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Veröffentlicht am 17.12.2022

Tabubruch mit Ansage

Liebewesen
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Dass dieses Buch Grenzen überschreiten möchte, kündigt bereits das Cover plakativ an. Für den Fall, dass jemand den Tabubruch mit Ansage noch nicht verstanden hat, liegt dem Rezensionsexemplar ein Brief ...

Dass dieses Buch Grenzen überschreiten möchte, kündigt bereits das Cover plakativ an. Für den Fall, dass jemand den Tabubruch mit Ansage noch nicht verstanden hat, liegt dem Rezensionsexemplar ein Brief der Lektorin bei mit deren Rezension. Lehrreiche Hinweise, damit ich schon vor dem Lesen erkenne, was für ein kantiges Juwel mir da in die Hände gefallen ist. Oder darf ich den Brief als Blaupause verstehen, nach der ich meine Rezension richten könnte/sollte?

Also lese ich den Roman erst einmal selbst und so unvoreingenommen, wie das nach diesem Brief überhaupt noch möglich ist. Plakative, große Sätze kommen mir da entgegen. Dieser Roman wurde „gebaut“, nicht geschrieben. Mehr ist mehr. Oder vielleicht doch nicht? Die Sprache ist stark, laut. Man muss entgegen der Meinung der Lektorin die Sätze auch nicht zweimal lesen, denn sie werden mir auf wenig subtile Weise entgegengebrüllt. Die beste Beschreibung hat uns die Autorin im Roman selbst geliefert, als sie Max ein Bild beschreiben lässt: „sehr plakativ und auf die Zwölf“.

Inhaltlich wartet der angekündigte Tabubruch mit einer intensiven, schmerzhaften Beziehung und dem nicht weniger intensiven Ausscheiden von Körperflüssigkeiten und -inhalten aller Art. Leider kann das nicht wirklich schockieren, denn die „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche haben bereits vorgemacht, wie das geht. Schälen wir also das Blut und die Kotze herunter und betrachten die eigentliche Geschichte: Es bleibt eine junge Frau mit schwerer Kindheit, die sich in eine erschreckende Beziehung mit einem depressiven, labilen Partner ergibt. Beim Lesen schmerzt der Opferungswillen von Lio, und ich muss einräumen: Ja, hier geht der Roman endlich dorthin, wo es weh tut. Hier im Kern kommen die wahren Konflikte endlich zum Vorschein, und nun erkenne auch ich das Funkeln des Juwels.

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Veröffentlicht am 27.11.2022

Archaisch, brutal, verstörend

Das Gesetz der Natur
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Dieses Endzeit-Epos spielt in einer Welt nach der Nuklearkatastrophe. „Jener Tag“ hat die alte Welt zerstört, was die völlige Verwüstung der Lebenswelt und Mutationen zur Folge hatte. Aus der Asche erhoben ...

Dieses Endzeit-Epos spielt in einer Welt nach der Nuklearkatastrophe. „Jener Tag“ hat die alte Welt zerstört, was die völlige Verwüstung der Lebenswelt und Mutationen zur Folge hatte. Aus der Asche erhoben sich neue Völker, die alle nach dem „Gesetz der Natur“ leben. Das geschriebene Wort existiert nicht mehr, nur noch einige Gesetzesrollen, die auch wiederum nur wenige Ausgewählte lesen können. Bereits hier deutlich biblische Anklänge an die Zehn Gebote. In dieser archaischen, mittelalterlich anmutenden Welt in Neuamerika lebt verborgen die letzte Mutantin, Gaia. „Entstanden aus den Tiefen der Deformation“, was sich bei ihr vordergründig in entstellter Haut an Händen und linker Kopfhälfte manifestiert. Sie wird fernab der Welt von zwei geächteten Männern aufgezogen – dem Lehrer und dem Jäger. Von ihnen lernt sie das Lesen und das Töten. Es entspinnt sich eine Endzeitgeschichte, während der Gaia in Gefangenschaft gerät und dann auf eine Mission geschickt wird, um die letzten Bücher zu finden und damit die Neue Welt zu verändern.

Der Schreibstil orientiert sich deutlich an der Bibel; es gibt Phrasen wie „Selig sind …“ und psalmenhafte Passagen. Bei der Handlung geht es entgegen des Klappentextes lange Zeit nicht um die Rettung der Bücher; stattdessen wählt Gaia den Weg als Kriegerin und Schlächterin. Brutales Töten und Abschlachten nehmen eine zentrale Rolle in diesem Roman ein. Fantasy-Elemente durchbrechen das Genre des reinen Endzeit-Epos. Schwierig wurde es für mich bei der Rechtfertigung allen Mordens und Tötens durch Gaia. Für sie ist dies das probate Mittel zum Schutz ihres Sohnes. Diesem wird in Jesus-Christus-artiger Manier überhöht eine Zukunft als „der Gerechte“ vorbestimmt.

