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Veröffentlicht am 28.02.2024

Daran beißt man sich die Zähne aus – zu zäh!

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
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Das autofiktionale Romandebüt von Julia Jost dreht sich um ein Mädchen, das Anfang der 1990er Jahre in einem Kärntner Dorf aufwächst, entdeckt, dass sie nicht so ist, wie ihre Eltern sie als Mädchen gern ...

Das autofiktionale Romandebüt von Julia Jost dreht sich um ein Mädchen, das Anfang der 1990er Jahre in einem Kärntner Dorf aufwächst, entdeckt, dass sie nicht so ist, wie ihre Eltern sie als Mädchen gern hätten, und ebenso wie einer ihrer Brüder auch politisch nicht ins Bild der heimattreuen, österreichischen Familie passt.

Die Geschichte des Romans ist zentriert um eine Situation herum, die in 1994 stattfindet. J. (unsere Ich-Erzählerin) ist 11 Jahre alt und ihre Familie zieht aus dem Gasthof-Gebäude, welches den Eltern gehört, aus. Sie spielt mit ihrer Freundin Luca Verstecke und während Luca von Einhundert rückwärts zählt, schweift J. gedanklich in vergangene Situationen und Familienmythen ab. Immer wieder kehren wir im Text zurück zu diesem Moment des Versteckspiels, der auch der einzige ist, der im Präsens erzählt wird. Alle Erinnerungen und Anekdoten werden im Präteritum erzählt.

Grundsätzlich erscheint das Romankonzept auf den ersten Blick äußerst ansprechend. Die Inszenierung wirkt geschickt eingefädelt und man freut sich auf eine (Zitat Verlagsinternetseite) „Coming-of-Age-Geschichte voller Drive und Witz“. Leider bekommt man nur den ersten Teil der Versprechung, den zweiten kann der Roman nicht halten.

So liest sich „Wo der spitzeste Zahn…“ über die nur 230 Seiten unglaublich zäh. Eine Familien- bzw. Dorfanekdote reiht sich an die nächste. Erst im Verlauf wird klarer, welche überhaupt relevant für unsere Erzählerin ist. So zum Beispiel der tragische (aber nicht sonderlich tragisch erzählte) Tod eines Mitschülers in 1989. Dieses Ereignis wird auch später noch Auswirkungen auf die beteiligten Personen haben, leider transportiert sich dies überhaupt nicht auf der emotionalen Ebene. Generell fehlten mir die Emotionen dieses erzählenden Mädchens. Recht lakonisch erzählt es grausamste Geschehnisse herunter, wie man es sich bei einem 11jährigen Mädchen kaum vorstellen kann. Diesbezüglich drängt sich auch ein Problem mit der Erzählperspektive auf. Da die Versteckspiel-Szene im Präsens als Ausgangssituation von der aus das Mädchen ihr Wissen speist werten muss, passt neben dem Ton auch das Wissen der kindlichen Erzählerin nicht so recht ins Bild. Beschreibt sie doch haarklein, dass die Mutter einer Mitschülerin in die DDR gegangen ist und die Familie für einen SED-Funktionär (diese Worte!) verlassen habe. Da kommen Zusammenhänge zum Tragen, die nicht zum Verständnisraums eines Kindes, welches – so erleben wir es in anderen geschilderten Situationen – von ihren Eltern nicht als vollwertiger Mensch angesehen und größtenteils ignoriert wird, außer es entwickelt sich eben nicht so, wie es als Mädchen sollte. Zu einem Lapsus kommt es, wenn es auf Seite 44 heißt: „meine erste Cola habe ich mit einundzwanzig getrunken“. An keiner anderen Stelle gibt es einen Hinweis darauf, dass J. Von einem späteren Zeitpunkt als dem in 1994 heraus erzählt. Somit sehe ich für mich das Problem mit der Erzählperspektive bestätigt.

