Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.11.2019

Schottische Hochspannung

Tod im Februar
1

Februar 1973, willkommen zurück in Glasgow, der dunklen, heruntergekommenen, gewalttätigen Schwester von Edinburgh. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Nicht nur die Armut wächst ...

Februar 1973, willkommen zurück in Glasgow, der dunklen, heruntergekommenen, gewalttätigen Schwester von Edinburgh. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Nicht nur die Armut wächst sondern auch die Kriminalitätsrate. Das organisierte Verbrechen hat die Stadt fest in seiner Hand. „Crime Capital of Europe“, weit und breit noch nichts zu sehen von der Auszeichnung als „European Capital of Culture“.

Harry McCoy ist nach seinem dreiwöchigen Genesungsurlaub und drei Terminen beim Therapeuten zurück im Dienst (wir erinnern uns an die Schlussszene auf dem Dach in „Blutiger Januar“). Und wieder gilt es einen neuen Mordfall zu lösen. Auf dem Dach eines Rohbaus liegt ein entsetzlich zugerichteter Toter, Fussballer bei den Celtics und zukünftiger Schwiegersohn einer der großen Gangsterbosse, die nicht nur die Unterwelt der Stadt fest im Griff haben. Und er wird nicht der einzige Tote bleiben.

Wie bereits im ersten Band der Reihe begleiten wir McCoy, Wattie und Murray, Chief Inspector und väterlicher Freund Harrys, an zehn Tagen während ihrer Ermittlungen. Ermittlungen, die McCoy alles abverlangen. Den Spagat zwischen Pflichtbewusstsein im Job und Verbundenheit zu alten Freunden. Es ist weniger die Brutalität der Morde, die ihm zu schaffen machen, es sind vielmehr die Gespenster seiner Vergangenheit. Erinnerungen an die Heime, in denen er seine Kindheit verbrachte, die Einsamkeit, die Hilflosigkeit, das Leiden. Beschützt von Stevie Cooper, der mittlerweile auch eine feste Größe in der Glasgower Unterwelt ist und seinen Teil vom Kuchen beansprucht. Cooper, der seinen Freund noch immer schützt und sich, im wahrsten Sinn des Wortes, deshalb für ihn auch in das sprichwörtliche Schwert stürzt (siehe Band 1).

Der Protagonist ist kein Vorzeigepolizist, er trinkt mehr als für ihn gut ist, nimmt Drogen und schlägt schonmal härter als nötig zu. Aber er ist loyal, hat einen moralischen Kompass und Mitgefühl für diejenigen, die ganz unten angekommen sind. Klingt ein bisschen nach Klischee, aber passt für mich absolut.

Schottische Hochspannung vom Feinsten, die den Vergleich nicht scheuen muss. Alan Parks geht es nicht in erster Linie nicht um das Wer, es ist das Warum, das ihn interessiert. Für mich liegt die Qualität dieses Kriminalromans in der besonderen Dynamik, die sich aus der Freundschaft zwischen McCoy und Cooper ergibt. Und in der atmosphärischen Beschreibung der schottischen Metropole in den Siebzigern. Den Gegensätzen zwischen Oben und Unten, zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Celtic und Rangers Fans.

Band 3 der Glasgow-Chronik ist im Original für März 2020 angekündigt. Ein Titel steht bereits fest: „ Bobby March will live forever“ und wird natürlich gelesen.

Veröffentlicht am 03.11.2019

Üppig, prall, inspirierend

Femmetastic!
0

Ich bin ein Fan von genreübergreifenden Kochbüchern. Kochbüchern, die nicht nur Rezepte präsentieren sondern dazu auch noch Geschichten erzählen. Über Orte, über Menschen. Interesse wecken und Inspiration ...

Ich bin ein Fan von genreübergreifenden Kochbüchern. Kochbüchern, die nicht nur Rezepte präsentieren sondern dazu auch noch Geschichten erzählen. Über Orte, über Menschen. Interesse wecken und Inspiration sind.

„Femmetastic“ ist so ein Buch. Ein Herzensprojekt der Fotografin Marianne Pfeffer Gjengedal und der Foodstylistin Klaudia Iga Pérès, die uns in üppig inszenierten und opulenten Bildern mit den kulinarischen Vorlieben berühmter Frauen bekannt machen. Dabei haben sie ihren Blick allerdings nicht auf die Stars und Sternchen der Regenbogenpresse gerichtet, die nach kurzem Aufglühen wieder im Nirgendwo verschwinden, sondern auf Ikonen, auf legendäre Frauen, Wegbereiterinnen, gerichtet, deren Werke die Zeit überdauert haben.

