den Dünen hinter den Häusern und so leidenschaftlich wie ein Ritt auf der Welle. Denn natürlich kommen auch die Surfervibes wieder nicht zu kurz.

Zusätzlich finden sich in diesem zweiten Band einige erhellende Entwicklungen, was das Rätsel rund um die verschwundene Josie betrifft. Einige Puzzleteile fallen an ihren Platz, einige Fragen können beantwortet werden. Der Perspektivwechsel innerhalb der Freundinnengruppe bietet da spannende Einsichten, denn tatsächlich werden einige Begebenheiten erzählt, die wir schon aus dem Auftaktband kannten. Damals aus der Sicht von Avery, dieses Mal aus der Sicht von Isabella, und damit wird so manches Erlebnis ganz neu bewertet und eingeordnet.

Ich kann kaum die Fortsetzung der Reihe erwarten und freue mich schon sehr, dann aus dem Blickwinkel von Odina wieder ganz neue Einsichten zu erhalten.

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Veröffentlicht am 17.11.2023

Lest mehr Klassiker!

Biblioteca Obscura: Das Bildnis des Dorian Gray
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Inspiriert von meinem Besuch in Dublin dieses Jahr habe ich mir „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde vorgenommen, und zwar in der Prachtausgabe von ArsEdition aus ihrer „Biblioteca Obscura“ in ...

Inspiriert von meinem Besuch in Dublin dieses Jahr habe ich mir „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde vorgenommen, und zwar in der Prachtausgabe von ArsEdition aus ihrer „Biblioteca Obscura“ in der Übersetzung von Meike Breitkreutz und mit Illustrationen von Marcin Minor.

Die Geschichte von Dorian Gray war mir hinlänglich bekannt, ich hatte sie zu Schulzeiten bereits gelesen. Umso erfreuter war ich über die gelungene Übersetzung von Meike Breitkreutz. Auch wenn der einzige Roman von Oscar Wilde bereits aus dem Ende des 19. Jahrhunderts stammt, liest er sich ansprechend und modern und ich würde behaupten, dass einige kritische Formulierungen zeitgemäß angepasst wurden.
Inhaltlich mag ich bei einem Klassiker nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen oder diese gar bewerten, die Handlung dürfte hinlänglich bekannt sein: Anstelle des jungen, makellosen Dorian Gray altert dessen Porträt und trägt dessen Lebensspuren. Die Geschichte ist stark geprägt von Wahn – dem Schönheitswahn, dem Opiumwahn, am Ende Dorians ausbrechendem Wahnsinn. Für mich hatte der Roman mit dem verhangenen, alternden Porträt schon immer die Züge einer Horrorgeschichte.

Die Prachtausgabe besticht bereits durch ihren hochwertigen Einband, der schwarze Farbschnitt ist hier keine Modeerscheinung, sondern passt hervorragend ins Gesamtbild. Für den im Roman sich ausbreitenden Wahnsinn hat der Illustrator eine wunderbare Bildsprache gefunden. Allein schon beim Durchblättern versetzen mich die teilweise surreal anmutenden Zeichnungen in eine eigenartige Stimmung. Bei der genaueren Lektüre wird der Lesefluss regelmäßig durchbrochen durch eingeschobene Seiten in Großschrift, die wie Haltepunkte oder Warntafeln wirken. Für mich persönlich hat dies die Attraktivität der Lektüre deutlich erhöht und rechtfertigt auf jeden Fall den Preis dieser prächtigen Schmuckausgabe.

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