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Veröffentlicht am 03.02.2023

Ein Ermittler, der aus dem Rahmen fällt

Der Kriminalist
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„Der Kriminalist“ ist der erste Band der Krimireihe mit DS George Cross, der für die Major Crime Unit der Polizei von Somerset und Avon arbeitet. Cross ist Asperger-Autist, was sich allerdings nicht negativ ...

„Der Kriminalist“ ist der erste Band der Krimireihe mit DS George Cross, der für die Major Crime Unit der Polizei von Somerset und Avon arbeitet. Cross ist Asperger-Autist, was sich allerdings nicht negativ auf seine berufliche Qualifikation auswirkt. Im Gegenteil. Brillant in seinem Job, hat er die höchste Aufklärungsquote der Einheit und wird insbesondere von der Staatsanwaltschaft geschätzt, da er nicht nur äußerst akkurat ermittelt sondern die Ergebnisse auch logisch nachvollziehbar präsentiert. Im Gegensatz dazu geht der Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen leider nicht so glatt über die Bühne, denn hier machen sich seine Detailversessenheit und sein Mangel an Empathie immer wieder störend bemerkbar.

So auch im Fall der Leiche im Park, offenbar das Opfer einer Auseinandersetzung unter Obdachlosen mit tödlichem Ausgang. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, doch Cross bezweifelt dessen Schuld. Gemeinsam mit seiner Partnerin, die ihn im Auge behalten soll, stellt er Nachforschungen an und findet tatsächlich eine Verbindung zu einen fünfzehn Jahre zurückliegenden Cold Case. Ein Mord, der nie aufgeklärt wurde. Und wenn Cross einmal Witterung aufgenommen hat, lässt er bei seiner Suche nach Gerechtigkeit nicht locker, auch wenn er mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest sticht und einflussreiche Kräfte des Polizeiapparates verprellt.

Ich mag Polizeiromane und bin spätestens seit Gil Ribeiros Leander-Lost-Reihe ein Fan von Ermittlern, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten aus dem Rahmen fallen. Aber im Gegensatz zu diesem hat Cross kein Team im Rücken, das ihn unterstützt und auf das er sich verlassen kann, was allerdings bei ihm nicht nur an seiner Unnachgiebigkeit während der Ermittlungen liegt. Es sind auch seine persönliche Eigenheiten, insbesondere die Distanziertheit gegenüber seinen Kollegen, die ihn unzugänglich und zum Außenseiter machen, was der Autor Tim Sullivan (von Haus aus Drehbuchautor) in allen Facetten gelungen aufzeigt.

Die Protagonisten sind sehr gut charakterisiert, die Story ist spannend, das Handlungsgerüst logisch aufgebaut und unerwartete Wendungen sorgen immer wieder für Überraschungsmomente. Ein gelungener Auftakt mit einer sympathischen Hauptfigur, von der ich gerne in Zukunft noch mehr lesen möchte (im Original liegen bereits sechs Bände vor, die hoffentlich bald den Weg zu der Übersetzerin Frauke Meier finden).

Veröffentlicht am 01.02.2023

Innenansichten

Verschwiegen
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„Verschwiegen“ ist das Debüt der isländischen Soziologin Eva Björg Ægisdóttir und gleichzeitig der Auftakt einer Krimireihe, in deren Zentrum Elma und ihre Kollegen der Dienststelle in Akranes stehen. ...

„Verschwiegen“ ist das Debüt der isländischen Soziologin Eva Björg Ægisdóttir und gleichzeitig der Auftakt einer Krimireihe, in deren Zentrum Elma und ihre Kollegen der Dienststelle in Akranes stehen. Die Kleinstadt im Südwesten Islands ist überschaubar, die meisten Bewohner leben bereits seit Generationen dort, haben ihren angestammten Platz im sozialen Gefüge. Für die Polizei gibt es kaum Arbeit, denn schwerwiegende Gesetzesverstöße kommen so gut wie nicht vor, das tägliche Leben geht seinen geregelten Gang.

