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Evy_Heart

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.07.2021

Mogelpackung

Sex/Life
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Ich habe dieses Buch über Netgalley angefordert, weil mich der Klappentext geködert hat. Ich dachte an eine Frau, die sich durch die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit weiterentwickelt, an die ...

Ich habe dieses Buch über Netgalley angefordert, weil mich der Klappentext geködert hat. Ich dachte an eine Frau, die sich durch die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit weiterentwickelt, an die Spannung, die aus den Tagebucheinträgen und der Realität entsteht. Ich hatte ein unterhaltsames, romantisches Buch mit guten erotischen Szenen erwartet. Mysteriös verspricht das Buch im Vorwort, man sollte es aufgrund der obszönen Darstellung sexueller Inhalte von Minderjährigen verstecken. "Obszön" ist an diesem Buch das ständige Selbstmitleid der Ich-Erzählerin und ihr Bedürfnis, ihre tolle Jugend, die gar nicht toll war, hinaufzubeschwören. "verstecken" sollte man das Buch vor jüngeren Lesern, weil es zeigt, dass nach 9 Jahren großer Liebe nur noch Frust steht und die Angst, das offen anzusprechen. Selten hat mich ein Buch so enttäuscht.

Vielleicht ist das Buch eine Parodie, die ich nicht verstanden habe.

Rezi enthält Spoiler.


Cover und Titel

Das deutsche Cover verkauft uns vier Männer - überwiegend handelt das Buch jedoch von Brooks Mann Ken, seltener von den drei festen Beziehungen vor ihm. Außerdem ist die Geschichte nicht so bunt und witzig, wie es das Cover verheißt. Ich mag die geometrische Gestaltung, ich mag die Farben, es ist ein wunderschönes Titelbild - für das Buch jedoch die pure Verschwendung. Eine Frau auf einer Bank in Pastellblau mit ein paar Glanzeffekten hätte es auch gebracht.

Allerdings finde ich den deutschen Titel "Sex/Life" passender als "44 Chapters About 4 Men" - denn es geht um Sex und die Frage, welche Auswirkungen er auf das Wohlbefinden hat.

Worum geht es?

BB hat ein Problem - ihr Mann ist ein toller Freund, als Liebhaber aber körperlich und emotional nicht brauchbar. Die Akte sind schlecht, Komplimente bekommt sie keine und auch sonst wirkt Ken eher passiv. Aus Frust beginnt BB Tagebuch über ihre Verflossenen zu schreiben - und als sie mitbekommt, dass er das liest, erschafft sie zwei Bücher - eines mit ehrlichen Schilderungen, das andere mit geschönten Beschreibungen, um ihren Mann zu besseren Akten zu animieren bzw. zu manipulieren.

Brooke

BB ist das Einzelkind zweier Hippies, die gern rauchend dasitzen. Viel mehr erfährt man nicht. An einigen Stellen wird erwähnt, dass sie gern fotografiert und malt, aber auch über sie erfährt man wenig. Sie hatte früher wenig Busen und hat sich beide Warzen piercen lassen, sowie ein paar andere Stellen. Als Teenager war sie ein Punk, mit schweren Stiefeln, kurzen bunten Haaren. Sie hat mit vielen Männern geschlafen und hat vieles ausprobiert, es gibt aber manches, was sie noch tun will z.B. am Strand oder im Flugzeug. Vielleicht wollte Brooke laut sein, um von ihren Eltern gehört zu werden? Als Erwachsene scheint ihr diese lebhafte Zeit noch sehr wichtig zu sein.

Brook hat eine beste Freundin, die aber wenig zur Handlung beiträgt.

Die drei Männer

Knight ist ein unnahbarer Rebell, der Brooke mag. Er ist spontan und leidenschaftlich, stalkt sie aber, als sie sich trennen - wie genau, das bleibt vage.

Hartley ist in jedem Sinne hässlich - seine Zähne sind nicht schön, er ist nicht intelligent und hat komische Tattoos. Bei Hartley driften Realität und Geschöntes am weitesten auseinander.

