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Veröffentlicht am 28.07.2021

Exotisches Setting ist kein Garant für die Qualität

Wild Card
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Der afrikanische Handlungsort von Tade Thomspons „Wild Card“ (im Original „Making Wolf“) ist ungewöhnlich, aber leider ist ein exotisches Setting noch lange kein Garant für die Qualität eines Thrillers. ...

Der afrikanische Handlungsort von Tade Thomspons „Wild Card“ (im Original „Making Wolf“) ist ungewöhnlich, aber leider ist ein exotisches Setting noch lange kein Garant für die Qualität eines Thrillers. Dazu bedarf es gerade dann, wenn man eine Story in Afrika ansiedelt, auch einen kritischen Blick auf die gesellschaftspolitischen Probleme des Kontinents.

Weston Kogi ist mit seiner Schwester während des Bürgerkriegs aus Westafrika geflohen und hat sich mittlerweile eine neue Existenz in London aufgebaut. Als seine Tante stirbt, reist er zu ihrer Beerdigung zurück in die alte Heimat. Das Wiedersehen mit alten Bekannten wird zum riskanten Unternehmen, woran er nicht unschuldig ist. Um zu renommieren und seinen Status aufzupolieren, ändert er nämlich kurzerhand seine Profession vom Supermarkt-Wachmann zum Detective bei der Londoner Mordkommission. Und schon erwartet ihn ein Auftrag, denn der allseits geachtete Papa Busi wurde ermordet, und Weston soll den Fall aufklären. Keine gute Idee, wie er bald feststellen muss, denn mit diesem Auftrag gerät er zwischen alle Fronten.

Die Story kommt im Gewand eines Hardboilers daher und weckt Assoziationen zu den Filmen Tarantinos. Blut fließt reichlich, mit roher Gewalt und Sex wird auch nicht gegeizt. Zwar werden immer wieder Passagen zur afrikanischen Realität eingestreut, diese gehen aber in dem Meer der brutalen Gewaltdarstellungen unter. Ich hatte mir mehr erwartet. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 26.07.2021

Wirres Konstrukt

Die Verlorenen
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Wenn der Klappentext eines Buches vollmundig den „atemberaubenden Auftakt einer neuen Thrillerserie“ verspricht, sind die Erwartungen hoch. Um so enttäuschender für den/die Leser/in, wenn diese der Überprüfung ...

Wenn der Klappentext eines Buches vollmundig den „atemberaubenden Auftakt einer neuen Thrillerserie“ verspricht, sind die Erwartungen hoch. Um so enttäuschender für den/die Leser/in, wenn diese der Überprüfung nicht standhalten.

Kindsentführung, Traumatisierung, Polizeikorruption, Migranten, Bandenkriminalität, Zwangsprostitution, Mord mit und ohne Leiche und natürlich die ansatzweise Lovestory – alles Teil der Handlung, und genau da liegt das Problem. In einer derart wirren Konstruktion werden hier neben jeder Menge nichtssagender Füllmaterialien unzählige Klischees verwurstet, die weder Spannung noch Tempo generieren. Der Protagonist ist zwar angeblich Angehöriger einer Spezialeinheit der Londoner Metropolitan Police, agiert aber dermaßen unprofessionell, dass er ebenso Briefträger oder Autoverkäufer sein könnte, aber mit Sicherheit kein Elitepolizist. Null Überblick in kritischen Situationen, jede Aktion ausnahmslos unüberlegt. so dass man bereits im Vorfeld weiß, dass sie in die Hose geht. Gleich zu Beginn erleidet er eine schwere Knieverletzung, die eine Operation nach sich zieht, was ihn aber nicht daran hindert, sich mit den Krücken bei unzureichender Beleuchtung schnellen Schrittes über Kopfsteinpflaster zu bewegen. Und einer Prügelei geht er natürlich auch nicht aus dem Weg. Ein wahrer Superheld!

Aber offenbar hat er auch eingesehen, dass er für diesen Job nicht der Richtige ist, denn am Ende des Buches quittiert er den Dienst. Und da „Die Verlorenen“ der Auftaktband einer neuen Reihe ist, steht eine Karriere als Privatdetektiv zu erwarten. Allerdings werde ich diesen Werdegang mit Sicherheit nicht weiterverfolgen.

