Funktioniert als Buch nicht.
Im Kernschatten des Mondes - Die unbekannten Heldinnen der NASA
Ich hatte das Buch angefragt, weil ich von dem Film gehört habe und das Thema interessant finde. Ich wollte wissen, wie das Verhältnis zwischen den Mitarbeitern war und ich wollte charismatische Frauenfiguren ...
Ich hatte das Buch angefragt, weil ich von dem Film gehört habe und das Thema interessant finde. Ich wollte wissen, wie das Verhältnis zwischen den Mitarbeitern war und ich wollte charismatische Frauenfiguren erleben. Letztlich bleiben diese jedoch im Kernschatten - der Nettigkeit. Denn die Autorin geht sehr wohlwollend mit ihnen um; sie zeichnet sie nicht als vielfältige Charaktere, sondern als strebsame Menschen, die sich für ihren Beruf aufopfern - die Folgen beleuchtet sie nicht. Außerdem springt das Buch ständig zwischen den Frauen und zahlreichen anderen Mitarbeitern. Wenn man einen roten Faden in Stücke schneidet und auf den Boden wirft, hat man die Dramaturgie des Buches.
Worum geht es?
Der Text zeichnet den Weg der "menschlichen Computer" im Rechenzentrum West der Station Langley (in Hampton, Virginia), beginnend in den 40er Jahren bis hinein in die 60er, die durch die Erdumrundung und die Landung auf dem Mond gekennzeichnet sind. "Computer" meint hier keinen (elektronischen) PC, sondern kommt von "to compute" - rechnen. Die Frauen sind studierte Mathematikerinnen.
Was hat mir gefallen?
Der Prolog: Die Autorin selbst wuchs in Hampton (Virginia) unweit des Forschungszentrums auf, ihr Vater war dort Wissenschaftler. Im Vorwort beschreibt sie, wie sie das Thema entdeckt und warum das für sie so wichtig ist. Das war sehr berührend!
Der Epilog: Hier wird erzählt, wie sich die Geschichte der Raumfahrt und der NASA entwickelte. Dass der Standort verkleinert wurde und Housten als neues Zentrum festgelegt wurde. Warum es weniger Mondmissionen gibt. Aber auch, was die Frauen nach ihrer "Karriere" als Computer gemacht haben - manche unterrichteten, anderen setzten sich für Feminismus ein. Mir hat bei diesem Teil gefallen, dass die Fakten im Vordergrund standen und sich die Autorin auf wenige Figuren konzentriert hat.
Die Bürgerrechtsbewegung: Der Weg der Frauen war begleitet von zunehmenden Rechten für die "schwarze" Bevölkerung. Manche Dinge waren nur möglich, weil sie bereits erkämpft wurden. Für mich war das Thema neu und ich fand es interessant, dass Gerichtsurteile und Proteste Freiheiten schufen, aber es auch Politiker gab, die den Prozess hemmten. Besonders prägnant fand ich die Geschichte der "Lost Generation of Prince Edward County" Vereinfacht gesagt blieben die öffentlichen Schulen in diesem heute 20 000-Menschen großen Landkreis von 1959 bis 1964 geschlossen. Das Supreme Court hatte vorher beschlossen, dass die Rassentrennung von öffentlichen Schulen gegen die Verfassung ist. Die Verwaltung des Countys schloss daher ALLE Schulen, anstatt "schwarze" Schüler in "weiße" Schulen zu integrieren. Für "weiße" Schüler gründeten sich Privatschulen, die "schwarzen" mussten jedoch in andere Countys oder Bundesstaaten ausweichen oder anders unterrichtet werden. Bildung ist für uns ein hohes Gut - dass manche Kinder fünf Jahre nicht zur Schule konnten, finde ich traurig, vor allem, weil die Folgen unklar sind.
Was hat mir nicht gefallen?
Der Schreibstil: Der Stil erinnerte mich an ein Märchen und die Autorin zeichnet die Wege mit (unnötigen) Details z.B. "Die einfache, aber elegante Hochzeit fand im Haus von Jimmys älterer Schwester Helen statt. In einem knöchellangen Plisseekleid stand Pat strahlend vor dem behelfsmäßigen, mit Immergrün und Gladiolen geschmückten Altar [...]" (S. 150 von 369) - Pat ist die Schwägerin einer der Hauptfiguren. Was mich gestört hat ist, dass all das nur Beiwerk ist und nicht darüber hinwegtäuscht, dass zu wenig erzählt wird. Ich denke, es wäre erzählerisch besser gewesen, wenn die Autorin mehr Anekdoten, mehr kleine abgeschlossene Geschichten, eingebaut hätte. Ein Beispiel ist die Frau, die in der Cafeteria das Schild "Farbige Computer" solange entfernt, bis es nichtmehr aufgestellt wird. Das sind Szenen, die im Kopf bleiben und als Metapher für die großen Probleme dienen.
