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Veröffentlicht am 16.08.2024

Heimat, was ist das und wo ist sie?

Die Unschärfe der Welt
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Wir befinden uns Ende der 1960er-Jahre, als Samuel als Sohn des Dorfpfarrers Hannes und seiner Frau Florentine im rumänischen Banat unter dramatischen Umständen zur Welt kommt. Bereits die Geburt von Vater ...

Wir befinden uns Ende der 1960er-Jahre, als Samuel als Sohn des Dorfpfarrers Hannes und seiner Frau Florentine im rumänischen Banat unter dramatischen Umständen zur Welt kommt. Bereits die Geburt von Vater Hannes war ungewöhnlich, er erblickte in den 30er-Jahren das Licht der Welt, während seine Eltern Johann und Karline gerade bei einer Schiffsbesichtigung waren. Jahre später, man schreibt die 80er, der Ostblock beginnt sich allmählich aufzulösen, begleitet Samuel seinen Freund Oz auf der Flucht nach Deutschland. Er trennt sich ohne Abschied von seiner Heimat, seinen Eltern und von Stana, seiner großen Liebe …

Iris Wolff, geb. 1977 als Tochter eines Pfarrers im siebenbürgischen Hermannstadt in Rumänien, ist eine deutsche Schriftstellerin. Ihre Kindheit verbrachte sie an ihrem Geburtsort und im Banat, bis ihre Eltern nach Deutschland auswanderten als sie acht Jahre alt war. Später studierte sie Deutsche Sprache, Literatur, Religionswissenschaft sowie Grafik und Malerei in Marburg. Sie verfasst hauptsächlich Romane und Kurzgeschichten, ihr Debüt gab sie bereits 2012, seit 2018 ist sie als freie Schriftstellerin tätig. „Die Unschärfe der Welt“ (2020) ist ihr vierter veröffentlichter Roman. Die Autorin lebt heute in Freiburg/Brsg.

Sieben Personen aus vier Generationen einer Familie stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Die sieben Kapitel des Buches befassen sich mit jeweils einer dieser Figuren und deren Umfeld, ihren Nachbarn und Freunden, die alle irgendwie miteinander verzahnt sind. Der Pfarrhof ist hier das geruhsame Zentrum, in dem sich alle irgendwann einfinden. Die alles miteinander verbindende zentrale Person ist dabei Samuel. Auch nach seiner Flucht vor dem Ceausescu-Regime nach Deutschland bleibt für ihn die Erinnerung an das stille Heimatdorf und den Pfarrhof lebendig.

Der Schreibstil der Autorin ist feinsinnig und schnörkellos, beinahe schon poetisch. Es gelingt ihr, mit ihrer Ausdrucksweise ein wunderbares Bild der Landschaft im Banat zu zeichnen, sodass man sich die ländliche Idylle und das Leben im Pfarrhof äußerst plastisch vorstellen kann. Ganz nebenbei erwähnt sie auch die politischen Ereignisse im Rumänien der jeweiligen Zeit und ihre Auswirkungen auf die einzelnen Familienmitglieder. Wir erfahren vom Dorfleben vor dem Hintergrund verschiedener Herkunft und Sprache, von unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten und davon, was trotzdem allen dort lebenden Menschen die Heimat bedeutet. Wir lesen von Veränderungen, Verlust und Neuanfang, von Freundschaft und Liebe, von Vereinsamung und selbstloser Aufopferung. Dies alles in einer Sprache die Leichtigkeit vermittelt und sich sehr schön lesen lässt.

Fazit: Ein wunderbares Buch, das ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 12.08.2024

Mathematik verbindet

Pi mal Daumen
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Für den 16jährigen hochbegabten Oscar adliger Abstammung erfüllt sich endlich ein Traum, er beginnt heute sein Mathematik-Studium und hofft, dem von ihm schon lange verehrten berühmtesten Mathematiker ...

Für den 16jährigen hochbegabten Oscar adliger Abstammung erfüllt sich endlich ein Traum, er beginnt heute sein Mathematik-Studium und hofft, dem von ihm schon lange verehrten berühmtesten Mathematiker Deutschlands, Daniel Johannsen, dort zu begegnen. Die erste Vorlesung hat bereits begonnen, als eine schrille, schon ältere Frau polternd neben ihm Platz nimmt. Oscar hält sie zunächst für eine Putzfrau, die sich hierher verirrt hatte. Doch bald muss er sich eines Besseren belehren lassen. Moni Kosinsky erfüllt sich nach entbehrungsreichen Jahren als Mutter ebenfalls den Traum des Mathe-Studiums, obwohl ihr wichtige Grundkenntnisse fehlen. Diese hat Oscar reichlich, während es ihm an Erfahrung im Alltag mangelt. Als beide die Schwächen des jeweils anderen erkennen, entsteht zunächst eine Notgemeinschaft zwischen ihnen, in der sie sich gegenseitig unterstützen. Bald jedoch entwickelt sich daraus eine mütterliche Freundschaft und Vertrautheit, die auch ihr weiteres Leben beeinflussen wird …

