Schmerzhafte Dekadenz
Die namenlose Erzählerin befindet sich in einer Zeit, in der ein furchtbarer Smog die Erde überströmt und den Großteil von Flora und Fauna ausgelöscht hat. Die Menschheit überlebt, doch muss sie sich fast ...
Die namenlose Erzählerin befindet sich in einer Zeit, in der ein furchtbarer Smog die Erde überströmt und den Großteil von Flora und Fauna ausgelöscht hat. Die Menschheit überlebt, doch muss sie sich fast ausschließlich von Mungobohnenprotein ernähren. Einzige Ausnahme ist ein Berg in Italien: hier haben sich Superreiche angesiedelt, die neben frischer Luft auch viele Tierarten zur Verfügung haben, welche dort durch ein Labor wieder zum Leben erweckt worden sind. Die Reichen in ihrer Dekadenz essen was ihnen unter die Finger kommt, seien es die letzten noch lebenden Schimpansen oder längst ausgestorbene Mammutüberreste. Die Erzählerin arbeitet dort als Köchin und letztlich auch Schauspielerin, muss sie doch die Frau jenes Mannes mimen, der allen Reichen Investitionen in eine Insel der Seligen abluchsen will. Und sie fängt eine ungestüme Affäre mit dessen Tochter Aida an. Sie arbeitet nur einen Sommer dort, doch dieser sollte den Rest ihres Lebens verändern...
"Wo Milch und Honig fließen" ist eine Dystopie, die dystopischer kaum sein könnte. Doch irgendwie ist sie anders. Die Menschen scheinen kaum Interesse daran zu haben, den Zustand der Erde wieder zu verbessern. Nein, die Reichen wollen unter sich bleiben und alle anderen scheinen sich mit der Situation abgefunden zu haben. Doch die Welt als Gesamtes hat in dieser Geschichte ohnehin nicht viel Bedeutung, viel mehr beschreibt die Erzählerin ihren Alltag am Berg - das Zubereiten von den verschiedensten Tieren, das Verschwenden von Nahrungsmittel, die dekadentesten Abendmahle, das grausamste Gesicht der Menschen, denen es nur um ihr eigenes Wohl geht. Am Berg gibt es ein ganz eigenes System und die Erzählerin passt sich - zwar nicht bereitwillig aber doch - an dieses an, fügt sich, lässt alles geschehen. Zentral ist ihre Beziehung zu Aida, die zerstörerisch, aber leidenschaftlich ist. Schmerzhaft ist die mutmaßliche Empathielosigkeit und Gleichgültigkeit, sowohl von der Erzählerin, als auch von allen anderen beschriebenen Charakteren. Ich konnte das Buch nicht auf einmal lesen, sondern brauchte Monate dafür - so mitgenommen war ich oft von der Dekadenz und der Wurschtigkeit. Aber loslassen konnte ich das Buch trotzdem nicht. Es ist in einer genialen Sprache verfasst und die Charaktere und Atmosphäre sind so speziell, dass sie sich nachhaltig ins Gedächtnis brennen. Die Geschichte plätschert dahin, ist langatmig und der Alltag scheint sich in einem fort zu wiederholen. Doch der letzte Teil ist dann rasant, mit vielen Wendungen und einem grandiosen Finish. Plötzlich versteht man alles und weiß, dass es doch um so viel mehr ging, als nur um den einen Sommer am Berg.
Mein Fazit: "Wo Milch und Honig fließen" ist wahrlich kein einfacher Roman. Es ist eine Dystopie, welche die dunkelsten Seiten der Menschheit aufzeigt. Die Autorin brilliert mit einer ganz speziellen, etwas trägen Sprache und versteht es schräge Charaktere einprägend zu beschreiben. Das Lesen tut oft weh, aber das grandiose Finale belohnt einen fürs Durchhalten. Ein wirklich spezieller Lesegenuss!