Hans ist Gitarrist in einer Band und genießt das Rock'n Roll-Leben. Man weiß nicht, ob er nicht mitbekommt, dass ihn Frauen anbaggern oder ob er Brooke nur gut anlügen kann. Er ist ein netter Kerl und mit ihm zieht Brooke sogar zusammen. Neben der Eifersucht scheitert die Beziehung aber daran, dass Hans nichts zum gemeinsamen Leben beiträgt.

Allen gemein ist, dass sie gefallene Jungs sind, die das Image des wilden, unangepassten Mannes haben. Brooke fühlt sich zu solchen Männern hingezogen. Ich vermute, dass sie jemanden sucht, zu dem sie aufblicken kann. Ich fand sie aber nicht so anziehend.

Ken

Ken ist Buchhalter und hat zwei Seiten. Die eine trägt Schwarz und darin wirkt er autoritär. In diese Seite hat sich Brooke verliebt. Die meiste Zeit ist er aber der schicke Typ im Hemd, der ruhig und ausgeglichen, ziemlich beherrscht wirkt. Und er mag Schmerzen. Ken überlässt Brooke die meisten Entscheidungen, durchdenkt Aufgaben aber gut. Brooke kann mit ihm lachen und sie mögen ähnliche Musik. Als Freund wäre er super, als Mann weniger.

Ich denke, dass sich Brooke in ihn verliebt hat, weil sie die "dunkle" Seite in ihm sieht und weil sie etwas Solides wollte - jemand, der Probleme löst, anstatt sie zu verursachen. Jemanden, an den sie Verantwortung abgeben kann.

Der Konflikt

Anfangs hat Brooke Kens Fähigkeiten noch wohlwollend betrachtet - dass er schüchtern ist, dass er andere Erfahrungen gemacht hat. Und sie hat das als Herausforderung gesehen. Mittlerweile leidet sie jedoch darunter. Obwohl selbst Psychologin, kann Brooke ihre Wünsche kaum kommunizieren. Ich habe mich lange gefragt, warum Brooke ihrer Vergangenheit nachtrauert und warum die Geschichten bei Ken so gut wirken. Ich denke, dass es um Spontanität geht, um eine Pause vom Alltag. Und dass die Geschichten völlig unromantisch sind, aber klar zeigen, was Brooke möchte.

Der Konflikt löst sich schließlich auf zwei Arten: Ken wird zum Super-Lover, der sie spontan im ganzen Haus beglückt - was für mich nicht nachvollziehbar war. Brooke vermutet dahinter eine Trotzreaktion und ich vermute, dass sie nicht lange anhalten würde, weil das zentrale Problem nicht gelöst ist. Brooke versucht das anszusprechen, aber es scheint nur oberflächlich anzukommen. Und die Figur setzt ihre Ansprüche herab, weil sie merkt, dass all die Akte, die in ihrer Fantasie so schön sind, real nicht so gut wirken.

Es gibt viele Möglichkeiten, an körperlichen und emotionalen Konflikten zu arbeiten - eine Affäre, Selbstliebe usw. All diese Möglichkeiten schöpft das Buch nicht aus. Es gibt sich mit einer eher konservativen, romantischen Lösung zufrieden.

Schreibstil und Gestaltung

Ich habe viele Absätze des Buches überflogen, weil Brooke ständig betonte, wie aufregend ihr Leben als Punk war - ich fand das öde und monoton.

Außerdem gibt es am Anfang ein Glossar, weil die Figur eigene Begriffe kreiert hat - die oft nur einmal verwendet werden. Ich fand sie witzig, aber es hätte keines Glossars bedürft. Ähnlich wie der Disclaimer am Anfang soll damit die Spannung gesteigert werden, was ich als Mogelpackung empfand.

Ich fand die Erotik nicht romantisch, nicht schön, sondern nur bitter. Ein bisschen explizit wird es, aber der pseudo-freche Stil der Figur macht die Stimmung kaputt.

