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Veröffentlicht am 02.09.2024

Familiengeschichten

Nur nachts ist es hell
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Man schreibt das Jahr 1972, Elisabeth ist jetzt 77 Jahre alt und sieht sich am Ende ihres Lebens. Da sie ihre Lebensgeschichte der Nachwelt erhalten möchte, schreibt sie ihre Erlebnisse in ein Tagebuch, ...

Man schreibt das Jahr 1972, Elisabeth ist jetzt 77 Jahre alt und sieht sich am Ende ihres Lebens. Da sie ihre Lebensgeschichte der Nachwelt erhalten möchte, schreibt sie ihre Erlebnisse in ein Tagebuch, welches für ihre Großnichte Christina bestimmt ist. Sie beginnt mit ihrer Kindheit, erzählt von ihren drei Brüdern, berichtet von den beiden Weltkriegen, von ihrer Ehe mit Georg Tichy, von ihren beiden Söhnen und von der Arztpraxis, die sie zusammen mit ihrem Mann führte. Ihr Leben verläuft nicht einfach, sie muss viele Schicksalsschläge hinnehmen, die beiden Weltkriege hinterlassen ihre Spuren …

Der österreichischen Autorin Judith W. Taschler, geb. 1970 in Linz, ist nach ihrem Roman „Über Carl reden wir morgen“ (2022) mit „Nur nachts ist es hell“ (2024) eine weitere fesselnde Geschichte über die Brugger-Familie gelungen, die eng an die Geschichte ihrer eigenen Familie angelehnt ist. Über fünf Generationen begleiten wir die Schicksale der einzelnen Familienmitglieder von der Belle Époque über beide Weltkriege, die bei allen seelische und körperliche Wunden hinterlassen haben, und erfahren auch von den Schwierigkeiten, als Frau in der damaligen Zeit Ärztin zu werden.

Der Schreibstil ist sehr sachlich gehalten, wodurch sich die Geschichte flüssig lesen lässt - durch die vielen Zeitsprünge und die große Anzahl immer neu auftretender Figuren bedarf es jedoch einer gewissen Konzentration und Aufmerksamkeit. Intrigen, Heimlichkeiten, Missverständnisse und überraschende Wendungen, wie sie nun mal im Leben vorkommen, verleihen dem Geschehen eine kontinuierliche Spannung.

Fazit: Ein weiterer beeindruckender Roman über die Familie Brugger, den ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 29.08.2024

Tee mit Betty - Cheers!

Tee auf Windsor Castle
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Obwohl Kate aus dem Glasgower East End kein Fan der Royals ist, lässt sie sich von ihrer Freundin Zaira überreden, an einer Führung durch Schloss Windsor teilzunehmen. Auf der Suche nach einer Toilette ...

Obwohl Kate aus dem Glasgower East End kein Fan der Royals ist, lässt sie sich von ihrer Freundin Zaira überreden, an einer Führung durch Schloss Windsor teilzunehmen. Auf der Suche nach einer Toilette verirrt sie sich und landet in einer Küche. Dort trifft sie auf eine ältere Dame mit ihrem Corgie, offensichtlich eine ehemalige Hausdame der Queen, die sie sofort zu einer Tasse Tee und einem Plausch einlädt. Betty, wie sie sich nennt, kennt sich ausgezeichnet im Schloss aus und ist mit den dortigen Gepflogenheiten bestens vertraut. Die beiden ungleichen Frauen freunden sich an, und aus der Teestunde wird ein Tag und eine Nacht gemeinsamer munterer Unternehmungen, bei denen die alte Dame förmlich aufblüht …

„Tee auf Windsor Castle“ (2024) ist der erste Roman der britischen Journalistin Claire Parker. Obwohl sie die Demokratie bevorzugt, hat sie eine Schwäche für das britische Königshaus und hat bereits alle deren öffentlich zugänglichen Schlösser besucht. Dank ihrer deutschen Mutter ist sie zweisprachig aufgewachsen.

