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Veröffentlicht am 19.08.2023

Plastisch, aber nicht umfassend

Die Liebenden von Bloomsbury – Vita und der Garten der Liebe
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Das ist mein zweites Buch über Vita und Virginia und tatsächlich hat mir dieses besser gefallen, weil ich ein besseres Gefühl für die fiktionale Version der realen Personen bekommen habe. Besonders beeindruckend ...


Das ist mein zweites Buch über Vita und Virginia und tatsächlich hat mir dieses besser gefallen, weil ich ein besseres Gefühl für die fiktionale Version der realen Personen bekommen habe. Besonders beeindruckend war das Nachwort, das den Inhalt nochmals von einer anderen Seite beleuchtet.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Das dritte Buch der Bloomsbury-Reihe beschäftigt sich mit der Adligen Vita Sackville-West und der Schriftstellerin Virginia Woolf. Es deckt dabei den 3. August 1922 bis 26. Oktober 1928 ab. Das entspricht dem Phase kurz vor dem Kennenlernen über den Höhepunkt der Beziehung bis zur langsamen Entfremdung beider Frauen. Den endgültigen Bruch sowie den spärlichen Kontakt bis zum Tod Woolfs erzählt es nicht mehr.

Das Buch beleuchte personal, meist aus Sicht beider Frauen, selten aus Perspektive anderer Charaktere. Dabei vermischt es Erzählpassagen mit Briefen. Auszüge aus den Werken beider gibt es nicht.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Mir fällt eine Beurteilung schwer, denn ich kann nicht sagen, wie viel fiktiv und wie viel real ist. Welche Auswirkungen die Aufbereitung der Autorin auf das Bild hat, das man vom Inhalt bekommt. Da aber bereits die Quellen wie Tagebucheinträge, Biografien usw. eine Auswahl der direkten Angehörigen beider Frauen darstellen, wird man nie die volle "Wahrheit" erfahren.

Für mich ist der Schreibstil gut. Relativ fließend, ein kleines bisschen trocken, aber belletristisch. Es liest sich wie ein Liebesroman mit angezogener Handbremse - alles sehr langsam und nicht immer spannend. Aber: An den Ereignissen kann man wenig ändern. Die Beziehung war tief platonisch, aber über Körperliches haben beide Frauen überwiegend geschwiegen. Außerdem hat die Annäherung sehr langsam stattgefunden.

Das Porträt Woolfs finde ich gelungen. Sie ist eine intellektuelle Person, für die die Schriftstellerei an erster Stelle steht. Sie hat ihre Routinen und vertraut darauf. Die Schreiberei gibt ihr Sicherheit. Für mich war daher verständlich, dass sie in ständiger Angst lebt, ihre psychischen Probleme würden sich verstärken und sie könne nicht mehr schreiben. Aus heutiger Sicht würde man Woolf vielleicht als hochsensibel und mit manisch-depressiven Schüben einordnen. Ich habe aber auch gespürt, dass ihr Mann überfürsorglich ist und dadurch ihre Ängste verstärkt und ihre Entfaltung behindert. Ich vermute, dass er sie beschützen wollte. Mein Eindruck war aber, dass sie erst durch Beziehungen wie der durch Vita neue Seiten an sich entdeckte. Dass sie durch sie aus ihrem intellektuellen Umfeld herauskam, hat ihr gut getan.

Vita Sackville-West fand ich beeindruckend, weil sie - ähnlich des Bloomsbury-Zirkels - ein offenes Verständnis von Liebe hat. Während die Ehe zwischen Woolf und ihrem Mann manchmal wie ein Arbeitsbeziehung wirkte, liebte Vita ihren Mann sehr innig. Wenngleich sie körperliche Beziehungen eher mit Frauen einging. So hat sie z.B. kein Problem damit, dass ihr Mann eine Beziehung zu einen Kollegen führt - sie fand es schlimmer, dass er ihr das verheimtlicht hat.