Während der biblische Schreibstil und die primär alttestamentarischen Anspielungen in diesem Buch durchaus als Kunstkniff gelten dürfen, hat mich vor allem die rohe Brutalität abgeschreckt. Besonders die Rechtfertigung der Gewalt fand ich verstörend.

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Veröffentlicht am 04.11.2022

War es der Mann, oder war es der Mondschein?

Maybe this year - Dieser eine Tag im Winter
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Diese spannende Frage stellt sich die Londonerin Norah. Vor zehn Jahren hatte sie auf einer Reise nach Verona eine kurze Romanze mit dem Iren Andrew. Damals hatten sie sich das Versprechen gegeben, falls ...

Diese spannende Frage stellt sich die Londonerin Norah. Vor zehn Jahren hatte sie auf einer Reise nach Verona eine kurze Romanze mit dem Iren Andrew. Damals hatten sie sich das Versprechen gegeben, falls sie an Weihnachten 2019 noch Single seien, sich an Heiligabend vor einem Pub in Dublin zu treffen. Sozusagen als gegenseitiges Backup. Der Kontakt zu Andrew ist vor ein paar Jahren versandet, aber der magische Zeitpunkt ist nun gekommen. Norah ist nicht nur von ihrem Freund getrennt, sondern wurde auch von ihrer Mutter versetzt. Weihnachten ganz allein? Was läge da näher, als es darauf ankommen zu lassen? Damit die weihnachtliche Reise mit ungewissem Ausgang nicht völlig zum Debakel wird, kommt ihr bester Freund Joe spontan mit nach Dublin. Ob Andrew auftauchen wird um 18 Uhr vor dem Bewley´s Café auf der Grafton Street?

Der Weihnachtsroman bringt einiges mit, um an eisigen Wintertagen für herzenserwärmende Lesestunden zu sorgen: Glückliche Tage der jungen Norah mit Andrew vor der wunderschönen Kulisse von Verona mit herrlich italienischem Flair. Kalte Vorweihnachtstage in London. Eine aufregende und interessante Reise nach Irland mit vielen liebevollen Details, welche die Landschaft, die Menschen dort und das schöne Setting der Altstadt von Dublin zum Leben erwecken. Dazu die Suche nach den Vorfahren von Norahs Vater, zu dem sie eine ganz besonders innige Beziehung hatte. Und immer wieder die Liebe zur Musik, die auch Vater und Tochter miteinander verbunden hatte.

Nur ein klitzekleines Detail fehlt diesem Roman, das leider ausgerechnet für einen weihnachtlichen Liebesroman enorm wichtig ist: Die Gefühle wollen einfach nicht überspringen! Weder kann man die Romanze von Norah und Andrew mitfühlen, noch springt der Funke im Lauf der Handlung in Dublin über. Kein Prickeln, kein Knistern, kein Seufzen. Auf der Gefühlsebene passierte beim Lesen leider so gar nichts, die Liebesgeschichte konnte nicht berühren und nicht verzücken. Ein schönes Buch über so manches Thema, aber als gefühlvolle, romantische Weihnachtsgeschichte leider allenfalls nett.

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Veröffentlicht am 24.09.2022

Eine Geschichte der Besessenheit

Goyas Ungeheuer
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Von „Goyas Ungeheuern“ besessen sind die Charaktere dieses spanischen Romans. Ein Unbekannter, der Tiere ermordet, um damit Szenen aus Goyas Zeichnungen nachzustellen, versetzt ganz Madrid in Aufruhr, ...

Von „Goyas Ungeheuern“ besessen sind die Charaktere dieses spanischen Romans. Ein Unbekannter, der Tiere ermordet, um damit Szenen aus Goyas Zeichnungen nachzustellen, versetzt ganz Madrid in Aufruhr, denn es wird nicht bei toten Tieren bleiben... Die Geschichte taucht tief in Goyas Werke ein; vor allem die Pinturas negras, der Zyklus der Caprichos, werden genau beleuchtet. Es ist ein fundierter Ausflug in das Schaffen und die Biographie von Francisco de Goya mit allen Licht- und Schattenseiten. Die Charaktere sind allesamt regelrecht besessen von Goya und seinem Werk, wir erhalten Einblicke in die Szene von Künstlern, Hausbesetzern und Aktivisten. Heimliche Hauptdarstellerin im Hintergrund ist die spanische Hauptstadt: „Madrid, das mit einem Fuß in der Gegenwart und mit dem anderen in der Vergangenheit stand.“ Immer wie verknüpft die Autorin kunstvoll Historisches mit Zeitgeschehen und lässt Madrid und die Politik ihrer spanischen Heimat dabei nicht immer gut aussehen.

