(K)eine Botschaft für Jungmenschen
V is for VirginIch habe das Buch angefordert, weil ich mich mit dem Thema beschäftigen wollte - denn für mich war das nie relevant. Als Teenager hat mich das nicht interessiert und als ich als junge Erwachsene einen ...
Ich habe das Buch angefordert, weil ich mich mit dem Thema beschäftigen wollte - denn für mich war das nie relevant. Als Teenager hat mich das nicht interessiert und als ich als junge Erwachsene einen Freund hatte, war es mit ihm und in diesem Moment genau richtig. Ich wollte verstehen, warum Menschen bis zur "Ehe" warten. Letztlich hat mich das Buch zum Denken angeregt und ich frage mich umso mehr, warum "die Ehe" als Fixpunkt gesetzt wird, ohne sie zu hinterfragen.
Außerdem habe ich erstmals in einem Buch festgestellt "Ich bin zu alt für den Scheiß!"
**Worum geht es?*
Valerie wird von ihrem Freund verlassen, weil sie nicht mit ihm schlafen möchte. Als sie ihn auch noch mit ihrer Feindin sieht, schreit sie ihn in der Cafeteria an - und wird gefilmt. Aus einem kleinen Video wird eine große Bewegung. Und dazu kommt noch Rockstar Kyle und der Konflikt mit ihrer "besten" Freundin Cara.
*Das Positive*
die Dramaturgie: Ich fand das Buch wirklich "rund", ich konnte gut mitfühlen, habe alle Konflikte nachvollziehen können. Außerdem war das Ende unerwartet, in mehrerlei Hinsicht. Außerdem gefällt mir, dass es keine typische "Rockstar-Romanze" ist.
die Reflexion im Kleinen: Kyle erklärt, warum es für ihn so reizvoll ist, mit Val als Jungfrau zu schlafen. Ich fand das sehr reif und interessant.
Jungfräulichkeit ist ungleich "nicht körperlich": Val küsst ihren damaligen Freund und genießt das. Keinen Sex zu haben bedeutet nicht, dass man nicht körperlich aktiv wird.
Kein Frauenproblem: Auch Männer können überfordert sein, wenn Frauen mit ihnen schlafen wollen, sie aber nicht - ich finde es gut, dass der Roman das anspricht und Männern einen Schutzraum geben will. Ein Mann ist nicht schwach, weil er Angst (?) vor Sex hat.
*Das Negative*
Vorhersehbarkeit: Valerie trifft keine Entscheidungen, alles passiert einfach so - die Karriere als Virgin Val genauso wie die Trennung von Freund Issac, den sie nicht liebt. Auf dem Höhepunkt trifft sie tatsächlich eine Entscheidung - aber diese wird nur kurz beleuchtet. Selbst der Konflikt mit der besten Freundin wird nicht aufgelöst, er verschwindet einfach.
Die Lücken: An manchen Stellen ist das Buch sehr realistisch z.B. dass Valerie ihre Schmuckkollektion nicht herausbringen kann, ohne, dass ihre Eltern zustimmen - denn sie ist noch nicht voll geschäftsfähig. Und dass sie sogar ein Gewerbe anmelden muss. An anderen Stellen blieben bei mir Fragezeichen. Issac glaubt an Gott - das spielt aber für die Beziehung keine Rolle. Wenn man mehrere Monate zusammen ist, dann setzt man sich mit der Religion des anderen auseinander und findet seine eigene Position darin. Wichtig wird das Thema nur am Ende, als sich Issac von Valerie trennt, um auf Mission zu gehen. Auch die Beziehung zu Cara wirkt von Anfang an nicht harmonisch - Valerie betrachtet sie liebevoll als jemanden, der auf Drama und Glamour steht. Cara ist die verrückte Freundin, die in Highschool-Filmen die Handlung auslöst, mit der man real aber kaum Berührungspunkte hätte. Ihre Welten wirken zu unterschiedlich und entfernen sich im Laufe des Buches. Und anstatt aufeinander zuzugehen und sich einzugestehen, dass sie sich vermissen, streiten sie sich. Ich würde so etwas anders lösen - ein "Ich habe Angst um unsere Beziehung" hilft oft mehr.
fehlende Erwachsene: Eltern usw sind im Buch vorhanden, tun aber nur wenig. Das nervte mich an zwei Punkten: Vals Adoptiveltern unterstützen sie, reden aber nicht darüber, was es bedeutet "verheiratet" zu sein. Die Ehe bleibt als Idealbild. Außerdem arbeitet Val für die "Nicht alle tun es"-Stiftung, die sie aber nur ausnutzen. Als Val von Kyle öffentlich geküsst wird, obwohl sie das nicht wollte, greift keiner ein. Es spricht sie auch später keiner an. Ich finde es gruslig, weil hier wieder das Bild entworfen wird, dass Belästigungen ok sind, weil sie sich eigentlich mögen. Jemandem zu nahe zu kommen und öffentlich bloßzustellen, das ist nicht in Ordnung. Dass das von Leuten toleriert wird, die sich für einen Bereich der sexuellen Selbstbestimmung einsetzen, ist paradox.
