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Veröffentlicht am 11.09.2022

Toxische Beziehung

Lügen über meine Mutter
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Daniela Dröscher beschäftigt sich in dieser Autofiktion mit ihrer Kindheit in den 1980'ern, die stark geprägt war durch die toxische Beziehung ihrer Eltern. Diese kaputte Beziehung bestimmt das ganze Familienleben, ...

Daniela Dröscher beschäftigt sich in dieser Autofiktion mit ihrer Kindheit in den 1980'ern, die stark geprägt war durch die toxische Beziehung ihrer Eltern. Diese kaputte Beziehung bestimmt das ganze Familienleben, aber am meisten leidet darunter die Mutter, die der Vater ständig in Rollen und Figuren zwingen will, die sie so nicht erfüllen möchte oder kann. Obwohl ihr der Ausbruch aus dieser toxischen Beziehung erst spät gelingt, ist der Umgang der Mutter damit dennoch respektabel. So schafft sie sich immer wieder kleine Inseln der Selbstbestimmung, hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Zaun und ist den Kindern eine gute Mutter. Auch wenn man sich wünscht, dass sie den Vater früher zum Teufel schickt, ist es doch die Geschichte einer keinesfalls perfekten aber doch starken Frau.
Die ganze Tragik wird durch den kindlich-unbedarften Blick der Ich-Erzählerin etwas entschärft. Daniela Dröscher trifft hier aber genau den richtigen Ton, ohne dass das ganze anstrengend oder verharmlosend wird. Überhaupt ist das Buch sehr flüssig lesbar.
Eine gelungene Autofiktion, ein gelungener Roman!

Veröffentlicht am 11.09.2022

Brasilien, Mitte des 20. Jahrhunderts

Die Stimme meiner Schwester
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In Itamar Vieira Juniors "Die Stimme meiner Schwester" erzählen die beiden Schwestern Bibiana und Belonísia im Wechsel aus ihrem Leben im ländlichen Brasilien Mitte des 20. Jahrhunderts. Würde diese Zeitangabe ...

In Itamar Vieira Juniors "Die Stimme meiner Schwester" erzählen die beiden Schwestern Bibiana und Belonísia im Wechsel aus ihrem Leben im ländlichen Brasilien Mitte des 20. Jahrhunderts. Würde diese Zeitangabe nicht in der Ankündigung des Verlages erwähnt und würden im Buch nicht Autos und Motorräder vorkommen, könnte man auch denken, dass das Buch im 18. oder 19. Jahrhundert spielt. Die Menschen auf den Plantagen leben ein an Sklaverei oder Leibeigenschaft erinnerndes Leben unter primitiven Umständen - selbst um eine Schule muss mit den Besitzern der Plantage gekämpft werden. Für mich waren diese Lebensumstände der Nachkommen tatsächlicher Sklav*innen in ihrer Ungerechtigkeit und Ausweglosigkeit erschütternd zu lesen.
Zu dieser Beschreibung der Lebensumstände gesellt sich noch Mystik und Symbolik - der eigentliche Handlungsbogen ist dabei allerdings sehr überschaubar.
Wer ein eindrückliches und wie ich denke authentisches Bild vom Leben der von Sklaven abstammenden Bevölkerung Brasiliens bekommen möchte, ist mit diesem Buch sehr gut beraten.

Veröffentlicht am 10.09.2022

Kein Musik-Buch!

Der grössere Teil der Welt
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Erwartet hatte ich einen Musik-Roman mit Punkrock, Band- und Tourleben etc. Bekommen habe ich einen Roman, der sich vor allem durch Perspektiv- und Zeitwechsel auszeichnet, das Thema Musik aber immer nur ...

Erwartet hatte ich einen Musik-Roman mit Punkrock, Band- und Tourleben etc. Bekommen habe ich einen Roman, der sich vor allem durch Perspektiv- und Zeitwechsel auszeichnet, das Thema Musik aber immer nur streift. Den Überblick über die verschiedenen Zeitebenen und das umfangreiche Personal zu behalten, war durchaus fordernd. Die Personen, aus deren Perspektive erzählt wird, haben teilweise nur sehr lose Verbindungen zueinander, wodurch es oft überrascht, aus welcher Perspektive als nächstes berichtet wird. So ergibt sich ein vielschichtiger Roman, der sich aber leider recht wenig mit Musik beschäftigt, sondern mehr mit PR-Arbeit, Freundschaft, Liebe, Älterwerden, Drogen - bei großzügiger Betrachtung also mit den Begleiterscheinungen eines Musiker-Lebens.

Anders als von mir erwartet, teilweise überzeichnet, fordernd, aber durchaus lesenswert.

Veröffentlicht am 25.08.2022

Tragisch und etwas sperrig

Die Wunder
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Elena Medel beschreibt in ihrem Roman-Debut zwei Frauenleben, nämlich die von Großmutter María und Enkelin Alicia. Dass die beiden sich nie kennengelernt haben, ist schon ein erstes Anzeichen dafür, dass ...

Elena Medel beschreibt in ihrem Roman-Debut zwei Frauenleben, nämlich die von Großmutter María und Enkelin Alicia. Dass die beiden sich nie kennengelernt haben, ist schon ein erstes Anzeichen dafür, dass "Die Wunder" ein eher tragisches Buch ist. Die Entfremdung zwischen Töchtern und ihren Familien zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, allerdings ohne intensiv behandelt zu werden. Überhaupt wird vieles in diesem Buch eher angedeutet als ausführlich beschrieben, wodurch es durchaus eine fordernde, oft auch etwas sperrige Lektüre ist. Beide Frauen haben es nicht einfach, ihren Weg aus weiblichen Rollenklischees und Armut heraus zu gehen. Ich fand das Buch über weite Strecken eher traurig und hoffnungslos. Wer sich durch eine solche Lektüre leicht herunter ziehen lässt, sollte sich gut überlegen, ob das hier das richtige Buch ist. Über drei Generationen hinweg scheint sich wenig an den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen, an den Möglichkeiten, die ihnen offen stehen, verändert zu haben - und wenn dann eher zum schlechteren. Lediglich in der Figur der alten María klingt etwas Hoffnung auf Emanzipation und Unabhängigkeit an.
Sprachlich fand ich das Buch interessant und wohl auch sehr gut übersetzt. Oft lange, aber trotzdem immer gut verständliche Sätze. Die Sprache gleichzeitig melodisch, als auch manchmal atemlos.
Trotzdem wie gesagt etwas sperrig in der Handlung - ich hätte mir auch etwas mehr handfeste Handlung gewünscht.

Veröffentlicht am 11.08.2022

Gut

Vier.Zwei.Eins.
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Gerade in der ersten Hälfte hätte man das Buch vielleicht etwas zusammen kürzen können, da hatte es schon ein paar Längen. Insgesamt aber gut und flüssig lesbar – ich kam trotz zwei Zeitebenen und zwei ...

Gerade in der ersten Hälfte hätte man das Buch vielleicht etwas zusammen kürzen können, da hatte es schon ein paar Längen. Insgesamt aber gut und flüssig lesbar – ich kam trotz zwei Zeitebenen und zwei Erzählperspektiven immer gut mit. Das Thema Sonnenfinsternis brachte gerade noch im richtigen Maß Abwechslung in die Geschichte rund um den Gerichtsprozess. Im letzten Drittel wird es dann etwas rasanter, mit einigen Wendungen.

Ich fühlte mich gut unterhalten.