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Veröffentlicht am 05.09.2018

Romanhandlung rückwärts erzählt hemmt den Lesefluss

Archipel
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Der Roman „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke spielt vor dem Hintergrund einer einhundertjährigen Geschichte, die mich als Leserin mit auf die Inselgruppe der Kanarischen Inseln nahm. Die Autorin siedelt ...

Der Roman „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke spielt vor dem Hintergrund einer einhundertjährigen Geschichte, die mich als Leserin mit auf die Inselgruppe der Kanarischen Inseln nahm. Die Autorin siedelt die Ereignisse im Buch hauptsächlich auf Teneriffa an, einer Insel die ich selbst zweimal besucht habe, so dass ich mir das Umfeld sehr gut vorstellen konnte. Einen Eindruck dazu gibt das Cover. Im oberen Bereich sind die Inseln des Archipels Gran Canaria und Teneriffa als alte Kartenabbildung zu entdecken, im unteren Bereich steht ein Drachenbaum vor einem typischen kanarischen Landhaus.

Die Geschichte beginnt im Juli 2015. Zunächst lernte ich als Leser die Familie Bernadotte kennen. Sie wohnen in San Cristobal de La Laguna im Norden von Teneriffa. Ana ist Ende 50, studierte Verwaltungswissenschaftlerin und heute in der Politik auf der Seite der Konservativen aktiv. Sie ist aktuell in einen Abhörskandal verwickelt. Ihr kaum älterer Mann Felipe ist ein Spross einer früher auf der Insel hochangesehenen Familie. Früher war er Professor, jetzt ist er nur noch ein Schatten seiner selbst, im Clubhaus sitzend, dem Alkohol zusprechend und den Tag genießend. Rosa, die Tochter der beiden, hat gerade ihr Kunststudium in Madrid abgebrochen und ist auf die Insel zu ihren Eltern zurückgekehrt. Julio Baute, ihr Großvater mütterlicherseits versieht derweil mit Mitte 90 noch seinen Dienst als Pförtner im örtlichen Seniorenheim. Sein Leben umklammert die gesamte Erzählung.
Kaum hatte Inger-Maria Mahlke ihre Figuren und den entsprechenden Hintergrund aufgebaut, steuert sie ihre Geschichte rückwärts über die Jahre bis 1919. Das war sicher nicht nur für mich ungewohnt. Die handelnden Personen blieben in ihrer Zeit zurück, Andeutungen bezüglich des zukünftigen Geschehens blieben unausgeführt. Stattdessen begegneten mir die Charaktere in zunehmend jüngerer Form und ihre Vorfahren. Die Autorin zeigt auf diesem Weg ein Bild der Gesellschaft und der Historie des Archipels, die verknüpft sind mit der Geschichte ganz Europas. Ihre Liebe für die Heimat und seiner Bewohner finden Eingang in ihre Schilderung.

Die Familien von Ana und Felipe beeinflussen die Geschehnisse nicht, sind aber von den Auswirkungen betroffen. Inger-Maria Mahlkes Charaktere bilden alle Gesellschaftsschichten ab, denn neben den Familienzweigen der Bernadottes und der Bautes folgt sie auch dem der Haushälterin von Ana und Felipe. Ihre Themen sind vielschichtig und reichen von Altersarmut über Umgang mit Medien bis hin zu Faschismus und Spanischer Grippe. Während der Rückwärtsgang der Erzählung manches Mal notwendigerweise eine Erklärung des geschichtlichen Hintergrunds benötigt, bei denen die Autorin sich kurz fasst, liegen ihr ihre Figuren am Herzen. Ihr Ding sind die Alltagsbeobachtungen und dazu zoomt sie gerne die Situation nah ran und beschreibt mit ausschmückenden Worten und Sätzen. Dadurch erreicht sie eine große Nähe zu den Personen. Leider fühlte ich mich durch den besonderen Erzählstil nicht zu den Charakteren hingezogen. Mein Lesefluss wurde immer wieder unterbrochen. Kaum nahm das Geschehen vor meinen Augen Form an nahm musste ich es auch wieder gehenlassen und mich mit der Erzählung zurück bewegen.