Man kann den Schreibstil witzig finden, mich erinnerte er aber an eine 16-Jährige, die ihren Freundinnen in aller Ausführlichkeit und Übertreibung schildert, wie toll alles war.

Was ich gut fand: Den Moment, in dem im Akt Muttermilch aus ihrer Brust spritzt - damit können sich sicher einige Mütter identifizieren.

Fazit

Ein Reinfall.

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Veröffentlicht am 12.06.2021

Gut für zwischendurch

Nachrichten von Männern
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Ich habe das Hörbuch über Netgalley erhalten und wusste anfangs nicht, ob es meinen Humor trifft. Mir hat das Buch gefallen, ich hatte Spaß damit, weil ich mich und einige meiner Gesprächspartner wiedererkannt ...

Ich habe das Hörbuch über Netgalley erhalten und wusste anfangs nicht, ob es meinen Humor trifft. Mir hat das Buch gefallen, ich hatte Spaß damit, weil ich mich und einige meiner Gesprächspartner wiedererkannt habe und weil ich das Gefühl hatte, dass ich nicht allein bin. Objektiv betrachtet sieht die Sache leider etwas anders aus. Übrigens funktioniert das Buch als Hörbuch grandios, weil die Sprecher den Text aufwerten. Als geschriebenes Buch hätte ich Probleme gehabt.

Worum geht es?

Digitale Gespräche mit Männern - bei Dates, Anmachen und anderen Situationen, in denen man sich eher distanziert gegenüber steht.

Der Inhalt im Detail

Das Buch arbeitet ca. 15 Gesprächstypen ab - von Männern, die sich plötzlich nicht mehr melden, über Männer, die einem nur zu besonderen Gelegenheiten schreiben, ohne, dass ein tiefes Gespräch entsteht. Oder Männern, mit denen man sich gut hassen kann.

Die Reihenfolge wirkt beliebig, der Tonfall ist witzig, aber oberflächlich. Ich musste einige Male lachen, hätte mir aber mehr Pointen gewünscht. Immerhin gibt es nur wenige Anspielungen, sodass das Niveau eher niedrig ist.

Was ich vermisst habe, sind klare Handlungsempfehlungen. Im Zweifel werden Fragen mit Humor weggewischt, was ich schade finde. Besonders, als es um das Thema Hassliebe geht, zählt das Buch auf, wie man diesen Kampf am besten vorbereitet und aufrecht erhält. Natürlich könnte man alle Typen mit einer Strategie bewältigen: Überlegen, was einem an der Person liegt und klar sagen, was man erwartet. Wenn man sich nicht auf eine Form der Beziehung einigen kann, dann geht man. Aber es gibt ja viele Zwischentöne. Das Buch ermutigt Menschen in diesem Punkt sehr wenig.

Leider endet das Buch aprupt - es gibt eine Einleitung, aber kein Nachwort - nicht einmal eine Danksagung. So fehlt dem Buch er Abschluss.

Wie funktioniert das Buch als Hörbuch?

Die Texte hören sich gut, sind kurzweilig. Besonders die Chats sind so umgangssprachlich, dass sie normal und nicht steif klingen, aber nicht übertrieben "hip" - es gibt keine Abkürzungen, selten Smilies und Daumen-Hoch. Das fand ich gut.

Ranja Bonalana als Erzählerin, die man als Sprecherin von Kim Raver, Rachel McAdams und Renee Zellweger bzw. Bridget Jones kennt, trägt einen durch das Buch mit einer Betonung, die der Ironie des Buches sehr entgegen kommt, die aber nie überzeichnet ist. Ich fand das sehr angenehm.

