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Veröffentlicht am 26.03.2021

Ein märchenhafter Buchspaziergang

Der Buchspazierer
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Jeden Abend sieht man Carl Kollhoff, einen alten Mann mit Schlapphut, durch die Stadt gehen. Ziel des Buchhändlers sind ihm lieb gewonnene besondere Kunden, die jeder für sich eine Last zu tragen haben. ...

Jeden Abend sieht man Carl Kollhoff, einen alten Mann mit Schlapphut, durch die Stadt gehen. Ziel des Buchhändlers sind ihm lieb gewonnene besondere Kunden, die jeder für sich eine Last zu tragen haben. Carls empfohlene Bücher scheinen ihre Welt ein wenig leichter erträglich zu machen und sein persönlicher Lieferservice scheint allen gutzutun. Doch erst als sich die neunjährige Schascha dem Buchhändler auf seinen Buchspaziergängen anschließt, werden auf nie gestellte Fragen wichtige Antworten gefunden.

Mit diesem Roman hat der Autor Carsten Sebastian Henn allen Buchliebhabern tief aus dem Herzen gesprochen. Mit seinen warmen und berührenden Worten lässt er diesen sympathischen Buchspazierer lebendig werden. Wer möchte nicht von diesem wundervollen Mann ein Buch gebracht bekommen. Seine Kunden gewinnen durch ihn ein Stück Zuversicht in ihrem teils düsteren Leben.

"Carl unterschied Leser in Hasen, Schildkröten und Fische. Er selbst war ein Fisch und ließ sich in einem Buch treiben, mal gemächlich, mal schnell. Hasen waren Schnellleser, sie rasten durch ein Buch und vergaßen ganz schnell, was sie wenige Seiten zuvor gelesen hatten."

Der Buchhändler hat ihnen allen einen literarischen Spitznamen wie zum Beispiel Frau Langstrumpf und Mr. Darcy gegeben, der sie treffend beschreibt. Der Handlung haftet dann auch etwas Märchenhaftes an. Als die kleine Schascha in der Geschichte auftaucht, ist sie wie eine gute Fee, die mit ihrer kindlich spielerischen Art die Menschen zueinander bringt. Der Abstand zwischen den Erwachsenen verringert sich von Buch- zu Buchlieferung.

Hier wird ein Gefühl transportiert, welches jeder Leser kennt, der ein besonderes Buch gelesen hat. Die Handlung ist vielleicht ein wenig zu konstruiert und geht nicht allzu sehr in die Tiefe. Aber man fühlt sich wohl beim Lesen, freut sich über die Besuche bei den Buchlesern und lacht zusammen mit Schascha über ihre Lebendigkeit.

Das Ende drückt arg auf die Tränendrüse und hätte sicherlich ohne Dramatik ein schönes Finale erreicht. Mir ging dadurch ein wenig der Wohlfühlaspekt verloren, der das ganz Buch getragen hat.

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Veröffentlicht am 26.03.2021

Hier entdeckt jeder ein wenig den eigenen großen Sommer

Der große Sommer
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Friedrich, genannt Frieder darf nicht mit in den Urlaub fahren, sondern muss seine Sommerferien bei den Großeltern verbringen, um für die Versetzungsnachprüfungen zu lernen. Ihm bangt vor der Strenge des ...

Friedrich, genannt Frieder darf nicht mit in den Urlaub fahren, sondern muss seine Sommerferien bei den Großeltern verbringen, um für die Versetzungsnachprüfungen zu lernen. Ihm bangt vor der Strenge des Großvaters, der keine Nähe zulässt. Doch dieser Sommer wird zu diesem einen, an den man sich immer erinnern wird. Frieder fühlt die ersten Schmetterlinge im Bauch kribbeln, lernt, was Verantwortung, Freundschaft und Familie bedeuten kann.



Ewald Arenz hat mit wundervoll lebendigen Worten einen erinnerungswürdigen Sommer erschaffen. So empfindet man nur einmal den Sommer. Überall wartet ein Abenteuer darauf, entdeckt zu werden. Die erste Liebe voller Leidenschaft, Ungewissheit, Qual und Romantik. Friedrichs Gefühle sind so vertraut und nachvollziehbar. Jeder wird hier etwas von seinem eigenen großen Sommer entdecken. Wunderschön und wie vom Wind getragen, leicht zu lesen.



