Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.06.2020

Authentisch und spannend

Das schwarze Band
0

Der „Große Krieg“ ist seit drei Jahren vorbei, aber die Folgen sind noch immer zu spüren. Nahrungsmittel sind knapp, bezahlbarer Wohnraum kaum zu finden. Die Inflation treibt die Preise in ungeahnte Höhen, ...

Der „Große Krieg“ ist seit drei Jahren vorbei, aber die Folgen sind noch immer zu spüren. Nahrungsmittel sind knapp, bezahlbarer Wohnraum kaum zu finden. Die Inflation treibt die Preise in ungeahnte Höhen, die Bevölkerung hungert, kämpft tagtäglich ums Überleben. Selbst diejenigen, die Arbeit haben, leben am Rande des Existenzminimums.

Lediglich den Kriegsgewinnlern und den Adeligen fehlt es an nichts. Obwohl letztere ihre Privilegien verloren haben, leben sie noch immer in Saus und Braus. Nutzen ihre Verbindungen, instrumentalisieren Sympathisanten, gehen über Leichen und tun alles, um die Uhr zurück zu drehen und den Fortschritt der Republik zu verhindern. Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige.

Es ist ein besonderes Kennzeichen dieser Reihe, dass die Autorin reale historische Ereignisse mit einer spannenden Handlung verknüpft. Wie auch in „Das schwarze Band“ sind es vor allem die ewig Gestrigen, die mit kriminellen Machenschaften den Weg der Alpenrepublik hin zur Demokratie torpedieren wollen. Als Aufhänger dienen hier die Streitigkeiten um das Burgenland, aber eigentlich scheint dies nur der Vorwand zu sein, um Kaiser Karl I. und somit auch die Monarchie wieder in Amt und Würden zu bringen.

Soweit die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die Kriminalinspektor August Emmerich und seinem Assistenten Ferdinand Winter von der Abteilung Leib und Leben auch in ihrem vierten Fall das Leben schwer machen. Dazu kommt, dass Winter diesmal auf sich allein gestellt ist, da sein Vorgesetzter wegen einer flapsigen Bemerkung bei dem Empfang zu Ehren des neuen Bundeskanzlers Schober, ehemals Polizeichef, von den Ermittlungen abgezogen und in einen „Benimmkurs“ verfrachtet wird. Doch Emmerich wäre nicht der, den wir kennen, wenn er deshalb klein beigäbe.

Eine gut recherchierte Reihe, die nicht nur spannende Unterhaltung und authentisches Zeitkolorit bietet, sondern nebenbei auch Fakten vermittelt, die zur weiterführenden Lektüre animieren. Für Fans des historischen Kriminalromans ein absolutes Muss.

Veröffentlicht am 12.06.2020

Angestaubte Rezepte ohne Raffinesse

Südtiroler Leibgerichte
0

Basis des erstmals 1967 erschienenen Kochbuchs ist die Rezeptsammlung von Hanna Perwanger (1904-2001), ehemals Köchin auf dem traditionsreichen Zirmerhof, einem hochpreisigen Berghotel in Radein nahe Bozen, ...

Basis des erstmals 1967 erschienenen Kochbuchs ist die Rezeptsammlung von Hanna Perwanger (1904-2001), ehemals Köchin auf dem traditionsreichen Zirmerhof, einem hochpreisigen Berghotel in Radein nahe Bozen, deutlich vorgestellt/beworben zu Beginn des Buches, was meiner Meinung nach in einem Kochbuch nichts zu suchen hat ,sondern eher in die Tourismusbroschüre des Fremdenverkehrsamts gehört.

Die Gerichte sind allesamt von der bäuerlichen Tradition geprägt. Man verwendet die Zutaten, die vorhanden sind, die man selbst anbaut oder ohne großen Aufwand beschaffen kann. Wenig raffiniert, dafür deftig und absolut nichts für Kalorienzähler. Kohlenhydrate, Fette in Form von Butter und dem allgegenwärtigen Südtiroler Speck sowie Fleisch in allen Variationen dominieren das „Gesottene und Gebratene“. Rind, Schwein und Innereien, ok. Aber wer verwendet heutzutage schon noch Kalbshirn. Kalbslunge und Kalbskopf? Oder tranig schmeckenden Hammel, wenn es Lammfleisch gibt?

