Profilbild von Haberleitner

Haberleitner

Lesejury Star
offline

Haberleitner ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Haberleitner über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.02.2023

Lucie Girard im Krisenmodus

Mord im Kollektiv
0

„Mord im Kollektiv – Wer ist schuld“ von Luc Winger ist kein herkömmlicher Whodunit-Krimi, sondern vor allem ein packender Roman mit einer gesellschaftskritischen Thematik, voller Emotion, Dramatik und ...

„Mord im Kollektiv – Wer ist schuld“ von Luc Winger ist kein herkömmlicher Whodunit-Krimi, sondern vor allem ein packender Roman mit einer gesellschaftskritischen Thematik, voller Emotion, Dramatik und Tragik.

Klappentext:
Commissaire Lucie Girard stellt ihr Leben auf den Kopf. Sie beginnt eine Affäre mit ihrer Assistentin Louisa Benin. Gemeinsam setzen sie sich für die Rechte der Frauen ein. Eröffnen die Fotoausstellung Femmes pour Femmes in Saint-Tropez. Dort werden kurz darauf zwei Männer erschossen. Die Presse wittert einen Skandal. Beschuldigt das Liebespaar. Eine Hetzjagd beginnt. Wer wird das nächste Opfer?

Schon das Cover – ich assoziiere die rote Glut mit Feuer – scheint auf das brandheiße Thema hinzuweisen. Das Buch gliedert sich in Prolog, 13 kurze Kapitel und Epilog, meist mit Orts- und Zeitangaben versehen, wodurch man sich ausgezeichnet chronologisch zurechtfindet. Das französische Flair wird durch kurze französische Gesprächsfetzen (mit Übersetzung) unterstrichen. Immer wieder reizvoll finde ich die Tatsache, dass die Romane dieser Reihe in den 70er Jahren spielen, wo die Polizeiarbeit noch mit wenig Technik auskommen musste, ohne Mobiltelefon, ohne Internet und als Informationsquelle lediglich Zeitungen und Rundfunk/Fernsehen dienten.

Dies ist mittlerweile der 18. Band dieser Saint-Tropez Krimis mit Kommissarin Lucie Girard als Protagonistin. Die Krimis sind grundsätzlich in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Nichtsdestotrotz offenbart sich Lucies Charakter erst dann in all seinen Facetten, wenn man möglichst viele Bände dieser Reihe kennt.

Wiederum hat der Autor als Basis für den Kriminalfall ein damals hochexplosives Thema gewählt: die nicht nur in Frankreich Ende der 70er Jahre entstandene Lesbenbewegung. Dadurch, dass Lucie Girard persönlich in eine lesbische Affäre verwickelt ist, noch dazu mit einer Kollegin, verstärkt sich die Brisanz. Die gegensätzlichen Emotionen und Ansichten in der Gesellschaft werden eindrucksvoll geschildert. Voller Dramatik und mit tragischen Konsequenzen. Zwar schlägt dieses Thema mittlerweile (jedenfalls hierzulande) nach rund 50 Jahren nicht mehr so hohe Wogen, polarisiert jedoch nach wie vor. Intoleranz, Vorurteile und Diskriminierung existieren leider noch immer.

Bereits mit dem Prolog befindet man sich mitten im Geschehen, wird Zeuge von Morden. In Rückblenden wird – mittels Perspektiven- und Ortswechsel - die Vorgeschichte aufgerollt. Es entwickelt sich in Folge keine übliche Krimihandlung mit der Frage nach dem Täter, sondern wie es zu der Tat kommen konnte und endet schließlich mit der Verfolgung der Tatverdächtigen. Die Spannung entspringt den dramatischen Ereignissen, der emotionalen Atmosphäre und dem Gewissenskonflikt der Akteure.