Nana Spier spricht u.a. Drew Barrymore und hat den "weiblichen" Teil der Chats vertont. Sie spricht hier höher, fast quietschig, zeigt aber ein bisschen Vielseitigkeit. In einigen Passagen fand ich sie angenehm, in anderen nervig. Ihre Stimme unterstreicht aber leider auch das Klischee von Frauen, die viel fordern und sich viel erhoffen und dabei immer zu hoch, zu quengelig sprechen. Das ist eigentlich nicht mehr notwendig.

Steffen Groth, den ich bisher nicht als Sprecher kannte, sondern als Schauspieler von u.a. Alexis in Doctor's Diary, hörte sich gut an. Ich mag den Klang seiner Stimme, aber er war mir mit seiner Kombination aus Wärme der Stimme, Volumen und Lautstärke in einem Hörbuch zuviel - als Schauspieler ergibt das mit Mimik und Gestik eine tolle Performance, aber nur als Audio war es einfach zuviel. Ein bisschen weniger Energie wäre gut gewesen. Ich denke, dass die Chats zu knackig abgemischt sind. Dennoch wirkt Groth in den verschiedenen Typen sehr stimmig und zeigt, wie vielseitig er sprechen kann.

Fazit

Das Buch erheitert und lässt sich wunderbar auf einer Zugfahrt hören, wenn einem die Nachbarn auf die Nerven gehen. Wer hier praktische Tipps erwartet, wird enttäuscht.

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Veröffentlicht am 24.05.2021

Metapherngewitter

Thérèse und Isabelle
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Dass lesbische Literatur Platz im Mainstream hat, ist relativ selten. Daher freute ich mich, dass mit diesem Buch endlich ein Text über Frauenliebe bei einem namenhaften Verlag veröffentlicht wird.

Fazit ...


Dass lesbische Literatur Platz im Mainstream hat, ist relativ selten. Daher freute ich mich, dass mit diesem Buch endlich ein Text über Frauenliebe bei einem namenhaften Verlag veröffentlicht wird.

Fazit am Anfang: Damals war das Buch so revolutionär, dass es nur stark gekürzt veröffentlicht werden durfte. Es fällt mir schwer, das in die Bewertung einzubeziehen, weil ich dieses Thema gewohnt bin. Als Text für sich finde ich ihn aus handwerklicher Sicht nicht gut.

Das Cover ist hübsch - aber nicht für diese zarte Geschichte.

Worum geht es?

Das Buch beschreibt die Liebe zweier Schülerinnen in einem Internat in Frankreich, über der immer die Gefahr steht, dass die Erzählerin Therese von ihrer Mutter abgeholt wird oder dass beide erwischt werden.

Was hat mir gefallen?

Die Beziehung zur Mutter: Die Ich-Erzählerin hat ein inniges Verhältnis zur Mutter, sieht sich sogar als Vater-Ersatz und sie ist betrübt, als der Stiefvater dazwischen kommt. Das wirft die Frage auf, ob die dominante Isabelle nicht ein Mutter-Ersatz für Therese ist.

Das Machtgefälle: Therese wirkt im Buch eher passiv, sie lässt vieles machen und hat Bedenken, selbst aktiv zu werden. Sie fühlt sich von Isabelles offensiver Art angezogen, hat aber ständig Angst, dass sie erwischt werden. Man sieht sie selten genießen. Besonders am Anfang, als Therese die Hass-Liebe zu Isabelle beschreibt, wird die Ambivalenz gut deutlich. Diesen inneren Konflikt fand ich interessant.

Technik: Die Frauen wenden vielseitigen Techniken an, sie nutzen den ganzen Körper, was ich auch in Büchern der Jetzt-Zeit selten erlebt habe.

Was hat mir nicht gefallen?

Metaphern-Gewitter: Die Autorin springt ständig von einem Bild zum nächsten, ohne sie auszuführen. Ich habe schwer Halt gefunden, ich konnte mich selten in die Beschreibungen fallen lassen. Ich glaube, dass die Autorin vieles umschrieben hat. Ist das Selbstzensur, ist das ihre Sprache? Wahrscheinlich erkennen manche Leser darin große Kunst und entschlüsseln die Gefühle, aber für mich war es kein "Buch für Frauen", weil es die Gefühle nicht offen ausspricht, sondern schwer zugänglich ist.