Eva Björg Ægisdóttir ist, wie ihre Protagonistin Elma, in Akranes geboren, kennt die Gegend wie ihre Westentasche, und sie ist mit der Mentalität der dort lebenden Menschen vertraut. Beides zusammengenommen ergibt, soweit ich es beurteilen kann, ein stimmungsvolles und authentisches Bild von Land und Leuten.

Elma ist nach einem kurzen Abstecher bei der Reykjaviker Polizei aus persönlichen Gründen in ihren Geburtsort zurückgekehrt. Sie sucht Ruhe, möchte das traumatische Ende ihrer Beziehung verarbeiten und arbeitet nun als Polizistin in Akranes. Aber die Heile-Welt-Atmosphäre währt nicht lange, denn am alten Leuchtturm wird eine Frauenleiche gefunden unbekannter Identität entdeckt. Schnell stellt sich heraus, dass sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist und nachträglich an diesem Ort platziert wurde. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Saevar wird Elma auf den Fall angesetzt, und was sie während der Ermittlungen herausfinden, lässt sie recht schnell erkennen, dass die Antworten auf ihre Fragen in der Vergangenheit zu finden sind. Aber leichter gesagt als getan. Zwar können sie den Namen der Toten ermitteln, aber sämtliche weiteren Befragungen laufen ins Leere. Ein Mantel des Schweigens breitet sich über der Kleinstadt aus, die offenbar alles daran setzt, ihre schmerzlichen Geheimnisse für sich zu behalten.

„Ein Island-Krimi“ steht auf dem Cover, und die von mir sehr geschätzte Ann Cleves bezeichnet diese Debüt als Nordic Noir, aber leider wird weder die eine noch die andere Aussage diesem Roman in all seinen Facetten gerecht. Natürlich stellt sich die Frage nach dem Täter, aber wesentlich wichtiger scheint mir doch der kritische und entlarvende Blick der Autorin auf diese kleinstädtische Gemeinschaft, die nach ihren eigenen Regeln lebt. Auf der einen Seite die solvente Unternehmerfamilie, die man tunlichst mit Samthandschuhen anfassen sollte, was besonders deutlich an den Anweisungen von Elmas Vorgesetztem wird, dort das vernachlässigte Kind aus prekären Verhältnissen, um das sich kaum jemand kümmert.

Es sind heikle Themen, die die Autorin in ihrem Erstling anpackt. Allerdings merkt man hier die sozialwissenschaftliche Ausbildung, denn sie behandelt diese mit sehr viel Fingerspitzengefühl und vermeidet das Abgleiten in voyeuristische Beschreibungen. Ein feiner, psychologisch durchdachter Roman, dessen einziges Manko das unbefriedigende Ende ist, was mich allerdings nicht davon abhalten wird, die Reihe weiter zu verfolgen.

Veröffentlicht am 29.01.2023

Nicht überzeugend!

Stigma (Milosevic und Frey ermitteln 1)
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Thriller, in denen Gewalt gegen Frauen im Mittelpunkt steht, meide ich üblicherweise wie die Pest, vor allem dann, wenn es um das in diesem Genre gerne genommene Thema Sexualisierte Gewalt geht. Dass ich ...

Thriller, in denen Gewalt gegen Frauen im Mittelpunkt steht, meide ich üblicherweise wie die Pest, vor allem dann, wenn es um das in diesem Genre gerne genommene Thema Sexualisierte Gewalt geht. Dass ich dennoch zu „Stigma“ gegriffen habe, hat zwei Gründe. Zum einen wurde es mit den Aussagen „Für alle, die es leid sind, immer wieder dieselbe Geschichte über ermordete Frauen zu lesen: Dieses Buch ist für Euch.“ und „Auftakt einer feministischen Thriller-Serie“ beworben, zum anderen verbergen sich hinter dem Pseudonym Lea Adam die beiden Autorinnen Regina Denk und Lisa Bitzer, was mich auf das entsprechende Fingerspitzengefühl und den sensiblen Umgang mit dieser Thematik hoffen ließ. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich zuerst nach einer Leseprobe geschaut hätte, denn bereits während des Prologs löste sich diese Hoffnung in Luft auf und es war klar, wohin die Reise geht.