Wenn man wie ich Lucie Girards Entwicklung schon über zehn Bände lang verfolgt hat, sie als vernünftige, coole Kommissarin kennt, die ihren Mann und ihre Kinder sehr liebt, dann ist man natürlich überrascht, dass ihr eine solche gefühlsstarke Entgleisung passieren kann. Aber diese neue Facette ihres Charakters lässt diese stets stark erscheinende Person nur noch etwas menschlicher wirken. Denn kein Mensch ist perfekt, jeder hat Schwächen, begeht mal Fehler, weicht einmal vom geraden Weg ab. Ich bin überzeugt, Lucie wird aus dieser emotionalen und tragischen Sache gestärkt hervorgehen. Sehr angetan bin ich von der Art und Weise, wie sich Gendarm Hugo entwickelt hat, nämlich von einem tollpatschig wirkenden Menschen zu einer tatkräftigen Stütze der Kommissarin. Lucies Assistentin Louise ist als fanatische Lesbe sehr authentisch gezeichnet.

Wiederum hat mir eine Story rund um Lucie Girard spannende Lesestunden beschert und Neugierde nicht nur auf einen weiteren Kriminalfall entfacht, sondern auch darauf, wie es für die Kommissarin privat und dienstlich weitergehen wird, wie sie diese Affäre geprägt hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.02.2023

Kaiser, Klimt und eine kopflose Leiche

Der Kuss des Kaisers
0

„Der Kuss des Kaisers“ von Christine Neumeyer ist ein historischer Krimi aus der Kaiserzeit, mit typisch Wienerischem Lokalkolorit.

Klappentext:
Wien im Herbst 1908. Während der Vorbereitungen zur Präsentation ...

„Der Kuss des Kaisers“ von Christine Neumeyer ist ein historischer Krimi aus der Kaiserzeit, mit typisch Wienerischem Lokalkolorit.

Klappentext:
Wien im Herbst 1908. Während der Vorbereitungen zur Präsentation eines neuen Gemäldes von Gustav Klimt in der Modernen Galerie des Schlosses Belvedere – der berühmte „Kuss“ – sorgt ein grausamer Mord für Aufregung. In den Brunnen des Schlossparks wird eine zerstückelte Leiche gefunden – jedoch ohne Kopf. Die Kriminalbeamten Pospischil und Frisch stehen vor schwierigen und heiklen Ermittlungen, denn das Schloss Belvedere ist die Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand. Welches Motiv steckt hinter einer derart brutalen Tat? Wie soll der Tote identifiziert werden – und vor allem: Wo befindet sich der Kopf?

Das Cover wirkt etwas düster. Schemenhaft ist ein Kutscher vor einer Häuserfront zu erkennen. Die eher ungewöhnliche Gestaltung des Einbandes, aus kompakter Pappe, ist mir nicht sonderlich sympathisch. Das Buch liegt etwas schwer in der Hand, zudem stoßen sich die Ecken leicht ab.

Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel sind angenehm kurz und – was ich persönlich stets sehr schätze – datiert, sodass man den Ablauf der Ermittlungen chronologisch exakt nachvollziehen kann. Die historische Atmosphäre kommt einerseits durch bildhafte und detaillierte Schilderungen, wie zum Beispiel des Umzuges anlässlich des Thronjubiläums, ausgezeichnet zum Ausdruck, wie auch dadurch, dass Menschen aus den verschiedenen Milieus im Roman eine Rolle spielen, von Mitgliedern des Kaiserhauses über Adelige und Beamte bis zur armen Putzfrau. Dass die meisten zudem auch noch Wienerisch sprechen, rundet das charmante Alt Wien-Flair stimmig ab. Zudem wird man - auch sehr anschaulich beschrieben - mit der Pracht des Schlosses Belvedere und den dazugehörigen Gartenanlagen, sowie wesentlichen Werken Gustav Klimts vertraut gemacht.

Obwohl es sich nach „Der Offizier der Kaiserin“ um den zweiten Band mit den Ermittlern Pospischil und Frisch handelt, beinhalten beide Bände für sich abgeschlossene Geschichten, sind also voneinander unabhängig problemlos verständlich. Die Handlung setzt genau zehn Jahre später ein, im Jahre des 60-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph und dem Jahr, in dem Klimt das Gemälde „Der Kuss“ vollendete.