Einerseits wirkt der Roman konstruiert, der Gedankengang strengt an weil es immer wieder zu Abbrüchen der stringenten Erzählführung kommt. Andererseits zolle ich der Idee und der Ausführung, die Romanhandlung rückwärts zu erzählen, große Anerkennung.

Veröffentlicht am 05.09.2018

Unverbrauchtes Hintergrundthema spannend aufgearbeitet

Hinter den drei Kiefern
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„Hinter den drei Kiefern“ der Kanadierin Louise Penny ist der dreizehnte Fall für den Ermittler Armand Gamache und der erste der in deutscher Sprache erscheint. Die Serie ist sehr erfolgreich in Kanada. ...

„Hinter den drei Kiefern“ der Kanadierin Louise Penny ist der dreizehnte Fall für den Ermittler Armand Gamache und der erste der in deutscher Sprache erscheint. Die Serie ist sehr erfolgreich in Kanada. Gamache ist vor kurzem zum Chief Superintendent und Leiter der Sureté du Québec befördert worden. Er ist verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter, deren Ehemann sein Stellvertreter ist. Mit seiner Frau und zwei Hunden lebt er in Three Pines (dt. Drei Kiefern), einem kleinen, unauffälligen Ort in den Wäldern Kanadas unweit der Grenze zu den USA und etwa eine Fahrstunde von seinem Dienstort Montréal entfernt. In Montréal hat er eine kleine Wohnung die er in stressigen Arbeitssituationen nutzt.

Zu Beginn des Krimis lernte ich Armand Gamache bei einer Zeugenaussage im Gerichtssaal in Montréal kennen. Es ist Sommer und seine Aussage zieht sich über Stunden hin in dem sich stetig aufheizenden Saal. Es wird über einen Mord gerichtet, der sich Anfang November des Vorjahrs in Three Pines ereignet hatte. Es begann damit, dass eine unheimlich anmutende, ganz in schwarz gekleidete Person mit Maske auf der örtlichen Halloween-Party des Dorfs erschienen ist. Am nächsten Morgen stand die Gestalt dann auf dem Dorfanger und rührte sich nicht vom Fleck. In Verbindung mit ihr kam bei den Bewohnern der Begriff eines sogenannten Cobradors auf, eines Schuldeneintreibers in Spanien. Auf Ansprache reagierte sie nicht, es kam zu einem wütenden Angriff der Ortsansässigen. Nachdem die Erscheinung endlich verschwand wurde kurz darauf eine Leiche aufgefunden, die die Kleidung der Figur trug. Doch der Fundort ließ Gamache bald schon an eine ganz andere Verbindung denken, die direkt ins Drogenmilieu führt.

Die Autorin wohnt selber in einem der Größe und der Lage nach ähnlichen Ort wie Three Pines in Kanada, daher wirken die Beschreibungen der Landschaft und des fiktiven Dorfs authentisch. Die Verhandlung des Mords im Sommer ist eine der beiden Handlungsebenen des Krimis, die andere spielt im Herbst des Vorjahrs und erzählt die Ereignisse die zur Ermordung einer namentlich noch sehr lange unbekannten Person führten. Obwohl der potentielle Mörder im Gerichtssaal sitzt klärt Louise Penny deren Identität erst nahezu zum Schluss auf. Mit der Figur des Cobradors, die einen wesentlichen Anteil zur Hintergrundstory liefert, hat die Autorin ein unverbrauchtes Thema aufgegriffen. Dabei hat sie ein spanisches Phänomen fantasiereich in deren Historie ausgeschmückt.