Allerdings wirkt Vita im Buch auch etwas oberflächlich, nicht so reflektiert wie Virginia. Sie macht sich viele Gedanken um ihr vielseitiges Leben, aber sie schafft es nicht in die Tiefe zu gehen. Die Autorin erklärt das im Nachwort damit, dass Vita versucht hat, den Schein einer guten, anständigen Adligen zu wahren. Ich denke, dass daher auch dem Betrachter manches verborgen bleibt. Und dass sie ihrer narzisstischen Mutter gerecht werden wollte und daher ein unstetes Liebesleben hatte. Sie wollte Kontrolle über die Liebe haben, weil sie von ihrer Mutter nicht so sicher geliebt wurde. Dieser Aspekt wird im Buch nur angedeutet und erst im Nachwort klar. Außerdem gehen die schriftstellerischen Leistungen Vitas etwas unter, im Buch.

Interessant fand ich, dass beide Frauen Ängste haben. Vita wird den geistigen Ansprüchen der Bloomsburys nicht gerecht und auch Virginia lässt sie das spüren. In den Gedanken Virginias kam mir Vita wie ein kleines Kind vor, das in die richtigen Bahnen gelenkt werden muss. Für Virginia Woolf ist Literatur nur dann gut, wenn der Autor das Tiefste seiner Seele ergründet. Sie will vorankommen, mit sich und mit der Kunst des Schreibens. Das hat sie zu einer Vorreiterin in der englischen Literatur gemacht. Aber dass sie die Kunst Vitas nur trivial und schön, aber nicht besonders fand, war frustrierend. Allerdings hat auch Virginia Angst, die Freundin würde sie verlassen und bald für die nächste Geliebte absägen. Einen Ausweg, den ich gut nachvollziehen konnte, war die Literatur. Indem sie Vita künstlerisch festgehalten hat, waren die Taten der realen Vita nicht so schlimm für sie.

Außerdem schafft es die Autorin gut, auch das Umfeld der Bloomsburys einzubeziehen und andere Menschen zu beleuchten. Ich habe manchmal den Überblick verloren, aber ich fand's gut, dass es nicht zu fokussiert war.

Ein bisschen irritiert hat mich, dass das Buch im letzten Kapitel eine Virginia zeigt, die jungen Frauen zeigt, dass sie für Freiheit und Schreiben kämpfen sollen. Dieser Wesesenszug, der Wunsch, der nächsten Generation etwas mitzugeben, klang bis dahin nur vage an.

Fazit

Ich fand das Buch etwas schleppend, hab's aber gern gelesen. Die Schriftstellerinnen wirken sehr plastisch und ich habe viele Denkanstöße bekommen. Für Leute, die eher an der Bedeutung beider Frauen füreinander interessiert sind, ist das Buch gut. Wer eine eher umfassende Biografie Woolfs und Sackville-Wests erwartet und eine kritische Einordnung, der wird ein bisschen enttäuscht.

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Veröffentlicht am 23.07.2023

Zu glatt

Rückkehr nach Mendocino
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Michael Holm ist ein Sänger, den ich früher oft im Fernsehen gesehen habe. Daher war für mich klar, dass ich die Autobiografie anfordern werde. Für mich ist es ein schönes Buch, aber leider ohne Ecken ...

Michael Holm ist ein Sänger, den ich früher oft im Fernsehen gesehen habe. Daher war für mich klar, dass ich die Autobiografie anfordern werde. Für mich ist es ein schönes Buch, aber leider ohne Ecken und Kanten.

Worum geht es?

Michael Holm umreißt sein Musiker- und Liebesleben von seinen Anfänger als Kind bis heute. Schwerpunkte sind seine Karriere als Sänger, sein Wandel zum Produzenten und Musikverleger, ein Projekt "Cosco", sein Comeback als Produzent von "Guildo Horn".

Wie hat mir das Buch gefallen?

"Rückkehr nach Mendocino" hat sich angefühlt, als ob einem der Künstler in einer Bar sein Leben erzählt: Er ist wertschätzend und betont eher das Positive. Negatives wird erwähnt, aber nicht ausgebreitet. Oft lese ich "Darauf kommen wir später noch zurück", was nett ist, aber ein bisschen füllend wirkte. Holm versucht spannend zu erzählen, aber nicht tief reflektiert.