Die Handlung: Es passiert nicht viel, und auch wenn das Buch ein bisschen Spannung hat, gibt es nichts, was das Geschehen vorantreibt. Das Buch gleitet von einer erotischen Szene zur nächsten, insgesamt gibt es drei Stück davon. Hinzu kommt, dass die Metaphern alles überdecken, zuviel Raum einnehmen.

Fazit

Ähnlich wie mit "Salz auf unserer Haut" bin ich mit dem Text nicht warm geworden. Aus queer-historischen Gründen ist es sicher interessant, das Buch und seine Geschichte aufzuarbeiten und herauszuarbeiten, wie solche Bücher sowohl den Feminismus als auch das Verständnis von queerer Liebe vorangebracht haben. Als Text für sich fand ich ihn langweilig, nicht mitreißend, nicht gefühlvoll und auch nicht erotisch.

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Veröffentlicht am 15.05.2021

Fast besonders

Blütenschatten
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Nach langer Zeit wollte ich ein Buch vom Diogenes Verlag lesen. Und da es um Kunst und Musen geht, und ich mich gern mit bildender Kunst beschäftige, habe ich das Buch angefordert.

Rezi enthält Spoiler.

Worum ...

Nach langer Zeit wollte ich ein Buch vom Diogenes Verlag lesen. Und da es um Kunst und Musen geht, und ich mich gern mit bildender Kunst beschäftige, habe ich das Buch angefordert.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Um eine Frau, die sich und die Kunst in den Mittelpunkt rückt. Eve befindet sich im steten Kampf - mit ihrem Mann, mit dem sie ein langweiliges Leben führt und dessen Affären sie mit Affären bestraft. Mit ihrer Tochter, von deren Leben als Influencerin sie nichts hält. Mit ihrer Erinnerung an den Künstler Florian, dessen Muse sie einst war, für den sie aber nur eine von vielen Affären war und der sogar Kapital aus ihrer Verletzlichkeit als junge Künstlerin geschlagen hat, indem er sie malte. Mit Konkurrentin Wanda, deren selbst-kasteiende Aktions-Kunst im krassen Gegensatz zu Eves Stillleben stellt. Doch die Angst zu versagen verdrängt sie mit dem unerschütterlichen Glauben an ihre Kunst. Und genau an diesem Stolz scheitert sie und reiht sich ein in die, die sie so sehr verachtet.

Treffend formuliert des der englische Untertitel: "Family life. Reputation. They took a lifetime to build and a second to wreck." (Familienleben. Anerkennung. Es braucht ein ganzes Leben, um sie aufzubauen. Und einen Augenblick, um sie zu zerstören.)

Wie ging es mir beim Lesen?

Die ersten 50 Seiten habe ich mich gelangweilt, weil das Buch eine Parallelmontage aus der Jetzt-Zeit, auf einem Spaziergang durch London, und Erinnerungen ist. Wer schonmal in London war, wird vieles wieder erkennen und ich vermute, dass sich die Leser in das Gefühl der Stadt fallen lassen können.

Interessant fand ich, dass sich die Spannung nach und nach aufbaut und sich meine Meinung von der Figur verändert hat. Anfangs hatte ich Mitleid, weil sie traurig durch den Regen läuft. Doch je weiter die Handlung voranschreitet und je mehr man von der Figur entdeckt, desto undurchsichtiger wird die Schuldfrage. Welchen Anteil hat sie an dem Unglück, das ihr widerfährt? Warum macht sie das Gefühl, dass jeder gegen sie ist, blind für die Menschen? Warum denkt sie, dass man mit Geld (für die Tochter, einen Ex-Lover ...) alles kitten kann? Und warum ändert sie nicht die Richtung, obwohl es deutliche Hinweise gibt, dass etwas nicht stimmt? »Das Problem mit dir ist, dass du eine als Rebellin verkleidete Traditionalistin bist.«, sagt Eves Mann bei 51 % des Buches. Und das zieht sich durch das ganze Buch.

