Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2018

Die Cevennen müssen brennen

Brennende Cevennen
0

„Urlaubskrimis“ gibt es wie Sand am Meer, speziell Frankreich hat es offenbar nicht nur den Autoren sondern auch den Lesern angetan. Besonders seit den Erfolgen von Jean-Luc Bannalecs Bretagne-Krimis wird ...

„Urlaubskrimis“ gibt es wie Sand am Meer, speziell Frankreich hat es offenbar nicht nur den Autoren sondern auch den Lesern angetan. Besonders seit den Erfolgen von Jean-Luc Bannalecs Bretagne-Krimis wird der Buchmarkt regelrecht mit Krimis überschwemmt, deren Handlungsorte bei unseren westlichen Nachbarn verortet sind. Ein weißer Fleck auf der Landkarte war bis vor Kurzem das Département Ardèche, aber mittlerweile ist auch diese Lücke durch Anne Chaplet aka Cora Stephan geschlossen, die sich für ihre neue Krimireihe mit der ehemaligen Anwältin Tori Godon das Vivarais am Fuße der Cevennen ausgesucht hat.

Eine faszinierende, geschichtsträchtige Gegend, in der Chaplet seit vielen Jahren lebt. Geprägt von den Hugenotten und den Kamisardenkriegen, ehemals das Zentrum der Seidenspinnerei. Eine Landschaft mit Höhlen, der Garrigue und undurchdringlichen Wäldern, Schaf- und Ziegenherden, kleinen Dörfern, in denen die Zeit stehengeblieben scheint. Wie in Belleville.

Doch manchmal kann die ländliche Idylle auch trügerisch sein, so auch in Chaplets „Brennende Cevennen“, dem zweitem Band um und mit Tori Godon, in dem eine Reihe von mysteriösen Wald- und Weidebränden Keile zwischen die Alteingesessenen und die zugezogenen Aussteiger, „Expats“ wie Chaplet sie verständnisvoll nennt, treibt. Es gilt den Schuldigen zu finden, ehe es weitere Todesopfer gibt und noch mehr Menschen zu Schaden kommen. Müssen die Cevennen tatsächlich brennen, damit die Zugezogenen verschwinden? Das Zusammenleben schien doch relativ konfliktfrei zu funktionieren? Aber dann wird auch Tori mittels eines einen anonymen Drohbriefs direkt angegangen. Sie, die sich über das französische Erbe ihres Mannes mit dem Dorf und seinen Bewohnern identifiziert. Gemeinsam mit Nico, einem Freund und ehemaligen Drogenfahnder, versucht sie Licht ins Dunkel zu bringen und Schaden von ihrer neuen Heimat abzuwenden.

Anne Chaplet liebt ihre zweite Heimat, hat viel Sympathie für die knorrigen Bewohner, die in weiten Bereichen so unzugänglich wie die Landschaft sind. Die Krimihandlung ist zwar in weiten Teilen so lala, ziemlich beliebig und kann mich nicht recht überzeugen. Was aber bereits in Band 1 „“Tiefe Schluchten“ mein Interesse geweckt hat, sind die Informationen zur Historie, die sie gekonnt in die Handlung einarbeitet und die dazu animieren, sich in die Geschichte dieser Region zu vertiefen. Im Idealfall natürlich vor Ort!

Veröffentlicht am 25.10.2018

Salat, Gemüse, Früchte in Hülle und Fülle

6 Jahreszeiten
0

Joshua McFadden, Koch und Restaurantbetreiber, ist als „Gemüseflüsterer“ bekannt. Aufgewachsen in Wisconsin, einem landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat der USA, gilt sein besonderes Augenmerk den verschiedenen ...

Joshua McFadden, Koch und Restaurantbetreiber, ist als „Gemüseflüsterer“ bekannt. Aufgewachsen in Wisconsin, einem landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat der USA, gilt sein besonderes Augenmerk den verschiedenen Gemüsesorten, wobei die italienischen Einflüsse seiner Rezepte unverkennbar sind.

Für sein Kochbuch „6 Jahreszeiten“ hat er dem bekannten „Frühling, Sommer, Herbst und Winter“ noch den Früh- sowie den Spätsommer hinzugefügt. Meiner Meinung nach eine Entscheidung, die jeden Gemüseliebhaber freuen wird, denn gerade das sind die Zeiten, in denen die Natur erntemäßig explodiert und man kaum weiß, was man mit der Vielfältigkeit des Angebots küchentechnisch anstellen soll. Außerdem gewährleistet die Einteilung in sechs Jahreszeiten den optimalen Erntezeitpunkt, der zum einen für eine unglaubliche Geschmacksfülle, zum anderen dafür sorgt, dass wir uns stärker auf die regional verfügbaren Produkte konzentrieren.

