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Veröffentlicht am 06.05.2019

Zwei Außenseiter auf der Suche nach einem Platz in der Welt

Alte Sorten
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Eine berührende Geschichte zweier Außenseiter, beide tief verletzt, die sich allmählich näher kommen und sich gegenseitig heilen.

Keine tiefsinnigen Gespräche, die diesen Prozess in Gang setzen, es ist ...

Eine berührende Geschichte zweier Außenseiter, beide tief verletzt, die sich allmählich näher kommen und sich gegenseitig heilen.

Keine tiefsinnigen Gespräche, die diesen Prozess in Gang setzen, es ist vielmehr das tägliche Miteinander, die gemeinsame Arbeit, das wortlose Verstehen, das sie nicht nur zueinander sondern auch zu sich selbst führt.

Leise und behutsam erzählt, sehr anrührend die Passagen, in denen Sallys Verzweiflung offenbar wird, die nach ihrem Platz in der Welt sucht. Auf der anderen Seite Liss, die sich im Lauf der Jahre einen Panzer zugelegt hat, der sie davor bewahren soll, wieder verletzt zu werden.

Sally, siebzehn Jahre alt, gefangen in den Erwartungen von Eltern und Gesellschaft. Sie fühlt sich fehl am Platz in diesem Leben, das andere für sie ausgesucht haben, reagiert mit Wut und Selbstverletzung, verweigert die Nahrungsaufnahme. Der Hilflosigkeit der Eltern geschuldet folgt die Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Wieder eine Korsett aus „Du musst“ und „Du sollst“ ohne Verständnis und Interesse für die Gründe ihres Verhaltens. Auch wenn sie kein Ziel hat, weiß sie dass sie weg muss, weg aus diesem Leben der Vorschriften und falschen Anteilnahme.

Liss, Ende vierzig, hat das alles schon hinter sich, hat das Leben in den von ihrem Vater arrangierten Vierecken verlassen, hat es eingetauscht gegen die harte Arbeit auf dem heruntergekommenen Bauernhof ihrer Familie, den sie allein bewirtschaftet.

Die Begegnung der beiden ist zufällig. Keine Frage nach dem Woher oder Wohin, es zählt nur der Augenblick. Aus dem Unterschlupf für eine Nacht werden Tage, Wochen. Beide wortkarg und verschlossen, und doch brechen die Verkrustungen sowohl bei Liss als auch bei Sally allmählich auf. Die Arbeit mit und in der Natur, auf dem Hof, dem Feld, dem Wald, den Wiesen, dem Weinberg, hingeworfene Bemerkungen, all das bringt die beiden zusammen, aber auch wieder auseinander. Doch jeder Schritt zurück birgt in sich auch wieder zwei Schritte nach vorn.

Es ist dieses wortlose Verstehen, diese gegenseitige Erkennen, das die Verkrustungen um die Seelen aufweichen und sowohl bei Sally als auch bei Liss den Heilungsprozess einleitet. Das mit den Verletzungen der Vergangenheit abschließen und für die Zukunft hoffen lässt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 06.05.2019

Der schwächste Band der Reihe

Mörderisches Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 5)
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Der Sommer ist vorbei, die Touristen haben die Heimreise angetreten, es kehrt wieder Ruhe ein in Le Lavandou, der provenzalischen Kleinstadt am Fuß des Massif des Maures im Département Var. Die Entspannung ...