Alina Bronsky (der Name ist ein Pseudonym) ist eine russisch-deutsche Schriftstellerin. Sie wurde 1978 in Swerdlowsk in der UdSSR geboren. Als sie 12 Jahre alt war, wanderte ihre Familie nach Deutschland aus. Sie arbeitete später als Werbetexterin und Redakteurin beim Darmstädter Echo, nachdem sei ein begonnenes Medizinstudium abgebrochen hatte. Alina Bronsky ist Mutter von vier Kindern. Ihr Ehemann und Vater ihrer ersten drei Kinder verunglückte 2012 tödlich in den Walliser Alpen. Heute lebt sie mit dem Theater- und Filmschauspieler Ulrich Noethen, von dem sie eine Tochter hat, in Berlin-Charlottenburg.

Obwohl das Thema Mathematik eine Hauptrolle spielt, lässt sich die Geschichte auch ohne mathematische Kenntnisse fließend lesen. In kurzen Kapiteln kommt Oscar als Ich-Erzähler zu Wort, dessen jugendliche, unausgegorene Meinung oft zum Schmunzeln Anlass gibt. Zwei Sonderlinge finden sich zusammen zu einer unkonventionellen Freundschaft, wie sie nicht alle Tage vorkommt. Der Schreibstil der Autorin ist mit feinem Humor durchzogen, jedoch immer dezent der jeweiligen Situation angepasst. Alles klingt sehr real, nichts ist überzogen. Die Charaktere sind in ihrer Unterschiedlichkeit sehr fein gezeichnet und wirken, wie auch die gesamte Handlung, sehr realistisch. Einige interessante und unerwartete Wendungen gegen Ende des Geschehens geben dem Leser Anlass zum Nachdenken.

Fazit: Eine interessant erzählte Geschichte, eine Mischung aus Tiefsinn und Humor – empfehle ich gerne weiter!

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Veröffentlicht am 04.08.2024

Eine Nacht allein im Museum

Der Duft der Blumen bei Nacht
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Eine vorübergehende Schreibblockade ist für Leila Slimani der Anlass, das Angebot ihrer Lektorin anzunehmen, im Rahmen eines Projektes eine Nacht alleine im Museo Punta della Dogana in Venedig zu verbringen. ...

Eine vorübergehende Schreibblockade ist für Leila Slimani der Anlass, das Angebot ihrer Lektorin anzunehmen, im Rahmen eines Projektes eine Nacht alleine im Museo Punta della Dogana in Venedig zu verbringen. Das in Form eines Schiffsbugs errichtete Bauwerk war einst das Zollgebäude der Serenissima und beherbergt heute ein Museum für moderne Kunst. Im Zentrum stehen zwei schwarze Monolithe. Es sind Terrarien die mit Nachtjasmin bepflanzt sind, einer Pflanze, die die Autorin aus ihrer Kindheit in Rabat kennt. Ihre Blüten öffnen sich nur nachts und verströmen dann einen Wohlgeruch: „Der Duft der Blumen bei Nacht“. Diese Installationen inspirieren sie und wecken Erinnerungen an ihre marokkanische Heimat. Sie reflektiert über Stationen in ihrem Leben als Frau und als Schriftstellerin und erlaubt uns einen tiefen Blick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. Dabei gelingt es ihr ausgezeichnet, diese Fragmente vollendet zusammen zu fügen und daraus ein kluges, zum Nachdenken anregendes Buch zu gestalten.

Fazit: Ein Buch mit tiefsinnigen Gedanken, dennoch leicht zu lesen. Ein Lesevergnügen, das ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 03.08.2024

Ein Kindheitstrauma der Mutter wird zum Problem ihres Kindes

Kleine Monster
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Pia und Jakob werden in die Schule ihres Sohnes bestellt, es soll einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben haben. Was sie dort hören können sie zunächst nicht glauben, ihr Luca ist doch erst sieben Jahre ...

Pia und Jakob werden in die Schule ihres Sohnes bestellt, es soll einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben haben. Was sie dort hören können sie zunächst nicht glauben, ihr Luca ist doch erst sieben Jahre alt. Was kann ein Kind in diesem Alter schon schlimmes anstellen? Doch als Luca auf Nachfragen der Eltern eisern schweigt, kommen Pia erste Zweifel. Sie erinnert sich an ihre Kindheit, an die Abgründe in ihrer Familie und an das innige Verhältnis zu ihren beiden Schwestern. Plötzlich misstraut sie ihrem kleinen Sohn, überwacht ihn und lässt ihn nicht mehr aus den Augen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn verschlechtert sich zusehends …

Jessica Lind geb. 1988 in St. Pölten, ist eine österreichische Schriftstellerin und Drehbuchautorin, die mit dem Gewinn des Literaturwettbewerbs „Open Mike 2015“ bekannt wurde. Sie wuchs in Niederösterreich auf und lebt heute in Wien. „Kleine Monster“ ist ihr zweiter Roman.