"Michael Holm" wirkt im Buch wie ein Mensch, der dankbar ist für sein Leben. Aber keiner, der mit sich kämpft und grübelt. Während man bei anderen Künstler:innen innere Konflikte spürt und zum Nachdenken angeregt wird, war das hier nicht der Fall. Dadurch fühlte ich mich als Leser:in dem Künstler auch nicht so nah.

Ich hab eine Menge gelernt, über den Prozess des Musik-Machens, aber irgendwie war es zu glatt. Mir fehlte an einigen Stellen die Leidenschaft. Aber wahrscheinlich dachte Holm, dass das für den Leser/ die Leserin nicht spannend ist.

Gut ist, dass Holm überwiegend chronologisch erzählt, nur machmal abdriftet. Ich habe gut den Überblick behalten.

Interessant fand ich, mit wie vielen Künstler:innen Holm vernetzt war, besonders Giorgio Moroder, und dass er keine Kritik an ihnen übt, sondern eher witzig erzählt. An manchen Stellen wirkte er ein bisschen zu selbstbewusst, aber das war ok. Über die Arbeit eines Musikverlages erfährt man manches. Aber ich hätte man an diesen Stellen mehr Erklärungen gewünscht, weil mir das Basis-Wissen fehlt.

Zur Entstehung von Songs liest man ein paar Zeilen, aber magisch war's nicht. Denn vieles ist einfach Zufall.

Fazit

"Rückkehr nach Mendocino" ist ein nettes Buch, das mich nicht aufgeregt hat. Aber irgendwie hat es mich enttäuscht, weil es nicht so tief in den Musiker und Menschen "Micheal Holm" eintaucht. Es fühlt sich genauso an wie die schicken Promo-Fotos, auf denen man Holm immer gleich gucken sieht.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Schön, aber bild-arm

Inside Vogue
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Ich kenne die Vogue nur als teures, aber renomiertes Magazin. Ich wollte hinterfragen, was diese Zeitung ausmacht, ich wollte sie spüren.

Worum geht es?

Die Autorin erzählt die Geschichte der britischen, ...

Ich kenne die Vogue nur als teures, aber renomiertes Magazin. Ich wollte hinterfragen, was diese Zeitung ausmacht, ich wollte sie spüren.

Worum geht es?

Die Autorin erzählt die Geschichte der britischen, französischen und amerikanischen Vogue.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Ein großes Problem hatte ich bereits am Anfang. Weil nicht erklärt wird, wie ein Modemagazin entsteht, wie aus einer Idee ein Artikel wird. Welche Berufe daran beteiligt sind. Daher fiel es mir später schwer einzuordnen, wie groß das Chaos war, wie stressig und nervenaufreibend die Arbeit für manche Menschen war.

Außerdem fehlt es dem Buch an Bildern. Es gibt ein frühes Cover und einige wenige Fotos. Aber das reicht nicht, um die optische und gesellschaftliche Entwicklung der Zeitung zu verstehen. Oft wird die Vogue als revolutionär dargestellt oder es wird von Bildern berichtet, die sehr aufwendig waren. Das sieht man leider nicht. Dadurch geht viel verloren.

Obwohl das Buch deutlich alle wichtigen Ausgaben mittels Kapitel unterscheidet, fiel es mir schwer, den Überblick zu behalten, weil viel passiert.

Dennoch war es spannend zu sehen, welche Kräfte auf das Magazin wirkten. Wie die Vogue z.B. in Kriegszeiten veröffentlicht wurde. Oder wie Chefredakteur:innen spezielle Ausgaben konzipierten und die Vogue zu mehr machten als einem Katalog für schöne Kleidung. Den Anspruch etwas zu bewegen erkenne ich auch heute noch darin.

Mir war auch nicht bewusst, dass die Vogue nicht nur von Endverbraucher:innen gelesen wird, sondern auch von Fachleuten.

An kritischen Tönen spart die Erzählerin ebenfalls nicht, oft stellt sie sich schützend vor entlassene Mitarbeiter:innen.

