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Veröffentlicht am 04.05.2020

Leider lässt der Autor zu viele Fragen offen

Die rechtschaffenen Mörder
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Als "Die rechtschaffenen Mörder" in der monatlichen Druckfrisch-Folge von Denis Scheck am 26.04. vorgestellt wurde, hatte es mein Interesse geweckt. Die Vorstellung, dass ein Antiquar, ein belesener und ...

Als "Die rechtschaffenen Mörder" in der monatlichen Druckfrisch-Folge von Denis Scheck am 26.04. vorgestellt wurde, hatte es mein Interesse geweckt. Die Vorstellung, dass ein Antiquar, ein belesener und dementsprechend intellektueller Mann plötzlich anfängt Bücher zu verschmähen, nur noch Bücher von deutschen Autoren zu lesen, weil er den Übersetzungen aus anderen Sprachen misstraut und zum Schluss gar ein Nazi ist, diese Entwicklung, ja Spagat hat mich brennend interessiert. Mich interessieren Hintergründe, Beweggründe, das Warum. Ich finde mich nicht mit dem Gegebenen ab, mit dem "Das ist halt so", ich will wissen, wie es dazu kam, was einen Menschen zu seinen Handlungen antreibt. Leider hat mich Ingo Schulze mit seiner Geschichte aber genau dessen beraubt.

Die Geschichte ist in drei Abschnitte geteilt, wobei nur der erste Abschnitt und der Anfang des zweiten wirklich Sinn ergeben, dann wird die Story unzusammenhängend und verworren.

Da haben wir also einen Norbert Paulini, der, seit er das erste Buch seines Lebens las, Leser werden will. Zum Leidwesen aller Leser ist das aber kein Beruf, es sei denn, man ist ein Lektor. Aber auch zu diesem Berufsbild gehört ein wenig mehr, als das bloße Lesen, für das Paulini Leben will. Also wird er über einige Umwege Antiquar und verkauft seinen Kunden, wie er selbst sagt, nur Qualität. Zu DDR-Zeiten sammeln sich deshalb in seinem Antiquariat auch nur das "Who is who" Der Dresdener Intellektuellen und die, die es noch werden wollen. Mit der Politik will er nichts am Hut haben, seine Gattin (Paulini hat kein Glück mit seinen Damen) umso mehr. Dann kommt die Wende und wie bei so vielen ostdeutschen Existenzen, säuft Paulinis Unternehmen einfach ab. Die Intelligenzia bleibt plötzlich aus und lange Zeit versteht Paulinis nicht warum, bis ihm ein lang vermisster Kunde mit der Wahrheit konfrontiert. Ab da geht es mit Paulini bergab, er wird von diversen Schicksalsschlägen gebeutelt, aber das Schlüsselerlebnis, weshalb Paulini letzten Endes zum Ausländerfeind wird, das bleibt dem Leser verwehrt. Das ist dann auch der Grund, weshalb ich spätestens ab dem dritten Teil des Buches mit einem riesigen Fragezeichen über den Kopf da sitze und mich über die teilweise verstörenden Handlungssprünge wundere. Das lässt sich fast so lesen, als ob Paulini mit seinem Umzug ins Elbsteingebirge, nach "Dunkeldeutschland" quasi plötzlich ein Nazi wäre und dessen Sohn auch. Kein zufriedenstellender Plot aus meiner Sicht.

Die Geschichte fing gut an und ließ ab der Mitte leider stark nach, eben weil Fragen offen bleiben, die nicht hätten offen bleiben sollen. Da stellt sich mir die Frage, was der Autor von mir als Leser möchte. Das fühlt sich bald so an, als ob mir jemand dumm tut und jegliche Kommunikation verweigert, weshalb ich dann nicht reflektieren kann, wo denn nun der Fehler lag, wie es zu diesem plötzlichen Bruch kam. Das ist überaus bedauerlich und ich mag es nicht leiden. Die Geschichte hatte Potential und ich mochte den schrulligen Antiquar Paulini, bis der Autor ihn auf unerklärliche Weise abdrehen ließ.

