Ödnis is happening
All Your Secret Songs
Am Buch hat mich der Journalismus-Aspekt gereizt, weil ich großen Respekt für diese Mischung aus Fakten und Kunst habe. Ich dachte, dass das einer klassischen Liebesgeschichte Würze gibt. Leider sieht ...
Am Buch hat mich der Journalismus-Aspekt gereizt, weil ich großen Respekt für diese Mischung aus Fakten und Kunst habe. Ich dachte, dass das einer klassischen Liebesgeschichte Würze gibt. Leider sieht man von der journalistischen Arbeit wenig, stattdessen schmachen sich die Figuren 75 % des Buches an.
Rezi enthält Spoiler.
Worum geht es?
Ryan ist ein erfolgreicher Teil der aufstrebenden irischen Band "Lovesuckerz", hadert aber damit. Allie ist Musikjournalistin, die von ihrem Vater, der im Bereich Wirtschaftsjournalismus tätig ist, nicht ernst genommen wird. Ihre wahre Liebe ist die Musik. Gleichzeitg lesen wir von Liz, die anonym Songs auf Instagram covert, und Conor, der seine Freunde vermisst und sich in Liz verliebt.
Meine Meinung zum Buch
Für mich war es inhaltlich wenig, es gibt nur wenige Konflikte. Aus dem Dreiecke zwischen Allie, ihrem Vater und dem Bruder, der die Erwartungen des Vaters erfüllen konnte, hätte man viel machen können, das bleibt aber an der Oberfläche. Interessant ist z.B. dass Allie sich tätowieren und piercen ließ, um gegen ihren Vater zu rebellieren - Conor aber diese Äußerlichkeiten anziehend findet. Es wäre interessant gewesen, zu sehen, wie Allie das aufarbeitet und was das mit der Beziehung macht. Der Streit aus "Ryan", der seinen Traum leben darf, und "Conor", der seine alte Band zurücklassen musste, zieht sich durch das Buch, war für mich aber auch wenig prägnant. Bei 75 % kommt plötzlich eine Anschuldigung wegen sexueller Belästigung auf, die vorher kaum angedeutet wurde, und die vom eigentlichen Konflikt ablenkt. Dramaturgisch sinnvoll, weil es die Spannung kurz vor dem Ende erhöht, aber letztlich ein alter Hut.
Vom Alltag der Band, von den Auftritten, von der Leidenschaft und dem Kick sieht man wenig. Ganz im Gegenteil: Oft blendet die Handlung bei Konzerten aus und erst danach wieder ein.
Das Buch hätte auch vor 20 oder 30 Jahren spielen können, nur ohne soziale Medien. Was keinen Unterschied macht. Die Welt ist geprägt von fiesen Journalist:innen und es ist ein Skandal, wenn Mitglieder von Boybands schwul sind oder eine Freundin haben. Nichtmal eine nicht-binäre Figur gibt es.
Die Fronten sind klar: Boybands, deren Songs Massenware sind, auf der einen Seite. Oberflächliche Kunst für konsumierende Teenager-Mädchen. Auf der anderen Seite Indiebands, deren Lieder mit Herz geschrieben sind. Das schillernde, weil ehrliche Leben einer Band, die mit Freude in kleinen Clubs spielt und nebenbei einen oder zwei andere Jobs hat. So einfach ist das aber nicht. Nur, weil Songs in Camps gemeinsam mit anderen geschrieben sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht aus einem tiefen Gefühl heraus entstanden sind. Perlen der Musikgeschichte wurden in 10 Minuten heruntergeschrieben, ohne dass der Künstler oder die Künstlerin wusste, was der Sinn des Liedes ist. Und mit Veranstaltern über Gagen verhandeln zu müssen und/oder das Projekt nur in der Freizeit betreiben zu können, weil die Band die Miete nicht bezahlt, wird ausgeblendet.
Die Welt im Buch ist einfach, aber die Autorin schafft es nicht, ihr neue, interessante Aspekte beizufügen
Auch von Allies journalistischen Fähigkeiten sieht man wenig. Dafür, dass sie seit Jahren Musikkritiken schreibt, sind ihre Texte eher blumig. Nett, aber nicht, so knackig, dass sie auf Social Media verkaufen können. Aus meiner Sicht passen sie eher zu Kolumnen oder längeren Reportagen. Sie interviewt die Band, fotografiert usw. - wie sieh das verarbeitet, davon sieht man nichts. Immerhin waren die Kommentare unter den Posts sehr vielfältig und die Menge nicht zu hoch. Sie geben ein gutes Bild davon, wie Menschen auf solche Beiträge reagieren. Mich hätte auch interessiert, wie Allie, die mit einem Wirtschaftsjournalisten und dessen Stil aufgewachsen ist, den Übergang zu eher unterhaltsamen Musikkritiken geschafft hat.
Es geht im Buch viele interessante Figuren, von denen wir nur wenig sehen.
Auch die Spannung war nicht vorhanden, die Geschichte war von Anfang an klar, ich habe mich bis 60 % gefragt, ob etwas Interessantes passiert, dann merkte ich, dass nichts mehr kommt.
Was mich am meisten gestört hat, war das ständige Schwärmen und die fehlenden Emotionen. Conor ist besessen von Allies Piercings und ihrem Duft nach Rosen und den Fuchsialippen und den ebenholz-farbenen Haar. Sie mag seinen Pinienduft. Die beiden wollen sich, ständig. Ihre Gespräche gehen aber nur selten in die Tiefe. Allies Eltern spielen eine Rolle, Conors nicht. Dafür Conors ehemaige Band, irgendwann. Songwriting ist ein Thema, Selbstverwirklichung. Ich habe nicht mitgefühlt, weil ich kaum eine Beziehung zu den Figuren hatte. Gutes Handwerk, aber nicht einzigartig.
Es gibt nur eine Erotikszene, die sehr ausführlich ist, aber weder technisch noch erzählerisch auffällt.
Der Schreibstil ist flüssig und unauffällig, nur manchmal fand ich Worte nicht so stimmig. Und ich mochte die Metapher, dass die beiden als eine Einheit aus Endorphinen und Serotonin funktionieren. Auch Allies Humor gefällt mir, aber er wird durch die Schwärmereien und die fehlende Substanz überdeckt. Ich glaube der Figur nicht, dass sie SO sarkastisch ist.
Fazit
"All your secret Songs" ist solides Handwerk, dem es leider an Inhalt fehlt. Für mich hat das Buch nichts Besonderes. Ich erkenne die Arbeit aller Beteiligten an und ich sehe in Allies Sarkasmus stilistisches Potential, das ich in "erwachsenen" Büchern gern lesen würde.