Natürlich muss man nicht jeden Trend mitmachen und Tradition hin oder her, ein neu aufgelegtes Kochbuch sollte schon auch die aktuellen Ernährungsgewohnheiten berücksichtigen und überlieferte Rezepte anpassen bzw. entstauben. Ansonsten taugt es lediglich als nostalgisches Regalbuch, das überliefertes Küchenwissen bewahren möchte, im Haushalt aber nicht zum Einsatz kommt. Es gibt zwar auch einige Rezepte, die ohne Fleisch auskommen, aber im Wesentlichen sind das die Beilagen. Gerichte, in denen Gemüse die Hauptrolle spielt, kann man leider an einer Hand abzählen und diese sind eher einfallslos und ohne Raffinesse.

Veröffentlicht am 11.06.2020

Eine explosive Mischung

Schwarzer August
0

Zu Beginn der Reihe von seiner Hamburger Dienststelle im Austausch nach Portugal geschickt, hat Leander Lost mittlerweile eine neue Heimat an der Algarve gefunden, wozu nicht zuletzt die Beziehung zu Soraia ...

Zu Beginn der Reihe von seiner Hamburger Dienststelle im Austausch nach Portugal geschickt, hat Leander Lost mittlerweile eine neue Heimat an der Algarve gefunden, wozu nicht zuletzt die Beziehung zu Soraia beiträgt. Und auch beruflich läuft dank seiner Planstelle bei der Polícia Judicária alles glatt. Hier wird er wegen seinem Asperger und den damit einhergehenden "Spleens" nicht schräg angeschaut, im Gegenteil. Seine Kollegen Graciana, Carlos und selbst Duarte schätzen ihn als wertvolles Teammitglied und verlässlichen Freund, denn oft sind es gerade seine besonderen analytischen Fähigkeiten, die bei der Verbrechensaufklärung hilfreich sind. Und auch in dem aktuellen Fall des Bombenlegers, der die Gegend rund um das idyllische Städtchen Fuseta unsicher macht, bestätigt sich dies einmal mehr.

Kriminalromane, die an mehr oder minder „exotischen“ Orten angesiedelt sind, gibt es viele. Die Story ist meist recht gradlinig gehalten: es geschieht ein Verbrechen, die Polizei ermittelt, der Täter wird entlarvt. Das alles garniert mit netten Landschaftsbeschreibungen, die Lust auf Urlaub machen.

Auch die Lost-Reihe ist nach diesem Prinzip angelegt, punktet aber zum einen natürlich durch den liebenswerten Protagonisten sowie dessen sympathische Kollegen, zum anderen aber auch durch die detaillierten Beschreibungen des immer etwas melancholischen portugiesischen Lebensgefühls, nicht zu vergessen das einzigartige Azur.

Der zugrunde liegende Kriminalfall vermittelt zwar nicht die absolute Hochspannung, hat aber meist, so auch in „Schwarzer August“, einen gesellschaftskritischen Hintergrund mit regionalen Bezügen. Eine gelungene, unterhaltsame Mischung aus Ermittlungsarbeit und – zugegeben, diesmal ziemlich viel – Beziehungs- und Gruppendynamik. Aber genau das macht für mich den Reiz bei dieser Reihe aus, und so warte ich voller Vorfreude auf die Fortsetzung.

Veröffentlicht am 07.06.2020

Dünne Story, vorhersehbare Entwicklung

Geheime Quellen
0

Neunundzwanzig Jahre begleiten wir Guido Brunetti bereits bei seinen Ermittlungen in der Lagunenstadt, und von dem Glanz der einstigen „Serenissima“ ist kaum etwas übrig geblieben. Brütende Hitze liegt ...

Neunundzwanzig Jahre begleiten wir Guido Brunetti bereits bei seinen Ermittlungen in der Lagunenstadt, und von dem Glanz der einstigen „Serenissima“ ist kaum etwas übrig geblieben. Brütende Hitze liegt über der Stadt, wer die Möglichkeit hat verkriecht sich in klimatisierten Räumen. Der Commissario gehört nicht zu den Glücklichen, denn gemeinsam mit Claudia Griffoni wird er in ein Hospiz gerufen. Eine Patientin ist davon überzeugt, dass der Tod ihres vor kurzem verstorbenen Mannes gewaltsam herbeigeführt wurde. Sind das Phantastereien einer Sterbenden oder ist er tatsächlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen?