Ich nehme an, es soll sich hierbei nicht nur um eine reine Coming-of-Age-Geschichte um dieses Mädchen aus dem LGBTQ+Spektrum, sondern vielmehr um einen Gesellschaftsroman, der das Leben und die alltäglichen Sorgen, Intrigen und Anekdote von Menschen aus dem ländlichen Österreich handeln. So scheinen immer wieder die rechtspopulistischen Gesinnungen der Dorfbewohner durch, wenngleich die bosnische Einwandererfamilie von Luca als Arbeiter gern gesehen sind. Leider taucht die Erzählerin kaum in Lucas Geschichte ein, was vielleicht widerspiegeln soll, wie diese Menschengruppe zu der Zeit ignoriert wurde.

Ich hatte so meine Schwierigkeiten nicht nur mit der Erzählperspektive sondern auch mit der Geschichte an sich, da die Handlung sehr reduziert ist und sich auf wild aneinandergereihte Anekdoten stützt. Man wird hier mit, wie ich finde, sehr vielen eher unwichtigen Details versorgt, mit der Beschreibung von Menschen, Umgebungen, Situationen, Familienmythen. Es kommt zu zahlreichen Abschweifungen, bis man gar nicht mehr richtig weiß, wie man dort überhaupt hingekommen ist. Am Ende hatte ich den Eindruck, viel weniger gelernt zu haben, als die Geschichte eigentlich hergegeben hätte. Jedenfalls nicht in dem Maße, welches Volumen die Abschweifungen im Buch einnehmen. Vieles wirkte auf mich eher ablenkend und störend. Für wen solche wilden Szenenwechsel und das Anschneiden von Themen etwas ist, wird hier vielleicht besser mit dem Roman zurechtkommen. Für mich war bis auf das letzte Drittel des Romans, dieser unglaublich zäh zu lesen. Wobei das letzte Drittel auch nicht den genannten „Drive“ entwickelte, aber zumindest musste ich mich nicht mehr durch die Sätze quälen. Dort wird auch das rechte Gedankengut am interessantesten sprachlich ausgehebelt und vorgeführt.

Somit kann ich aber leider keine Leseempfehlung für den Roman aussprechen, auch wenn ich das Szenario ganz grundsätzlich und auch den ein oder anderen prägnanten, pointierten Satz sehr gut fand.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 19.02.2024

Leider nicht der erwartete Knaller

Arctic Mirage
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Mit „Arctic Mirage“ hat die Finnin Terhi Kokkonen sofort mit ihrem Debütroman den finnischen Helsingin-Sanomat-Literaturpreis eingeheimst. Das ist nach der Lektüre etwas verwunderlich, ist der Roman zwar ...

Mit „Arctic Mirage“ hat die Finnin Terhi Kokkonen sofort mit ihrem Debütroman den finnischen Helsingin-Sanomat-Literaturpreis eingeheimst. Das ist nach der Lektüre etwas verwunderlich, ist der Roman zwar nicht schlecht, doch bleibt er weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Gleich zu Beginn erfahren wir auf der ersten Seite, dass Karo ihren Ehemann Risto umbringen wird. Dann springen wir eine Woche in der Zeit zurück und erlesen uns die Geschehnisse bis zu diesem einschneidenden Ereignis. Die Kapitel sind spannend mit den entsprechenden Wochentagen überschrieben, sodass das Buch wie ein „Countup“ (denn „down“/“runter“ wird im eigentlichen Sinne ja nicht gezählt, da wir in der Zeit voranschreiten) aufgebaut ist. Wir erfahren, dass das Paar zusammen auf eine Reise in den hohen Norden Finnlands aufgebrochen ist und am Tag ihrer geplanten Abreise durch einen Autounfall davon abgehalten wurde. Nun sind sie in einem zunehmend merkwürdig anmutenden Luxus-Hotel Namens „Arctic Mirage“ gestrandet und die Geschehnisse nehmen ihren nebulösen Verlauf.

Die Autorin konnte mich zu Beginn des Romans mit ihrer nebulösen Art, die Personen, ihre Handlungen und die Geschehnisse zu beschreiben zunächst sehr gut einfangen. Ich ließ mich auf dieses kuriose Hotel und die ebenso kuriosen Figuren, die alle von abwegigen Gelüsten geleitet zu sein scheinen, ein und erhoffte mir dann im letzten Drittel eine geschickte Zusammenführung der verschiedenen Erzählstränge. Denn nicht nur erfahren wir einiges über die Vergangenheit des Ehepaares Karo und Risto, sowie deren zerrüttetet Beziehung zueinander sondern auch sehr viel über die Hintergründe von Nebenfiguren, wie dem behandelnden Hotelarzt oder der jungen Empfangsdame des Hotels. Es bot sich quasi auf dem Silbertablett an, hier geschickt diese Fäden zu verweben und ein knalliges Ende zu stricken.