Der Kriminalfall ist gut aufgebaut. Perspektiven- und Szenenwechsel gestalten einerseits die Handlung abwechslungsreich, anderseits bieten sie Einblicke in den Alltag der Menschen, ob arm, ob reich. Die Spannung hält sich entsprechend dem Wesen eines Whodunit-Krimis auf konstantem Niveau. Gemeinsam mit den Ermittlern tappt man bis zuletzt im Dunkeln bzw. verfolgt falsche Spuren. Verdächtig sind einige und doch keiner augenscheinlich. Nach und nach verdichten sich die Hinweise und Erkenntnisse, bis der (von mir nicht erwartete) Mörder letztlich überführt wird und seine Motivation zutage tritt. Die Autorin hat sich auch recht gut in die Art und Weise damaliger Polizeiarbeit und deren Möglichkeiten hineinversetzt.

Die agierenden Personen wirken lebendig und authentisch in ihrem jeweiligen Umfeld. Mit dem Kriminalbeamten Pospischil gelang der Autorin ein sehr sympathischer, menschlicher Ermittler, der mit einer ruhigen, einfühlsamen Art und dem richtigen Spürsinn agiert. Sein jüngerer Kollege Frisch verfügt zwar über Hochschulwissen und ist mit den modernen Verfahren vertrauter, wirkt aber noch etwas zu unscheinbar.

„Der Kuss des Kaisers“ war ein Krimi nach meinem Geschmack, der mir mit den liebenswürdigen Charakteren und dem stimmigen historischem Ambiente genussvolle Lesestunden beschert hat. Ich würde mich über weitere Fälle dieses Ermittlerteams sehr freuen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.02.2023

Alles fließt … alles ist in Bewegung – wie das Wasser, so auch der Lebensweg

Das Lied des Wassers
0

„Das Lied des Wassers“ von Hedi Hummel war für mich in erster Linie ein äußerst gefühlvoller Liebesroman, in dem jedoch viel mehr steckt – eben durch die Verflechtung von Richards Lebensweg mit dem vielschichtigen ...

„Das Lied des Wassers“ von Hedi Hummel war für mich in erster Linie ein äußerst gefühlvoller Liebesroman, in dem jedoch viel mehr steckt – eben durch die Verflechtung von Richards Lebensweg mit dem vielschichtigen Thema Wasser.

Worum geht es?
Primär wohl um die schicksalshaften Wendungen in Richard Andernachs Leben. Erlebnisse und zwischenmenschliche Beziehungen in der Kindheit und Studentenzeit, Schuldgefühle gegenüber einem Jugendfreund und eine unglückliche Liebe haben ihn geprägt, zu einem distanzierten Einzelgänger und Workaholic werden lassen. Bis ein kleines Büchlein über Wasser sein Leben verändert.

Bereits das Cover hat mich angesprochen. Das grüne Blatt mit den glänzenden Wassertropfen unterstreicht harmonisch den Titel. Das Buch erschien 2022, die Handlung spielt 2019, mit Rückblenden in die Vergangenheit, die sich durch die kursive Schrift optisch sehr gut hervorheben. Die Kapitel haben eine angenehme Länge.

Kaum hat man zu lesen begonnen, ist man gefangen von dem wunderbaren Schreibstil. Ich liebe Bücher, die ein Sprachkunstwerk darstellen. Und dieses Buch ist in meinen Augen eines. So voller Poesie. Detailreich und bildhaft, dabei aber nie langatmig. Stimmungen sind so atmosphärisch geschildert, dass der Funke überspringt und man in diese Gefühle –ob tiefempfundene Liebe, Zweifel, Verwirrung, Sehnsucht oder Trauer – mit hineingezogen wird. Man erfährt, was sie denken, was sie empfinden, und fühlt mit den Romanfiguren, kann sich in sie hineinversetzen, auch wenn man selber vielleicht anders reagieren würde.