Keine große Literatur, aber eine gut und unterhaltsam geschriebene hinreißende Geschichte. Die Begegnung zweier so unterschiedlicher Frauen, deren jeweiliges Sprachniveau sehr gut herausgearbeitet ist und die gelegentlich eingestreuten Lebensweisheiten der alten Dame sind bemerkenswert. „Manche Dinge erkennt man besser aus der Entfernung“ (eine dieser Weisheiten), diese Erkenntnis kommt Kate plötzlich am Bahnhof, als sie auf Ioana, eine andere alte Dame, trifft – während uns Leser vermutlich schon früher ein Licht aufgegangen ist. Die Auflösung dieser märchenhaften Geschichte ist sehr gut und nachvollziehbar getroffen.

Fazit: Eine charmante kleine Geschichte mit Humor und Esprit – einfach nur lesenswert!

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Veröffentlicht am 27.08.2024

Lebensgeschichten

Der Apfelbaum
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Christian Berkel, der Autor und Ich-Erzähler, besucht seine jetzt im Alter demente Mutter Sala, um in ihren noch klaren Momenten mehr über seine Familie und seine Vorfahren zu erfahren. In Bruchstücken ...

Christian Berkel, der Autor und Ich-Erzähler, besucht seine jetzt im Alter demente Mutter Sala, um in ihren noch klaren Momenten mehr über seine Familie und seine Vorfahren zu erfahren. In Bruchstücken erzählt sie ihm von ihrer Kindheit, von ihren Eltern, seiner jüdischen Großmutter Iza Prussak und seinem atheistischen Großvater Johannes Nohl, der später wegen seiner Homosexualität von den Nazis zu Zwangsarbeit verurteilt wurde, während seine inzwischen von ihm geschiedene Frau Iza in einer Todeszelle fünf Jahre lang mit ihrer Hinrichtung rechnen musste. Hauptperson in Christian Berkels Geschichte ist jedoch deren Tochter Sala (seine Mutter), die nach ihrer Flucht vor den Nazis über verschiedene europäische Länder schließlich mit ihrer kleinen Tochter Ada bei einem Kinderarzt in Leipzig Unterschlupf findet. Nach dem Krieg lebt sie einige Jahre in Buenos Aires und nimmt dann mit ihrem Jugendfreund Otto Berkel, der jetzt als HNO-Arzt in Berlin lebt, wieder Kontakt auf. Damals durfte sie ihn wegen ihrer jüdischen Abstammung nicht heiraten. Ist nun der Weg frei und der Kreis kann sich schließen? …

Der Autor Christian Berkel ist ein bekannter deutscher Schauspieler. Er wurde 1957 in West-Berlin geboren und ist mit der Schauspielerin Andrea Sawatzki verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne.

Mit „Der Apfelbaum“ gibt der Schauspieler sein Debüt als Autor. Das Buch zu beurteilen fällt mir wirklich nicht leicht.

Dass Berkel viel Fantasie hat, hat er hier bewiesen, dennoch konnte mich die Geschichte nicht packen. Es wird zu Beginn im Buch damit beworben, dass Christian Berkel „den spannungsreichen Roman seiner Familie erzählt“, während auf der nächsten Seite folgendes zu lesen ist: „Dieses Buch ist ein Roman, wenn auch einige seiner Charaktere erkennbare Vor- und Urbilder in der Realität haben, von denen das eine oder andere biografische Detail übernommen wurde. Dennoch sind es Kunstfiguren. Ihre Beschreibungen sind ebenso wie das Handlungsgeflecht, das sie bilden, und die Ereignisse und Situationen, die sich dabei ergeben, fiktive.“

Unter diesem Gesichtspunkt konnte ich auch keinen Bezug zu den Personen finden und empfand deren Handlungsweisen als sehr konstruiert. Die wilden Sprünge zwischen den Zeiten - mal sind wir im Hier und Heute und erleben die Gespräche des Autors mit der Mutter, dann folgen Episoden anderer Familienmitglieder zu verschiedenen früheren Zeiten - konnten mich ebenso wenig begeistern wie auch das Sprachkonstrukt. Auf kurze Sätze folgen ellenlange, die sich oft über eine halbe Buchseite hinziehen, gefolgt von langatmigen, nichtssagenden Passagen. Vieles wirkt für mich erfunden und auf Effekthascherei bedacht. Das Geschehen nimmt keine Fahrt auf und plätschert so vor sich hin, spannende und interessante Passagen werden abrupt unterbrochen, um mit einer anderen Person in einer anderen Zeit fortzufahren. Gegen Ende zu überstürzen sich die Ereignisse, auf wenigen Seiten findet das Geschehen einen mehr oder weniger plausiblen Abschluss.

