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Veröffentlicht am 10.03.2019

Russisch Roulette auf dem OP-Tisch

Der Horror der frühen Medizin
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Noch im 19ten Jahrhundert kam die Einlieferung in ein Krankenhaus quasi einem Todesurteil gleich Der Begriff Hygiene war zwar erfunden, so wirklich interessiert hat das aber niemanden. Da trug man doch ...

Noch im 19ten Jahrhundert kam die Einlieferung in ein Krankenhaus quasi einem Todesurteil gleich Der Begriff Hygiene war zwar erfunden, so wirklich interessiert hat das aber niemanden. Da trug man doch lieber stolz jahrelang den versifften OP-Kittel seines großen Vorbildes, anstatt sich einmal die Hände zu waschen oder auch nur das Blut des vorherigen Patienten abzuwischen. Umso besser für uns, dass irgendwann ein unscheinbarer und oft von Zweifeln geplagter Quäker namens Joseph Lister das medizinische Parkett betrat. Lindsay Fitzharris bringt uns in ihrer sehr lesenswerten Biografie nicht nur dessen Leben und Wirken näher, sondern erläutert auch Vieles zu Bakterien und Septik. Das tut sie auf sehr ansprechende Art und Weise, auch ohne großes Vorwissen kann man ihr sehr gut folgen; ganz so zartbesaitet sollte man nicht sein, die Autorin beschreibt die ekelerregenden Zustände sehr realistisch. Tiefe Einblicke in die viktorianische Gesellschaft, die Ausbildung der Ärzte in jener Zeit (bzw. das Fehlen derer) und in die damals gängigen Lehrtheorien runden das Bild um Listers Forschungsarbeit ab. Trotz des sehr informativen Inhalts wird „Der Horror der frühen Medizin“ nie belehrend oder staubtrocken, ich fand das Buch sehr gut zu lesen. Ab und an verliert sich die Autorin leider in Wiederholungen, vielleicht nötig um den Leser ohne Vorbildung abzuholen, mir jedoch zu viel des Guten. Das ist aber auch wirklich mein einziger Kritikpunkt, ansonsten ist Fitzharris‘ Biografie sehr zu empfehlen.

Veröffentlicht am 18.11.2018

The Queen

Queen Victoria
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„Victoria war eine Königin in Schwarz-Weiß, die so leidenschaftlich regierte, wie sie liebte.“
Über Queen Victoria, die Namensgeberin eines ganzen Jahrhunderts, hat so ziemlich jeder ein paar Fakten im ...

„Victoria war eine Königin in Schwarz-Weiß, die so leidenschaftlich regierte, wie sie liebte.“
Über Queen Victoria, die Namensgeberin eines ganzen Jahrhunderts, hat so ziemlich jeder ein paar Fakten im Kopf. Doch was davon stimmt wirklich? Die Australierin Julia Baird räumt mit vielen dieser Halbwahrheiten auf, und das auf eine sehr unterhaltsame Art und Weise. Schon nach wenigen Kapiteln war ich von Bairds Erzählung gefesselt, denn ihre Biografie liest sich sehr gut, fast wie ein historischer Roman. Man merkt gleichzeitig aber die vielen Jahre der akribischen Recherche in jeder Zeile, viele Zitate werden eingebunden ohne dass sie die Texte überlaufen, einige Fotografien und Gemälde geben zusätzliche Informationen preis. Die Fakten hinter den Fakten kann der besonders interessierte Leser im Anhang finden. Baird erzählt weitestgehend chronologisch, erklärt Ereignisse und Persönlichkeiten aber immer auch im großen Zusammenhang, sodass man nicht nur sehr viel über Victoria selbst, sondern auch über ihre Mitmenschen, Vor- und Nachfahren erfährt. So wie sich hinter ihr nicht nur eine Königin, sondern auch eine liebende Ehefrau, eine aufopferungsvolle Mutter und nicht zuletzt Tierfreundin verbirgt, so wird auch das 19. Jahrhundert immer wieder neu beleuchtet und auf die gesellschaftlichen Veränderungen eingegangen.
Ich habe Bairds faszinierende Biografie sehr gerne gelesen, eine großartige Möglichkeit die Frau hinter dem Mythos kennen zu lernen.

Veröffentlicht am 30.10.2018

Toller Historienschmöker

Der Spielmann (Faustus-Serie 1)
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Der junge Johann versteht die Welt nicht mehr, denn nach dem plötzlichen Tod der Mutter setzt ihn der Vater einfach vor die Tür. Doch Johann würde nicht Der Glückliche genannt werden, würde er seinen Weg ...

Der junge Johann versteht die Welt nicht mehr, denn nach dem plötzlichen Tod der Mutter setzt ihn der Vater einfach vor die Tür. Doch Johann würde nicht Der Glückliche genannt werden, würde er seinen Weg nicht finden. Dieser führt ihn in die Arme des Magiers Tonio del Moravia, der ihn bald als Lehrling mit den verschiedensten Künsten vertraut macht. Auch mit den dunklen.