Eine kurze Bemerkung zum Schluss: Es scheint, als wäre Deutschland Becketts erfolgreichster Markt, denn das Original erscheint in Großbritannien erst Ende November. Nicht weiter verwunderlich, gibt es doch genügend englischsprachige Autoren, die ihr Handwerk weit besser beherrschen.

Veröffentlicht am 21.07.2021

Ein feiner "Rural Noir"

Unbarmherziges Land
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Im Zentrum der Handlung steht Mick Hardin, ein Militärpolizist, der auf Anraten seiner Schwester Linda zurück in seine Heimat, das östliche Kentucky, kommt, um private Angelegenheiten zu klären. Seine ...

Im Zentrum der Handlung steht Mick Hardin, ein Militärpolizist, der auf Anraten seiner Schwester Linda zurück in seine Heimat, das östliche Kentucky, kommt, um private Angelegenheiten zu klären. Seine Frau hatte eine Affäre, und nun ist sie schwanger. Von ihm oder ihrem Liebhaber, wer weiß? Aber noch bevor die klärende Aussprache stattfindet, wird er von Linda, die der erste weibliche Sheriff des Countys ist, um Hilfe in einem Mordfall gebeten. Ein alter Mann hat beim Ginseng sammeln in den Hügeln eine weibliche Leiche entdeckt. Unfall oder Mord, schnelle Aufklärung ist gefordert, ehe die Dinge außer Kontrolle geraten, denn im Hinterland von Kentucky ticken die Uhren anders.

„Unbarmherziges Land“ kommt im Gewand eines Thrillers daher und kann mit sämtlichen Attributen des Genres aufwarten, aber gegenüber dem Setting sind diese absolut zweitrangig und machen nicht die Qualität dieses Buches aus. Offutt ist mit der Gegend vertraut, seine Naturbeschreibungen sind mehr als bloße Dekoration, denn sie vermitteln ein Gefühl dafür, wie die Abgeschiedenheit sich auf das Leben der Menschen auswirkt. Wenn man Elmore Leonards „Raylan“ (literarische Vorlage für „Justified“) kennt, hat man schon eine ungefähre Vorstellung, was einem erwartet. In den Hügeln sind Familienbande wichtiger als Recht und Gesetz, das alttestamentarische Auge um Auge bestimmt das Handeln. Mick ist damit vertraut, er ist hier aufgewachsen, kennt die Bräuche, weiß, wen er wie ansprechen muss, um an Informationen zu gelangen, um die Hintergründe des Todesfalls aufzuklären und zu verhindern, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Ein feiner „Rural Noir“, der hoffentlich in Serie geht!

Veröffentlicht am 20.07.2021

Amerikanisches Mittelklasse-Bullerbü

Gute Nachbarn
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Vor einiger Zeit habe ich hier „American Dirt“ besprochen (zur Erinnerung: Konnte mich nicht überzeugen), ein Buch, das in den USA heftige Kontroversen darüber ausgelöst hat, inwieweit ein/e Autor/in ein ...

Vor einiger Zeit habe ich hier „American Dirt“ besprochen (zur Erinnerung: Konnte mich nicht überzeugen), ein Buch, das in den USA heftige Kontroversen darüber ausgelöst hat, inwieweit ein/e Autor/in ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema beackern bzw. aus einer Perspektive schreiben darf, die er/sie nicht kennt. Was das angeht, bin ich skeptisch, denn wenn dem so wäre, würde der Krimi-/Thrillermarkt gewaltig einbrechen.

Therese Anne Fowler will dieser Diskussion aus dem Weg gehen. Deshalb stellt sie ihrem Roman erklärende Worte voran, die allerdings eher halbherzig klingen und ihre Motivation für mich nur unzureichend erklären. Die typisch politisch korrekte Argumentation einer weißen, liberalen Amerikanerin und ein Roman-Experiment, das meiner Meinung nach misslungen ist.