Zu wenig Fakten: Ich hatte Probleme ins Buch zu kommen, weil die harten Fakten fehlen. Das Wort "menschlicher Computer" wird nur am Rande erklärt und was die Frauen konkret machen, erfährt man auch nicht. Vielleicht hatte die Autorin Angst, dass es die Leser nicht interessiert, aber ich konnte mir die Figuren nicht am Schreibtisch vorstellen, weil nie ausgeführt wird, was sie berechnen und wie. Welche Rechenaufgaben sind so groß, dass man dafür tagelang Blätter von Papier vollschreibt? Wie sieht dieser Prozess aus? Außerdem hätte ich mir eine kleine Chronik der Abläufe gewünscht - für jede Frau, aber auch für die Bürgerrechtsbewegung, die eine wichtige Nebenrolle spielt.
Kein roter Faden: Der Text springt abschnittsweise zwischen den Hauptfiguren und deren Vorgesetzten, sodass es schwierig war zu folgen. Dass keine Figur so präsent ist, dass man sie sich gut merken kann, tut sein Übriges.
Fußnoten, aber wenig direkte Zitate: Im Buch gibt es auf 304 Seiten (ohne Anmerkungen) 790 Fußnoten. Teilweise zitiert die Autorin winzige Details z.B. wieviele Bündel Wäsche in der Wäscherei, in der eine Figuren arbeitet, gewaschen werden. Das erinnerte mich an das sehr genaue Arbeiten einer wissenschaftlichen Arbeit. Aber die Frauen selbst kommen selten zu Wort. Die Autorin hat sie interviewt, aber sie haben für mich keine "Stimme", weil der Erzähler seine schützende Hand über sie hält und damit den Eindruck etwas verfälscht.
Zu positiv: Ich konnte die Figuren nicht greifen, weil sie zu perfekt wirken, keine Kanten haben. Wenn es innere Konflikte gab, wurden diese eher zwischen den Zeilen deutlich. Die Frauen werden als strebsame Menschen gezeigt, die sich ihre Karriere mit Hartnäckigkeit und etwas Glück erarbeitet haben. Sie sind zuverlässig, opfern sich für die Arbeit auf. Aber ich fragte mich, was mit den Kindern macht - wenn die Mutter teilweise hunderte Kilometer weg zieht oder sie wegschickt, damit sie eine gute Schulbildung bekommen. Wenn sie sich um den Haushalt kümmern müssen, weil die Mutter arbeitet und der Vater tot ist. Ob sie Unterstützung hatte. Ob sie mal "schlechte" Tage hatten, an denen sie keine Lust hatten zu arbeiten z.B. nach dem Tod des geliebten Ehemanns. Wie sie die Diskriminierung empfunden haben. Ich kann das ein Stück verstehen. In Zeiten, in denen wir die Mutterrolle (oder: Elternrollen) öffentlich diskutieren und es viele Fascetten zwischen "Regretting Motherhood", Frau am Herd, Mann am Herd, Teilzeitmodellen usw. gibt, erscheint es fern, dass es früher manchmal das Beste war, sich auf die berufliche Zukunft zu konzentrieren - die eigene und die der Kinder. Damit man finanziell unabhängig war. Weil vor allem die "schwarze" Bevölkerung schlechter bezahlt wurde. Vielleicht haben das die Protagonistinnen nicht so schlimm empfunden. Und ich denke, dass das Forschungsgebiet der "menschlichen Computer" noch zu jung ist, um sich differenziert damit auseinander zu setzen. Vielleicht ist es zu früh, um Kratzer auf das Bild zu setzen. Oder die Autorin wollte "ihren" Heldinnen nicht schaden.
Keine Spannung: Für mich gab es nichts, was mich vorangetrieben hat. Der Weg der Figuren zeigt nach oben und es passiert nur weniges, das sie daran hindert. Weitergelesen habe ich nur wegen des Themas.
Fazit
"Hidden Figures" ist ein Buch, das als Film super funktioniert, weil das Medium die Leerstellen im Buch füllen kann. Trotz des tollen Themas ist das Buch zu nett, zu durcheinander und zu ausgeschmückt. Es ist eine liebevolle Hommage an die, die so lange nicht erwähnt wurden. Aber es bleibt zu eindimensional. Spannender als die Haupthandlung sind die Nebenstränge.