Leider hat mich die Auflösung der Geschichte sehr enttäuscht, wird doch letztlich relativ konventionell die Geschichte zu Ende erzählt. Viele Andeutungen aus dem Roman werden nie wieder aufgegriffen und man fragt sich nach Abschluss der Lektüre, warum so einige Textpassagen überhaupt im Roman geblieben sind. So hätte die Autorin entweder stark einkürzen und sich auf einen raffinierten Twist konzentrieren können oder den Roman in seinem Volumen erweitern und dafür den verschiedenen Strängen eine Funktion geben können.

Nun gut. Ich habe mich nicht durch den Roman gequält oder maßlos geärgert. Letztlich kann die Autorin durchaus gut schreiben, hat sich hier aber in der Konstruktion des Romans vergaloppiert. Meines Erachtens hat sich auch die Jury vor den oben genannten Literaturpreis etwas vergaloppiert, denn es handelt sich durchaus um keinen schlechten, aber meines Erachtens auch nicht um einen herausragenden Roman. Das Potential dafür war sicherlich da, aber es wurde nicht annähernd ausgeschöpft. Schade.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 10.02.2024

Konnte leider den hohen Erwartungen nicht standhalten

Wo Milch und Honig fließen
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Wenn man ein dystopisches Szenario schreiben möchte, hat man quasi einen ganzen Blumenstrauß an Varianten, wie die Menschheit ihr Ende finden wird, zur Verfügung. Seien es Pandemien, Überschwemmungen, ...

Wenn man ein dystopisches Szenario schreiben möchte, hat man quasi einen ganzen Blumenstrauß an Varianten, wie die Menschheit ihr Ende finden wird, zur Verfügung. Seien es Pandemien, Überschwemmungen, nukleare Unfälle, verselbstständigte KI oder Zombie-Apokalypse. Pick one. C Pam Zhang wählt eine sehr interessante Prämisse für ihren neuen Roman. Diese Prämisse ist nicht gänzlich neu, klingt in dieser neuen Interpretation aber erst einmal sehr vielversprechend: Irgendwo in Iowa in einer nicht sehr fernen Zukunft kommt es zu einem menschengemachten Vorfall, der zu einer Kaskade mit weltweiter Smogbildung führt und somit zu einem massiven Pflanzen- und infolgedessen Tiersterben.

Mithilfe der namenlosen Ich-Erzählerin, welche rückblickend von den damaligen Geschehnissen berichtet, wird die Thematik des Nahrungsmittelrückgangs betrachtet. Wir erfahren gleich zu Beginn, dass sie diese Katastrophe überleben wird, denn sie berichtet als ältere Frau von ihren Erlebnissen, ein scheinbarer Hoffnungsschimmer in einer so düsteren Szenerie. Unsere Erzählerin ist Köchin und kennt sich mit Haute Cuisine aus, weshalb sie sich auch aus Ermangelung an frischen Zutaten und daher konkretem persönlichem Frust, denn die meiste Nahrung besteht nur noch aus einer grauen Mungobohnenpaste, bei einem Milliardär bewirbt, ohne zuvor zu wissen, was auf dessen privatem Berg in Italien auf sie zukommen wird. Nun entspinnt sich aus ihrer Erinnerung heraus eine Erzählung über dekadentem Genuss, ein Kampf um die eigene Identität und eine mögliche Liebe.

