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Veröffentlicht am 09.04.2024

Anatomie einer Ehe

Jahre später
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April ist jetzt 30 Jahre alt und angehende Schriftstellerin. Sie lebt immer noch in Berlin, ihr Sohn Julius ist bereits im Teenageralter. Bei einer Lesung lernt sie den charismatischen Chirurgen Ludwig ...

April ist jetzt 30 Jahre alt und angehende Schriftstellerin. Sie lebt immer noch in Berlin, ihr Sohn Julius ist bereits im Teenageralter. Bei einer Lesung lernt sie den charismatischen Chirurgen Ludwig kennen, dessen besitzergreifende Art ihr imponiert. Als er ihr einen Antrag macht, scheint für April ein normales bürgerliches Leben möglich. Sie zieht zu ihm nach Hamburg und heiratet ihn, obwohl sie ihn nicht liebt. Bald fühlt sie sich unglücklich, sieht ihre Träume entschwinden, daran ändert auch die Geburt des gemeinsamen Kindes Samuel nichts. Doch was will sie eigentlich, welche Träume hat sie? Es folgen Trennung, Rückkehr nach Berlin und ein erbitterter Scheidungskrieg – und April ist immer noch unglücklich …

Angelika Klüssendorf ist eine deutsche Schriftstellerin, die 1958 in Ahrensburg/Schleswig Holstein geboren wurde und in der DDR aufwuchs. 1985 übersiedelte sie nach Westdeutschland. Sie schrieb einige Erzählungen und Romane, darunter die Trilogie „Das Mädchen“, „April“ und „Jahre später“, die wegen ihrer außergewöhnlichen Sprache in Literaturkreisen große Beachtung fanden und für die sie zahlreiche Ehrungen und Preise erhielt. Die Autorin hat zwei Kinder und war mit dem Vater ihres Sohnes, dem Journalisten und FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher, verheiratet. Seit 2017 ist der Schriftsteller Torsten Schulz ihr zweiter Ehemann.

In „Jahre später“, dem dritten Band der stark autobiografischen Reihe, können wir das Leben der inzwischen erwachsenen April weiter verfolgen und sie in ihrer schwierigen Ehe begleiten. Noch immer ist sie einzelgängerisch, voller Extreme und häufig verzweifelt, aber dennoch voller Kraft und innerer Stärke. Als Ehefrau ist sie auf Dauer ihrem narzisstischen Mann, der sich oft nicht im Griff hat und sich in Lügen verstrickt, nicht gewachsen. Die Pressekritik erlaubte sich dabei, zwischen Aprils Ehemann, dem Chirurgen Ludwig, und Klüssendorfs erstem Ehemann Frank Schirrmacher Parallelen zu ziehen.

Es ist keine leichte Kost, die uns die Autorin hier serviert. Ihr Schreibstil ist präzise und unverblümt, dabei jedoch immer zurückhaltend, leise und diskret. In den kurzen Sätzen ohne schnörkelige Umschreibungen kommt die innere Zerrissenheit, in der sich April befindet, sprachlich gut zum Ausdruck. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der Protagonisten sind manchmal sehr sensibel und gefühlvoll, dann aber wieder voll brutaler Gleichgültigkeit und zerstörerischem Misstrauen. Da Klüssendorf nicht verurteilend schreibt, bleibt dem Leser genügend Raum für eigene Gedanken.

Fazit: Gut gelungener, logischer und stimmiger Abschluss dieser lesenswerten Trilogie.

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Veröffentlicht am 29.03.2024

Richard, Eigenbrötler und Sonderling

Löwenherz
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Nach dem Tod der Mutter bricht die Familie Helfer auseinander – der trauernde Vater zieht sich mit seinen Büchern in ein Kloster zurück, Monika und ihre beiden Schwestern wachsen bei Verwandten in Bregenz ...