Fazit: Ein Buch, das mich nicht packen konnte, dem ich jedoch aufgrund der fantasievollen Thematik noch drei Sterne geben kann.

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Veröffentlicht am 22.08.2024

Hoffnungsland Amerika

Sing, wilder Vogel, sing
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Gerade als Honora geboren wurde flatterte ein Vogel ins Haus, was zur damaligen Zeit ein schlechtes Omen bedeutete. Bald darauf starb ihre Mutter. Ihr Vater lehnte das Kind ab, sodass sie völlig auf sich ...

Gerade als Honora geboren wurde flatterte ein Vogel ins Haus, was zur damaligen Zeit ein schlechtes Omen bedeutete. Bald darauf starb ihre Mutter. Ihr Vater lehnte das Kind ab, sodass sie völlig auf sich selbst angewiesen war und ohne menschlichen Kontakt aufwuchs. Auch im Dorf wurde sie als Außenseiterin gemieden, bis sich William für sie interessierte und sie heiratete. Dann kam das Jahr 1849, das Jahr der schlechten Ernte. Die Menschen hungerten und starben, Honora überlebte als eine der wenigen und wagte die gefahrvolle Überfahrt nach Amerika, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch auch dort sollte sie enttäuscht werden …

Jaqueline O’Mahony, geb. 1972 in Cork, ist eine irisch/britische Schriftstellerin, die bereits im Alter von 14 Jahren als „Young Irish Writer of the Year“ ausgezeichnet wurde. Sie studierte in Irland, Italien und den USA und arbeitete als Journalistin u.a. für die ‚Vogue‘. 2015 absolvierte sie ihren Master in Creative Writing an der City University. Ihr Debütroman „A River in the Trees“ erschien 2020 und wurde bereits für diverse Preise nominiert. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in London.

„Sing, wilder Vogel, sing“ ist die schonungslose Geschichte menschlichen Leids, Hunger, Entbehrungen und verzweifelter Hoffnung. Packend und mitreißend beschreibt die Autorin die Tragödie an der irischen Westküste im Jahr 1849, das infolge der Kartoffelfäule und Missernten als Hungerjahr in die Geschichte einging. Der Marsch der verzweifelten Menschen über den Doolough Pass, ihre Hoffnung etwas Nahrung zu bekommen, ihre grenzenlose Enttäuschung und der unheilvolle Rückweg bei Kälte und Schnee, bei dem nur wenige überlebten, war für mich eine der besten Passagen des Buches. Die Beschreibung von Fakten der irischen Geschichte verbunden mit Auswanderung und der Hoffnung auf ein besseres Leben ist der Autorin außerordentlich gut gelungen. Die Geschichte von Honora, einer jungen Frau die in der Heimat keine Perspektive mehr hat, damit zu verbinden, ist ganz besonders glaubwürdig.

Trotz meiner Begeisterung habe ich auch einiges zu kritisieren. Bisweilen kam es mir tatsächlich so vor, als hätte die Autorin den Faden verloren und sich nicht mehr an das vorher geschriebene erinnert. Es werden Situationen geschildert, von denen man als Leser keine Ahnung hat, wie es dazu gekommen ist. Einige Beispiele: Honoras erster Ehemann ist plötzlich tot – Honora hat es ohne Ticket und ohne Geld aufs Schiff geschafft, dort hatte sie ein Bett und Verpflegung – Honora und die kranke Mary machen sich von NewYork auf den Weg in den Westen, auf einmal sind sie dort und Mary ist gesund – Honora/Nell flieht mit Prosper aus dem Bordell, dann sind sie urplötzlich im zweiten Sommer auf ihrer Farm – wie kann jemand mit einem gebrochenen Bein nach zwei Tagen wieder springen? – von dem am Ende erwähnten Blutmond, unter dem sie zur Welt gekommen sein soll, wurde bei ihrer Geburt jedoch nichts erwähnt.

