Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.04.2020

Akribisch recherchierter Kriminalroman

Weißes Feuer (Darktown 2)
0

Auch wenn mittlerweile zwei Jahre vergangen sind hat sich kaum etwas an den Arbeitsbedingungen der zwei Handvoll afroamerikanischen Polizisten geändert, die in Atlantas Darktown Dienst tun. Untergebracht ...

Auch wenn mittlerweile zwei Jahre vergangen sind hat sich kaum etwas an den Arbeitsbedingungen der zwei Handvoll afroamerikanischen Polizisten geändert, die in Atlantas Darktown Dienst tun. Untergebracht in Kellerräumen, praktisch ohne Equipment und natürlich ohne Befugnisse. Ein politischer Schachzug, der Wählerstimmen generieren soll. Von ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe misstrauisch beäugt, von den weißen Polizisten nicht als ihresgleichen akzeptiert und bei jeder sich bietenden Gelegenheit aggressiv angegangen. Nicht weiter verwunderlich, ist doch der Großteil der Truppe in rassistischen Gruppen organisiert. Aber es gibt Ausnahmen, auch wenn diese sehr dünn gesät sind. Zum einen ist da McInnis, der Vorgesetzte von Lucius Boggs und Tommy Smith, der sie im Rahmen der Vorschriften und seiner Möglichkeiten unterstützt, zum anderen Danny Rakestraw, ein weißer Cop mit moralischem Kompass und pseudoliberaler Haltung. Wobei diese aber sehr ins Wanken gerät, als schwarze Familien in der Nachbarschaft einziehen und damit den Wert seiner Immobilie mindern.

1950 ist die Prohibition zwar längst Geschichte, aber es gibt noch immer genügend Schwarzbrenner, die mit ihrem Stoff ein gutes Geschäft machen. Und wo größere Mengen Geld im Spiel sind, kann man sicher sein, dass es genügend korrupte Cops gibt, die für’s Wegsehen die Hand aufhalten. Nicht so Boggs und Smith, für die sich der nicht autorisierte Einsatz bei einer Übergabe von Schwarzgebranntem zur Katastrophe auswachsen könnte. Ein Schuss fällt, der Schnapsschmuggler wird getötet, und die beiden Cops stehen plötzlich im Kreuzfeuer, ist es ihnen doch untersagt, ihre Waffen einzusetzen, was sie auch befolgt haben. Aber offenbar gibt es Kräfte aus den eigenen Reihen, die sie aus dem Weg haben wollen.

Thomas Mullens „Weisses Feuer“ ist eine akribisch recherchierte, beeindruckende Mischung aus Kriminalroman und historisch verbürgten Fakten zur Geschichte Atlantas. Er schildert eindringlich den Alltagsrassismus im amerikanischen Süden, die Verachtung, die Diskriminierung, der die ersten afroamerikanischen Polizisten tagtäglich ausgesetzt waren, thematisiert aber auch den Filz innerhalb von Polizei und Verwaltung sowie die allgegenwärtige Korruption in beiden Institutionen. Der Krimiaspekt tritt hier zwar öfter in den Hintergrund, was aber keinesfalls der Spannung abträglich ist. Lesen!

Veröffentlicht am 07.04.2020

Ein Hauch Melancholie

Die langen Abende
0

Crosby ist eine (fiktive) Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste und die Heimat von Olive Kitteridge, der pensionierten Lehrerin, die wir bereits aus „Mit Blick aufs Meer“ kennen. Und nun ist sie zurück, ...

Crosby ist eine (fiktive) Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste und die Heimat von Olive Kitteridge, der pensionierten Lehrerin, die wir bereits aus „Mit Blick aufs Meer“ kennen. Und nun ist sie zurück, schlecht gelaunt wie eh und je und unvermindert scharfzüngig. Eine Frau, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht und nichts auf die Meinung ihrer Mitmenschen gibt. Sie ist zwar älter geworden, oft einsam, aber deshalb nicht unbedingt sanftmütiger. Schonungslos ehrlich, auch dann, wenn es um die eigenen Familienangehörigen geht. Sich verbiegen, damit sie gemocht wird? Keine Option. Und dennoch - unter dem harten Panzer steckt jede Menge Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, was mit Sicherheit damit zusammenhängt, dass sich Olive langsam aber sicher der eigenen Sterblichkeit bewusst wird.