Nach dem Tod der Mutter bricht die Familie Helfer auseinander – der trauernde Vater zieht sich mit seinen Büchern in ein Kloster zurück, Monika und ihre beiden Schwestern wachsen bei Verwandten in Bregenz auf, während der damals fünf Jahre alte Richard, der vom Vater stets „Richard Löwenherz“ genannt wurde, von einer Tante in Feldkirch aufgenommen wurde. Der Kontakt zwischen den Geschwistern bricht vorläufig ab und wird erst als Erwachsene wieder aufgenommen. Da ist Richard bereits ein junger Mann mit einer Ausbildung zum Schriftsetzer, der gerne malt und sich zum Eigenbrötler und Sonderling entwickelt hat. Er braucht Monikas Hilfe, nachdem eine flüchtige Bekannte ihre dreijährige Tochter Putzi bei ihm abgeliefert hat und danach verschwunden ist. Obwohl selbst noch sehr jung, sorgt Richard rührend für das Mädchen, das ihn nun Vati nennt. Er ist fünfundzwanzig, als sein Leben eine entscheidende Wende erfährt …

Monika Helfer, geb. 1947 in Au/Vorarlberg, ist eine österreichische Schriftstellerin. Sie veröffentlichte bereits mehrere Romane, Erzählungen und Kinderbücher, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Die Themen ihrer Bücher sind oft Familiengeschichten, in die sie ihre Vorfahren und ihre Herkunft mit einbezieht. Seit 1981 ist sie in zweiter Ehe mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier verheiratet. Sie hat vier Kinder, zwei davon aus erster Ehe. Eine Tochter verstarb 2003 bei einem Unfall, ihr Roman „Bevor ich schlafen kann“ von 2010 ist ihrem Andenken gewidmet. Das Paar lebt in Hohenems/Vorarlberg und in Wien.

Nach ihren Romanen „Die Bagage“ 2020 und „Vati“ 2021 ist „Löwenherz“2022 der dritte Roman (keine Biografie), den die Autorin über ihre Familie geschrieben hat. Darin stellt sie ihren sechs Jahre jüngeren Bruder Richard, ein Künstler und Sonderling ohne Ehrgeiz und Energie, vor, der einfach alles auf sich zukommen lässt. So schweigsam wie ihr Bruder war, so verhalten berichtet auch die Autorin von dessen Leben. Sie geht dabei nicht chronologisch vor, sondern erzählt einzelne Episoden, wie sie gerade aus ihrer Erinnerung auftauchen. Sie bezieht dabei auch ihren zweiten Ehemann, den Schriftsteller Michael Köhlmeier, mit ein, der mit ihrem Bruder Richard befreundet war. In buntem Wechsel kommen und gehen ihre Gedanken und Erinnerungen, sie reflektiert, verwirft und hinterfragt ihre Überlegungen.

Fazit: Eine Geschichte zwischen Fiktion und Realität, der Versuch zu erklären, warum Richard, der Bruder der Autorin, mit seinem Leben gehadert hat.

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Veröffentlicht am 27.03.2024

Einblicke in die jüdische Glaubenswelt

Die Hoffnung der Chani Kaufman
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Nach ihrer Hochzeit sind Chani und Baruch nach Jerusalem gezogen, wo Baruch für seine Zukunft als Rabbiner den Talmud studiert und Chani in einem Blumenladen arbeitet. Ihr Glück wäre vollkommen, wenn sich ...

Nach ihrer Hochzeit sind Chani und Baruch nach Jerusalem gezogen, wo Baruch für seine Zukunft als Rabbiner den Talmud studiert und Chani in einem Blumenladen arbeitet. Ihr Glück wäre vollkommen, wenn sich endlich Nachwuchs ankündigen würde, doch leider waren bisher alle Bemühungen diesbezüglich vergebens. Als die Erwartungen von außen immer mehr zunehmen, entschließt sich das Paar, mit finanzieller Unterstützung von Baruchs wohlhabenden Eltern, in London eine Klinik für Kinderwunsch aufzusuchen. Der Befund lässt wenig Hoffnung, den Chanis fruchtbare Tage fallen genau in die Zeit, in der nach den strengen jüdischen Gesetzen das Paar sexuell enthaltsam sein sollte. Zufällig trifft Chani ihre einstige Brauthelferin Rivka Zilberman, die sich inzwischen von ihrem Ehemann Chaim getrennt hat und versucht, sich außerhalb der jüdischen Konventionen ein eigenes Leben aufzubauen. Wird Rivka eine Lösung für Chanis und Baruchs Problem finden? …