Armand Gamache ist ein Ermittler ohnegleichen, der gegen Korruption in den eigenen Reihen und Drogenkartelle, die Terror verbreiten, kämpft. Erst seit kurzem ist er Leiter der Sureté geworden, wodurch seine bisherige Arbeit gewürdigt wurde und er dadurch die Bestätigung findet, seinen Führungsstil fortzusetzen. Sein Anliegen ist es nicht, die kleinen Verbrechen einzelner Täter im Drogenmilieu aufzuklären, sondern er möchte den Kopf der Organisation finden und den Verbrecherring sprengen. Dazu hat er begonnen, die Ermittlungsbehörde neu zu strukturieren. Er setzt auf Zusammenarbeit in allen Bereichen, auf die Erfahrung des Einzelnen und entscheidet auf Grundlage der Gesetze und seines Gewissens. Seine Gefühle bei Würdigung der gesamten Situation führen ihn zum tatsächlichen Mörder. Moralische Unterstützung findet er bei seiner Frau Reine-Marie, einer ehemaligen Archivarin. Aber auch die ortsansässigen schrulligen Freunde des Ehepaars in Three Pines haben ihren Anteil am Verlauf der Ereignisse.

„Hinter den drei Kiefern“ beginnt eher ruhig. Immer mehr begriff ich als Leser, dass die verschreckende Gestalt auf dem Dorfanger nicht nur ein Ärgernis für die Bewohner von Three Pines ist, sondern mit erschreckenden Ereignissen zusammenhängt. Louise Penny hat diesen Krimi nicht nur mit Verstand sondern auch mit Herz geschrieben. Sie baut die Spannung zunehmend auf bis hin zu einem furiosen Finale. Mir hat das sehr gut gefallen und deshalb empfehle ich ihn gerne weiter.

Veröffentlicht am 02.09.2018

Historischer Zeitabschnitt aus neuer Sicht mit heldenhafter Protagonistin

Manhattan Beach
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Titel und Cover des Romans „Manhattan Beach“ von Jennifer Egan verrieten mir als Leser schon den Ort, an dem die Geschichte mich hinführen würde, als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand nahm. Im Hintergrund ...

Titel und Cover des Romans „Manhattan Beach“ von Jennifer Egan verrieten mir als Leser schon den Ort, an dem die Geschichte mich hinführen würde, als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand nahm. Im Hintergrund des Umschlagfotos ist die Skyline von Manhattan zu sehen, Manhattan Beach jedoch befindet sich am südlichen Ende von Brooklyn. Es ist der Schauplatz des ersten Kapitels mit einem Treffen der drei Protagonisten in den 1930er Jahren, welches das Leben von jedem von ihnen nachhaltig verändern wird. Ein Interview mit Jennifer Egan, das dem Roman vorweg gestellt wird, lieferte mir nicht nur Informationen zur Entstehung des Buch, sondern auch Fotos, die die Fakten im Buch ergänzten.

Im Mittelpunkt des Romans stehen Anna Kerrigan, ihr Vater Eddie und dessen neuer Arbeitgeber Dexter Styles, dem Chef mehrerer Nachtclubs. Als Jugendliche begleitet Anna ihren Vater häufig bei seinen Lieferungen von Umschlägen mit wichtigem Inhalt. Nur sehr knapp kommt die Familie mit dem Lohn zurecht, die Mutter verdient als Näherin einiges dazu. Anna hat eine jüngere schwer behinderte Schwester, die viel Aufmerksamkeit benötigt. Als sie fast dreizehn Jahre alt ist verschwindet Eddie spurlos. Ihr Studium bricht sie ab, um ihren Beitrag zum Kriegsdienst des Zweiten Weltkriegs zu leisten. Sie arbeitet bei der Brooklyner Marinewerft und überprüft dort kleine Maschinenteile. Doch ihr großer Traum ist es, sich den Tauchern der Marine anzuschließen, die sie in ihren Pausen bei Reparaturen an Schiffen beobachten kann. Eigentlich ist der Beruf nur Männern vorbehalten, doch viele von ihnen sind im Krieg, darin sieht sie ihre Chance. Mit einer Freundin besucht sie abends einen Club, in dem sie Dexter auffällt. Zwischen beiden entwickelt sich eine ganz besondere Beziehung.