Die Charaktere sind so echt berührend und fühlbar. Besonders Frieder war mir durch seine feinfühlige Art, Dinge zu betrachten, sofort sympathisch. Ihm begegnet man zuerst auf einem Friedhof, während er nach einem Grab sucht. Dies ist nur eine von wenigen kurzen Sequenzen der Gegenwart, bis seine Gedanken wieder zum Sommer seines 16-jährigen Ichs zurückkehren.



"Aber das alles hier, dieser Sommermorgen und die Blätter über dir und wie du lässig auf dem Rad sitzt und rauchst und cool aussiehst, das ist ..., als ob man das alles erst malen muss, damit man es in einem Moment aufnehmen kann. Damit man fühlen kann, was diesen einen besonderen Augenblick ausmacht."



Wer wäre schon begeistert für Prüfungen zu lernen, wenn alle anderen sich in der Sonne aalen. Genau das scheint Frieders Schicksal in den Ferien zu sein. Noch dazu im Haus seiner Großeltern, wo sein Großvater, ein Professor am Klinikum, kühl und abweisend keinerlei Verständnis für einen Teenager zeigt. Ganz anders dagegen Oma Nana, eine warmherzige, kunstbegabte Frau, die viel Einfühlungsvermögen bei ihrem Enkel zeigt.



Zum Glück gibt es noch den besten Freund Johann und Frieders ältere Schwester Alma, die die lauen Sommerabende zu etwas Besonderem werden lassen. Dann gibt es plötzlich Beate, ein Mädchen im Schwimmbad, das Frieders Herz so schnell berührt hat. Es macht unheimlich Spaß zu lesen, wie die ersten zarten Gefühle in Frieder erwachen. Seine Unsicherheit den eigenen Gefühlen gegenüber. Jeder hat das schon erlebt, aber hier wird es herrlich erzählt.



"Den Werther hatte ich immer langweilig gefunden, aber in diesem Moment, in dieser Telefonzelle an diesem still-sonnigen Nachmittag, schüttelte es mich innen so durch, dass ich plötzlich verstand, dass manche diesen Orkan im Inneren irgendwann nicht mehr aushielten."



Nichts scheint die Freunde aufhalten zu können. Die verbotenen geheimen Plätze der Stadt scheinen ihnen zu gehören. Bis Johanns Vater stirbt und sich ein Schatten über die Freunde legt und ihre Freundschaft belastet. Der coole Johann zerbricht unter seiner Fassade, die er nicht mehr aufrechterhalten kann. Intensive, traurige und bewegende Momente zeigen, wie schnell das Leben einen neuen Weg einschlägt.



Hier zeigt sich, wie wertvoll der Zusammenhalt einer Familie ist. Der vermeintlich kalte Großvater erweist sich als großherziger, sympathischer Mensch, der es nur verstanden hat, sein Herz gut zu verstecken. Das Erkennen eines anders eingeschätzten Menschen wird leise, aber sehr intensiv herausgearbeitet und hat mir sehr gefallen.



Es endet, wie es beginnt. Der Kreis hat sich geschlossen.



Dieser Roman ist wundervoll, intensiv, ehrlich und klar. Am Ende merkt man, wie kostbar solche Erinnerungen im Leben sind.

Ich muss wohl nicht mehr sagen, wie sehr er mir gefallen hat.



Von mir gibt es 5 Sterne plus 💕

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Veröffentlicht am 19.03.2021

Philosophisches über das Leben

Die Erfindung der Welt
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Ein anonymer Auftraggeber bittet die junge Schriftstellerin Aliza Berg, einen Roman über das Leben zu schreiben. Die einzige Bedingung ist, eine vorgegebene Region mit all ihren Bewohnern mit einzubeziehen. ...

Ein anonymer Auftraggeber bittet die junge Schriftstellerin Aliza Berg, einen Roman über das Leben zu schreiben. Die einzige Bedingung ist, eine vorgegebene Region mit all ihren Bewohnern mit einzubeziehen. Nicht nur das enorme Vorabhonorar reizt Aliza, sondern auch die Neugier auf die ihr unbekannte Gegend rund um den Ort Litstein. Die herzliche Aufnahme durch die Ortsansässigen macht es ihr leicht, erste Kontakte zu knüpfen. Besonders der Gräfin von Hohensinn fühlt sie sich verbunden und findet in deren Burg eine Unterkunft zum Schreiben.

