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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2022

Highlight

Zur See
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Dörte Hansen nimmt sich in ihrem dritten Roman "Zur See" das Leben auf einer Nordseeinsel vor. Im Mittelpunkt steht die Familie Sander, bei der Mutter, Vater und drei erwachsene Kinder alle ihre eigenen ...

Dörte Hansen nimmt sich in ihrem dritten Roman "Zur See" das Leben auf einer Nordseeinsel vor. Im Mittelpunkt steht die Familie Sander, bei der Mutter, Vater und drei erwachsene Kinder alle ihre eigenen Kämpfe mit sich selbst, der Umwelt und dem Alltag austragen.
Wer schon mal offenen Auges und Ohres auf einer Nordseeinsel geurlaubt hat, wird hier einiges wieder erkennen, was dort wohl universell ist: die Fremdheit der Alteingesessenen, der Verlust von Traditionen und Sprache – der schleichende Wandel, den diese Inseln und ihre Bewohner seit den letzten Jahrzehnten durchlaufen. Der Tourismus ist dabei gleichzeitig Fluch und Segen, ermöglicht und verändert er doch für die Einheimischen das Inselleben.
Dörte Hansen trifft hier wieder genau den Ton: was sie beschreibt ist eigentlich oft tragisch und traurig, aber durch den Witz, der immer wieder anklingt, wird es nie schwermütig. Dabei schafft sie es, ihre Charaktere trotzdem angemessen zu würdigen, sie facettenreich und keinesfalls lächerlich darzustellen.
Für mich ein absolutes Highlight dieses Jahr!

Veröffentlicht am 13.10.2022

Anspruchsvoll und nicht ganz überzeugend

Spitzweg
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Die eigentliche Geschichte in "Spitzweg" ist übersichtlich, langsam erzählt und ziemlich verquer-absurd. Eine Freundschaft zwischen drei Außenseitern in der Oberstufe, von denen eine dann verschwindet. ...

Die eigentliche Geschichte in "Spitzweg" ist übersichtlich, langsam erzählt und ziemlich verquer-absurd. Eine Freundschaft zwischen drei Außenseitern in der Oberstufe, von denen eine dann verschwindet. Die Protagonisten sind aus der Zeit gefallen, was sich in ihrem Kleidungsstil, ihrer Ausdrucksweise, ihrem Auftreten zeigt. Auch Handlungszeit und -ort lassen sich nicht genau festmachen und so schwebt das ganze Buch über der Zeit bzw. unserer Realität.
Viele Bezüge zu Literatur, Musik und vor allem Kunst – für den Laien manchmal zu tief, für beflissenere Leser*innen, aber vielleicht nicht tief genug. Insgesamt viele Abschweifungen – für mich etwas zu viel des ganzen.
Auch die Sprache ist in Teilen gestelzt, was durchaus seinen Reiz hat, bei mir aber auch den Lesefluss immer wieder bremste.
Mich hat die Geschichte leider nicht abgeholt, die Protagonisten blieben mir fremd und das Buch hat mich insgesamt leider nicht überzeugt.

Veröffentlicht am 11.09.2022

Toxische Beziehung

Lügen über meine Mutter
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Daniela Dröscher beschäftigt sich in dieser Autofiktion mit ihrer Kindheit in den 1980'ern, die stark geprägt war durch die toxische Beziehung ihrer Eltern. Diese kaputte Beziehung bestimmt das ganze Familienleben, ...

Daniela Dröscher beschäftigt sich in dieser Autofiktion mit ihrer Kindheit in den 1980'ern, die stark geprägt war durch die toxische Beziehung ihrer Eltern. Diese kaputte Beziehung bestimmt das ganze Familienleben, aber am meisten leidet darunter die Mutter, die der Vater ständig in Rollen und Figuren zwingen will, die sie so nicht erfüllen möchte oder kann. Obwohl ihr der Ausbruch aus dieser toxischen Beziehung erst spät gelingt, ist der Umgang der Mutter damit dennoch respektabel. So schafft sie sich immer wieder kleine Inseln der Selbstbestimmung, hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Zaun und ist den Kindern eine gute Mutter. Auch wenn man sich wünscht, dass sie den Vater früher zum Teufel schickt, ist es doch die Geschichte einer keinesfalls perfekten aber doch starken Frau.
Die ganze Tragik wird durch den kindlich-unbedarften Blick der Ich-Erzählerin etwas entschärft. Daniela Dröscher trifft hier aber genau den richtigen Ton, ohne dass das ganze anstrengend oder verharmlosend wird. Überhaupt ist das Buch sehr flüssig lesbar.
Eine gelungene Autofiktion, ein gelungener Roman!

Veröffentlicht am 11.09.2022

Brasilien, Mitte des 20. Jahrhunderts

Die Stimme meiner Schwester
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In Itamar Vieira Juniors "Die Stimme meiner Schwester" erzählen die beiden Schwestern Bibiana und Belonísia im Wechsel aus ihrem Leben im ländlichen Brasilien Mitte des 20. Jahrhunderts. Würde diese Zeitangabe ...

In Itamar Vieira Juniors "Die Stimme meiner Schwester" erzählen die beiden Schwestern Bibiana und Belonísia im Wechsel aus ihrem Leben im ländlichen Brasilien Mitte des 20. Jahrhunderts. Würde diese Zeitangabe nicht in der Ankündigung des Verlages erwähnt und würden im Buch nicht Autos und Motorräder vorkommen, könnte man auch denken, dass das Buch im 18. oder 19. Jahrhundert spielt. Die Menschen auf den Plantagen leben ein an Sklaverei oder Leibeigenschaft erinnerndes Leben unter primitiven Umständen - selbst um eine Schule muss mit den Besitzern der Plantage gekämpft werden. Für mich waren diese Lebensumstände der Nachkommen tatsächlicher Sklav*innen in ihrer Ungerechtigkeit und Ausweglosigkeit erschütternd zu lesen.
Zu dieser Beschreibung der Lebensumstände gesellt sich noch Mystik und Symbolik - der eigentliche Handlungsbogen ist dabei allerdings sehr überschaubar.
Wer ein eindrückliches und wie ich denke authentisches Bild vom Leben der von Sklaven abstammenden Bevölkerung Brasiliens bekommen möchte, ist mit diesem Buch sehr gut beraten.

Veröffentlicht am 10.09.2022

Kein Musik-Buch!

Der grössere Teil der Welt
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Erwartet hatte ich einen Musik-Roman mit Punkrock, Band- und Tourleben etc. Bekommen habe ich einen Roman, der sich vor allem durch Perspektiv- und Zeitwechsel auszeichnet, das Thema Musik aber immer nur ...

Erwartet hatte ich einen Musik-Roman mit Punkrock, Band- und Tourleben etc. Bekommen habe ich einen Roman, der sich vor allem durch Perspektiv- und Zeitwechsel auszeichnet, das Thema Musik aber immer nur streift. Den Überblick über die verschiedenen Zeitebenen und das umfangreiche Personal zu behalten, war durchaus fordernd. Die Personen, aus deren Perspektive erzählt wird, haben teilweise nur sehr lose Verbindungen zueinander, wodurch es oft überrascht, aus welcher Perspektive als nächstes berichtet wird. So ergibt sich ein vielschichtiger Roman, der sich aber leider recht wenig mit Musik beschäftigt, sondern mehr mit PR-Arbeit, Freundschaft, Liebe, Älterwerden, Drogen - bei großzügiger Betrachtung also mit den Begleiterscheinungen eines Musiker-Lebens.

Anders als von mir erwartet, teilweise überzeichnet, fordernd, aber durchaus lesenswert.