Schwierig finde ich, dass das Buch Modeblogger:innen nicht wertschätzt, sondern als Konkurrenz zum Papier sieht. Ich finde es toll, dass die Erzählerin abwägt, wie man das Magazin ins Digitale überführt und für Leser:innen attraktiv macht. Und dass sie dabei auch Schwächen aufzeigt. Aber die These, dass Modeblogger:innen keine gute Arbeit leisten, wird einfach stehengelassen. Obwohl manche Blogger:innen das Niveau von Journalist:innen erreichen, aber als Ein-Personen-Unternehmen mehr leisten müssen, oft für eine geringere Bezahlung.

Fazit

Der Text hat für mich die Zeitung lebendig werden und wertschätzen lassen. Für mich war die Vogue bisher eine teure Zeitung mit unbezahlbaren Klamotten, aber manch gutem Artikel. Zu sehen, dass so viele Menschen so viel Herzblut in ein Magazin investieren, war schön. Letztlich ist der Kreis um die Zeitung jedoch so geschlossen, dass manche Menschen unnahbar bleiben und ich das Gefühl hatte, dass etwas fehlt. Und an Bildern fehlt es.

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Veröffentlicht am 24.12.2022

Kindheit und Kritik

Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm
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Dieses Buch war ein Geschenk mit den Worten "Passt zu dir" und ich wusste lange nicht, warum. Texte aus den 70er Jahren empfinde ich oft als schwermütig, weil ihnen noch die Nachkriegszeit anzumerken ...


Dieses Buch war ein Geschenk mit den Worten "Passt zu dir" und ich wusste lange nicht, warum. Texte aus den 70er Jahren empfinde ich oft als schwermütig, weil ihnen noch die Nachkriegszeit anzumerken ist. Noch dazu mit einem so feierlichen Untertitel. Andererseits reizte mich genau das. Und dass es einer der ersten veröffentlichten Schriften des Kinderbuch-Autors Janosch ist. Und wahrscheinlich starke autobiografische Züge an seine Kindheit trägt.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Das Buch spielt in einer fiktiven Kleinstadt in den polnischen Westgebieten, die damals zu Deutschland gehörten. Die Handlung umfasst Ende der 20er Jahre bis kurz nach Kriegsende Mitte der 40er. Dabei nimmt die Zeit bis zum Kriegsbeginn den größten Teil des Buches ein, der Krieg selbst wird eher aus der Ferne beschrieben.

"Cholonek" ist ein Pottpurri an Figuren und Handlungen in dieser Kleinstadt. Der rote Faden ist das Leben des kleinen Cholonek und seiner Familie. Obwohl das Kind selbst wenig Raum einnimmt, erfahren wir viel über seine Großmutter, die Matriachin der Familie, und ihre steten Gedanken. Gleiches gilt für Vater Stanik und Mutter Mickel - der eine strebt nach Ruhm, die andere ist gottesfürchtig. Und alle stecken zu sehr in ihrer Blase, um ihr entfliehen zu können.

Das Setting

Etwas, das mich auch monatelang nach dem Ende beeindruckt hat, war die Umgebung. Anfangs kam mir der Ort wie ein Dorf vor, am Ende wie eine Kleinstadt. Es gibt eine Bahn, aber nur eine Gemeinschaftstoilette im Haus. Die unteren Wohnungen sind feuchter und daher weniger begehrt. Das Haus wird mit Farbe gestrichen, die nicht länge hält. Vieles funktioniert über persönliche Beziehungen. Das Kind wird in der Wohnung entbunden. Schließlich waren es die 20er Jahre. Viele Dinge, die für uns heute selbst verständlich sind, gab es damals nicht. Und trotzdem fühle ich damit verbunden.

Von einem zum anderen

Bereits die Geburt des kleinen Cholonek nimmt ca. 100 Seiten ein, in denen es mehr um all die Bewohner der Kleinstadt geht. Vom Vater des Choloneks hin zu dessen Vater hin zu einem Bekannten, der mal gehört hat, dass ... Ständig stirbt jemand durch Gewalt oder unglückliche Zufälle. Einerseits war das sehr interessant, anderseits frustrierend, weil ich nicht vorangekommen bin. Es war leicht den Überblick zu verlieren und die Figuren zu vergessen.

Später wird es nicht besser, aber die Hauptfiguren bekommen mehr Profil und die Historie nimmt mehr Raum ein.