Thomas Sautner versteht es beeindruckend und verwirrend Kluges in vielschichtig wunderschöne Worte zu hüllen. Meine Erwartung an einen Roman über einen Roman haben sich allerdings nicht erfüllt. Eine durchgehende Handlung habe ich nicht entdeckt. Vielmehr begleitet man unterschiedliche Personen in ihre persönlichsten Winkel. Es ist herausfordernd, die verschiedenen Erzählperspektiven zu erlesen. Sprunghaft geht es zu und nicht immer mochte und konnte ich folgen.

Es geht hier tatsächlich um das Leben an sich in seiner ganzen Vielfältigkeit. Philosophische Betrachtungen und ins Unendliche abschweifende Gedanken des Grafen von Hohensinn. Die Schönheit und Wildheit der Natur, in der jeder sein darf, wer er will. Es geht um Liebe und Existenzangst.

Die Charaktere waren mir überraschend unwichtig. Mich hat das Spiel der Worte fasziniert, die gekonnt und spielerisch gesetzt werden.

"... dass das Leben nur in der Art eines Lehrlings und nicht in der eines Meisters zu meistern ist, dass es nur andächtig und dann wild drauflos zu meistern ist, nur heulend und lachend, nur sich einmal davor in einer Ecke verkriechend und dann himmelwärts ihm entgegenspringend, und dass jeder darüber hinausreichende kluge Daseinsplan vom schallenden Lachen des Zufuallsgotts flachgewalzt wird wie ein zuversichtlicher Frosch vom Autoreifen eines dahinschießenden Land Rovers."

Mit dem Ende des Romans konnte ich mich nicht so recht anfreunden, da es zu sehr auf ein Drama hinausläuft, das sehr inszeniert und theatralisch wirkt. Aber vielleicht soll es auch genau so wirken, weil nichts im Leben einer Handlung folgt, sondern seine eigenen Wege sucht.

Dies ist ein Buch zum in Gedanken hängen bleiben und Treibenlassen.

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Veröffentlicht am 10.03.2021

Ungeschönte bewegende Lebensgeschichten

Dinosaurier auf anderen Planeten
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Ungeschönte schmerzhaft intensive Alltagsgeschichten, wie nur das Leben sie schreiben kann. Über Frauen und Männer in schwierigen Phasen ihres Lebens im Kampf um Anerkennung, Liebe, Wahrnehmung und Verständnis. ...

Ungeschönte schmerzhaft intensive Alltagsgeschichten, wie nur das Leben sie schreiben kann. Über Frauen und Männer in schwierigen Phasen ihres Lebens im Kampf um Anerkennung, Liebe, Wahrnehmung und Verständnis.

Danielle McLaughlin hat mit ihrem wundervoll raumgreifenden Schreibstil in kurzen Erzählungen ganze Lebensgeschichten erzählt. Trotz aller Düsternis wird man gefesselt und ist sofort bei den Protagonisten. Faszinierend, wie tief man in eine 20-seitige Kurzgeschichte eintauchen kann und diese auch nach dem Lesen noch nachhallt. Nach jeder Geschichte musste ich erst einmal innehalten und das Gelesene ruhen lassen, so intensiv fühlte ich mich in die Handlung hineinversetzt.

"Ich mache mir Sorgen, sagte ihre Mutter. Aileen wartete. Die Währung der Sorge hatte im Munde ihrer Mutter über die Jahre einen so großen Wertverlust erlitten, dass man nicht ahnen konnte, was nun folgen mochte."

Hier kämpfen Menschen ums nackte Überleben oder haben schon aufgegeben. Eine verzweifelte 45-jährige Frau, die auf eine Beziehung hofft, obwohl sie tief im Inneren weiß, dass ihr vorheriges Leben dies nicht mehr möglich macht.

"Einen Riegel vor ihre Vergangenheit schieben, das konnte sie nicht. Die Vergangenheit war eine offene Tür und mehr als im Flur daran vorbeieilen war da nicht zu machen."