Dass C Pam Zhang schreiben kann, hat sie schon mit ihrem grandiosen Debütroman „Wie viel von den Hügeln ist Gold“ bewiesen. Auch im vorliegenden Werk erkennt man immer wieder ihre Sprachkunst, nur übertreibt sie es einerseits bezüglich der angerissenen und nie richtig ausgearbeiteten Themenbereiche und schafft es andererseits nicht ihren Protagonistinnen eine notwendige Tiefe mitzugeben. Sie hakt scheinbar alle aktuell relevanten Themen von Machtdynamik von Reichtum, Politik, Umwelt, Ausbeutung von Tieren, Fetischisierung ethnischer Gruppen bis zu sexueller Orientierung und und und ab. Die Autorin nutzt Sinneswahrnehmungen und Genuss, um Situationen zu beschreiben. Die Menschen und ihre Beziehungen dieser Menschen untereinander erscheinen dabei aber trotzdem erstaunlich blutleer und emotionslos. Ich konnte keinerlei Nähe zu den Figuren aufbauen. Zusätzlich werden die Beschreibungen der Ich-Erzählerin zunehmend von Löchern im Plot und Plausibilitätsproblemen gezeichnet, was es zusätzlich erschwert die Atmosphäre der Szenarien nachzuempfinden. Ich wurde dadurch regelrecht aus dem Lesefluss gerissen. Man könnte das dadurch erklären wollen, dass ja die Ich-Erzählerin als alte Frau von ihrer Zeit auf dem Berg erzählt, ja, für mich persönlich lässt sich damit nicht jeder Mangel begründen. Falls dieser Effekt von der Autorin intendiert wird, dann gefällt er mir zumindest nicht.

Letztlich muss ich feststellen, dass der Roman, abgesehen von wenigen wunderbaren Sätzen und Formulierungen, für mich in keinster Weise qualitätsbezogen an den Vorgängerroman heranreicht. Es geht mir dabei nicht um den Inhalt, dieser unterscheidet sich natürlich stark. Und eine Dystopie, die eine dunkle, kalte zukünftige Welt darstellt, muss keineswegs in der Darstellung der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander emotionslos sein. Hier ist dies meines Erachtens allerdings so, weshalb ich in Verbindung mit den oben genannten Problemen das Buch leider nicht weiterempfehlen kann.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich

Land in Sicht
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Wem der Titel meiner Rezension bekannt vorkommt und diesen als Titel von David Foster Wallace' wirklich schrecklich amüsantem Essay zum Thema Karibik-Kreuzfahrten wiedererkennt, hat diesen wahrscheinlich ...

Wem der Titel meiner Rezension bekannt vorkommt und diesen als Titel von David Foster Wallace' wirklich schrecklich amüsantem Essay zum Thema Karibik-Kreuzfahrten wiedererkennt, hat diesen wahrscheinlich auch gelesen und damit einen bei weitem anregenderen Text als den vorliegenden von Ilona Hartmann.

Eine junge Frau bucht sich auf einem Donau-Kreuzfahrtschiff für acht Tage ein. Sie möchte erstmalig ihrem leiblichen Vater begegnen, der Kapitän des besagten Schiffs ist. Zu Beginn des Romans erlebt sie (in abgeschwächter und nicht ganz so pointiert geschriebener Form) das, was David Foster Wallace auch bei seinem Kreuzfahrtabenteuer beobachtet und beschrieben hat. Ältere Pärchen lassen sich berieseln oder wahlweise animieren im Salon des Schiffs, machen Tagesausflüge, lieben sich, streiten sich. Die Ich-Erzählerin fällt aus der Rolle, da sie mehrere Jahrzehnte jünger als die meisten Reisenden ist. Das ist anfangs noch recht amüsant wird mit zunehmender Fokussierung auf das Aufeinandertreffen von Vater und Tochter jedoch auch zunehmend beliebig. So liest man sich zügig durch den kurzweilig konstruierten und flüssig geschriebenen Roman.

Nach kurzen 160 Seiten ist das Ganze aber auch schon wieder vorbei. Ein nachhaltiger Eindruck bleibt hier jedoch nicht zurück. Man liest das Buch nicht ungern, würde es aber auch nicht zwingend noch einmal kaufen und lesen, wenn man die Wahl hätte. 2,5 Sterne gibt es dafür insgesamt von mir, mit Aufrunden nach oben, da es mal ein nettes Buch für zwischendurch ist.

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Veröffentlicht am 29.01.2024

In die Arme der Absurdität

In die Arme der Flut
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Während der Lektüre von „In die Arme der Flut“ ist mir etwas passiert, was bisher in der Form noch nie vorgefallen ist: Ich hatte eine Vorahnung, die mir nach den ersten 110 Seiten sagte, ich solle lieber ...