Der Sommer ist vorbei, die Touristen haben die Heimreise angetreten, es kehrt wieder Ruhe ein in Le Lavandou, der provenzalischen Kleinstadt am Fuß des Massif des Maures im Département Var. Die Entspannung ist jedoch nur von kurzer Dauer, da eine Joggerin verschwunden ist. Spurlos? Nicht ganz, ihr abgeschnittener Fuß taucht fachmännisch arrangiert an exponierter Stelle im Ort auf, und kurz darauf wird auch ihre Leiche gefunden. Leon Ritter, der deutsche Arzt, mittlerweile als Gerichtsmediziner für die örtliche Polizei tätig, wird hinzugezogen und bestätigt die Identität der Toten. Aber sie soll nicht das einzige Opfer bleiben, es scheint, als ob ein Serientäter sein Unwesen treibt, der sich in gefährlicher Nähe zu Ritters „Adoptivfamilie“ befindet. Es gibt verschiedene Verdächtige, die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, aber bringen wenig Erkenntnisgewinn. Und es scheint, als ob der Killer seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus ist…

Mit „Mörderisches Lavandou“ ist die Leon Ritter-Reihe beim fünften Band angekommen, und ich verfolge sie bereits seit dem ersten Teil. Wie schon in den Vorgängern gelingt es Remy Eyssen sehr anschaulich, die Atmosphäre dieser Kleinstadt sowie die provenzalische Landschaft zu beschreiben. Auch die Schilderung der Personen sowie deren Beziehungen zu Ritter werden ausführlich erläutert. Das ist zwar nett zu lesen, aber mehr auch nicht. Denn wenn man mit der Reihe bereits vertraut ist, generiert das Längen, die immer wieder die Spannung ausbremsen und das Tempo aus der Geschichte nehmen. Im wahrsten Sinne tödlich für einen Kriminalroman, der mehr sein will als gewöhnliche Feel good-Lektüre für den Frankreichurlaub. Denn auch wirkliche Fortschritte im persönlichen Umfeld des Rechtsmediziners sucht man vergeblich. Es gibt zwar vorsichtige Ansätze, die sich aber recht schnell in Luft auflösen. So bleibt am Ende nur ein konventionell erzählter, leicht durchschaubarer Krimi übrig, der sich kaum von der üblichen Dutzendware unterscheidet. Für mich mit Abstand der schwächste Band der Reihe!

Veröffentlicht am 01.05.2019

Spannender Krimi und Wohlfühllektüre im besten Sinne

Weiße Fracht
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Es kommt selten vor, dass ein sogenannter „Urlaubskrimi“ all meine Erwartungen erfüllt, und noch weniger erwarte ich die Fortsetzung einer solchen Reihe mit Ungeduld – außer bei den „Lost in Fuseta“-Kriminalromanen, ...

Es kommt selten vor, dass ein sogenannter „Urlaubskrimi“ all meine Erwartungen erfüllt, und noch weniger erwarte ich die Fortsetzung einer solchen Reihe mit Ungeduld – außer bei den „Lost in Fuseta“-Kriminalromanen, was mit Sicherheit der Hauptfigur geschuldet ist. Leander Lost, der Hamburger Kommissar, der sein Austauschjahr bei der portugiesischen Polícia Judiciária an der Ost-Algarve verbringt. Von seinen Kollegen oft scherzhaft Senhor Léxico genannt, weil er zum einen alles weiß, zum anderen als Asperger eine ganz besondere Sicht auf die Fragen der Existenz hat. Im zwischenmenschlichen Bereich ist er eher unbeholfen, bedient sich in der Kommunikation eines „Kompendiums sinnloser Sätze, schießt oft über das Ziel hinaus. Und obwohl er nicht lügen kann, ist er doch in der Lage, anhand seiner genauen Beobachtungsgabe bei einem Gegenüber im Bruchteil einer Sekunde festzustellen, ob dieser die Wahrheit sagt. Eine Fähigkeit, die bei Vernehmungen von unschätzbarem Nutzen ist.

Gemeinsam mit Graciana und Carlos, seinen portugiesischen Kollegen, ermittelt er im Mordfall an einem deutschen Aussteiger, dem Bruder des stellvertretenden Hamburger Polizeipräsidenten, was zur Folge hat, dass zwei ehemalige Kollegen Losts die Ermittlungen vor Ort unterstützen sollen. Dumm, überheblich und ohne Fingerspitzengefühl in ihren Aktionen, sehen Graciana und Carlos, wie geringschätzig sie ihren deutschen Freund behandeln. Und das bringt ihnen keine Sympathiepunkte ein.