Im Mittelpunkt steht Richard Andernach, der Börsenexperte, ein einsamer Wolf, dessen Leben sich nur um die Arbeit dreht. Die Rückblenden auf seine Vergangenheit offenbaren Richards Schuldgefühle. Einerseits hinsichtlich Paul, seinem Freund in der Kindheit, der plötzlich verschwand, und um den Richard sich zu wenig gekümmert hat, als dieser ihn brauchte. Andererseits hinsichtlich Gabriele, der Geliebten während der Studentenzeit, mit der ihn eine innige Liebe verband, die jedoch ebenfalls durch sein Fehlverhalten in Brüche ging. Beides hat Richards Leben geprägt. Er hat einen seelischen Schutzwall um sich errichtet, um nicht mehr verletzt zu werden. Nur bei seiner Arbeit fühlt er sich sicher. Das ist sein Metier. Er wahrt Distanz zu anderen Menschen. Bis er sich mit dem Thema Wasser zu beschäftigen beginnt.

Womit ich bei dem Kernthema des Romans gelandet wäre. Wasser gab dem Buch den Titel. Was es mit dem „Lied des Wassers“ auf sich hat, beginnt man im Laufe der Lektüre zu verstehen. Wasser, vom plätschernden Wildbach bis zum verunreinigten, gekippten See, zieht sich parallel zu der Liebesgeschichte, den Charakterbildern, in allen möglichen Varianten als roter Faden durch den Roman. Die Autorin hat akribisch recherchiert, geht sehr überzeugend auf alle möglichen chemischen Reaktionen und physikalischen Eigenschaften des Wassers ein, zitiert Forschungserkenntnisse und streift auch Umwelt- und esoterische Themen. Wissenserweiternd und interessant, fast wie ein Sachbuch. Ich war erstaunt, wie viele Aspekte hier relevant waren. Dieser Exkurs in die Wissenschaft wird gut dosiert serviert, stets von Richards Gedanken und Aktionen durchbrochen. Was die Umweltaktion am Ende, die Wasserreinigung, anbelangt, fühlte ich mich weniger vom technischen Verständnis her angesprochen als davon, wie das Aufeinandertreffen dieser drei Menschen sie verändert, wie sie ihre neuen Ziele erkennen, wie sich alles klärt und zum Guten wendet.

Die Entwicklung der drei Personen – von Richard, Paul und Gabriele – war für mich die vorrangige Thematik des Romans, die Wendungen, die ihr Schicksal nimmt. Die Charaktere sind facettenreich dargestellt, sie entwickeln sich, sie wirken unheimlich lebendig, sehr emotional in allen Schattierungen, haben Ecken und Kanten, begehen Fehler, agieren manchmal zu impulsiv und lassen sich zu unbedachten Handlungen hinreißen, aber sie lernen daraus, finden zu sich selbst, lernen loszulassen und ihren eigenen Weg zu finden.

„Das Lied des Wassers“ ist kein Roman, den man so einem Zug ausliest. Nicht, weil er nicht packend ist, sondern weil man animiert wird, eigenen Gedanken nachzuhängen. Übers eigene Leben, den Weg, den man selber einschlug – und last but not least auch über die Bedeutung des Wassers, für die Menschheit generell und für einen selber. Welch wertvolles Gut es darstellt und wie privilegiert wir hier in Europa sind.

Für mich war es ein Buch, das im Gedächtnis haften bleibt. Ich habe vor allem die poetischen Stellen geliebt, bin versunken in diese von wunderbaren Bildern geprägte Erzählkunst und Sprache. Ich spürte die Schönheit der Natur ebenso wie die Emotionen der Protagonisten in all ihren Schattierungen.

Eine unbedingte Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.01.2023

Leider nicht liebenswert wie Miss Marple und auch zu wenig weihnachtlich

Geheimnis am Weihnachtsabend
0

„Geheimnis am Weihnachtsabend“ von Gladys Mitchell ist ein typisch britischer Kriminalroman aus den 30er Jahren.

Klappentext:
Weihnachten steht vor der Tür, und Amateurdetektivin Mrs. Bradley folgt der ...

„Geheimnis am Weihnachtsabend“ von Gladys Mitchell ist ein typisch britischer Kriminalroman aus den 30er Jahren.