Wieder einmal ist Olive Dreh- und Angelpunkt, das verbindende Element in den vielen kleinen Geschichten aus Crosby, die Elizabeth Strout in „Die langen Abende" erzählt. In diesen leicht melancholischen „Short Cuts“ bildet sie das gesamte Spektrum des Lebens ab. Von der Geburt bis zum Tod. Vom Suchen und Finden und Verlieren. Von unbändigen Glücksgefühlen und tiefer Trauer. Von der Einsamkeit und der Zweisamkeit. Von der Liebe am Ende des Weges.

Und diese Beschreibungen haben es in sich, schauen unter die Oberfläche, sind unglaublich intensiv. Authentisch und voller Herzenswärme für ihre Figuren, die man trotz - oder eher wegen - ihrer Macken, sofort ins Herz schließt. Dabei wird Strout nie ausufernd, sondern charakterisiert äußerst sparsam und genau deshalb auf den Punkt, sehr präzise und eindringlich. Und der Leser freut sich an der sprachlichen Virtuosität sowohl der Autorin als auch der Übersetzerin (Sabine Roth). Nachdrückliche Leseempfehlung!

Und wer die Miniserie mit Frances McDormand in der Rolle der Olive Kitteridge noch nicht gesehen hat, unbedingt nachholen.

Veröffentlicht am 05.04.2020

Spannende Lesestunden garantiert

Sühne
0

Sollte ich eine Rangordnung erstellen, welche gesellschaftspolitisch relevanten Themen sich für einen realistischen Thriller eignen, würden die Machenschaften der Pharmaindustrie ganz oben auf der Liste ...

Sollte ich eine Rangordnung erstellen, welche gesellschaftspolitisch relevanten Themen sich für einen realistischen Thriller eignen, würden die Machenschaften der Pharmaindustrie ganz oben auf der Liste stehen. Das hat sich wohl auch Steffen Jacobsen gedacht, der nicht nur ein erfolgreicher Autor sondern auch Mediziner ist. Nun also „Sühne“, sein fünfter Thriller mit Lene Jensen und Michael Sander, eine Reihe, die sich immer wieder durch spannende und temporeiche Plots auszeichnet:

Direktor eines Pharmaunternehmens hat Krebs im Endstadium, bekommt Gewissensbisse wegen eines Unrechts aus der Vergangenheit, sucht mit Hilfe eines Journalisten Vergebung, den er als Ghostwriter engagiert hat. Dieser soll seine Biografie schreiben und die Öffentlichkeit von seiner Verfehlung in Kenntnis setzen, seine späte Reue publik machen. Das Vorhaben ist nicht unbemerkt geblieben und passt jemandem absolut nicht in den Plan. Bei dem Treffen begeht der Direktor Selbstmord, der Journalist wird von einem Auftragsmörder erschossen, der Killer verschwindet.

Nicht sonderlich spektakulär, hört sich jetzt durchaus bekannt an, schon zigmal gelesen könnte man meinen. Aber – auf die Umsetzung kommt es an, denn spätestens als Sander, Privatermittler und kompromissloser Ex-Militär mit „speziellem“ moralischen Kompass, sich einschaltet, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Er ist persönlich involviert, betroffen, denn der ermordete Journalist war sein Freund. Wenn da nur nicht Lene Jensen ebenfalls auf den Fall angesetzt wäre. Hauptkommissarin und seine Frau, die auch gerne auf eigene Faust ermittelt, sich dabei aber an die Regeln hält. Im Gegensatz zu Sander, dessen intuitive Kombinationsgabe immer wieder von Vorteil ist, und der noch einen weiteren Trumpf im Ärmel hat. Das Tagebuch eines in Afrika praktizierenden Arztes, das brisante Informationen enthält und ihm von dem ermordeten Freund über Umwege zugespielt wurde.

Ein interessanter Ansatz, ein dynamischer Plot, wohldosierte Actionsequenzen, die sich nahtlos in die Handlung einfügen, kurze Kapitel, – richtig gut gemacht. Dazu detailliert ausgearbeitete Charaktere bis in die Nebenrollen, sympathische Protagonisten und deren Umfeld, das man bereits aus den Vorgängern kennt. Ein Thriller mit aktuellem Bezug, dessen Thematik mit Sicherheit realistisch und nicht weit hergeholt ist. Spannende Lesestunden garantiert.