Der Stanik und die Mickel

Die Eltern des Kleinen mögen sich nicht mehr, der Cholonek war ein Zufallsprodukt. Seinem Vater wird oft vermittelt, er könne nichts, und tatsächlich wechselt er häufig die Arbeit. Später kommt er als Handelsvertreter zu Wohlstand und kompensiert seine Minderwertigkeitskomplexe, in dem er (unechte?) Stradivaris anhäuft. Vermeintlich für den Sohn, der jedoch kein musikalisches Talent besitzt.

Im Gegensatz dazu die Mutter, die vor allem will, dass aus ihrem Sohn ein guter Christ wird und die ihren Mann belächelt. Letztlich ist Mickel gefangen zwischen ihrer dominanten Mutter und dem unsicheren Stanik. Und vor allem in einer Gesellschaft, die sie hindert, eigene Entscheidungen zu treffen. Janosch baut ihr sogar einen Ausweg: Nach einem unrühmlichen Erlebnis wird Mickel mit dem Kind auf's Land geschickt und erlebt dort eine Parallelwelt. Alle bewundern sie, weil sie aus der Stadt kommt und die Atmosphäre ist wertschätzend. Ich mochte dieses positive Gefühl sehr und dachte, dass sie dort das findet, was sie sucht. Aber sie nimmt es nicht an.

Der Cholonek

Ich dachte, dass das Kind der zentrale Punkt ist, aber von ihm wird nur in wenigen Episoden erzählt. Auf mich wirkt Cholonek sehr unsicher, weil er die Ideale seiner Eltern nicht erfüllen kann. Er ist ein introvertiertes Kind, das keine richtige Förderung erhält. Bezeichend ist, dass er sich nicht einmal traut, seinen Penis anzufassen, weil der Pfarrer sagt, dass diese Gefilde verboten sind. Er versucht, alles richtig zu machen und scheitert. Cholonek wird gemobbt und letztlich von ehemaligen Mitschülern erschossen und im Wald verscharrt. Interessieren tut das keinen.

Die Mutter

Die Mutter versucht, alles zusammen zu halten und ihre drei Töchter gut unterzubringen. Sie weiß mit Geld und ihrem alkoholkranken Mann umzugehen und findet für jedes erdenkliche Problem eine Lösung. Sie lästert gern und gibt anderen die Schuld an ihrem Unglück. Leider lässt sie sich von einem Ex-Freund ihrer Tochter um den Finger wickeln, was ihr Untergang ist. Dieser vermittelt ihr aufgrund seines schönen Äußeres und seiner höflichen Art soviel Positives, das sie vieles übersieht. Dass er wegen sexueller Nötigung gesellschaftlich verurteilt wird, redet sie klein. Und als er wegen Veruntreung (?) ins Gefängnis muss, arbeitet sie hart, um ihn freizukaufen. Obwohl sie mit diesem Mann keine körperliche Beziehung hat und er ihr außer Nettigkeiten nichts gibt, hält sie daran fest. Letztlich stirbt sie an Überarbeitung.

Der Krieg

Der Zweite Weltkrieg, die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und Kommunisten und die Übernahme der Gebiete durch die Russen tangieren das Kleinstadtleben nur weng. Stanik profitiert von der Flucht und Plünderung jüdischer Bürger, weil er so neue Stradivaris bekommt. Er ist eher Oppurtunist. Verbrechen der Roten Armee gibt es und auch der titelgebene Gott aus Lehm zerbricht, während sein Besitzer ermordet wird. Die Taten des Krieges werden genauso grausam, nüchtern, ein bisschen sensationsgeil erzählt wie andere Tode im Buch. Die Titelfiguren überleben jedoch.

Fazit

Es ist schwer, all die Puzzelteile zusammenzuhalten und ein Gesamtbild zu sehen. Letztlich ist "Cholonek" eine Mischung aus liebevoller Hommage an die eigene Kindheit und der Kritik an einer Gesellschaft, die nur an das Jetzt denkt und die ihren Mitgliedern den Raum nimmt, sich zu entwickeln. Weil ein Schutzpanzer einen nicht nur vor der Außenwelt schützt, sondern einem auch die Verantwortung für sich selbst nimmt. Aber wahrscheinlich gibt es diese Parallelwelten noch heute und Bücher darüber auch.