Letztlich habe ich Eve so sehr gehasst, dass ich überlege, ob das Werk nicht eine Satire ist. Auf einen Künstler, der das Kunst-Schaffen über alles stellt. Und auf einen Kunstbetrieb, der noch so konservativ ist, dass man jemanden mit einer Affäre zu einem jüngeren Mann den Ruf ruinieren kann. Dass ausgerechnet die Kunst, die uns frei machen sollte, so deutliche Grenzen setzt, wenn es um's Geld geht. Besonders der Höhepunkt zeigt das. [Spoiler] Nachdem sich Eves Liebhaber, der sich als Intrige ihrer Konkurrentin Wanda entpuppte, versehentlich selbst verletzte und im Sterben liegt, ruft sie keinen Krankenwagen, sondern findet das Rot seines Blutes so schön, dass sie erst ihr Bild fertig malt. Sie erkennt die Tat nicht als Verbrechen, sondern das größere Verbrechen wäre es, das Bild unvollendet zu lassen. [Spoiler Ende] Bis zum Schluss glaubt sie, dass ihre Anerkennung als Künstlerin über allem steht.

Letztlich bekommt man einen guten Einblick in die Figur und das Buch entfaltet einen guten Sog.

Was hat mir nicht gefallen?

Mit Distanz betrachtet ist die Geschichte relativ simple und die Hinweise auf das Ende deutlich. [Spoiler] Der Täter ist ziemlich dumm, er versucht nicht, sich zu retten oder Eve zu beschwichtigen, und er hat sein Verbrechen nicht einmal gut verschleiert. [Spoiler Ende]

Ich fand es gut, einen Einblick in die Arbeit einer Künstlerin zu bekommen, deren Arbeit so weit von meinen Präferenzen entfernt liegt. Aber die Passagen über Farben und Blumen sind langatmig.

Aktionskunst vs. Stilleben

Ein Schwerpunkt des Buches ist der Gegensatz aus Wanda (Performance Art) und Eve (Blumen). Wanda, die sich Eve angeblich immer unterlegen fühlte, celebriert ihr Leiden. Beispielsweise steht sie drei Tage lang öffentlich vor einem Spiegel und starrt sich an. Oder sie hängt vollgeblutete Tampons an die Decke. Wanda steht für eine neue Form der Kunst, die für mehr Menschen zugänglich ist, weil sie verschiedene Sinne anspricht. Als Betrachter muss man keine geheimen Codes entschlüsseln, sondern man wird durch seine Rolle als Zuschauer Teil des Kunstwerkes. Man denkt über sie nach, kann mit ihr interagieren. Und ich glaube auch, dass die parasoziale Beziehung zwischen Künstler und Rezipient, an der Grenze zum Konsum, eine Erfahrung ist, nach der sich Menschen sehnen. Weil sie Gefühle sichtbar macht, über die die Gesellschaft selten spricht. Innerhalb des Kunstwerks darf man sie erleben, ähnlich wie Fremdscham, wenn man Reality-TV guckt.

Eve dagegen mag Stillleben und gibt damit einer Kunstform ein Gesicht, das lange als bloße Abbildung der Natur galt und in dem vor allem Frauen aktiv waren - ohne, dass man sie gesehen hat. Der Text zeigt, dass die Auswahl der Farben, die Anordnung der Blumen und die Wahl der Blüten ein bewusster Prozess ist. Das macht das Bild zur Kunst. Und obwohl sich Eve nicht wertgeschätzt fühlt, gibt es eine Käuferschicht für diese Richtung.

Genauso wie Wanda ihre Gefühle nach außen tragen muss, um sich gut zu fühlen, trägt Eve sie nach innen, indem sie sich penible dem Prozess widmet. Worin sich beide Frauen gleichen.