Die Geschichten lassen einen nicht los, gehen direkt ins Herz. Man hat das Gefühl, genau dies könnte gerade in der Nachbarschaft stattfinden. Ein kleines Mädchen, dass sich ausgegrenzt fühlt, ein überforderter Ehemann, der sich um seine psychisch kranke Frau sorgt, eine Mutter, die ihren Enkel vielleicht das letzte Mal sehen darf.

Die Autorin hat gegenwärtige Stimmungen in starke, bewegende Worte gefasst. Ein Buch, das lange nachklingt und aufweckt.

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Veröffentlicht am 07.03.2021

Entschleunigungslektüre

Ein Stadtmensch im Wald
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Ein Schriftsteller flüchtet vor der Pandemie in die Einsamkeit des Waldes, denn Schreiben kann man überall. In Brandenburg, im Ruppiner Wald, findet er mehr als nur Ruhe. Seine unbestrittene Unwissenheit, ...

Ein Schriftsteller flüchtet vor der Pandemie in die Einsamkeit des Waldes, denn Schreiben kann man überall. In Brandenburg, im Ruppiner Wald, findet er mehr als nur Ruhe. Seine unbestrittene Unwissenheit, was Flora und Fauna angeht, bietet ihm die Möglichkeit, sich völlig unbefangen der Natur zu nähern. Seine kleinen Wald-Erlebnisse laden zum Innehalten ein. Tierportrait-Zeichnungen von Elisa Rodriguez unterstreichen die Schilderungen.

H.D. Walden hat sich einem aktuellen Thema gewidmet. Nicht jeder hat die Möglichkeit, sich den Corona-Hotspots fernzuhalten. Ein Autor hat diese Chance natürlich und so zieht es ihn in eine Waldhütte, fern von Abstandsregeln und Hygienekonzepten. Als Leserin, die direkt am Wald lebt, habe ich dieses Buch mit einem Schmunzeln und Aha-Erlebnissen gelesen. Für mich alltägliche Situationen werden auf amüsante Art beschrieben und laden zum Neubetrachten ein.

Aufgetragen von der Freundin, soll der Schriftsteller die Waldtiere füttern, was anfänglich eher eine Pflicht als Freude ist. Diese Vögel scheinen alle gleich. Doch durch die neu gewonnene Zeit und Muße zum Beobachten werden diese Tiere eigenständige Wesen mit Eigenarten, verhaltenstypischen Bewegungen und Charakterzügen.

Diese Stelle hat mir besonders gefallen:

"Wenn die Kleiber sich Futter holten, hieß es 'Alle runter auf den Boden! Keiner bewegt sich, oder es knallt! Her mit den großen Scheinen, na los hört ihr schlecht, ihr habt genau vier Sekunden Zeit!' Die Dompfaffen hingegen wirkten wie Leute, die an einem heißen Sommertag im Garten grillen und eigentlich keinen großen Appetit haben, weil es so warm ist."

Ein Waschbär hat es ihm dann besonders angetan. Jede Nacht plündert der schlaue Kerl die Meisenknödel und lässt sich auch nicht von verschiedenen Abschreckungsversuchen davon abhalten. Mann und Tier arrangieren sich, der eine füttert den Waschbären und das Tier lässt Vogelhaus Vogelhaus sein. Man bekommt den Eindruck, dass sich der Mensch den Tieren annähert, seinen Tagesablauf danach ausrichtet und sich vom städtischen Verhalten immer mehr entfernt.

Einige Passagen waren mir etwas zu fremd. Dialoge zwischen Waschbär und Mensch sind wohl der Einsamkeit und Stille geschuldet. Wiederkehrende nächtliche Wanderungen zu einem Hochsitz, um zu überprüfen, ob eine Jägerin diesen besucht hat, konnte ich nicht so ganz verstehen. Auch wenn eine gewisse Zuneigung zu einem Wildtier besteht, bleibt es doch ein Wildtier und die Rettung vor einer vermeintlichen Kugel wäre auch mit nächtlichen Wanderungen nicht zu verhindern gewesen.

Für mich ist es eine Empfehlung, sich ab und zu vom menschlichen Getümmel zu entfernen, um den Blick für die Natur und das Sein zurückzugewinnen. Auf jeden Fall eine Entschleunigungsleseempfehlung.

Eine Begebenheit im Buch hat der Auto im Video festgehalten:

https://youtu.be/jzW6iEyuW10

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