„Stigma“ ist ein Thriller über Selbstjustiz, Rache und Schuld, aber ist es auch ein feministischer Thriller? Diese Bezeichnung greift nur dann, wenn man damit zufrieden ist, dass weibliche Opfer von männlicher Gewalt zu Täterinnen werden und somit die Geschlechterrollen umkehren. Natürlich ist diese Selbstjustiz ein nachvollziehbar, aber dennoch sollte, ja muss man sie infrage stellen, wenn man den eigenen moralischen Kompass nicht aus den Augen verlieren will. Stellt sich allerdings die grundlegende Frage, ob es wirklich notwendig ist, eine Vergewaltigung oder einen Mord im Detail zu beschreiben, um Spannung zu erzeugen. Ich bin wirklich nicht zimperlich, aber das war selbst mir über weite Strecken zu viel, zu undifferenziert und konnte mich deshalb nicht überzeugen.

Veröffentlicht am 25.01.2023

Der Weg nach Samarkand

Wo vielleicht das Leben wartet
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Die Autorin und Filmemacherin Gusel Jachina nimmt uns in ihrem neuen Roman „Wo vielleicht das Leben wartet“ mit zurück in die russische Geschichte.

Kasan, eine Stadt in der Republik Tartastan am Ufer ...

Die Autorin und Filmemacherin Gusel Jachina nimmt uns in ihrem neuen Roman „Wo vielleicht das Leben wartet“ mit zurück in die russische Geschichte.

Kasan, eine Stadt in der Republik Tartastan am Ufer der Wolga. Wir schreiben das Jahr 1923. Der Bürgerkrieg hat unzählige Opfer gefordert. Viele Kinder haben ihre Eltern verloren. Teils wurden sie getötet, teils haben sie die Kinder ihrem eigenen Schicksal überlassen, weil sie sich nicht mehr imstande sind, sie zu ernähren. Es fehlt an allem, die Lage ist aussichtslos.

Dejew, der ehemalige Rotarmist und jetzt Zugführer bei der Transportabteilung, erhält den Auftrag, 500 bis auf die Knochen abgemagerte Heimkinder im Alter zwischen zwei bis zwölf Jahren in die landwirtschaftlich geprägte Region um Samarkand zu bringen. 4200 Kilometer bis an einen Ort, wo es noch genug zu essen gibt, die Überlebenschancen besser als in der Heimat sind und wo vielleicht das Leben auf sie wartet.

Keine leicht Aufgabe, denn es liegt eine lange und entbehrungsreiche Fahrt durch schwieriges Gelände einem klapprigen Sanitätszug vor ihnen. Es fehlt an Heizmaterial für die Lok, aber auch an Proviant, Medikamenten und Kleidung, selbst Seife ist knapp, aber Not macht erfinderisch und zwischendurch gibt es auch manchmal Hilfe von unerwarteter Seite. Dejew fühlt sich für jedes einzelne Kind verantwortlich und tut alles dafür, dass diese Mission erfolgreich ist. Deshalb handelt er, wenn es die Umstände erfordern, auch gegen die Anweisungen seiner Begleiterin Belaja, einer Moskauer Kommissarin der „Kommission zur Verbesserung des Lebens der Kinder“, die die korrekte Durchführung des Transports überwachen soll und sich ihrem Auftrag und weniger sentimentalen Emotionen verpflichtet fühlt. Aber fünf Wochen sind ein langer Zeitraum, in dem sich viel verändern kann.

Der in Kasan geborenen Autorin ist mit diesem auf historischen Fakten beruhenden Roman ein eindrucksvolles, berührendes Roadmovie gelungen. Sie schreibt gegen das Vergessen an, will die dunklen Kapitel in der Geschichte ihres Heimatlandes aufzeigen. Das ist es, was all ihre Romane kennzeichnet. Dabei wechselt sie gekonnt zwischen an die Nieren gehenden realistischen Beschreibungen und zuversichtlichen, Hoffnung verbreitenden Bildern von tiefer Menschlichkeit. Und ja, man mag es kitschig nennen, aber es sind die empathisch geschilderten Einzelschicksale, die in Erinnerungen bleiben. Die Zuversicht in hoffnungsloser Lage vermitteln und die Bereitschaft zur Verständigung fördern, letzteres die Mission von Gusel Jachina.