Der Aufbau des Kochbuchs orientiert sich logischerweise genau an diesen Jahreszeiten, Frühling, Frühsommer, Hochsommer, Spätsommer, Herbst und Winter und überrascht mit einer Fülle von kreativen Kombinationen, die ich so noch nicht gegessen habe: Kartoffel-Blumenkohl-Salat mit Oliven, Feta und Rucola beispielsweise. Klingt auf den ersten Blick ungewöhnlich, schmeckt aber durch die Kombination verschiedener Aromen absolut genial. Die Zubereitung wird Schritt-für-Schritt anschaulich und gut nachvollziehbar beschrieben, abgerundet wird das Rezept durch ein appetitanregendes Foto.

Abgerundet werden die Rezepte durch einen vorangestellten „Theorieteil“, in dem es Hinweise und Tipps zur Vorratshaltung und Würze gibt.

Die Rezepte sind durch die detaillierten Beschreibungen leicht nachzukochen, die Zutaten durch die Orientierung an den Erntezeiten überall erhältlich – ein großes Plus für alle Hobbyköche, die nicht durch die verschiedensten Delikatessenläden wandern wollen, um Exotisches zu besorgen. Ein absolut empfehlenswertes Kochbuch mit Schwerpunkt auf vegetarischen Rezepten, das in keiner Küche fehlen sollte!

Veröffentlicht am 25.10.2018

Auf der Suche nach dem richtigen Weg

Dunkler Sommer
0

Wenn es darum geht, die Qualität der Romane von James Lee Burke zu beurteilen, bedarf es keiner Diskussion. Ob das nun die Werke der Dave Robicheaux-Reihe oder die die Bücher rund um den Holland-Clan sind, ...

Wenn es darum geht, die Qualität der Romane von James Lee Burke zu beurteilen, bedarf es keiner Diskussion. Ob das nun die Werke der Dave Robicheaux-Reihe oder die die Bücher rund um den Holland-Clan sind, Burke schreibt er in einer anderen Liga als die meisten seiner Autorenkollegen. Da sitzt jedes Wort, jeder Satz. Er betrachtet sein Heimatland, thematisiert mit scharfem Blick die Schwachstellen, taucht ein in die Seele Amerikas, in der das Gute und Böse so eng beisammen liegt.

„Dunkler Sommer“ (im Original „The jealous kind“, 2016) komplettiert die Trilogie, die mit „Fremdes Land“ (im Original „Wayfaring Stranger“, 2014) begann und mit „Vater und Sohn“ (im Original „House of the rising sun“, 2015) fortgesetzt wurde.

Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden im Texas der fünfziger Jahre, die uns Burke aus der Sicht des nunmehr alten Aaron Holland Brussard (Enkelsohn des Texas-Rangers Hackberry Holland) erzählt, und in der er mit dem Mythos des „goldenen“ Zeitalters nach dem Zweiten Weltkrieg aufräumt. Nicht nur in Texas bestimmen Jugendgangs, mafiöse Organisationen, Rassismus und Klassengegensätze den Alltag.

Houston, wir schreiben das Jahr 1952. Aaron, aufgewachsen in einer dysfunktionalen Familie, die Mutter depressiv, der Vater ein Veteran, der seine Kriegserlebnisse im Alkohol ertränkt, verdient sein Geld als Rodeo-Reiter. Er sucht seinen Weg, hat klare Vorstellung von richtig und falsch, Gut und Böse und ist auch, wenn es darauf ankommt, mit den Fäusten schnell bei der Sache. Als er sich in das jüdische Mädchen Valerie verliebt und sie aus den Fängen eines reichen Schnösels befreit, dass das fatale Konsequenzen haben wird.

Wie man aus zahlreichen Interviews weiß, ist Burke ein bekennender Katholik, politisch links verortet, und so ist auch „Dunkler Sommer“ ein zutiefst moralischer Roman, der ganz klar im Kampf der Guten gegen die Bösen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft, Position bezieht.

Eine Lektüre, die man einem Donald Trump auf die Leseliste setzen sollte. Ach vergessen, der kann ja nicht lesen sondern nur twittern.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Über das Leben in Kriegszeiten

Manhattan Beach
0

Nach „Der größere Teil der Welt“, dem 2011 unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten genialen Roman der Amerikanerin Jennifer Egan, überrascht die Autorin nun mit „Manhattan Beach“, einem historischen ...

Nach „Der größere Teil der Welt“, dem 2011 unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten genialen Roman der Amerikanerin Jennifer Egan, überrascht die Autorin nun mit „Manhattan Beach“, einem historischen Roman, für den sie laut einem Interview seit 2004 Recherchen über das Leben in New Yorks während des Zweiten Weltkriegs betrieben hat.