Eve Harris ist eine britische Schriftstellerin und wurde 1973 in London als Tochter polnisch-israelischer Eltern geboren. Sie arbeitete zwölf Jahre als Lehrerin für Englisch an katholischen und jüdisch-orthodoxen Mädchenschulen in London und Tel Aviv. Ihr erster Roman „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ stand 2013 auf der Longlist des Man Booker Prize. Eve Harris lebt mit Mann und zwei Kindern in London.

Mit viel Feingefühl und Toleranz schildert die Autorin die für Außenstehende kaum verständlichen Bräuche und Rituale der jüdischen Religion. Dabei stellt sie nicht die Religion selbst oder gar Gott infrage, sondern prangert die teils unmenschlichen Gebote und Verbote an, die alte Männer vor hunderten von Jahren erlassen haben und auf deren Einhaltung engstirnige religiöse Eiferer auch heute noch bestehen. Dass diese mit List und einigen Tricks auch umgangen werden können, liest man mit vergnüglichem Schmunzeln.

Der Schreibstil ist angenehm schnörkellos und lässt sich gut lesen, lediglich die zahlreichen speziellen jüdischen Ausdrücke (im Anhang befindet sich ein Glossar) stören etwas den Lesefluss. Die wichtigsten Figuren kommen kapitelweise zu Wort, so dass man ihnen sehr nahe kommt und ihre Art zu handeln etwas besser versteht. Auch die Schauplätze wechseln zwischen Jerusalem, Tel Aviv und Golders Green, einem Stadtteil Londons, in dem hauptsächlich orthodoxe Juden wohnen. Trotz dem Bemühen der Autorin mangelt es mir an Verständnis und Toleranz für die mannigfachen Rituale und Regeln in der jüdischen Glaubenswelt.

Fazit: Interessante und spannende Einblicke in die Welt des jüdischen Glaubens wie man sie nicht alle Tage zu lesen bekommt – und gleichzeitig eine einfühlsame Liebesgeschichte.

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Einsam, ausgegrenzt und gemieden

Kindheit
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Als Tochter eines Heizers und seiner Frau wächst Tove in den 1920er Jahren in einem Kopenhagener Arbeiterviertel in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihre Kindheit ist nicht einfach, die Familienverhältnisse ...

Als Tochter eines Heizers und seiner Frau wächst Tove in den 1920er Jahren in einem Kopenhagener Arbeiterviertel in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihre Kindheit ist nicht einfach, die Familienverhältnisse bei Ditlevsens sind unterkühlt. Ihre Mutter gibt sich unnahbar, ihr vier Jahre älterer Bruder hat andere Interessen und mit ihrem Vater verbindet sie lediglich die gemeinsame Liebe zu Büchern. Als er dann arbeitslos wird, wird die häusliche Situation noch angespannter. Das Mädchen ist intelligent, aber aufs Gymnasium darf sie wegen Geldmangel nicht gehen. Sie schreibt heimlich Gedichte und wünscht sich sehnlichst Schriftstellerin zu werden, doch ihre Eltern beschließen, dass sie nach der Schule bei reichen Leuten im Haushalt arbeiten und Geld verdienen soll …

Tove Irma Margit Ditlevsen wurde 1917 in Kopenhagen geboren und starb dort 1976 durch Selbstmord. Sie war eine dänische Schriftstellerin von Prosa und Lyrik und war bekannt für ihre autofiktionale Frauenliteratur. Internationale Anerkennung erlangte sie erst nach ihrem Tod, als ihre Memoiren und Texte in andere Sprachen übersetzt wurden. Ihr Leben war überschattet von der schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung und geprägt von vier gescheiterten Ehen, was sich auch stark in ihrer Literatur widerspiegelt. „Kindheit“ ist der erste Band ihrer Kopenhagen-Trilogie, die jetzt erstmals komplett auf Deutsch erhältlich ist.