Fazit

"Blütenschatten", im Englischen düsterer "Nightshade" (Nachtschatten) ist ein Buch, das Eindruck hinterlässt. Es besticht mit seiner geradlinigen Figur, über die man gut nachdenken kann, und mit vielen Aspekten, die angesprochen werden. Trotzdem finde ich den Text ein bisschen altbacken, weil er ein eher traditionelles Bild von der Kunst und der Künstlerin zeichnet.

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Veröffentlicht am 15.05.2021

Schäfchenwolke

Mittwochs am Meer
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Ich kannte Alexander Oetker als Krimiautor und Reporter im Fernsehen. Da ich jedoch noch nie ein Buch von ihm gelesen habe, wollte ich das ändern. Spoiler am Anfang: Ein Krimi ist es nicht. Eher eine ...


Ich kannte Alexander Oetker als Krimiautor und Reporter im Fernsehen. Da ich jedoch noch nie ein Buch von ihm gelesen habe, wollte ich das ändern. Spoiler am Anfang: Ein Krimi ist es nicht. Eher eine leichte Liebesgeschichte, die das Potential zu einer Charakterstudie gehabt hätte, aber letztlich schnell vergessen ist.

Rezi enthält Spoiler!

Worum geht es?

Maurice ist Anwalt und arbeitet als Insolvenzverwalter. Jede Woche verbringt er ein paar Tage in den Firmen seiner Klienten und versucht, deren Unternehmen zu retten. Eines seiner Projekte ist eine Fabrik an der bretonischen Küste. Ein Job wie jeder andere, bis irgendwann eine mysteriöse Frau auftaucht - und sich alles ändert.

Meine Meinung

Anfangs fand ich das Buch nett - die Figur wird langsam eingeführt, die Stimmung ist ruhig, die Landschaftsbeschreibungen haben Flair. Aber als nach 40 Seiten (von ca. 146) noch nichts passiert war, wurde ich stutzig. Dann die Frau, die Maurice mit Gedichten von Rimbaud erobert. Und seitenweise Liebe, oberflächliche Gespräche und Schwüre. Und ein paar Akte. Maurice, dem Pünktlichkeit bisher sehr wichtig war und der erstaunliches Verhandlunggeschick besitzt, vernachlässigt seine Arbeit. Bis zur kleinen Katastrophe. Die Spannung im Buch steigt sehr langsam, alles fühlte sich rosa-rot und unglaubwürdig an. Ich hätte das Buch abgebrochen, wenn ich nicht in den Rezis gelesen hätte, dass es eine überraschende Auflösung gibt.

[Spoiler] Wer denkt, dass Zwillings-Motiv wäre so oft genug behandelt worden, der irrt. Warum sollte sich ein Mann in die Zwillingsschwester seinr großen Liebe vergucken, wenn doch auch Zwillinge unterschiedliche Menschen sind? [/Spoiler]

Ich finde die Auflösung simple und sie hat mich gar nicht gepackt. Ich habe auch nicht verstanden, warum sich Maurice nur in die Frau verliebt, weil diese ihn anspricht. Es fühlte sich an, als wollte er eine falsche Entscheidung aus seiner Vergangenheit korrigieren.

Ich fand es sehr schade, dass Maurice nicht "richtig" scheitert und ein Happy End bekommt. Ich habe auch nicht mit ihm mitgelitten, weil die Liebe alles übertönt.

Sehr gut fand ich die Darstellung Frankreichs - die Beschreibungen sind ausführlich, aber nicht nervig. Man fühlt sich wirklich, als sei man in der Bretagne und dieses Gefühl nehme ich über das Buch hinaus mit. Auch Vorurteile der Regionen untereinander werden angesprochen, was ich interessant und witzig fand.

Fazit

"Mittwochs am Meer" ist ein Versuch einer netten, sommerlichen Liebesgeschichte. Und diese wird sicher einigen Leuten gefallen, weil sie so "perfekt" ist. Für mich war der Text eher langweilig.

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