Für mich, die ich Madrid im Jahr 2019 besucht habe und mit Goyas Werk durchaus vertraut bin, war dieser Roman eine bereichernde Vertiefung, die mir Vertrautes vor Augen geführt und in neuem Licht gezeigt hat.

Allerdings kommt dieser Roman ja im Gewand eines Kriminalromans daher, und da kommt mein großes ABER… Dieses Buch ist der vierte Band einer spanischen Buchreihe, jedoch der erste auf Deutsch übersetzte und veröffentlichte. Leider merkt man dies der Handlung stark an, worauf man jedoch weder bei der Beschreibung noch im Klappentext hingewiesen wird. Der Kriminalfall an sich ist sterbenslangweilig, weil Motiv und Täter sehr schnell bekannt sind und die Handlung dann relativ ziellos vor sich hintreibt. Spannung kommt nicht auf, wirkliche Rätsel gibt es auch nicht, nur grenzenlose Verwunderung über das seltsame Verhalten der Beteiligten. Dies wiederum gründet in den unbekannten vorigen Teilen.

Mein Fazit: Für mich persönlich war es eine äußerst interessante Leseerfahrung, aber ich kann dieses Buch leider nicht weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 17.06.2022

Nett, aber leidenschaftslos

Ein unvollkommener Ehemann
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Roxy erwischt ihren Ehemann Dave im Bett mit der Nachbarin. Die betrogene Ehefrau ist daher mit den Kindern zu ihrer Mutter gezogen und braucht Zeit, um zu überlegen: Verlässt sie Dave oder verzeiht sie ...

Roxy erwischt ihren Ehemann Dave im Bett mit der Nachbarin. Die betrogene Ehefrau ist daher mit den Kindern zu ihrer Mutter gezogen und braucht Zeit, um zu überlegen: Verlässt sie Dave oder verzeiht sie ihm? Derweil übernimmt Roxy den privaten Fahrservice ihres verstorbenen Vaters und kutschiert die unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu Terminen.

Die Geschichte beginnt in einem sehr ruhigen Erzähltempo und es dauerte tatsächlich einige Zeit bis ich mich endlich hineinfand und sich die eigentliche Story zu entfalten begannt. Diese gestaltet sich eher klassisch und schlicht. Mit Hochspannung oder witzigen Wortgefechten darf man hier nicht rechnen, sondern der ruhige Erzählstrom fließt gemächlich vor sich hin. Anfangs steht vor allem Roxys Tätigkeit beim Fahrservice im Mittelpunkt, da wird auch mal ein ganzer Tag lückenlos vom Frühstück bis zum Abendessen geschildert samt allen Fahrten, Gesprächen und Nahrungsmitteln, die sie über den Tag verteilt zu sich nimmt. Als Leser fühlt man sich wie der Zuschauer einer Dokumentation über Roxy, sachlich fundiert und überaus interessant, jedoch neutral aus der Distanz geschildert. Man könnte es eine unaufgeregte Erzählweise nennen, doch leider wird der Blick auf die Protagonisten dadurch gefühlsneutral und distanziert. Auch als allmählich Fahrt in die Handlung kommt und etwa der geheimnisvolle Ivo in ihr Leben tritt, kommen nicht wirklich Spannung oder Gefühlswallungen auf. Die Erzählung an sich ist durchaus nett, man bekommt zumindest hervorragende Einblicke in die Tätigkeit beim Fahrservice, die Schilderung kann aber nicht einmal mit Lokalkolorit von ihrem Handlungsort in Irland aufwarten. Sie lässt beim Lesen wenig Emotionen aufkommen, man leidet nicht mit Roxy, fühlt nicht mit ihr und ihren Konflikten mit, sondern sieht ihr aus emotionaler Ferne zu. Wenn im Roman von einer prickelnden Situation die Rede ist, springt dieses Gefühl leider nicht auf den Leser über. Als Roxy nach einer schockierenden Nachricht in Ohnmacht fällt, leidet man nicht wirklich mit ihr, sondern verfolgt das Geschehen aus der Distanz.

Der Roman konnte mich leider nicht berühren. Ich habe die Handlung interessiert verfolgt, aber es hat tatsächlich lange gedauert bis sie mich zumindest in Ansätzen gefesselt hat. Dennoch habe ich nicht wirklich mit Roxy mitgefühlt oder mitgefiebert, sondern habe sie wie in einer interessanten Dokumentation aus der emotionslosen Distanz verfolgt.

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