Die Geschichte plätschert dahin wie das Wasser in den stinkenden Kanälen. Kreuzfahrt-Touristen sind allgegenwärtig, okkupieren die Vaporetti und die Taxiboote, sind eine leichte Beute für Taschendiebe aus Osteuropa. Ein Zustand, der dem Vize-Questore Unbehagen bereitet, kratzt dies doch am Disneyland-Image Venedigs. Aber das ist nur eines der wiederkehrenden, eher nebensächlichen Themen in Leons Roman. Wesentlich intensiver widmet sie sich der italienischen Vetternwirtschaft (wie bei dem umstrittenen Mose-Projekt), dem maroden Gesundheitssystem, der Umweltthematik, der Bereitschaft, gegen den entsprechenden Obolus fünf gerade zu sein lassen, wenn man das Geld dringend benötigt. Skrupel? Resignation? Könnte man meinen, denn auch Brunetti, dem diesmal selbst seine geliebten Klassiker keinen Trost spenden, sieht sich gezwungen, seine persönlichen Moralvorstellungen zu hinterfragen.

Es gibt keine Ausschläge der Spannungskurve, da die Themen, die in diesem Band im Mittelpunkt stehen, so oder so ähnlich bereits mehrfach in den Vorgängern von der Autorin thematisiert wurden. Nichts Neues, man hat das Gefühl, sich in einer Zeitschleife zu befinden, in der sich der Aspekt zwar ändert, die zugrunde liegenden Probleme aber gleich bleiben. Ob dieses Konzept zukünftig überdauern wird, sei dahingestellt. Zu dünn war die Story, zu vorhersehbar die Entwicklung. Ein leider nur in Ansätzen überzeugendes Auf-der-Stelle-treten.

Veröffentlicht am 06.06.2020

Gelungene Fortsetzung

Der Knochengarten
0

Angesichts Carol Jordans posttraumatischer Belastungsstörung und ihrem Abschied aus dem Polizeidienst sowie Tony Hills Gefängnisstrafe fragt man sich, wie McDermid eine Reihe fortschreiben kann, in der ...

Angesichts Carol Jordans posttraumatischer Belastungsstörung und ihrem Abschied aus dem Polizeidienst sowie Tony Hills Gefängnisstrafe fragt man sich, wie McDermid eine Reihe fortschreiben kann, in der die beiden Protagonisten, die ihr in der Vergangenheit ihren Stempel aufgedrückt haben, nicht mehr Teil des Teams und der Ermittlungsarbeit sind. Um es gleich vorweg zu nehmen, es ist ihr gelungen.

Wer Action und/oder voyeuristische Gewaltdarstellungen sucht, mit denen weniger talentierte Autoren gerne ihr Unvermögen kaschieren, ist bei Val McDermid an der falschen Adresse. Ihre Kriminalromane zeichnen sich vor allem durch die detaillierte Beschreibung der Polizeiarbeit und das tiefe Eintauchen in die Psyche ihrer Protagonisten aus. Und genau das generiert in diesem Krimi eine ganz besondere Art von Spannung.

Hill versucht sich im Gefängnisalltag zurechtzufinden, den Aufenthalt möglichst unbeschadet an Leib und Seele zu überstehen. Hilft Mitgefangenen und nutzt die Zeit, um „Verbrechen lesen“ zu schreiben. Ein Handbuch für Profiler, aus dem wir zu Beginn eines jeden Kapitels interessante Auszüge zu lesen bekommen. Jordan hingegen hat endlich den Mut gefasst, ihr Trauma mithilfe einer Therapeutin anzugehen. Und es zeichnet sich ein weiteres Betätigungsfeld für sie ab, in dem sie ihre im Polizeidienst erworbenen Fähigkeiten nutzen kann. Also auch genügend Stoff für zukünftige Bände der Reihe.

Paula und die ehemaligen Mitglieder von Jordans Team müssen sich währenddessen an die neue Leitung der ReMIT gewöhnen und ihre Fähigkeiten beweisen, wobei diese ganz besondere Gruppendynamik interessante Einblicke gewährt.

Die Story um das Massengrab in der Nähe eines von Nonnen geleiteten Waisenhauses ist jetzt nicht der Rede wert, denn dieses Thema wurde in der jüngsten Vergangenheit in zahlreichen Kriminalromanen ausgeschlachtet. Und auch die Geschichte um die per Zufall auf einem nahegelegene Privatgelände endeckten Skelette konnte mich nicht vom Hocker reißen, denn in beiden Fällen waren die Täter zu offensichtlich auszumachen.