Von Anfang an beeindruckte mich die flotte und schnörkellose Schreibweise und die wohl mit Absicht „kindlich“ gehaltene Sprache, durch die man ihre triste Kindheit umso plastischer empfindet. Gefühle von Einsamkeit und Verlassenheit wechseln mit greifbarem Geschehen, immer vor dem Hintergrund der sozialen und politischen Realität in den 1920er Jahren. Dieser erste Band der Trilogie war interessant und spannend zu lesen und weckt durchaus das Interesse, mehr aus dem Leben dieser Schriftstellerin zu erfahren.

Fazit: Ein Buch das berührt und traurig stimmt, gleichzeitig aber durch die Art und Weise des Erzählens fesselt.

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Veröffentlicht am 02.03.2024

Die heilsame Kraft der Musik

Annas Lied
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Hannah ist das jüngste von fünf Kindern der dänisch-jüdischen Familie Koppelman. Sie würde gerne Musikerin werden, doch im Gegensatz zu ihren vier Brüdern, die sich der Familientradition widersetzten und ...

Hannah ist das jüngste von fünf Kindern der dänisch-jüdischen Familie Koppelman. Sie würde gerne Musikerin werden, doch im Gegensatz zu ihren vier Brüdern, die sich der Familientradition widersetzten und ihre Frauen selbst aussuchten, muss sich Hannah dem Willen der Eltern beugen. Obwohl sie heimlich Aksel liebt, soll sie die Ehre der Familie wahren und eine arrangierte jüdische Ehe eingehen, die sie nach Paris verschlagen wird. Doch zunächst kommt es anders. Der II. Weltkrieg steht kurz bevor, die jüdische Bevölkerung wird auch in Dänemark verfolgt und wer nicht fliehen konnte wird deportiert. Die Familie wird auseinandergerissen, Hannah überlebt in Schweden und heiratet nach dem Krieg, wie von den Eltern gewünscht, den jungen französischen Juden Francois …

Benjamin Koppel, geb. 1974, ist ein international bekannter dänischer Jazz-Musiker und Autor des Buches „Annas Lied“ (2024). Er erzählt darin die Lebensgeschichte von Anna, der Schwester seines Großvaters, die lange als verschollen galt. Der Roman beruht auf Tatsachen, wie der Autor selbst sagt, die er fiktionalisiert und mit Anekdoten ausgeschmückt hat, die in seiner Familie seit Generationen überliefert sind.

Jüdisches Leben, ihre Sitten, Traditionen und Bräuche, sind neben Annas bewegender, mitreißender Geschichte ein großes Thema, das der Autor Benjamin Koppel in diesem Buch lebendig werden lässt. Wir lesen von der Einsamkeit im Herzen der Protagonistin und von ihrer Liebe zur Musik, die ihr über manch schwere Stunde hinweg half. Sehr feinfühlig schildert er auch Hannahs unerfüllte Träume, ihre hoffnungslose Liebe zu Aksel, der sie ein beinahe 100jähriges Leben lang nachtrauert, und von ihrer großen Sehnsucht Musikerin zu werden.

Der Autor versteht es großartig, die Gefühle der Menschen zu beschreiben. Auf eindringliche Weise vereinigt er hier gut recherchierte Zeitgeschichte mit jüdischem Lebensgefühl und überzeugt durch Tiefgang und Spannung. Es ist kein einfacher Lesespaß, doch wer sich für Musik interessiert und gerne Familiensagas liest, wird hier auf seine Kosten kommen.

Fazit: Interessante, gut geschriebene Lebensgeschichte über eine starke Frau, die die Liebe zu ihren Eltern über ihr eigenes Glück stellt.

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