Es ist eine Reise durch die Jahrhunderte, beginnend mit Marie Antoinette, über Jane Austen, Oda Krogh, Sidrid Undset, Anna Pawlowa, Coco Chanel, Pamela Lyndon Travers, Astrid Lindgren, Frida Kahlo, Julia Child, Marilyn Monroe, Sophia Loren, Liza Crihfield Danlby, bis hin zu Björk. Informationen über die jeweilige Epoche, biografisches zu den Repräsentantinnen und ihren kulinarischen Vorlieben, leiten zu den Rezepten hin, die im Detail beschrieben und jeweils mit wunderschönen, stylischen Fotos illustriert werden

Hier reicht der Bogen von Marie Antoinettes Kirsch-Marshmallows, diversen Brotrezepten, über – wie zu erwarten - Pawlowa, Köttbullar, Cannelloni, Teriyaki-Lachs zu Björks Fischburgern. Ein Foodkanon, der nicht nur Lieblingsrezepte auflistet sondern uns diese Ikonen näher bringt, uns neugierig macht.

Natürlich kann man die Rezepte auch nachkochen, aber „Femmetastic“ ist weit mehr als ein Kochbuch. Es ist vollgepackt mit Informationen, üppig, prall, inspirierend, ein Fest für die Augen. Falls Sie ein Weihnachtsgeschenk für Ihre beste Freundin suchen – voilà, hier ist es. Greifen Sie zu!

Veröffentlicht am 27.10.2019

Was wäre wenn?

#KillTheRich - Wer Neid sät, wird Hass ernten
0

Ein harmloser Beitrag im Netz lässt die Welt in ihren Grundfesten erbeben. „Africa wakes up. #killtherich“, so Kassims erster Post auf Twitter, der millionenfach geteilt wird, Emotionen schürt und die ...

Ein harmloser Beitrag im Netz lässt die Welt in ihren Grundfesten erbeben. „Africa wakes up. #killtherich“, so Kassims erster Post auf Twitter, der millionenfach geteilt wird, Emotionen schürt und die Massen mobilisiert. Eine ungeheure Welle der Wut breitet sich aus, nicht nur in Afrika sondern weltweit. Es brennt an allen Ecken und Enden. Die Menschen wachen auf, realisieren die ungleiche Verteilung des Wohlstands, die Untätigkeit der Politik und deren Verflechtungen mit dem Kapital. Genug ist genug, es reicht. Sie wollen endlich Gerechtigkeit. Politiker werden entführt und getötet, Regierungen gestürzt. Es drohen bürgerkriegsähnliche Zustände.

Können zwei Menschen die Katastrophe abwenden? Conrada van Pauli, niederländische Diplomatin im Dienste der EU und Bimal Kapoor, indischer Journalist, kürzlich in den Ruhestand geschickt, versuchen unabhängig voneinander zu der Quelle der Unruhen vorzudringen.

Es ist ein realistisches Szenario, das Lucas Fassnacht seinem gut recherchierten Politthriller zugrunde legt. Dass die Ausgangssituation stimmt, wird niemand bezweifeln wollen. Das reichste 1 Prozent (Quelle: Global Wealth Report 2017 von Credit Suisse) besitzt zusammen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschen. Die Schere klafft immer weiter auseinander, die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Und dass mit Hilfe von Social Media politische Aktionen gut koordiniert und durchgeführt werden können, steht seit dem „Arabischen Frühling“ außer Frage.

Den Einstieg empfand ich als ziemlich konfus. Man wird mit unglaublich vielen Informationen zugeschüttet, und es dauerte ca. 50 Seiten, bis ich in die Geschichte eintauchen konnte. Dann war ich aber dermaßen davon fasziniert, dass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen konnte. Unzählige Handlungsstränge und weltweite Handlungsorte, eine Vielzahl von Personen (am Ende auf drei Seiten aufgelistet) und Organisationen fordern die Aufmerksamkeit des Lesers und setzen, zumindest in Grundzügen, ein gewisses politisches Interesse voraus. Und Unterbrechungen bei der Lektüre sollte man vermeiden, um bei dieser Stofffülle den Faden nicht zu verlieren.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Wistings "weißer Wal"

Wisting und der Tag der Vermissten
0

Jede/r Ermittler/in hat ihn, den „weißen Wal“, den einen Fall im Laufe seines/ihres Berufslebens, den er nicht zum Abschluss bringen konnte, weil der letzte Beweis fehlt, um den/die Verdächtige zu überführen. ...

Jede/r Ermittler/in hat ihn, den „weißen Wal“, den einen Fall im Laufe seines/ihres Berufslebens, den er nicht zum Abschluss bringen konnte, weil der letzte Beweis fehlt, um den/die Verdächtige zu überführen. Dann werden die Unterlagen in eine Kiste gepackt und in den Regalen mit den ungelösten Fällen verstaut, bis sie Staub ansetzen.