Der sagenumwobene Dr. Johannes Faust hat nicht nur Goethe und Marlowe inspiriert, sondern auch Oliver Pötzsch. Er hat dieser vielumschriebenen Persönlichkeit mit seinem historischen Roman noch einmal ganz neues Leben eingehaucht. Sein Faustus ist ein wissbegieriger, kluger Kopf, der jedoch auch vor den dunklen Künsten nicht zurückschreckt. Trotz dieser dunklen Seite war er mir schnell sympathisch, und man kann sein Denken und Handeln immer gut nachvollziehen. Dieses Hin und Her zwischen Gut und Böse macht einen großen Reiz der Geschichte aus, man drückt Faustus immer die Daumen, dass er letztendlich auf der richtigen Seite landen möge. Seine wissenschaftlichen Ausflüge fand ich ebenfalls sehr spannend, er bewegt sich zeitweilig unter den klügsten Köpfen seiner Zeit und so gibt es einiges zu lernen. Natürlich kenne ich Goethes Faust, und so war es immer wieder schön an ganz unverhofften Stellen Zitate daraus zu finden. Mir hat der Erzählstil unglaublich gut gefallen, der Autor beschreibt die Geschichte von Faustus in buntesten Farben, egal ob es sich dabei um die farbenfrohe Gauklertruppe oder die düstere Magie von Moravia handelt. Die Handlung ist spannend und abwechslungsreich, ich habe mit Johann gebangt und gehofft, gelacht und gelernt. Ein toller Historienschmöker, der altbekanntem Stoff neues Leben einhaucht. Band Zwei wird schon jetzt sehnlichst erwartet.

Veröffentlicht am 23.10.2018

Sehr schöner, ruhiger Roman

Zärtliche Klagen
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Rurikos Ehe mit ihrem Mann scheint am Ende, sie flüchtet in das Landhaus, in dem sie als Kind glückliche Tage verbrachte. Doch statt Einsamkeit findet sie die quirlige Kaoru, die in der Nähe bei dem Cembalobauer ...

Rurikos Ehe mit ihrem Mann scheint am Ende, sie flüchtet in das Landhaus, in dem sie als Kind glückliche Tage verbrachte. Doch statt Einsamkeit findet sie die quirlige Kaoru, die in der Nähe bei dem Cembalobauer Nitta arbeitet. Die drei freunden sich an, doch hegt Ruriko bald noch ganz andere Gefühle.

Ogawas Romane strahlen immer eine wunderbare Ruhe aus, mit ganz zarten und leisen Tönen erzählt sie ihre Geschichten. So auch in ihrem neuesten Roman, der mir wieder ganz wunderbar gefallen hat. Die drei Hauptfiguren werden nur zart umrissen, einzig Kalligraphin Ruriko lernt man etwas besser kennen; das tut der Geschichte aber sogar gut, man muss die anderen beiden gar nicht besser kennen. Sehr gut kennen lernt man stattdessen die Cembalos und ihre Musik. Musik, Klangfarben und Töne in Worten wiederzugeben ist wirklich recht schwierig, doch der Autorin gelingt das ganz hervorragend. Auch über den Bau und die Geschichte dieser Instrumente lernt man wie nebenbei einiges, ebenso wie über Rurikos Arbeit. Die Handlung verläuft relativ ruhig, man spürt die Einsamkeit und Ruhe des zurückgezogenen Lebens. Die romantischen Gefühle der Figuren spielen zwar immer wieder eine wichtige Rolle, trotzdem ist „Zärtliche Klagen“ nicht etwa kitschig geraten, sondern zwar emotional, aber eben japanisch zurückhaltend. Die landestypische Distanz zwischen den Personen, aber auch zum Leser bleibt immer vorhanden, manchmal hätte ich mir etwas mehr Nähe gewünscht. Insgesamt habe ich die Geschichte aber sehr genossen, und freue mich schon auf die nächste aus der Autorenfeder.

Veröffentlicht am 29.09.2018

Russische Schwermut

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Sieben Jahre saß Ilja im Gefängnis, weil ihm von Fahnder Petja ein Verbrechen angehängt wurde. Sieben Jahre, in denen er eigentlich im Leben Fuß hätte fassen sollen. Jetzt ist die Freundin schon lange ...

Sieben Jahre saß Ilja im Gefängnis, weil ihm von Fahnder Petja ein Verbrechen angehängt wurde. Sieben Jahre, in denen er eigentlich im Leben Fuß hätte fassen sollen. Jetzt ist die Freundin schon lange weg, der Studienabschluss ewig her, und zu allem Unglück stirbt Iljas Mutter kurz vor seiner Freilassung. Der trifft an seinem ersten Tag in Freiheit ausgerechnet auf Petja, die Wurzel allen Übels; und ersticht ihn. Doch Petjas Leben lässt Ilja nicht los, denn er liest sich durch die Aufzeichnungen und Nachrichten in dessen Handy.

Von russischen Klassikern kennt man die Schwere, das Melancholische dieser Literatur. Glukhovskys Stil vereint die Eigenschaften dieser altbekannten Literatur mit modernen Themen. Ilja ist eine tragische Figur, eigentlich hat er im Leben nichts groß falsch gemacht, trotzdem bricht ein Unglück nach dem anderen über ihn herein. Man wünscht ihm nur das Beste, allerdings hat man mit fortschreitender Handlung doch sehr wenig Hoffnung auf nur ein bisschen Glück für ihn. Petja hingegen scheint mit dem goldenen Löffel im Mund geboren zu sein, doch je mehr man ihn durch seine Nachrichten kennen lernt, desto klarer wird, dass auch er kein leichtes Leben hatte. Ilja irrt mit Petjas Geist im Nacken durch das moderne Moskau, man folgt ihm durch die kalte Stadt und versinkt genüsslich in der russischen Schwermut. Der Erzählstil ist etwas eigenwillig, ich hatte zuerst Zweifel ob sich aus emails, Whatsappnachrichten etc. eine flüssige Handlung ergeben kann. Kann es. Und eine mitreißende noch dazu. Mir hat Glukhovskys Roman wirklich sehr gut gefallen, auch wenn man sich auf die düstere Stimmung einlassen muss.