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Veröffentlicht am 03.05.2020

Sanctuary ist überall, wo Leute ihren Kopf nicht zum Selberdenken nutzen!

Sanctuary
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Sanctuary, ein kleiner Ort in Connecticut, ist die Spießeridylle schlechthin. Jeder kennt jeden und auch die lieben Kinderlein wachsen zusammen auf und gehen gemeinsam zur Schule. Die vier Freundinnen ...

Sanctuary, ein kleiner Ort in Connecticut, ist die Spießeridylle schlechthin. Jeder kennt jeden und auch die lieben Kinderlein wachsen zusammen auf und gehen gemeinsam zur Schule. Die vier Freundinnen Sarah, Bridget, Abigail und Julia treffen sich regelmäßig zu ihren Weiberabenden und tauschen sich über ihren Nachwuchs aus. Aber das ist nicht alles: die vier Damen sind ein Hexenzirkel, wobei Sarah die einzige Hexe in ganz Sanctuary ist, aber mit der Hilfe ihrer Freundinnen effektive Zauber wirken kann, um den Menschen von Sanctuary bei ihren Alltagsproblemen und Nöten zu helfen. Für eine Hexe hat sie ein gutes Ansehen. Doch das endet prompt, als Daniel Whitman bei einer Party ums Leben kommt und seine Mutter Abigail vor Trauer durchdreht. Und dann wir Harper Fenn, Sarah's Tochter, plötzlich beschuldigt, ihren Freund Daniel mit Magie getötet zu haben, woraufhin ein Welle böser Verleugnungen und eine regelrechte Hexenverfolgung losgetreten wird.

Die Geschichte wird von Kapitel zu Kapitel spannender, gleichzeitig merkt man aber auch, wie sich die Situation immer weiter zuspitzt, die Angst sowie der Wahn, der unter den Bewohnern von Sanctuary geschürt wird, immer weiter eskaliert. Man könnte auch von einer Panik sprechen, die durch Angst, Aberglaube, Unwissenheit und Dummheit absichtlich erzeugt wurde, um einen irrationalen, zerstörerischen Mob freizusetzen.

An für sich fand ich diesen Fantasy-Thriller nicht schlecht, wobei mich allerdings die Naivität und die gut-dumme Weltanschauung Sarah's, das Selbstmitleid der trauernden Abigail und das ewige Verschwinden Harpers dezent genervt hat. Auch diese göttergleiche Anbetung Daniels, dessen Verhalten und Aktionen so gar nichts mit dem zutun hatten, was alle in ihm sehen wollten. Und das Hineinsteigern in eine irrationale Furcht seitens der anderen Bewohner Santuarys, dieses ungefragt alles für bare Münze nehmen und nicht selbst mal darüber nachdenken. Das findet man heute leider überall und Sanctuary muss nicht nur eine amerikanische Kleinstadt sein, es könnte jede Stadt auf der Welt sein, so traurig wie es klingt. Deshalb möchte ich abschließend Emmanuel Kant zitieren: "Sapere aude" oder "Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen".

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Veröffentlicht am 28.04.2020

Sehnsucht nach Schlesien

Heimat ist ein Sehnsuchtsort
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Bei Hanni Münzer neuestem Werk hat mich schon allein der Titel angesprochen, weshalb ich im Buchladen auch nicht an diesem Roman vorbeigehen konnte, ohne zumindest den Klappentext gelesen zu haben. Passender ...