Klappentext:
Weihnachten steht vor der Tür, und Amateurdetektivin Mrs. Bradley folgt der Einladung ihres Neffen ins beschauliche Oxfordshire. Doch die lockere Stimmung der Gäste kippt, als an Heiligabend der Anwalt des Dorfes tot aufgefunden wird. Zunächst vermutet niemand einen Mord, doch eine alte Spuklegende entfacht den Spürsinn der patenten Ermittlerin.
Bewertung von The Guardian: „Eine Amateurdetektivin, die Miss Marple Konkurrenz macht – ein Lesegenuss!“

Die Ausführung des Buches ist äußerst ansprechend, fühlt sich durch den Leineneinband haptisch wunderbar an. Das Cover wirkt vielversprechend nach Weihnachtsfeeling, gruseliger Spannung und eben very british. Und wenn man wie ich ein Miss Marple-Fan ist, dann geht man mit viel Vorfreude an das Buch heran.

Nun, wenn man weiß, dass die Autorin eine Zeitgenossin von Agatha Christie und Dorothy L. Sayers war – sie lebte von 1901 bis 1983 -, dann erwartet man auch, dass Schreibstil und Sprache der Zeitepoche angepasst sind. Sie schreibt allerdings etwas epischer als A.Christie. Ihr Erzählstil ist dialogreich, manchmal etwas langatmig, verliert sich in Nebensächlichkeiten. Die britische Atmosphäre ist deutlich zu spüren, ebenso das Lokalkolorit und eine gewisse britische Exzentrik. Was die beschriebenen Örtlichkeiten, Entfernungen und Wegstrecken anbelangt, hätte ich eine Landkarte oder Skizze sehr geschätzt.

Das 1936 erschienene Buch gliedert sich in drei Abschnitte, in deren Mittelpunkt jeweils die Mordopfer bzw. letztlich der Mörder steht. Die Kapitel sind auch von angenehmer Länge und mit originellen Überschriften versehen, deren Bedeutung man im Übrigen erst im Laufe der Lektüre erkennt bzw. wenn man anhand des Originaltitels „Dead Men’s Morris“ assoziiert, dass Morris Dancing im Buch eine Bedeutung hat, ein britischer Volks- bzw. Formationstanz. Die Kapitelüberschriften sind an Figuren und Schrittkombinationen angelehnt. Ich würde auch empfehlen, sich ein Video mit diesem Tanz anzusehen. Man kann sich dann die entsprechenden Szenen besser vorstellen.

Dieser Roman liest sich keinesfalls so angenehm und entspannend wie ein Agatha-Christie-Krimi. Gladys Mitchell verfasste über 60 Krimis mit Mrs. Bradley als Protagonistin. Das vorliegende Buch ist der siebente Band. Es ist anzunehmen, dass Lesern, die die Vorgängerbände kennen, der Personenkreis vertraut ist. Für einen Quereinsteiger gestaltet sich aufgrund der vielen Personen und der unklaren Beziehungen zueinander der Einstieg schwierig. Eine Namensliste wäre da sehr hilfreich gewesen.

Der Spannungsbogen lag für mich persönlich sehr flach. Wie bei jedem klassischen Whodunit-Krimi treibt einen als Leser natürlich die Frage nach dem Mörder voran. Die Handlung ist sehr komplex und verwirrend, beinhaltet anfangs eine Menge Andeutungen, die nur bei sehr aufmerksamem Lesen im Gedächtnis bleiben. Zudem wird immer wieder Nebensächliches erzählt, wodurch Längen entstehen. Mrs. Bradleys Ermittlungen sind kaum nachvollziehbar. Sie forscht, sucht, klappert die Orte im Umkreis ab und befragt alle involvierten Personen mehrmals. Sie erörtert ihre Theorien zwar mit anderen, dennoch behält sie maßgebliche Gedanken, Vermutungen und Rückschlüsse für sich. Man erfährt auch nicht, wie sie auf manche Fakten kommt. All die vielen Varianten des Tathergangs bzw. des Motivs verwirrten mich eher als sie mir beim Miträtseln halfen. Diese Verwirrtaktik kann spannungsfördernd sein, mir war es zu viel des Guten. Selbst wenn man einräumt, dass zur damaligen Zeit die Polizeiarbeit etwas laxer vor sich ging, noch dazu am Land, so fand ich es unrealistisch, dass man Mrs. Bradley monatelang beim Ermitteln freie Hand lässt und den Hauptverdächtigen nur aufgrund ihrer Intervention nicht verhaftet.