Veröffentlicht am 03.04.2020

Bemüht und dennoch gescheitert

Das eiserne Herz des Charlie Berg
0

Aufwachsen in einer Familie, in der die Erwachsenen mehr an ihrer eigenen Selbstverwirklichung - wenn man es denn so nennen will – als an ihren Kindern interessiert sind. Der Vater ein dauerkiffender ...

Aufwachsen in einer Familie, in der die Erwachsenen mehr an ihrer eigenen Selbstverwirklichung - wenn man es denn so nennen will – als an ihren Kindern interessiert sind. Der Vater ein dauerkiffender Musiker, die Mutter Tingeltangel-Schauspielerin, die Schwester, in ihrer eigenen Welt lebend. Alltag für Charlie, der schauen muss, dass er halbwegs eine Ordnung aufrechterhält. Als sich in den Neunzigern die Gelegenheit bietet, das (nicht vorhandene) Nest zu verlassen, er ist 19 und hat eine Zivi-Stelle in Aussicht, glaubt er endlich auch eine Perspektive zu haben. Doch alles kommt anders als geplant. Der letzte Jagdausflug mit Opa endet mit dessen Tod und Charlies große Liebe, eine mexikanische Videofreundin, heiratet einen Gangster. Ein einziges Kuddelmuddel, dem er möglichst unbeschadet entrinnen will.

Zwei Assoziationen haben sich mir beim Lesen dieses Erstlings von Sebastian Stuertz aufgedrängt. Bezogen auf die abgedrehte Story war das Irvings „Garp“, und sprachlich sind die Ähnlichkeiten mit John Nivens Romanen kaum zu leugnen. Allerdings schneidet Stuertz im Vergleich mit diesen beiden Autoren leider nicht sonderlich gut ab. Zu Irving fehlt die Eleganz und Leichtigkeit, zu Niven der schwarze Humor und die sprachliche Kunstfertigkeit des Schotten. Skurrile Figuren und derbe Sprache reichen bei einer dünnen Geschichte, die sich dann auch noch über 700 Seiten elend langatmig dahinzieht, leider nicht aus. Der Autor hat sich zwar bemüht, ist aber unterm Strich an seinen übersteigerten Ambitionen gescheitert.

Veröffentlicht am 29.03.2020

Ein neuer Fall für Kraken

Die Herren der Zeit
1

Wenn Autoren unter Pseudonym schreiben, scheint es, als würden ihre Bücher interessanter für die Leserschaft. Wer verbirgt sich hinter dem Namen, und warum versteckt hier jemand seine wahre Identität? ...

Wenn Autoren unter Pseudonym schreiben, scheint es, als würden ihre Bücher interessanter für die Leserschaft. Wer verbirgt sich hinter dem Namen, und warum versteckt hier jemand seine wahre Identität? Diese Frage stellt sich auch Inspector Unai López de Ayala, genannt "Kraken“, der samt Familie an der Präsentation des Mittelalter-Bestsellers „Die Herren der Zeit“ teilnimmt. Nach einem aufreibenden Vermisstenfall eine willkommene Abwechslung. Denkt er jedenfalls.

Aber er hat sich getäuscht, denn noch während der Lesung wird eine Leiche in den Waschräumen entdeckt. Wieder einmal ist sein kriminalistisches Gespür gefragt, denn dieser Todesfall wird nicht der einzige bleiben. Interessanterweise folgen alle Morde dem mittelalterlichen Modus Operandi, beschrieben in besagtem Buch, weshalb es für Kraken von besonderer Dringlichkeit ist, die Identität des Autors zu enthüllen und so dem Mörder auf die Spur zu kommen.

Wie bereits in den beiden Vorgängerbänden bildet Vitoria und Umgebung, Hauptstadt des Baskenlandes und Geburtsort der Autorin, den Hintergrund für diesen Abschlussband der „Trilogie der weißen Stadt“. Sáenz nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit und verknüpft diese mit der spannenden Suche nach einem Mörder in der Gegenwart. Dabei schafft sie es mit wenigen Worten, eine stimmige Atmosphäre bildhaft zu kreieren, was auch durch die Zweiteilung der Handlung unterstützt wird. Außerdem wird damit auch die Spannung durchgängig auf einem hohen Level gehalten. Die Vielzahl der Personen mag anfangs verwirren, aber das Personenverzeichnis sowie das ausführliche Glossar am Ende des Buches sind sehr hilfreich und helfen dem Leser, sich in diesem lebendigen, aber auch komplexen Thriller zurechtzufinden.