Fazit: Keine leichte Kost, aber trotz meiner Kritikpunkte eine lohnende Lektüre!

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Veröffentlicht am 18.08.2024

Falsche Entscheidungen

Lord Jim
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Jim ist noch keine vierundzwanzig Jahre alt aber schon Erster Offizier auf der Patna, die mit achthundert Pilgern auf dem Weg nach Mekka beladen ist. Als das Schiff ein Leck bekommt und zu sinken droht, ...

Jim ist noch keine vierundzwanzig Jahre alt aber schon Erster Offizier auf der Patna, die mit achthundert Pilgern auf dem Weg nach Mekka beladen ist. Als das Schiff ein Leck bekommt und zu sinken droht, verlässt es die Besatzung, ohne sich um die unter Deck schlafenden Passagiere zu kümmern. Doch die Patna sinkt nicht, ein anderes Schiff entdeckt sie und schleppt sie in den nächsten Hafen. Bevor ihnen der Prozess gemacht werden kann, setzt sich der Kapitän der Patna mit seiner Besatzung ab, lediglich Jim stellt sich der Verantwortung. Bei der Gerichtsverhandlung verliert er seine nautischen Patente. Marlow, der als Beobachter den Prozess verfolgte, hat Mitleid mit Jim und vermittelt ihm schließlich, nach mehreren Fehlversuchen, eine Stelle. Er soll in Patusan, einer abgelegenen Gegend in Südostasien, für Marlows Freund Stein, einem reichen Kaufmann, als dessen Stellvertreter tätig sein. Jim bewährt sich, es gefällt ihm dort, bis er von seiner Vergangenheit wieder eingeholt wird …

„Lord Jim“ Ist ein Roman des polnisch-britischen Schriftstellers Joseph Conrad, der von 1857 bis 1924 lebte. Er zählt zu den großen Meistern der englischen Literatur, seine Werke wurden teilweise verfilmt bzw. dienten als Vorlage und gehören auch heute noch zum Repertoire der Schullektüre. Er sprach vier Sprachen und schrieb mehrere Romane, deren Schauplätze er als britischer Kapitän bereiste. Conrad wurde im Russischen Kaiserreich in Berdytschiw, heute Ukraine, geboren und ist in Canterbury, England, begraben.

Die erste Auflage des Romans „Lord Jim“ in englischer Sprache stammt aus dem Jahre 1900 – die mir vorliegende deutsche Übersetzung ist ein Druck von 1962 der Büchergilde Gutenberg. Schreibstil und Ausdrucksweise sind daher etwas antiquiert und nicht ganz einfach zu lesen. Dennoch war es für mich äußerst lohnenswert, mich mit dem Buch zu befassen.

Der Autor bedient sich verschiedener Erzählperspektiven. Anfangs berichtet ein neutraler Erzähler über die Ereignisse, später übernimmt Marlow, der einigen Freunden und Bekannten über das Geschehen berichtet. Auch Jim kommt einige Male ausführlich zu Wort, während ein Brief von Marlow den Schluss bildet. Der Roman gliedert sich in zwei große Teile, Jims seelische Verfassung und sein Gewissenszustand nach seinem moralischen Fehler an Bord des Auswandererschiffes Patna und seine abenteuerlichen Erlebnisse unter den Eingeborenen von Patusan, wo er sich endlich bewähren kann und sogar die Liebe einer einheimischen Frau, die er Juwel nennt, gewinnt.

Doch nichts ist von Dauer – es handelt sich bei dem Roman schließlich um eine Tragödie!

Fazit: Wer sich gerne mit alten Klassikern befasst, dem kann ich das Buch ans Herz legen – alle anderen, Finger weg!

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