Ein ganz wesentlicher Faktor dafür, dass mich das Buch nicht gepackt hat, war, dass ich mit keinem der Hauptakteure richtig warm wurde. Vor allem fühlte ich mich von der Protagonistin eher abgestoßen als angesprochen. Sie wird hexengleich, schwarzhaarig und mit gelben klauenartigen Fingern beschrieben, lacht meckernd, grinst teuflisch und ihre Mimik wird mit Krokodilen, Echsen oder Schlangen verglichen. Wäre interessant, warum die Autorin ihre Protagonistin so wenig liebenswert dargestellt hat, denn die Frau zeichnet sich durch scharfen Verstand, Kombinationsgabe und Spürsinn aus. Zudem verfügt sie für eine ältere Frau über erstaunliche Fitness und Beweglichkeit und beherrscht einige zirkusreife Selbstverteidigungstechniken. Es nervt auch ihre Marotte, alle Menschen, egal ob jung oder alt, verwandt oder fremd, mit „Kind“ anzusprechen. Die übrigen agierenden Personen blieben für mich bis auf wenige markante Eigenschaften eher blass und strukturarm.

Ein zwar nicht gravierender, aber dennoch etwas enttäuschender Nebeneffekt war, dass ich eine zwar cosy-spannende, aber doch anheimelnde Kriminalgeschichte mit weihnachtlichem Flair erwartet hatte. Der Weihnachtsbezug besteht allerdings lediglich in der Tatsache, dass am Weihnachtsabend ein Mord passiert. Zudem zieht sich die Mordermittlung bis Pfingsten hin. Für die deutsche Ausgabe wurde somit ein etwas irreführender Titel gewählt – der Originaltitel „Dead Men‘s Morris“ enthält nichts Weihnachtliches.

Fazit: Es ist keine Lektüre für zwischendurch, sondern erfordert wegen all der Verstrickungen und der vielen Personen Konzentration. Am besten liest man diesen Roman in Ruhe und besser nicht häppchenweise. Man darf sich vom Cover nicht täuschen lassen. Es ist weder weihnachtlich noch ähnelt Mrs. Bradley vom Sympathiewert einer Miss Marple. Aber es ist ein klassischer unblutiger Kriminalroman mit viel britischem Flair. Er hat nur nicht ganz meinen Geschmack getroffen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.01.2023

Dubliner Flair, viel Whiskey-Wissen und ein bisschen Spannung

Ein Schuss Whiskey
0

„Ein Schuss Whiskey“ von Carsten Sebastian Henn ist ein interessantes Konglomerat aus Whiskey-Seminar, Dublin-Reiseführer und Krimi für literarisch Anspruchsvolle.

Worum geht es?
Janus, ein deutscher ...

„Ein Schuss Whiskey“ von Carsten Sebastian Henn ist ein interessantes Konglomerat aus Whiskey-Seminar, Dublin-Reiseführer und Krimi für literarisch Anspruchsvolle.

Worum geht es?
Janus, ein deutscher Krimiautor, den es der Inspiration wegen nach Dublin, die Stadt der großen irischen Literaten, verschlagen hat, wird nach einer ausgiebigen Zechtour Zeuge eines Mordes. Rätselhafterweise taucht nirgends eine Leiche auf. Es lässt ihm keine Ruhe und gemeinsam mit seiner Mitbewohnerin Tessa beginnt er zu recherchieren. Sie stoßen auf die seltsame „Drunken Poets Society“. Bald erkennen sie: Whiskey spielt eine wesentliche Rolle.