Jungfräulichkeit: Val gibt sich das Versprechen, mit Sex zu warten, bis sie verheiratet ist, weil ihre leibliche Mutter jung schwanger wurde und sie zur Adoption freigab. Valerie ist dankbar, möchte das aber nicht. Ich habe mich gefragt, ob es wirklich um die Jungfräulichkeit geht oder darum, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Besser zu sein. Stark zu sein, weil die Mutter es damals nicht war. Um Sex und Selbstbestimmung geht es weniger. Im Gespräch mit Kyle erklärt er, eine Frau zu entjungfern sei eine Art Kontrolle - "zu sehen, wie sie alles zum ersten MAl erlebt? Ihr Dinge beizubringen?" (S. 203 von 234). Ich frage mich, ob die Kontrolle auch von der Frau ausgeht - denn sie verspricht ihm, mit ihm zu schlafen, wenn sie verheiratet sind. Was, wenn die Frau feststellt, dass sie körperlich nicht zueinander passen? Vielleicht geht es weniger um die Jungfräulichkeit als darum, sich eine Frist zu setzen, bis zu der man sich bereit fühlen muss. Aber ist "bereit fühlen" nicht ein Prozess? Ein Erkunden von Grenzen? Und sollte man nicht die Entscheidung, ob man mit jemandem schläft, jedes Mal neu fällen? Kann man sich in einem Moment bereit fühlen und im nächsten nicht? Umso interessanter finde ich das Thema "Abstinenz", das im zweiten Band eine Rolle spielt.
Val beschreibt das so "Ich will, dass meine Unberührtheit sowohl mir als auch dem Mann etwas bedeutet [...] Wie würdest du dich fühlen, wenn ich dich als die einzige Person auswähle, die mich so intim kennt? Wie wäre es für dich zu wissen, dass niemand sonst mich berühren darf?" (S. 204/234) Wenn man das erste Mal mit jemandem schläft, egal ob es der erste oder der der hunderste Partner ist, sollte es immer etwas Besonderes für beide sein, in diesem Moment. Den Partner mit "Intimität" zu locken, setzt beide unter Druck.
Glaubt man einigen Theorien, dann ist "Jungfräulichkeit" ein Relikt aus der Zeit, in der die Treue der Frau besonders wichtig war, weil der Besitz nur an die "eigenen" Nachkommen vererbt werden und Streitigkeiten vermieden werden sollten. In der Frauen ein Wertgegenstand des Mannes und von ihm abhängig waren.
Auch der Begriff der "Ehe" bleibt vage - es geht für beide Partner darum zu entscheiden, ob die Ehe tatsächlich zum Ziel des Aktes führt. Es ist das Versprechen ewiger Treue - aber wie weit geht diese? Wo hören gemeinsame Bedürfnisse auf und wo fangen eigene an? Es ist auch eine rechtliche Frage - Steuern, Erbrecht ... Ich denke, dass man auch mit 18-Jährigen über die Pros und Cons von Jungfräulichkeit, aber auch von Ehe reden kann.
Außerdem kommen nur wenige Menschen zu Wort, die ihre Entscheidung bereut haben. Oder denken, sie hätten richtig gehandelt. Obwohl Potential da wäre - Kommentare unter einem Video können sehr hilfreich sein.
Was mich vor allem stört: Eigentlich geht es nicht darum, dass Valerie Sex haben will. Es geht um Unterhaltung. Der Text ist ein flottes, nettes Buch um Freundschaft und Liebe. Die Jungfräulichkeit ist nur Mittel zum Zweck. Man hätte auch ein anderes Thema als Rahmenhandlung nehmen können.
*Schreibstil und Übersetzung*
Ich fand den Text flüssig lesbar, aber bei der Übersetzung bin ich manchmal gestolpert. Die "Nicht alle tun es"-Stiftung heißt im Original leider auch "Not everybody's doing"-Foundation, aber manche Begriffe fand ich komisch. "computer lab" als "Computerlabor" zu bezeichnen, hat mich irritiert - ist es in Informatikraum bzw. ein Computerkabinett oder stehen dort wirklich Computer und Reagenzgläser? Die "Doc Marten combat boots" werden zu Kampfstiefeln - "Doc Martens" finde ich besser, wenngleich nicht jeder die Marke kennt. Als die Stiftung Valerie zu ihrer Sprecherin ernennt, wusste ich nicht, ob damit Pressesprecherin gemeint war oder Testimonial bzw. das Aushängeschild. "Hauptaufenthaltsbereich" für "main common area" ist treffend, aber nicht fließend.
*Fazit**
"V is for Virgin" trifft einige gute Punkte und versucht, vielschichtig zu sein. Trotzdem ist das Thema nur der Aufhänger für eine spannende Geschichte um Freundschaft und eigene Werte. Es war unterhaltsam und teilweise überraschend. Aber je länger ich über den Rahmen nachdenke, desto wütender werde ich, weil der Text letztlich eher konservativ ist. Andererseits: Das Original erschien 2012 - die Welt hat sich seitdem verändert.