Während der Lektüre von „In die Arme der Flut“ ist mir etwas passiert, was bisher in der Form noch nie vorgefallen ist: Ich hatte eine Vorahnung, die mir nach den ersten 110 Seiten sagte, ich solle lieber jetzt aufhören zu lesen, wenn es am schönsten ist und das Buch weglegen. Natürlich habe ich das Buch bis zum Ende gelesen. Aber der überwiegende Teil von dem, was nach diesen ersten Seiten geschrieben steht, hat mich enorm enttäuscht. Tatsächlich konnte meines Erachtens der Autor im späteren Verlauf des Romans nicht mehr annähernd zu seiner anfänglichen Stärke zurückfinden.

Den Beginn dieser grotesken Geschichte stellt die ausführliche, wertfreie und sogar poetische Betrachtung eines Menschen dar, der im Begriff ist, sich das Leben zu nehmen. Luke will von einer Brücke springen, verweilt dort jedoch eine ganze Stunde. Wir erleben in Rückblicken, dass dies nicht Lukes erster Versuch ist, in messerscharfen Sätzen erfahren wir etwas über seine Kindheit und in ausufernden Beschreibungen verbinden sich diese Schilderungen mit den Naturgewalten, die sich unter der Brücke und in der Luft zusammenbrauen. Selten war ich so gepackt von einem Romanbeginn. Selten so überzeugt davon ein Meisterwerk vor mir zu haben. Und noch nie hatte ich die Vorahnung nach 110 Seiten: Hör auf zu lesen, alles was jetzt noch kommt, könnte dieses einmalige Lektüreerlebnis zunichte machen.

Vorahnungen sollte man vielleicht doch ab und an folgen. Bei diesem Roman wäre das im Rückblick eindeutig die ratsamste Entscheidung gewesen. Denn nun schwenkt der Roman von einem menschlichen, mitreißenden Drama zu einer Medien- und danach zu einer Plotgroteske. Donovan versucht äußerst plakativ mittels der bekannten Holzhammermethode die Gefahren von Social Media in Kombination mit aufgewühlten Menschenmengen aufzuzeigen. Dabei ist er sich nicht zu schade einen unnötigen Trump-Verschnitt auftauchen zu lassen, der per Twitter die Massen aufwiegelt. Der gezogene Vergleich zum Erstürmen des Kapitols in Washington scheint dabei im Rahmen dieser Kleinstadtposse jedoch anmaßend. Zwischendrin gibt es noch einmal eine richtig große Portion Kitsch, die es einem hochkommen und an jeglicher schriftstellerischer Ernsthaftigkeit des Autors zweifeln lässt und fast zuletzt muss man auch noch einem Kind bei seinem schrecklichen Selbstmord beiwohnen. Das ist der Punkt, der über die Grenze des Erträglichen hinausragt und einfach nur fehl am Platze ist. Das Buch wirkt an der Stelle meilenweit entfernt vom poetischen Anfang und eher wie ein billiger Snuff-Streifen. Der Plot verkommt zu einem himmelschreienden Unsinn mit Zufällen, die verzweifeln lassen ob der Absurdität. Insgesamt wird mit zunehmender Seitenzahl Subtilität immer kleiner geschrieben und ist teilweise gar nicht mehr vorhanden. Kurz flimmert am Ende des Romans noch einmal das Potential der Geschichte sowie des Autors über dem Horizont auf, bevor es sich selbst im Meer versenkt.

Zur Übersetzung ist darüber hinaus erwähnenswert, dass diese zwar grundsätzlich ganz gut gelungen ist, aber auch starke Schnitzer aufweist, namentlich wenn mindestens viermal im Laufe der Erzählung ein Auto irgendwohin „braust“. Das ist ein Wort, welches ich in einer literarisch anspruchsvollen Übersetzung einfach nicht lesen möchte. Punkt.

Somit muss ich die schwere Entscheidung treffen, diesem Roman, der für mich bei 2,5 Sternen liegt, eine auf 2 Sterne abgerundete Bewertung zu geben. Ich kann ihn leider nicht guten Gewissens weiterempfehlen, was den Ausschlag zu meiner Bewertungsentscheidung gibt.

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