In William Wistings Fall ist das Katharina Haugen, eine junge Frau, die vor 24 Jahren spurlos verschwand und ihn seither umtreibt, da er den Hauptverdächtigen kennt, im Lauf der Jahre sogar eine Art von Beziehung zu ihm aufgebaut hat, ihn aber nicht überführen kann. Und jedes Jahr um den Tag ihres Verschwindens holt er die Kiste mit den Beweismitteln hervor. Hoffend, etwas zu finden, das er bisher übersehen hat, damit er den Fall endlich zum Abschluss bringen kann.
In diesem Jahr kommt jedoch unerwartete Hilfe von anderer Seite. Stiller, der Kollege von einer Cold Case-Spezialeinheit, trifft auf dem Revier ein, um einen lange zurückliegenden Entführungsfall im gleichen Ort aufzuklären und glaubt, dass beide Fälle zusammenhängen könnten. Vielleicht sogar, dass man es mit dem gleichen Täter zu tun hat. Zwischen den beiden Ermittlern entwickelt sich eine ganz besondere Dynamik, besonders dann, als auch noch Line, Journalistin und Wistings Tochter, in eine medienwirksame Aktion hineingezogen wird…

„Wisting und der Tag der Vermissten“ ist ein astreiner „Police procedural“. Der Autor, früher selbst Polizist, verzichtet allerdings auf die Beschreibung spektakulärer Aktionen, sondern schildert stattdessen minutiös die Polizeiarbeit und lässt den Leser an dieser teilhaben. Das ewige Klein-Klein zieht sich zwar deshalb manchmal in die Länge, bietet aber doch ein genügendes Maß an Spannung, das den Leser bei der Stange hält. Die Auflösung beider Fälle ist sauber hergeleitet und lässt keine Fragen offen. Aber mir hat das Überraschungsmoment gefehlt, der Knaller am Schluss, der den Fällen eventuell noch eine andere Richtung gegeben hätte. Und dennoch kann man diesen Einführungsband von Jørn Lier Horsts Cold Case-Reihe, in deren Zentrum abermals (wie in den bereits vorliegenden Krimis des norwegischen Autors) Kommissar William Wisting steht, durchaus als realitätsnah und gelungen bezeichnen.

Veröffentlicht am 23.10.2019

Nachdrückliche Leseempfehlung!

Im Käfig
0

Bei einem Kampf gibt es Gewinner und Verlierer. Und kämpfen ist das einzige, was Daniel, nicht auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen, gelernt hat. Martial Arts im Käfig, und darin ist er gut. Bis ...

Bei einem Kampf gibt es Gewinner und Verlierer. Und kämpfen ist das einzige, was Daniel, nicht auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen, gelernt hat. Martial Arts im Käfig, und darin ist er gut. Bis ihm sein Gegner einen heftigen Schlag gegen den Kopf versetzt und ihm damit eine Netzhautablösung beschert. Das war es dann mit der Karriere, die den Geldregen versprach. Nix mehr mit Gewinner.

Zwölf Jahre später fährt er mit seinem Truck und einem Schweißgerät durch die kanadische Provinz, klappert die Baustellen ab und nimmt dort jeden Job an, den er bekommen kann. Nicht für sich, sondern für seine Frau Sarah und seine Tochter Madelyn. Die finanzielle Situation der Familie ist katastrophal, kein Kredit mehr von der Bank, sie leben von der Hand in den Mund. Als dann auch noch sein Schweißgerät gestohlen wird, sieht Daniel keine andere Möglichkeit mehr, als bei dem lokalen Verbrechersyndikat anzuheuern. Obwohl er Bedenken hat, macht er, was man ihm aufträgt. Bis er eines Tages eine blutige Schießerei miterleben muss. Aber er hat ja noch eine Option, und da er sich als Sparringspartner in diversen Boxhallen fit gehalten hat, überlegt er, wieder in den Käfig zu steigen. Er setzt alles auf eine Karte, aber ob das so eine gute Idee ist?

Vier Jahre hat Kevin Hardcastle hat an diesem Roman geschrieben, und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen. Er beschreibt Daniels Schicksal völlig unaufgeregt, reduziert, in einer klaren Sprache, nie voyeuristisch oder Mitleid für den Protagonisten und dessen Familie einfordernd. Es ist wie es ist, und genau das macht es umso eindringlicher und erzeugt Empathie bei dem Leser, der ziemlich schnell erkennt, dass es für Daniel kein Entkommen geben wird. Hoffen und Bangen, Anstrengungen, Gewalt und ein Meer von Blut, all das führt auf direktem Weg zum finalen Gefecht. Ein Verlierer, zeitlebens eingesperrt in einem Käfig, dem Schicksal ausgeliefert. Und man ahnt es schon, es wird nicht gut ausgehen. Nachdrückliche Leseempfehlung für diesen kanadischen Noir aus dem Polar Verlag!