Eine zweite Leiche wird gefunden, aber die Ermittlungen kommen nur stockend voran. Aber dann, der entscheidende Durchbruch, der darauf hinweist, dass die Helfershelfer eines inhaftierten Kriminellen eine große Menge Drogen auf dem Seeweg ins Land einschleusen wollen und dass der ermordete Deutsche auf irgendeine Art darin verwickelt war…

Spannend, aber „Weiße Fracht“ ist mehr als ein bloßer Kriminalroman, obwohl der Autor ein höchst interessantes Thema beleuchtet, nämlich die Kanäle, auf denen Drogenlieferungen nach Europa gelangen. Dazu die sympathischen Protagonisten, die detaillierten Landschaftsbeschreibungen, die unaufdringlichen Schilderungen der portugiesischen Lebensart, und dann natürlich auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Ribeiro sehr feinfühlig beschreibt und von Band zu Band weiterentwickelt. Aber auch die Dramatik, die sich aus dem Umstand ergibt, dass das Austauschjahr des deutschen Kommissars sich dem Ende entgegen neigt und die Rückkehr nach Hamburg im Raum steht. Gerade jetzt, wo sich für ihn beruflich und im Privaten alles zum Guten zu entwickeln scheint. Als Leser drückt man ihm die Daumen, hoffend, dass dieser Kelch an ihm vorübergeht. Aber wozu hat er schließlich Freunde? Die werden schon noch eine Lösung finden, oder?

„Weiße Fracht“ unterhält im besten Sinne. Und nun beginnt wieder die Wartezeit, bis der nächste Teil der Reihe mit Leander Lost und Graciana und Carlos, seinen Freunden von der Polícia Judiciária, erscheint. Ich warte ungeduldig darauf!

Veröffentlicht am 28.04.2019

Ein ungeschönter Blick oder Schreiben als Therapie

Cherry
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„Cherry“ speist sich aus der Biografie des Autors. Allerdings bleibt es dessen Geheimnis, inwieweit die geschilderten Episoden seinen eigenen Erlebnissen entsprechen. Aber man darf davon ausgehen davon, ...

„Cherry“ speist sich aus der Biografie des Autors. Allerdings bleibt es dessen Geheimnis, inwieweit die geschilderten Episoden seinen eigenen Erlebnissen entsprechen. Aber man darf davon ausgehen davon, dass er den Großteil dessen, was er schildert, genau so erlebt hat.

Aufgewachsen in einer amerikanischen Mittelklasse-Familie, kommt Nico Walker bereits als Jugendlicher mit Drogen in Kontakt. College in Cleveland, Abbruch, danach Army. Knapp zwanzigjährig wird er in den Irak geschickt, heiratet vor der Abreise seine Freundin und leistet seinen Militärdienst an der Front bei über 250 Einsätzen in einem Sanitätskorps ab, wofür er zahlreiche Auszeichnungen erhält. Diese Zeit geht nicht spurlos an ihm vorüber. Opiode und Drogen betäuben. Nach seiner Rückkehr findet er sich im Alltag nicht mehr zurecht, kämpft mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Heroin hilft, und so wird er abhängig. Die Sucht will finanziert werden, also beschafft er sich das Geld durch Banküberfälle, wobei die erbeuteten Summen überschaubar sind. Er wird geschnappt und zu elf Jahren Haft verurteilt. Seine Entlassung steht für November 2020 an.