Jennifer Egan hat mit Anna eine starke Frauenfigur geschaffen, die mutig und unbeirrt ihren Weg geht und sich dabei den Widrigkeiten ihrer Zeit stellt. Bei ihren Recherchen war es der Autorin möglich, selbst einmal einen der damaligen Tauchanzüge anzuziehen, so dass ihre Beschreibungen rund um den Tauchvorgang authentisch wirken. Anna verfolgt aber nicht nur entschlossen ihren Traum, sondern zeigt im Umgang mit ihrer schwer behinderten Schwester auch ihre mitfühlende Seite. Einen weiteren Kontrast hierzu zeigt die Autorin indem sie ihre Protagonistin am Nachtleben von New York teilnehmen lässt. Hier trifft sie auf zwielichtige Gestalten. Schon durch Eddie und Dexter wurde ich in die Welt der Schwarzmarktgeschäfte, der Kleinkriminellen und des organisierten Verbrechens mitgenommen.

Das Geschehen geht einher mit der Geschichte New Yorks vor, während und nach dem 2. Weltkrieg. Einiges beschreibt die Autorin sehr detailreich. Es gelingt ihr trefflich, ein vorstellbares Bild der Ereignisse zu schaffen. Bald standen die beiden Fragen im Raum, warum Eddie verschwunden ist und ob Anna ihren Traum verwirklichen kann, die nach raschen Antworten verlangten. Dennoch konnte mich die Erzählung nicht mitreißen, was vielleicht daran lag, dass die Handlung zwischen den Protagonisten immer wieder wechselt, auch auf unterschiedlichen Zeitebenen. Der Schluss war für mich nicht wirklich stimmig.

„Manhattan Beach“ erzählt einen historischen Zeitabschnitt aus einer neuen Sicht mit einer heldenhaften Protagonistin. Die Autorin überzeugt mit bewegenden Hintergrundgeschichten und einer unvoreingenommenen Sicht auf die Ereignisse, die sie in ihrer klaren Sprache einfängt. Gerne empfehle ich den Roman daher weiter.

Veröffentlicht am 31.08.2018

Leichtgängig mit kleinen Umwegen, psychologisch durchdacht und humorvoll

Ich war Diener im Hause Hobbs
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Der Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ von Verena Roßbacher beginnt im Prolog mit einem aufgefundenen Toten. Christian Kauffmann, der Diener der Familie und Protagonist der Geschichte findet ihn in ...

Der Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ von Verena Roßbacher beginnt im Prolog mit einem aufgefundenen Toten. Christian Kauffmann, der Diener der Familie und Protagonist der Geschichte findet ihn in seinen Räumlichkeiten im Gartenhaus der Familie Hobbs. Passend zu seinem Beruf, über den Christian in diesem Buch spricht, sind auf dem Cover im oberen Teil Straußenfederstaubwedel abgebildet, im unteren Bereich sind es Zweige einer palmenähnlichen Pflanze, hinter er sich leicht beim Abstauben verbergen kann, um dann Gesprächen zu lauschen, die eigentlich nicht für ihn bestimmt sind. Die Abbildungen sind kunstvoll bunt gestaltet, sie zeigen an, dass Kunst im Roman eine Rolle spielen wird.

Christian Kauffmann ist in Feldkirch an der westlichen Grenze Österreichs zu Hause. Nach seiner Matura beschließt er, eine Ausbildung als Diener an einer Fachschule in den Niederlanden zu absolvieren. Über eine gute alte Bekannte bekommt er die Empfehlung für seine erste Stellung, die er bei der Familie Hobbs in Zürich antritt. Christian erzählt seine Geschichte in der Ich-Form im Rückblick auf die vergangenen Jahre. Er versucht zu verstehen, wie es zu dem Unglück und Skandal im Haushalt der Hobbs kommen konnte. Seine Gedanken treiben zurück bis in seine Jugend im Kreis von vier Freunden, die auch später noch eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen. Nach Betrachten der Ereignisse von vielen Seiten stößt er schließlich auf lange verborgene Familiengeheimnisse in Zürich und in Feldkirch.