Das Buch ist nach „Der Gin des Lebens“ und „Rum oder Ehre“ der dritte Teil der Trilogie über Hochprozentiges. Jeder dieser Romane ist in sich abgeschlossen, mit anderen Protagonisten. Für mich war es der erste Krimi des Autors; ich kannte bislang nur „Der Buchspazierer“, eines meiner Lieblingsbücher. Leider konnte mich dieser Whiskey-Krimi nicht genauso begeistern.

Der erste Eindruck, wenn man das Buch zur Hand nimmt, ist beeindruckend. Es fühlt sich sehr angenehm an, ist speziell durch den erhabenen Druck von Titel und Autorennamen. Das Foto stimmt auf die Thematik wunderbar ein. Die im Innenumschlag befindlichen Karten von Irland und Dublin mit den Standorten der Destillerien geben einen ausgezeichneten Ein- und Überblick in die Bedeutung der Whiskey-Produktion bzw. die Aktionsorte der Handlung.

Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel haben eine angenehme Länge. Sogar die Überschriften der Kapitel – Zitate bedeutender Persönlichkeiten zum Thema Whiskey – unterstreichen das Hauptthema dieses Buches, nämlich Whiskey. Die Krimihandlung wird mehrmals (optisch markant auf grauem Hintergrund gedruckt) mit Auszügen aus der Homepage der „Drunken Poets Society“ unterbrochen, die umfassende Information über die Geschichte von Whiskey, dessen Herstellung, Rezepte für Cocktails und Speisen u.a. bieten. Es wird quasi ein Whiskey-Seminar mitgeliefert.

Sehr atmosphärisch sind die Beschreibungen des Autors der irischen Lebensweise, der Stimmung in den Pubs und der diversen Sehenswürdigkeiten Dublins und der Umgebung. Die Profession des Autors als Restaurantkritiker und Weinjournalist verdeutlicht sich immer wieder in blumig beschriebenen Geschmacksnuancen des Whiskeys.

Auch der literarische Aspekt gehört zu Dublin, der „Stadt der trinkenden Dichter und dichtenden Trinker“, unweigerlich dazu. Kenner der irischen Literaturszene finden die Krimihandlung infolge der verwobenen Zitate und Hinweise auf diverse Werke sicher reizvoller als ich, die da nicht beschlagen ist.

Die verschiedenen Handlungsebenen bzw. Perspektiven dienen der Abwechslung, doch der Roman im Roman und das Audiotagebuch des Mörders, wodurch man dessen Gedanken erfährt, verwirren anfangs, weil sich der rote Faden der Story erst später offenbart. Dadurch kam ich nicht mit Anhieb in die Geschichte hinein. Letztlich entwickelte sich durch einen Wettlauf gegen die Zeit und einen spektakulären Showdown doch noch Spannung.

Im Mittelpunkt steht eigentlich Janus, der unter einer Schreibblockade leidende Autor. Mein Problem war, dass ich mit ihm und Tessa, seiner Mitbewohnerin, nicht richtig warm wurde. Sie waren sympathisch, aber emotionell farblos gezeichnet. Dass sie in einander verliebt sind, war kaum zu spüren. Ich habe Janus auch nicht wirklich abgenommen, dass er all diese Handlungen setzt, was Mut und Verwandlungsfähigkeit anbelangt. Die „Drunken Poets Society“, die sich aus sehr unterschiedlichen urigen Typen zusammensetzt, ist recht anschaulich und gut vorstellbar beschrieben.

Bei „Ein Schuss Whiskey“ genoss ich vor allem das Irland-Flair - meine Lust hinzureisen, wurde neuerlich entfacht; ich fand das umfassende Wissen rund um Whiskey beeindruckend und lehrreich, vermisste allerdings anfangs Spannung und konnte mich generell mit den Protagonisten nicht richtig anfreunden. Nichtsdestotrotz ist das Buch infolge der skurril anmutenden Handlung und dem sachbuchartigen Schwerpunkt ein Krimi der besonderen Art, der vor allem Irlandfans und Whiskeykenner beglücken wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere