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Veröffentlicht am 25.05.2023

Heinrich II. von England vs. Thomas Becket

Conrad Ferdinand Meyer - Gesammelte Werke
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Die Rezension bezieht sich nur auf "Der Heilige" einer anderen Ausgabe:

Zum Jahreswechsel 1191 kommt Hans der Armbruster nach Zürich, wo er vom Chorherrn Burkhard eingeladen wird. Während des Essens ...

Die Rezension bezieht sich nur auf "Der Heilige" einer anderen Ausgabe:

Zum Jahreswechsel 1191 kommt Hans der Armbruster nach Zürich, wo er vom Chorherrn Burkhard eingeladen wird. Während des Essens erzählt ihm Hans, der vor Jahren ein Vertrauter König Heinrich II. von England war, von der eigentümlichen Beziehung zwischen Thomas Becket und seinem König: Heinrich II. kann sich auf seinen Kanzler verlassen, der ihm mit seinem umfangreichen Wissen wertvolle Dienste leistet und auch seine Söhne unterrichtet. Doch das gute Verhältnis der beiden zerbricht, als Heinrich Beckets Tochter Grace verführt und diese zu Tode kommt. Heinrich zwingt Thomas daraufhin, die Stelle des Bischofs von Canterbury anzunehmen, obwohl dieser strikt ablehnt. Thomas wird zum Asketen – und das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Conrad Ferdinand Meyer, 1825 bis 1898, gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schweizer Dichtern des Realismus, der besonders durch seine historischen Romane und Novellen bekannt ist. In Kilchberg bei Zürich ist seine letzte Ruhestätte.

Wie meist in seinen Romanen und Novellen, hat sich der Autor auch hier weitgehend an den historischen Geschehnissen orientiert. Außer Beckets Tochter Grace (und das frei erfundene Verhältnis mit dem König, das hier für die weitere Handlung von Bedeutung ist), haben alle anderen Protagonisten tatsächlich existiert.

Da die Novelle „Der Heilige“ 1880 erstmals veröffentlicht wurde, ist der Schreibstil entsprechend antiquiert und lässt sich nur mühsam und holperig lesen. Ich finde es eigentlich schade, dass man bei einer Neuauflage nicht eine etwas zeitgemäßere Ausdrucksweise gewählt hat.

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Veröffentlicht am 18.05.2023

Ist das unsere Zukunft?

Blue Skies
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In Kalifornien herrschen Hitze, Dürre und Brände, während in Florida Orkane mit sintflutartigem Regen das Land überziehen und das Meer die küstennahen Ortschaften zu überschwemmen droht. Die Natur ist ...

In Kalifornien herrschen Hitze, Dürre und Brände, während in Florida Orkane mit sintflutartigem Regen das Land überziehen und das Meer die küstennahen Ortschaften zu überschwemmen droht. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht geraten, Bienen und andere nützliche Tiere sterben aus, während Zecken und Moskitos sich unkontrolliert ausbreiten und zur tödlichen Gefahr werden. Obwohl Familie Cullen in Kalifornien das Problem rechtzeitig erkannt hat und angesichts der Bedrohung alles richtig machen möchte, sind sie von der Situation total überfordert. Sohn Cooper, er ist Insektenforscher, erleidet einen Zeckenbiss mit gravierenden Folgen, ihre in Florida lebende Tochter Cat kauft sich, um im Internet tolle Fotos posten zu können, eine Tigerpython die ihr außer Kontrolle gerät und Mutter Ottilie hat nach den ersten Missernten die Ernährung auf proteinreiche Heuschrecken umgestellt, die nun auch von Aussterben bedroht sind. Doch das ist erst der Anfang, die Natur rächt sich …

T. C. Boyle ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, der 1948 in Peekskill, New York, geboren wurde. Er studierte Englisch und Geschichte an der New York State University und erwarb den Doktortitel in englischer Literatur des 19. Jahrhunderts. Von Ende der 1970er Jahre bis 2012 lehrte er Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles. Er ist bekannt für seine gründlich recherchierten Romane, die oft auf realen Ereignissen basieren, und die in vielen Sprachen übersetzt wurden. Der Autor ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Montecito bei Santa Barbara in Kalifornien.

Wie meist bei Boyle steckt auch in diesem Roman eine Warnung, eine Mahnung an die Menschen, sorgsam mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Extrem spannend, von der ersten bis zur letzten Zeile, werden uns hier die Auswirkungen des Klimawandels vor Augen geführt. Steigende Temperaturen, Hitze, Brände, Dürre und Ernteausfälle im Landesinnern - Dauerregen, steigender Meeresspiegel und Überschwemmungen an den Küsten. Das Gleichgewicht in der Natur ist aus den Fugen geraten. Während einige Tierarten bereits aussterben und Insekten zur Bestäubung kaum noch vorhanden sind, vermehren sich Blutsauger explosionsartig, Zecken und Asiatische Tigermücken werden zur lebensbedrohenden Gefahr.

Im Angesicht dieser Apokalypse begleiten wir eine ganz normale amerikanische Familie, die zwar anfangs alles richtig zu machen versucht, jedoch gegen die Natur nicht ankämpfen kann. Lebensmittelknappheit, Stromausfälle und Wasserrationierung sind noch hinnehmbar, viel schlimmer dagegen wiegen ihre persönlichen Schicksalsschläge. Mehr möchte ich zum Inhalt nicht verraten, nur so viel, es ist absolut kein Buch zum Wohlfühlen. Man wird schonungslos in das Geschehen hinein gezogen und erwartet beinahe von Seite zu Seite neue Schreckensmomente und selbstverschuldetes Unglück. Bei einigen Szenen stockte mir regelrecht der Atem und ich musste beim Lesen ab und zu eine Pause einlegen. Am Schluss kommt zwar gedämpfter Optimismus auf – aber dient das nur zur Beruhigung oder könnte es tatsächlich die Rettung sein?

Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, kann ich das Buch jedem empfehlen, denn wir alle sollten umdenken und unsere verschwenderischen Lebensgewohnheiten ändern.

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Veröffentlicht am 10.05.2023

Zum Teuf’l aber auch, wo steckt bloß Vivien

Der Gentleman
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London, Mitte 19. Jahrhundert. In seinem Haus am vornehmen Pocklington Place lebt der Adlige Lionel Savage in der Überzeugung, er sei ein toller Hecht und ein begnadeter Dichter. Er ist 22 Jahre jung, ...

London, Mitte 19. Jahrhundert. In seinem Haus am vornehmen Pocklington Place lebt der Adlige Lionel Savage in der Überzeugung, er sei ein toller Hecht und ein begnadeter Dichter. Er ist 22 Jahre jung, sieht gut aus, ist sehr kultiviert aber auch sehr faul und lebt gerne über seine Verhältnisse. So muss ihm sein treuer Butler Simmons eines Tages mit Bedauern mitteilen, dass das Geld ausgegangen sei. Nun hat Lionel zwei Möglichkeiten, zu arbeiten oder eine reiche Frau heiraten. Ersteres kommt für den Gentleman ja nicht infrage, also bleibt nur der zweite Weg aus dem Desaster. Eine passende junge Dame aus vermögendem Hause ist bald gefunden, es wird geheiratet und Vivien zieht in das Haus am Pocklington Place ein.

Geld ist zwar nun vorhanden, doch Lionel ist seiner Angetrauten bald überdrüssig. Er empfindet sie als geistlos und nörglerisch, verachtet und hasst sie. Zu allem Übel kommt noch seine Schreibblockade hinzu, er kann nicht mehr dichten und ist verzweifelt. Als einzigen Ausweg sieht er seinen Selbstmord, doch die Umstände, die er seinem treuen Butler dadurch machen würde, halten ihn zunächst davon ab. Während er noch nach einer Lösung sucht, beehrt ihn ein eleganter Gentleman mit seinem Besuch, der sich selbst als Teufel vorstellt. Die beiden unterhalten sich freundschaftlich – und als der Teufel gegangen ist, ist auch plötzlich Vivien verschwunden …

Der US-amerikanische Autor Forrest Leo wurde 1990 in Alaska geboren, wo er auch aufwuchs und mit dem Hundeschlitten zur Schule fuhr. Später machte er einen Bachelor in Schauspiel an der New York University und arbeitete in verschiedenen Berufen. Er war erst 27 Jahre alt, als er sein Debüt „Der Gentleman“ schrieb, das von dem 1973 in Göttingen geborenen Literaturwissenschaftler Cornelius Reiber ins Deutsche übersetzt wurde.

Mit viel Witz und spöttischer Ironie werden wir in die Gepflogenheiten der Londoner Oberschicht im viktorianischen Zeitalter eingeführt – oder was man sich heute darunter vorstellt. Wie am Schluss des Buches zu lesen ist, wurde die Geschichte zunächst als Theaterstück konzipiert, was besonders in der furiosen Schlussszene, in der sämtliche Akteure noch einmal zusammenkommen, zu merken ist. Eine Besonderheit ist auch, dass die Geschichte von Lionel Savage selbst erzählt wird und der Herausgeber des Werkes, Mr Hubert Lancester, ein Verwandter von Savage, in zahlreichen Fußnoten seinen Kommentar dazu abgibt bzw. dessen Aussagen richtigstellt.

Eine Figur nach der anderen betritt die „Bühne“, rasch wechseln die „Kulissen“, es werden allerlei Abenteuer erlebt, Duelle ausgefochten und witzige, schlagfertige Dialoge ausgetauscht. Wir machen die Bekanntschaft mit dem besten Butler Großbritanniens, mit einem Erfinder von Flugmaschinen, mit einem gutaussehenden, kräftig gebauten Abenteurer, mit Lizzie, der quirligen jüngeren Schwester von Lionel, mit Vivien, Lionels schöner und intelligenter Frau – und nicht zuletzt mit dem Teufel, der sich als Buchliebhaber und Literaturkenner entpuppt und Dante Alighieri bei sich zu Hause als Gärtner beschäftigt.

Fazit: Eine intelligente Boulevardkomödie mit viel Witz, selbstverständlich leicht übertrieben, aber immer mit Stil – sehr unterhaltsam und äußerst amüsant.

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Veröffentlicht am 06.05.2023

Wird die Erde so enden?

Sturz in die Sonne
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Es ist Juli, drei Monate hat es nicht mehr geregnet, drei Monate nur Sonnenschein. Am Ufer des Genfer Sees drängen sich die Badenden und suchen Abkühlung. Die Hitze ist zwar ungewöhnlich, aber niemand ...

Es ist Juli, drei Monate hat es nicht mehr geregnet, drei Monate nur Sonnenschein. Am Ufer des Genfer Sees drängen sich die Badenden und suchen Abkühlung. Die Hitze ist zwar ungewöhnlich, aber niemand macht sich Sorgen. Auch nicht, als die ersten Zeitungen veröffentlichten, dass die Erde infolge eines Gravitationsunfalls auf die Sonne zustürzen würde. Was nicht sein darf kann auch nicht sein, denken alle, und so geht das Leben zunächst seinen gewohnten Gang weiter. Doch bald merkt auch der letzte Zweifler, dass etwas nicht stimmen kann. Die Gletscher schmelzen, die Flüsse und Seen verdunsten allmählich und die Hitze wird selbst in den Bergen unerträglich. Die Regierung appeliert zur Vernunft - vergebens. Anarchie bricht aus, Zerstörungswut greift um sich, Überfälle häufen sich, jeder ist sich selbst der nächste …

Charles Ferdinand Ramuz, der Autor dieses Romans, lebte von 1878 bis 1947 in der Schweiz. Er war Schriftsteller, Lyriker, Essayist und Nationaldichter und gilt als bedeutendster Vertreter der Schweizer Literatur in französischer Sprache.

Bereits im Jahr 1922 erschien der Roman unter dem Originaltitel „Présence de la mort“ – eine Neuauflage unter dem deutschen Titel „Sturz in die Sonne“ wurde von Steven Wyss, der als freier Übersetzer in Zürich lebt, übersetzt und vom Limmat Verlag Zürich im Mai 2023 veröffentlicht.

1922, als der Roman erstmals erschien, konnte der Autor noch nichts von der Bedrohung der globalen Erderwärmung wissen, die sich heute abzeichnet. Das düstere Bild, das Ramuz in diesem visionären Text zeichnet, liest sich daher wie eine Prophezeiung. Auf den außergewöhnlichen, verdichteten Schreibstil des Autors muss man sich einlassen, sonst ist man verloren und hat nichts von der Lektüre.

Reiche und Arme, Kranke und Gesunde, es gibt nichts mehr, was die Menschen voneinander unterscheidet (Ende Kapitel XIII)

So ist der Mensch gemacht, dieses Nichts, das alles ist, und dann ist alles wieder nichts mehr (Ende Kapitel XXIII)

Fazit: Wer wissen möchte, wie sich die Menschen bei tatsächlicher Bedrohung einmal verhalten werden, der möge dieses Buch lesen – ich bin erschüttert und werde ab sofort mehr auf mein Umweltbewusstsein achten!

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Veröffentlicht am 03.05.2023

Die kleine Kneipe beim Markt

Das Café ohne Namen
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Wir befinden uns in Wien im Jahr 1966, Robert Simon ist jetzt 31 Jahre alt. Er hatte es bisher nicht leicht im Leben, hat in den Nachkriegsjahren als Waise sehr viel Leid erfahren. Seit einigen Jahren ...

Wir befinden uns in Wien im Jahr 1966, Robert Simon ist jetzt 31 Jahre alt. Er hatte es bisher nicht leicht im Leben, hat in den Nachkriegsjahren als Waise sehr viel Leid erfahren. Seit einigen Jahren lebt er nun als Untermieter bei der Witwe Martha Pohl und verdient seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten am Karmelitermarkt. Mit seinen geringen Ersparnissen pachtet er ein altes, leer stehendes Café, renoviert es und erweckt es wieder zum Leben. Er schuftet schwer, aber es lohnt sich, denn bald trifft sich dort zum Feierabend die Nachbarschaft mit den Markthändlern, Arbeiterinnen und Schaustellern. Man plaudert, tauscht Geschichten aus, trinkt sein Feierabendbier oder auch einen Schoppen Wein, isst ein Schmalzbrot mit eingelegten Gurken, mehr hat die Speisekarte nicht zu bieten, und ist zufrieden so wie es ist. Simon, wie er allgemein genannt wird, stellt die arbeitslose Näherin Mila als Hilfskraft ein, die ihn nun tatkräftig unterstützt. Es folgen Jahre relativer Zufriedenheit - doch die Zeiten ändern sich, nichts dauert ewig …

Robert Seethaler, geb. 1966 in Wien, ist ein österreichischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Schauspieler. Für seine Romane erhielt er eine Reihe von Preisen und Stipendien. Seethaler, der an einem angeborenen Augenfehler leidet (minus 17 Dioptrien), ist Vater eines 2009 geborenen Sohnes und lebt in Berlin und Wien. „Das Café ohne Namen“ ist 2023 bei claassen, einem Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, erschienen und ist der achte Roman des Autors.

Wie in allen Romanen Seethalers ist auch hier sein Schreibstil sehr flüssig und lebendig und vermittelt mit liebevollen und gut recherchierten Details auch viel regionales Flair. Mit viel Einfühlungsvermögen berichtet er über Robert Simons Schicksal und über das Leben seiner Freunde und Gäste. Wir lernen ihre Sorgen und Nöte kennen, dürfen aber auch teilhaben an angenehmen Ereignissen und glücklichen Momenten. Es geschieht nicht viel, die Menschen gehen ihren alltäglichen Geschäften nach - und ganz allmählich kommen die Neuerungen in einer Zeit des Aufbruchs.

Auch wenn kein Happy End in Sicht ist, war ich gerne Gast im Café ohne Namen und werde die Leute, die ich dort angetroffen habe, noch lange in Erinnerung behalten.

Fazit: Ein ruhiger, beschaulicher Roman, den ich gerne weiter empfehle!

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