Vier Generationen einer deutschen Familie
Bildergestöber„Bildergestöber“ von Bernd Richard Knospe ist die persönliche Familienchronik des Autors, basierend auf u.a. Tagebucheintragungen, Erzählungen und eigenen Erlebnissen. Nicht alles ist belegt, ist Fakt, ...
„Bildergestöber“ von Bernd Richard Knospe ist die persönliche Familienchronik des Autors, basierend auf u.a. Tagebucheintragungen, Erzählungen und eigenen Erlebnissen. Nicht alles ist belegt, ist Fakt, manches entspringt der Fantasie des Autors, fließt jedoch alles harmonisch ineinander.
Das Cover vermittelt schon einen ersten Eindruck. Man nehme eine Schachtel alter Fotos und stöbere darin. Jedes Foto weckt Erinnerungen, an lustige Feste, interessante Begegnungen, vergessen Geglaubtes. Wie einzelne Puzzleteilchen. Dadurch, dass die Geschichte dieser Familie nicht chronologisch sondern nach thematischen Aspekten erzählt wird, werden gewisse Parallelen, sich von Generation zu Generation wiederholende Ereignisse verdeutlicht und können Vergleiche zwischen den Handlungsweisen einst und jetzt gezogen werden.
Das erste, das man sieht, wenn man das Buch aufschlägt, ist eine lange Personenliste – die Familie. Eine äußerst nützliche Liste. Wie oft habe ich zurückgeblättert, meist um zu überprüfen, wie alt der- oder diejenige zum jeweiligen Zeitpunkt gerade war.
Das Buch ist in 25 Kapitel bzw. Themen unterteilt und innerhalb der Kapitel in Abschnitte, die nicht nur mit Orts- und Zeitangaben versehen sind, sondern auch mit den Namen der jeweiligen Hauptpersonen. Der Schreibstil ist flüssig, die Beschreibungen sind anschaulich, die Charaktere wirken lebendig.
Von Kapitel zu Kapitel wurden mir die Familienmitglieder vertrauter, jeder Rückblick, jede Anekdote offenbarte neue Aspekte, neue Wesenszüge, rundete die Charaktere mehr und mehr ab, machte verständlicher, wie die Lebensumstände und die Zeit, in der sie lebten, die Menschen prägten. Im Mittelpunkt stehen vier vorwiegend dominante, eigenwillige, auch willensstarke Frauen, die zum Teil ohne männliche Unterstützung zurechtkommen mussten. Nicht nur die Frauen, auch die Männer, selbst die Kinder mussten sich durchs Leben kämpfen, hatten Kriegszeiten, Flucht, Krankheiten, Verluste und Niederlagen zu ertragen, durften aber auch Liebesglück, sportliche Erfolge, fröhliche Feste und nach dem Krieg den wirtschaftlichen Aufschwung erleben.
So nebenbei ziehen rund 100 Jahre Zeitgeschichte an einem vorbei. Der Zeithorizont spannt sich vom Jahr 1912, als die Urgroßmutter sich als junges Mädchen erstmals verliebte, bis in die Gegenwart, in der der Autor mit seiner Schwester die Familienfotos durchschaut. Wenn man, wie ich, ein Kind der 50er Jahre ist, sind es vor allem die 50er bis 80er Jahre, die man ähnlich erlebt hat. Die Kindheit, als man noch kein eigenes Telefon hatte, kein Fernsehgerät, in beengten Wohnverhältnissen lebte. Die Teenagerzeit mit Minimode und langen Haaren, als die „wilde“ Musik aufkam. Die erste Liebe. Heirat. Interessant, wie sehr mich diese Geschichte einer fremden Familie dazu animierte, mich mit dem eigenen Leben zu beschäftigen. Letztlich bedauerte ich es, dass ich von meinen Vorfahren extrem wenig weiß. Und jetzt ist es zu spät. Die, die ich befragen hätte können, leben nicht mehr.
Für mich war „Bildergestöber“ nach „Urlaub, bis der Arzt kommt“, einem humorvollen Reisebericht, und „Abgründige Wahrheit“, einem spannenden Thriller, das dritte Buch des Autors, wobei man die drei Romane thematisch nicht vergleichen kann. "Bildergestöber" ist nicht nur das persönlichste Buch des Autors, sondern es ist auch jenes Buch, das einen als Leser am meisten persönlich berührt. Es geht letztlich nicht nur um irgendwelche Menschen, die irgendwann gelebt und eben etwas Erzählenswertes erlebt haben. Dieser Roman spiegelt – aus der Sicht einer ganz normalen deutschen Durchschnittsfamilie - eine ganze Epoche wider, bei vor allem älteren Lesern sogar einen Großteil ihres eigenen Lebens, weckt Erinnerungen bzw. regt an, die eigenen Wurzeln zu hinterfragen.
Ein Buch, das ich gerne weiterempfehle!