Der Titel des Romans verweist gleich auf die Tatsache, dass der Protagonist seinen Job im Hause Hobbs beendet hat. Im Raum steht also schon zu Beginn die Frage nach dem Warum. Der Prolog wirft mehr und weitere Fragen auf als das er Antworten liefert. Verena Roßbacher, die selbst einige Zeit als Hausmädchen in der Schweiz gearbeitet hat, wählt für ihre Hauptfigur einen heute eher ungewöhnlichen Beruf. Zunächst dachte ich daher durch den Buchtitel an eine historische Geschichte, doch das Buch ist ein Coming-of-Age-Roman. Das was die Autorin hier ihren Protagonisten über die Ausbildung und das Ausüben seines Jobs berichten lässt, fand ich faszinierend und real geschildert. Im verschreckten Plauderton wendet Christian sich an den Leser und verzettelt sich im Laufe der Seiten mit scheinbaren Nebensächlichkeiten, die er auch bemerkt. Er spricht dabei einige seiner Vermutungen an, doch bis alle Puzzlesteine an seinen Platz gefallen sind, dauert es bis zum Ende des Buchs.

Der Protagonist wirkt auf mich ein wenig naiv und dem Klischee des Dieners entsprechend unterwürfig aber versnobt. Es lässt ihn immer noch nicht los was ihm bei den Hobbs passiert ist und in seiner Erzählung verteidigt er seine Unwissenheit über Zusammenhänge, die er bei genauerem Hinsehen, wie es in seinem Job zur Unterstützung seiner Arbeitgeber eigentlich verlangt wird, hätte erkennen müssen. So kommt es auch zu den prägnanten Eingangssätzen des Romans von denen einer lautet „Es war ein schlampiger Tag“, der damit seine eigene Unzulänglichkeit und seine mögliche Schuld zum Ausdruck bringt. Sein langjähriger Partner, der als Hommage an den tatsächlich existierenden Autor John Wray benannt ist, hat die Zusammenhänge wahrscheinlich schon früher erkannt aber nichts gesagt. „Dies ist eine einfache Geschichte“ ist der zweite Satz. Er stellt sich aus Sicht von Christian in Bezug auf das alte Sprichwort „Je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall“ als unausweichlich für die Familie Hobbs dar, war also voraussehbar. Daher ist er unverkennbar unzufrieden mit sich, dass er Verbindungen nicht sofort gedeutet hat.

Lange weicht die Autorin der Aufdeckung der Hintergründe aus. Stattdessen führte sie mich als Leserin in eine beschauliche Kleinstadtidylle mit vier Jungen, die sich im jugendlichen Alter von Gleichaltrigen abgrenzen wollten und nichts vom Erwachsenwerden hielten. Was zunächst ohne Zusammenhang mit dem Skandal und dem Toten in der Schweiz wirkt findet im Laufe der Geschichte immer näher zueinander.

Verena Roßacher hat mit „Ich war Diener im Hause Hobbs“ einen Roman geschrieben, der mit der Geduld des Lesers spielt. So angespannt der Protagonist das Geschehen auch schildert, um sich selbst von einer angenommenen Mitschuld zu befreien, so leichtgängig mit kleinen Umwegen, psychologisch durchdacht und humorvoll liest sich der Roman. Mich hat er sehr gut unterhalten und darum empfehle ich ihn gerne weiter.

Veröffentlicht am 29.08.2018

Unerwartete Wendungen, überraschende Handlungsfolgen, die Spannung wächst exponentiell

Der Abgrund in dir
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Das Buch „Der Abgrund in dir“ von Dennis Lehane beginnt mit einer verstörenden Szene. Die Protagonistin Rachel, Mitte 30 Jahre alt, erschießt ihren Ehemann an Bord eines Boots. Natürlich wurde bei mir ...