„Cherry“, Army-Slang für Frischlinge, ist sicherlich keine große Literatur, sondern eher der Versuch des Autors, Erlebtes mittels Schreiben zu verarbeiten. Eigentherapie, sozusagen. Obwohl die Sprache simpel ist, gewinnt das Buch spätestens dann an Tiefe, wenn Walker seine Erlebnisse im Irak-Krieg schildert. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass er nach der Rückkehr in die Heimat von Erinnerungen heimgesucht wird, die sich in PTBS manifestieren. Und hier zeigt sich dem Leser auch ein ungeschönter Blick auf ein Amerika, das seinen Veteranen nichts, aber auch gar nichts zu bieten hat und sie mit ihren Problemen, ganz gleich, ob gesundheitlicher oder finanzieller Natur, allein lässt. Die medizinische Betreuung erschöpft sich im Verschreiben von Medikamenten, die Abhängigkeit generieren. Und zu der Opiod-Krise geführt haben, die mittlerweile die gesamten Vereinigten Staaten überzieht.

Der Roman ist authentisch. Geschrieben von einem, der das Grauen er- und überlebt hat und glücklicherweise geschnappt wurde. Wer weiß, ob er sonst noch leben würde. Positiv vermerken muss man die Tatsache, dass Walker sich nicht in Selbstmitleid suhlt, sondern seine „Karriere“ mittlerweile aus der Distanz sieht und beschreibt. Bleibt zu hoffen, dass er auch nach seiner Entlassung einen großen Bogen um Drogen machen wird.

Die Filmrechte sind mittlerweile verkauft, für die Hauptrolle ist der englische Schauspieler Tom Holland im Gespräch.

Veröffentlicht am 22.04.2019

Ein ambitioniertes Vorhaben - weitgehend gelungen

Gott wohnt im Wedding
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Regina Scheer ist nicht nur Fachfrau für deutsch-jüdische Geschichte sondern hat sich auch intensiv mit der Historie Berlins beschäftigt. Und aus diesem Wissen speist sich ihr zweiter Roman „Gott wohnt ...

Regina Scheer ist nicht nur Fachfrau für deutsch-jüdische Geschichte sondern hat sich auch intensiv mit der Historie Berlins beschäftigt. Und aus diesem Wissen speist sich ihr zweiter Roman „Gott wohnt im Wedding“.

Der Wedding, schon immer ein Arbeiterbezirk, Heimat der kleinen Leute, multi-kulturell. Leben, Träume und Schicksale, die untrennbar miteinander über die Jahre verbunden sind.

Davon kann auch das Mietshaus in der Utrechter Straße ein Lied singen, dem Scheer in ihrem Roman eine Stimme gibt. Es ist aber nicht nur dessen wechselhafte Geschichte. Diese bildet lediglich den Rahmen. Es sind dessen Bewohner, gegenwärtige und ehemalige, die zu Wort kommen und den Leser an ihre Leben und ihren Erinnerungen teilhaben lassen. Und deren Wege sich immer wieder kreuzen.

Leo Lehmann, nach 70 Jahren mit seiner Enkelin aus Israel angereist. Gertrud Romberg, alt und krank, die schon immer dort gewohnt hat, Leo von früher kennt und auf die Hilfe von Laila Fiedler angewiesen ist, die nicht weiß, dass auch ihre Familie vor Jahrzehnten in diesem Haus gelebt hat. Individuelles Leben, dessen Gegenwart und Vergangenheit exemplarisch für Kapitel der deutschen Geschichte steht.

Scheers Roman zeichnet die gründliche Recherche aus (speziell zur Geschichte der Sinti und Roma) und hält sich nicht mit überflüssigen Sentimentalitäten auf. Aber sie widmet sich nicht nur historischen Fakten sondern möchte den Leser auch für aktuelle Themen wie Migration, Gentrifizierung und Verdrängung sensibilisieren.

Ein ambitioniertes Vorhaben, das weitgehend gelungen ist, aber durch die Themenvielfalt stellenweise etwas überfrachtet wirkt. Und auf die Zwischenkapitel aus der Sicht des Hauses hätte man auch verzichten können. Auch wenn durch diese Perspektive Distanz zu den individuellen Schicksalen geschaffen werden sollte, wirkten manche dieser „Kommentare“ doch sehr nichtssagend und schlussendlich damit überflüssig.