Die Geschichte beginnt recht spannend und weckt die Erwartung, etwas über Lucas Verhalten und die Hintergründe zu erfahren. Leider wird dieser Aspekt zugunsten von Pias Trauma in ihrer Kindheit vernachlässigt. Einen Zusammenhang zwischen dem Tod ihrer Schwester und ihrer heutigen skeptischen Haltung gegenüber Luca und seinem möglicherweise boshaften Tun, konnte ich dabei nicht feststellen. Dies bewirkt, dass einige Fragen offen bleiben und die anfängliche Spannung allmählich abflaut. Ein Grund, dass Pia an der Unschuld ihres Sohnes zweifelt, ist für mich nicht ersichtlich.

Dennoch finde ich das Buch ganz gut gelungen. Die familiären Verhältnisse sind intensiv beschrieben und gut nachvollziehbar, wenn auch die Personen etwas emotionslos wirken. Der Schreibstil ist gut lesbar, die immer wieder auftauchenden österreichischen Ausdrücke hemmen den Lesefluss nur wenig. Etwas anstrengend jedoch ist der häufige, meist abrupte Wechsel von Gegenwart zu Vergangenheit, da man sich immer neu orientieren muss. Am Ende bleiben einige Fragen offen. Der Schluss der Geschichte ist überraschend, wirkt aber nicht in sich abgeschlossen, da das Geschehen in eine ganz andere Richtung abweicht.

Fazit: Ein interessantes, gut geschriebenes Thema, aus dem man noch etwas mehr hätte herausholen können.

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Veröffentlicht am 31.07.2024

Späte Suche

Seinetwegen
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Die Autorin war gerade mal acht Monate alt, als ein rücksichtsloser Fahrer einen Unfall verursachte, bei dem ihr Vater zu Tode kam. Ihre Mutter sprach so gut wie nie darüber, und Zora stellte auch keine ...

Die Autorin war gerade mal acht Monate alt, als ein rücksichtsloser Fahrer einen Unfall verursachte, bei dem ihr Vater zu Tode kam. Ihre Mutter sprach so gut wie nie darüber, und Zora stellte auch keine Fragen, obwohl sie den Vater vermisste. Jetzt sind sechzig Jahre vergangen und plötzlich möchte Zora mehr über ihren Vater, den Unfall und den Unfallverursacher erfahren. Mutter ist inzwischen dement und lebt im Altenheim, kann ihr also nicht mehr helfen. So ist sie mit ihren Nachforschungen, die sich schwieriger erweisen als gedacht, auf sich alleine gestellt …

Zora del Buono, geb. 1962 in Zürich, ist eine Schweizer Schriftstellerin, Architektin und Journalistin. Sie ist die Tochter eines italienischen Arztes, der früh bei einem Autounfall starb, und einer Schweizerin. Sie wuchs in Zürich und Bari auf, studierte in Zürich und Berlin Architektur, wo sie bis 1995 als Architektin tätig war. Del Bouno schrieb bereits mehrere erfolgreiche Romane, ist Mitglied des Schweizer PEN und lebt heute in Zürich.

Die autobiographische Geschichte ist in kurze Kapitel aufgeteilt, in denen die Autorin hauptsächlich über Belangloses berichtet und dabei von einem Thema zum anderen springt. Sie erzählt von ihrer Studienzeit in Berlin, schweift ab in die Historie Schweizer Dörfer, führt Gespräche mit Freunden, lässt Kindheitserinnerungen wach werden, führt Unfallstatistiken auf, erwähnt die AIDS-Krise und Rassismus und informiert uns über schöne Urlaube in Bari bei den italienischen Großeltern. Es wird nicht wirklich erklärt, warum über den toten Vater nicht geredet wurde. Nach 20, 30 oder mehr Jahren konnte der Schmerz nicht mehr so groß gewesen sein, dass man nicht über das Geschehene sprechen konnte. Dass man sich auch in Bari bei den Großeltern nicht darüber unterhalten hat finde ich äußerst seltsam, ja beinahe unglaubwürdig. Warum hat es die Autorin nicht früher interessiert, wer der Unfallverursacher war und wie er damit umgeht, am Tod eines Menschen schuldig zu sein? Sechzig Jahre ist eine unendlich lange Zeit, nach der man m.E. das Geschehen auf sich beruhen lassen sollte.

Fazit: Mich hat das Buch enttäuscht. Viele belanglose Themen, kaum Emotionen und eine Suche nach dem Unfallverursacher, die für mich Jahrzehnte zu spät erfolgt. Eine Empfehlung kann ich hier nicht aussprechen.

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