Das Buch „Der Abgrund in dir“ von Dennis Lehane beginnt mit einer verstörenden Szene. Die Protagonistin Rachel, Mitte 30 Jahre alt, erschießt ihren Ehemann an Bord eines Boots. Natürlich wurde bei mir als Leserin dadurch sofort die Frage aufgeworfen, wie es zu dieser Tat kam. Im Prolog erfuhr ich, dass sowohl Täterin wie auch Opfer in dem Moment erstaunt über diesen Schritt sind. Rachel erinnert sich danach an eine Begebenheit, bei der ihre Mutter, die eine erfolgreiche Autorin von Beziehungsratgebern war, sie vor den Lügen von Männern warnte. In der vor ihren Augen ablaufenden Szene erkennt sie das Entsetzen ihres Manns und die wortlose Übermittlung seiner Liebe zu ihr, die sie bis zum Schluss erwiderte. Ich konnte es kaum erwarten mehr zu den Hintergründen zu erfahren. Doch der Autor entwickelte seine Erzählung eher langsam und steigerte so die Spannung.

Der Roman ist in drei Teilen geschrieben. Im ersten Teil dreht sich alles um Rachel, beginnend mit ihrer Kindheit. Sie war keine drei Jahre alt als ihr Vater die kleine Familie verließ. Ihre Mutter Elizabeth kam bei einem Unfall ums Leben und hat ihrer Tochter den Namen des Vaters nie genannt. Mit wenigen Informationen findet sie über zwanzig Jahre später den Mann wieder, der ihr als Vater in Erinnerung ist und zu einem guten Freund wird. Inzwischen ist sie eine erfolgreiche Reporterin bei einem TV-Sender und heiratet einen Kollegen vom Fernsehen. Doch immer häufiger kommt es bei ihr in stressigen Situationen zu Panikattacken. Schließlich ist sie kaum noch in der Lage, ihr zu Hause zu verlassen.

Am Tag ihrer Scheidung trifft sie in einer Kneipe erneut auf den Unternehmenssohn Brian, den sie vor Jahren auf der Suche nach ihrem Vater als Privatdetektiv kennengelernt hat und der damals ihren Auftrag ablehnte. Der zweite Teil des Buchs ist nach ihm benannt und dementsprechend steht Brian in diesem Teil im Fokus. Allein die Länge des Teils im Vergleich zu den anderen beiden lässt auf die besondere Bedeutung der Person schließen. Der letzte Teil beschreibt erneut eine Suche von Rachel. Diesmal ist es eine nach der Wahrheit und dem Vertrauen.

Dennis Lehanes Charaktere in diesem Roman sind komplex. Seine Figur Rachel baut er bedachtsam auf und ließ mich als Leser auf ihre Kindheit an der Seite ihrer permanent unzufriedenen Mutter schauen. Ich konnte ihre Entwicklung raus aus deren Schatten hin zu einer erfolgreichen Journalistin verfolgen. Doch die erlernten Werte und ihr Sinn für Recht und Anstand sind übermächtig. Vielleicht ist daher der Drang, ihren Vater zu finden, auch die Suche nach einer Person, die ihr Halt geben soll im Leben. Ihre erste Ehe hat keinen Bestand weil sie bei ihrem Mann nicht genügend Unterstützung zum Aufbau und Erhalt ihres Selbstwerts findet.

Am Ende des ersten Teils erlebte ich Rachel als zerbrechliche Persönlichkeit, nervlich auf das Äußerste angespannt, am Ende ihrer Kräfte. Doch dann wurde Brian, bis dahin nur eine Randfigur, für sie immer wichtiger. Er kümmert sich liebevoll um sie, ist besorgt und spricht ihr gleichzeitig Mut zu. Insgesamt gesehen fällt es mir schwer von Sympathien zu den Protagonisten zu sprechen, zu zerrissen ist die Persönlichkeit Rachel, zu undurchschaubar die Figur Brian. Und doch haben beide ausreichend gute Eigenschaften, die sie zu interessanten Charakteren macht.

„Der Abgrund in dir“ wartet mit zahlreiche unerwarteten Wendungen und überraschenden Handlungsfolgen auf. Zwar beansprucht er ein wenig die Geduld des Lesers bis er sein Potential voll entfaltet. Die Spannung wächst exponentiell zum Ende hin an. Mir gefiel die Geschichte sehr gut, eine Verfilmung halte ich für denkbar. Gerne empfehle ich den Roman weiter.