Die Geschichte beginnt in 1934 in Brooklyn, als die elfjährige Anna gemeinsam mit ihrem Vater Eddie dem Mobster Dexter Styles einen Besuch in dessen Haus in Manhattan Beach abstattet. Eddie hat während der Wirtschaftskrise seine Stelle als Börsenmakler verloren, arbeitet mittlerweile für einen zwielichtigen Typen und sucht einen neuen, besserbezahlten Job, um die Versorgung von Annas schwerbehinderter Schwester sicherzustellen. Siebzig Seiten später sind wir bereits im Jahr 1942. Es ist Krieg, Eddie ist spurlos verschwunden und Anna hat die Rolle der Ernährerin für Mutter und Schwester übernommen. Auch sie leistet ihren Beitrag zum Krieg, indem sie auf der Werft in Brooklyn arbeitet, wünscht sich aber nichts sehnlicher, als Marinetaucherin zu werden, ein in der damaligen Zeit unvorstellbarer Berufswunsch. Trotz aller Widerstände gibt sie sich nicht geschlagen und verfolgt ihren großen Traum so lange, bis ihrem Einsatz unter Wasser nichts mehr im Wege steht. Und genauso beharrlich sucht sie nach ihrem Vater, über dessen Verbleib sie sich Informationen von Dexter Styles erhofft.

Es sind unglaublich viele Details aus den verschiedensten Bereichen, die Egan in ihren Roman einflicht. Zum einen geht es natürlich um die Emanzipationsbestrebungen einer Frau, die sich ihren Platz in einem männlich geprägten Berufsfeld erkämpfen will, es geht um das Leben und Sterben der Männer im Krieg und nicht zuletzt um das Leben der Einwanderer sowie um das organisierte Verbrechen der New Yorker Unterwelt. Und Egan beschreibt diese unterschiedlichen Themen nicht nur spannend sondern auch sehr interessant.

Anna, Eddie und Dexter - drei wechselnde Perspektiven, jeweils in der dritten Person sehr anschaulich erzählt, nehmen den Leser mit auf eine atmosphärische Reise in das Leben in Kriegszeiten im „Big Apple“.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Etwas ganz besonderes in der deutschen Krimilandschaft

Mexikoring
0

Glattgebügelte Typen sind Simone Buchholz‘ Ding nicht. Die Frauen und Männer rund um das Team der Hamburger Staatsanwältin Chas Riley haben Ecken und Kanten, sind alle auf ihre Weise „beschädigt“, zerfressen ...

Glattgebügelte Typen sind Simone Buchholz‘ Ding nicht. Die Frauen und Männer rund um das Team der Hamburger Staatsanwältin Chas Riley haben Ecken und Kanten, sind alle auf ihre Weise „beschädigt“, zerfressen von Zweifeln, finden keinen Schlaf, trinken zu viel Bier und Wodka, um die Leere zu betäuben, um den ganzen Mist zu vergessen, mit dem sie sich tagtäglich herumschlagen müssen. Sind hart, zart und romantisch. Knien sich aber kopfüber und mit ihrer vorhandenen Restenergie in ihre Fälle hinein, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

So auch im Fall des am „Mexikoring“ in seinem Auto verbrannten Nouri Saroukhan, Sohn eines Mhallamiye Clan-Chefs aus Bremen, der sich von seiner Familie losgesagt hat. Um zu verstehen, was ihm angetan wurde, müssen sie ganz tief in dessen Leben und die Strukturen dieser Organisation eintauchen. Helfen könnte ihnen Aliza Anteli, die Freundin Nouris, die ebenfalls aus Bremen nach Hamburg geflüchtet ist, weil sie nicht das typische Schicksal ihrer älteren Schwestern erleiden wollte, die für fünfstellige Summen verkauft wurden. Aber die ist irgendwo im Schanzenviertel verschwunden.

Buchholz‘ Bücher um und mit Chas Riley, mittlerweile mit „Mexikoring“ acht Bücher in der Reihe, sind etwas ganz besonderes in der deutschen Krimilandschaft. Zum einen, was ihrer Personen angeht. Verletzt und verletzlich. Verunsichert, aber knallhart im Handeln. Das Team um die taffe Staatsanwältin ist nicht starr, es verändert sich, wie sich auch die Dynamik innerhalb der Gruppe ständig verändert. Lebensentwürfe passen nicht mehr zusammen oder die Folgen eines Anschlags sind zu verarbeiten. Andere kommen dazu und sind verantwortlich für emotionale Konflikte.

Und zum anderen ist da natürlich die Sprache, die sich grundlegend von der in den üblichen Krimis unterscheidet. Brillant, rotzig, vom Kiez geprägt, meist aus melancholischem Herzen, auch in den klarsten Analysen. Allein das macht für mich schon die Riley-Krimis zu einem Leseerlebnis, das seinesgleichen sucht und Höchstbewertungen verdient hat. Lesen. Unbedingt!