Bei Hanni Münzer neuestem Werk hat mich schon allein der Titel angesprochen, weshalb ich im Buchladen auch nicht an diesem Roman vorbeigehen konnte, ohne zumindest den Klappentext gelesen zu haben. Passender Weise fand ich das Buch auch in meiner Lieblingsbuchhandlung in der Heimat. Als ich dann noch las, dass es um eine Familie in Schlesien geht, war das Buch schon im Beutel. Meine Vorfahren kamen aus Liegnitz in Schlesien und wurden zu Ende des zweiten Weltkrieges vertrieben bzw. mussten sie flüchten. Leider kann mir keiner mehr etwas über Liegnitz und das Leben dort erzählen, denn alle Familienmitglieder, die von dort kamen, sind bereits verstorben, deshalb lese ich sehr gerne historische Romane über Schlesien, um zumindest ungefähr rekonstruieren zu können, wie meine Urgroßeltern und meine Uroma gelebt haben könnten. Hanni Münzer hatte mich dann auch gleich auf der ersten Seite in ihre Geschichte hineingezogen, als sie von dem Großvater schrieb, der von "einem fernen Ort in einem fernen Land" erzählte, vom Klatschmohn auf den Wiesen, den Obstbäumen und der ewigen Geruch des Sommers. Sie hatte mich, weil mich das an ein sommerliche Vogtland erinnert, meine Heimat, mein Sehnsuchtsort. Und Seite für Seite bin ich mehr mit auf dem Sadlerhof eingezogen, habe mich mit Anton angefreundet und dasPeterle gerettet und einfach eine glückliche Kindheit erlebt, wie Kathi sie hatte, bevor der ganze Mist mit dem Krieg los ging.

"Heimat ist ein Sehnsuchtsort" ist so ein unglaublich schöner Roman, den ich einfach jeden (!) and Herz legen will, in einem wunderbaren, bildlichen Stil geschrieben, dass es sich so anfühlt, als wäre man ein Familienmitglied der Sadlers. Einfach mittendrin statt nur dabei. Ein absolutes Jahreshighlight!

Ich hatte schon vor dem Buch das Anliegen, Liegnitz zu besuchen, jetzt ist der Wunsch nur noch stärker geworden. Und wenn die ganze doofe Corona-Krise ein Ende hat, werde ich den Wunsch wohl mal in die Tat umsetzen. Danke für dieses wunderbare Buch, Hanni Münzer!

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Veröffentlicht am 28.04.2020

Irgendwie war mir das zu wenig Haselbrunn

Ella U.
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Plauen: Geburtsort, Heimat, Sehnsuchtsort. Wenn ich richtig böses Heimweh habe, lese ich Bücher über die Heimat, wie kürzlich "Die Villa" von Hans Joachim Schädlich oder "Alte Sagen und neue Geschichten ...

Plauen: Geburtsort, Heimat, Sehnsuchtsort. Wenn ich richtig böses Heimweh habe, lese ich Bücher über die Heimat, wie kürzlich "Die Villa" von Hans Joachim Schädlich oder "Alte Sagen und neue Geschichten von den Moosfrauen und Moosmännern aus dem Vogtland und Umgebung" von Gerhard Gruner. Durch Zufall bin ich kürzlich auf Ella U. gestoßen und da meine Familie viele Jahre nach dem Krieg im Stadtteil Haselbrunn gelebt hat und meine Mutter dort aufgewachsen und in die hiesige Rückertschule gegangen ist, war das Buch natürlich ein Muss.
Ella U. lebte mit ihren Eltern auf der Pausaer Straße, wie meine Urgroßeltern und wenn ich davon las, dass der Familienvater die Pausaer Straße hinauf vor Ultralinken floh, die ihn verfolgten, weil er nach Ende des 1. Weltkrieges noch seinen Uniformmantel trug (man konnte sich halt keinen neuen Mantel leisten, es war Inflation), da sah ich meinen Uropa die Pausaer Straße hochrennen und in seinem Wohnhaus verschwinden.
Alle Anekdoten über die Familie U. waren sehr interessant und haben mich in eine Zeit mitgenommen, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Was mir jedoch weniger gefallen hat, waren die ewig langen Zitatpamphlete irgendwelcher damaliger Zeitgenossen und leider hat sich der Autor solche herausgepickt, die besonders schwurflig schrieben, wie Thomas Mann und Walther Benjamin. Sicher wollte der Autor uns einen Einblick in die Geschehnisse der 20er Jahre geben, ein Thema einleiten, aber es ist dann leider zu viel Zitatenschatz und zu wenig Ella U. In Haselbrunn daraus geworden. Nicht ganz das, was ich erwartet hatte. Schade.