Auf den Seiten 572 – 576 sind übrigens die Kosenamen aller Kinder aufgeführt, die nach langer Fahrt wohlbehalten ihr Ziel in Samarkand erreicht haben.

Veröffentlicht am 23.01.2023

Ida Rabes erster Fall

Altes Leid
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Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, aber die Auswirkungen des Hungerwinters sind auch in Hamburg noch deutlich zu spüren. Nahrungsmittel sind knapp, und wer noch etwas zum Eintauschen hat, fährt zu den Bauern ...

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, aber die Auswirkungen des Hungerwinters sind auch in Hamburg noch deutlich zu spüren. Nahrungsmittel sind knapp, und wer noch etwas zum Eintauschen hat, fährt zu den Bauern ins Umland und versucht dort sein Glück. Viele Männer sind noch in Gefangenschaft, nicht aus dem Krieg heimgekehrt, und so bleibt es meist an den Frauen hängen, die Hamsterfahrten zu übernehmen.

Im Mai 1947 treten Ida Rabe und Heide Brasch als erste Frauen ihren Dienst in dem Revier Davidwache auf St. Pauli an. Weibliche Polizisten? Ein Novum, das die britischen Besatzer eingeführt haben. Von Vorgesetzten und Kollegen misstrauisch beäugt, verbannt man sie in einen Abstellraum im Keller, wo sie sich um das Dienstbuch kümmern und Schreibarbeiten übernehmen sollen. Keine befriedigende Beschäftigung für Ida.

Bei den Anzeigen im Dienstbuch stößt sie auf kurze Randbemerkungen eines Kollegen, die den Gemütszustand der Frauen dokumentieren, die bestohlen worden sind und wird hellhörig, kursiert doch das Gerücht, dass ein Vergewaltiger in der Gegend von Vierlande sein Unwesen treibt. Gegen jede Vernunft und ohne Autorisierung beginnt sie, auf eigene Faust zu ermitteln. Sie vertraut ihrem Instinkt, aber sämtlich Versuche, die Erlaubnis und Unterstützung ihrer Vorgesetzten einzuholen, scheitern. Dennoch lässt sie sich nicht beirren, selbst auf die Gefahr hin, dass sie durch ihr eigenmächtiges Handeln ihre Arbeitsstelle verlieren könnte.

„Altes Leid“ ist der Auftakt einer Reihe, in deren Mittelpunkt die uniformierte Polizistin Ida Rabe stellvertretend für die Frauen steht, die in dieser Männerdomäne um ihren Platz kämpfen. Gleichzeitig wirft dieser Kriminalroman aber auch einen entlarvenden Blick auf eine Nachkriegsgesellschaft, die sich im Wandel befindet. Viele Frauen sind nicht mehr bereit, sich damit zufrieden zu geben, was ihnen von den Männern zugestanden wird. Sie suchen nach ihren eigenen Wegen, haben sie doch während der Kriegsjahre Stärke bewiesen und die Gesellschaft am Laufen gehalten.

Ein historischer Kriminalroman zeichnet sich durchgründliche Recherchearbeit aus, die durch stimmige Beschreibungen die atmosphärischen Besonderheiten dieses Zeitabschnitts aufzeigt. Das ist der Autorin hier sehr gut gelungen, und auch die Einbettung des spannenden Kriminalfalls lässt durch seine Vielschichtigkeit nichts zu wünschen übrig. Allerdings hätte ich mir mehr Informationen zu der Vergangenheit der Protagonistin gewünscht. Diese werden zwar hier und da häppchenweise in Nebensätzen eingestreut, reichen aber bei weitem nicht aus, um sich ein umfassendes Bild von Ida Rabe zu machen. Offenbar sollen/müssen wir uns gedulden und darauf hoffen, dass unser Informationsbedürfnis in den nachfolgenden Bänden, die ich mit Sicherheit lesen werde, befriedigt wird.