Fowler richtet unseren Blick auf eine Neighbourhood in Oak Knoll, North Carolina und lässt eine nicht personifizierte Erzählstimme - die Nachbarschaft – schildern, was sich dort nach dem Zuzug der neureichen Whitmans an Dramen zuträgt. Die Initialzündung ist das Fällen eines Baumes, danach öffnet die Autorin quasi die Büchse der Pandora und macht einen thematischen Rundumschlag, der so gut wie alles abdeckt, was (nicht nur) in der amerikanischen Gesellschaft schiefläuft: Ökologie, Rassismus, Klasse, Gentrifizierung, sexuelle Gewalt, um nur einige zu nennen. Alles vorhanden und schön unterteilt in Gut und Böse, nur leider nicht repräsentativ. Schauen wir auf die Zusammensetzung der Bewohner: Alle gebildet, mit angesehenen Berufen, stabile finanzielle Verhältnisse, freundlich im Umgang, keine Probleme. Man hat das Gefühl, in ein amerikanisches Mittelklasse-Bullerbü geraten zu sein. Bis der böse Umweltzerstörer alles durcheinander wirbelt. Was mich beim Lesen aber am meisten gestört hat, war diese ständig kommentierende Erzählstimme, bei der ich von Beginn an den Eindruck hatte, dass hier die Autorin jeden kritischen Einwand des Lesers vorwegnimmt und ihre eigene Position rechtfertigt. Wenig souverän.

Veröffentlicht am 19.07.2021

Zwischen Beharren und Aufbruch

Ein frommer Mörder
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McIlvanney? Da war doch was. Richtig, William McIlvanney, oft als Vater des schottischen „Noir“ bezeichnet. Ihm verdanken wir die drei Klassiker mit Jack Laidlaw, dem grüblerischen Detective der Glasgower ...

McIlvanney? Da war doch was. Richtig, William McIlvanney, oft als Vater des schottischen „Noir“ bezeichnet. Ihm verdanken wir die drei Klassiker mit Jack Laidlaw, dem grüblerischen Detective der Glasgower Polizei, ohne den Ian Rankin sich nach eigener Aussage wohl nicht diesem Genre zugewandt hätte. Warum? Weil dessen Kriminalromane soziale Missstände thematisieren, ein realistisches Bild einer Gesellschaft im Umbruch zeichnen. Es sind große Fussstapfen, in die Liam McIlvanney tritt, aber er meistert diese Herausforderung mit Bravour und wird 2018 mit dem „Bloody Scotland Prize“ seinen Kriminalroman ausgezeichnet, der sich sehr lose an den Bible John Fall anlehnt.

Ende der sechziger Jahre treibt ein Serienmörder, genannt „der Quäker“, in Glasgow sein Unwesen. Drei junge Frauen sind ihm schon zum Opfer gefallen, erwürgt und wie Müll in einem der vielen Abbruchhäuser entsorgt. Und obwohl mit Hochdruck ermittelt wird, tappt die Polizei im Dunkeln.

Drei Mordopfer ohne Gemeinsamkeiten. Der Täter, von dem nur eine rudimentäre Beschreibung vorliegt. Die Sondereinheit, im Trüben fischend. Und mittendrin, zwischen allen Stühlen, der von den Kollegen misstrauisch beäugte katholische Highlander Duncan McCormack, nach Glasgow geschickt, um die festgefahrenen Ermittlungen zu bewerten und den Fall möglichst unspektakulär zu einem Abschluss zu bringen. Nicht zu vergessen ein zweiter Handlungsstrang, in dessen Zentrum ein Safeknacker steht, der als Bauernopfer herhalten soll.

"Ein frommer Mörder" ist eine Story von düsterer Brillanz, die so überhaupt nichts mit den Serienmörder-Krimis weniger begabter Autoren gemeinsam hat, was vor allem aus der allgegenwärtigen Präsenz Glasgows resultiert. Eine Stadt, die sich verändert, in der alte Mietskasernen abgerissen und neue Hochhäuser gebaut werden. Eine Stadt, in der alles beim Alten bleibt, in der das organisierte Verbrechen Allianzen schmiedet und die Fäden zieht. Eine Stadt im Wandel zwischen Beharren und Aufbruch. Nachdrückliche Leseempfehlung!