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Veröffentlicht am 17.04.2020

Ich hätte der Hauptcharaktere gern den Hals umgedreht

Vor Rehen wird gewarnt
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Ich kann mich noch gut an meine erste allererste Begegnung mit einer miesen Lügnerin erinnern. Das war im Kindergarten. Das kleine Miststück hieß Nadja und erzählte unserer Erzieherin, ich hätte ihr das ...

Ich kann mich noch gut an meine erste allererste Begegnung mit einer miesen Lügnerin erinnern. Das war im Kindergarten. Das kleine Miststück hieß Nadja und erzählte unserer Erzieherin, ich hätte ihr das Spielzeug weggenommen, mit dem sie gespielt hatte und vor ihr versteckt. Ich mit meinen damals vier Jahren kannte so etwas nicht, dass jemand so dreist lügt um andere in Misskredit zu bringen. Warum macht man sowas? Was wollte diese kleine Intrigantin erreichen? Die Situation hat mich maßlos überfordert, hatte ich doch schon beigebracht bekommen, dass man nicht lügt. Und dann die Kurzschlussreaktion: Ich hab der kleinen Lügnerin eine geballert. Vor der Erzieherin. Da durfte ich mir was anhören. Eine interessante, wenn auch überzogene Reaktion auf mein erstes erlittenes Unrecht. Was ich damals noch nicht wusste, in der Welt jenseits des Kindergartens würde ich noch so einigen Nadjas begegnen.

Wahrscheinlich wusste auch Joy Ambros nicht ganz wohin mit all dem erlittenen Unrecht, dass ihre Stiefmutter ihr angetan hatte und noch vor hatte, ihrem Bruder und dessen Frau anzutun. Jedenfalls sah sie keine andere Lösung, als ihre niederträchtige Stiefmutter aus dem Zug zu stoßen. Das war noch eine ganze Kante überzogener, als meine Reaktion damals im Kindergarten, aber wenn man beim Lesen dem Weg der Zerstörung folgt, den Ann oder auch Angelina Ambros geht, um ihren Willen zu bekommen, ist es irgendwie nachvollziehbar. Ganz ehrlich, es wird vermutlich keinen geben, der "Vor Rehen wird gewarnt" liest und Ann Ambros nicht an die Gurgel will. Dabei fing alles ganz harmlos mit einer pubertären Verliebtheit an, die sich allerdings in eine handfeste Borderline-Störung auswächst, bloß dass Ann sich nicht zwingend selbst Leid zufügt, sondern eher den Menschen, die sie zu lieben glaubt.

"Vor Rehen wird gewarnt" wird nicht ohne Grund als Vicki Baums bester Roman bezeichnet. Sie besitzt die Fähigkeit, mit Worten zu zeichen und den Leser sowohl mit Ann's Familie (ihren Opfern) leiden zu lassen als auch zu erklären, weshalb Ann das destruktive Miststück geworden ist, das sie letzten Endes war. Die Story führt uns ins San Francisco und Wien des 19. Jahrhunderts und lässt uns das große Erdbeben von 1906 miterleben, das San Francisco den Erdboden gleich gemacht hat. Ein überaus vielseitiger Roman und gleichzeitig die Wiederentdeckung von Vicki Baums Büchern, die 1933 der Bücherverbrennung der Nazis zum Opfer gefallen sind, weil diese angeblich "jüdische Gossenliteratur" gewesen sein. Ganz großes Kino.

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