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Nicht ganz rund

Let’s Talk About Sex, Habibi
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Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut. Weniger wegen des tollen, bunten Covers als wegen der Thematik. Menschen des nordafrikanischen Kulturraums sind in meiner Umwelt vorhanden, aber ich weiß sehr ...

Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut. Weniger wegen des tollen, bunten Covers als wegen der Thematik. Menschen des nordafrikanischen Kulturraums sind in meiner Umwelt vorhanden, aber ich weiß sehr wenig über diesen Aspekt ihres Lebens. Daher wollte ich durch das Schlüsselloch gucken und neues Wissen gewinnen.

Leider schafft das das Buch nur teilweise. Es hat einige Vorurteile aufgebrochen, aber kann sich nicht entscheiden, ob es Sachbuch, Essayband oder Autobiografie sein will.

Worum geht es?

Der Text schildert im ersten Teil die Jugend des Autors und seine ersten Berührungspunkte mit Liebe und Körperlichkeiten. Später wird er allgemeiner, spricht über das Kopftuch und die Kölner Silvesternacht, später über Vorurteile gegenüber Nafris und Doppelmoral. Ohnehin ein Thema, das sich durch das ganze Buch zieht.

Meine Meinung

Das Buch war nicht leicht für mich, weil der Schwerpunkt wechselt. Während anfangs die Kindheit und Jugend des Autors wichtig ist, schweift er später ab. Manchmal kommt er noch auf Erinnerungen zurück, aber es fühlte sich an, als sei der Faden plötzlich abgerissen. Dem jungen "Mohamad" war ich so nah, über den erwachsenen, seine Einstellungen zur Liebe und wie er die kulturellen Kontraste empfindet, erfahre ich wenig. Stattdessen wird das Buch etwas nachdenklicher, fast essayhaft.

Außerdem hätte ich mir mehr Fakten gewünscht. Ich hatte gehofft, dass ich am Ende ein Gefühl bekommen habe, wie das Thema in Nordafrika betrachtet wird. Vielleicht wäre es besser gewesen, ein paar allgemeine Fakten zum Kulturraum zu nennen, auch in Bezug auf Sex. Mehr Geschichten zu erzählen. Der Autor beschränkt sich auf einige persönliche Anekdoten. Ich verstehe, dass es schwer ist, Statistiken zum Thema zu bekommen, aber es war nicht so rund. Oft verweist der Autor auch auf andere seiner Bücher. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nicht zu sehr wiederholen wollte.

Problematisch fand ich auch, dass einige Begriffe gar nicht oder später erklärt werden. "Nafri" kommt nach 17 % vor, aufgelöst wird es aber erst nach der Hälfte. Was "Salafismus" als Glaubensrichtung ausmacht, habe ich ebenfalls weiter hinten im Buch erfahren, obwohl das Wort anfangs vorkommt. Hier wären Fußnoten oder ein Glossar gut gewesen.

Und obwohl Frauen im Buch eine Rolle spielen und z.B. der Schwester und der Mutter des Autors einige Geschichten gewidmet werden, habe ich am Ende eine weibliche Perspektive vermisst. Ich hatte das Gefühl, dass es oft um Männer geht.

Allerdings gibt es auch einige Erzählungen, die mir positiv im Gedächtnis geblieben sind: Die Atmosphäre in Meknes, in dem der Autor prägende Jahre verbracht hat. Die Betrachung des Kopftuchs, seine Ursprünge und Bedeutung auch als Zeichen des Standes. Die Gedanken zur Polygamie und dass sie nur dann funktioniert, wenn alle Frauen gleich behandelt werden und versorgt sind. Wie unterschiedlich das Thema behandelt wird, z.B. wenn es um Kondome geht.

Fazit

Letztlich war das Buch eine tolle Perlenkette an Geschichten und Gedanken, aber das ergab am Ende kein stimmiges Bild, sondern eine Sammlung, die nicht ganz zusammenpasste.

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