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Veröffentlicht am 03.12.2017

Engel oder Psychopath?

Todesengel
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Ein Rentner wird von zwei Jugendlichen in einer U-Bahn-Station grundlos halb tot geschlagen, drei Skinheads prügeln und treten einen jungen Mann bewusstlos, vier Kerle überfallen eine junge Türkin, ein ...

Ein Rentner wird von zwei Jugendlichen in einer U-Bahn-Station grundlos halb tot geschlagen, drei Skinheads prügeln und treten einen jungen Mann bewusstlos, vier Kerle überfallen eine junge Türkin, ein jüdischer Trainer für Selbstverteidigung wird auf dem Heimweg von einigen jungen Arabern angegriffen – und immer erscheint zur Rettung der Bedrängten ein strahlend weißer Engel, der die Täter brutal bestraft und dann spurlos verschwindet. Die Polizei tappt im Dunkeln und vermutet anfangs falsche Aussagen der Überfallenen - für die Bevölkerung der Stadt jedoch handelt es sich hier um einen Engel, einen Racheengel zum Schutz der Wehrlosen. Doch dann bekommt der Journalist Ingo Praise ein anonymes Video zugeschickt, auf dem der „Todesengel“ zu sehen ist …

Die stets zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft, das oft lebenslange Leid der Opfer und die meist geringe Bestrafung der jugendlichen Täter sind nur einige der Probleme, die der Autor Andreas Eschbach hier aufgegriffen und als spannenden Krimi verarbeitet hat. Der Schreibstil ist dabei von beeindruckender Intensität, ausdrucksstark und lebendig. Man merkt, dass sich der Autor mit dem Thema gründlich auseinander gesetzt hat, es von allen Seiten beleuchtet, ohne für eine bestimmte Seite Partei zu ergreifen. Er überlässt es dem Leser, sich seine eigenen Gedanken zu machen.

Selbstjustiz und Zivilcourage sind die vorherrschenden Themen des Buches. Soll man das Gesetz in die eigenen Hände nehmen, wenn der Staat versagt? Es wird mehr Mut zum Eingreifen gefordert, doch dass der Helfer sich selbst in Gefahr bringt oder sich gar strafbar macht wenn er den Angreifer verletzt – darauf weist niemand hin. Warum werden die Angreifer vor Gericht mit Samthandschuhen angefasst und wegen widriger Umstände, die zu der Tat geführt haben, noch bedauert, während die Opfer mit ihrem physischen, psychischen und materiellen Schaden meist alleine gelassen werden? Und was geschieht, wenn irrtümlich ein Unbeteiligter zu Tode kommt? Ein erschreckender, dramatischer Schluss, der perfekt zur Handlung passt, stimmt sehr nachdenklich und weckt beim Leser zwiespältige Emotionen.

Fazit: Ein empfehlenswertes Buch über ein mehr denn je aktuelles Thema – aufregend und sehr spannend umgesetzt.

Veröffentlicht am 03.12.2017

Von Mäusen und Menschen …

Danke für meine Aufmerksamkeit
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Nachdem Britta sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, braucht sie eine neue Bleibe. Doch dies ist gar nicht so einfach, denn Britta ist eine gewöhnliche Hausmaus, allerdings eine, die sprechen kann. ...

Nachdem Britta sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, braucht sie eine neue Bleibe. Doch dies ist gar nicht so einfach, denn Britta ist eine gewöhnliche Hausmaus, allerdings eine, die sprechen kann. Durch Zufall landet sie im Haus von Polly, welches das elfjährige Mädchen mit ihren Eltern bewohnt. Fortan nimmt Britta teil am menschlichen Leben, lernt Pollys Freunde und deren Probleme mit den Eltern kennen, verliebt sich in Nachbars Kater Rico und trifft endlich auf Ferdinand, den Mäusemann ihres Lebens …

Bevor die Autorin Cordula Stratmann als Komödiantin im TV bekannt wurde, war sie als Sozialarbeiterin mit Ausbildung als Familientherapeutin tätig. Sie hat es gut verstanden, ihre diesbezüglichen Erfahrungen in diesem Buch einzubringen. Humorvoll geht es um ernsthafte Themen wie Kindererziehung, Eltern, die kaum für ihre Kinder Zeit haben, überforderte Lehrer und Verunstaltung der deutschen Sprache. Leicht überzogen lernt man aus Sicht der Maus einige, teils groteske und teils bizarre, Familienverhältnisse, sowohl in der Wahrnehmung der Eltern, als auch der der Kinder kennen. Das Buch ist in einem lebendigen, flüssigen Schreibstil geschrieben, der die Szenen und Begebenheiten treffend wiedergibt, die auch sehr viel Lebensweisheiten enthalten.

Fazit: Ein Buch, bei dem man Schmunzeln kann, das aber auch zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 27.08.2017

Irgendwo in Afrika …

Der Sandmaler
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Die Schulzeit ist beendet und Elisabeth ist noch auf der Suche nach einem Platz im Leben. So beschließt sie, zunächst einmal zwei Wochen Urlaub in Afrika zu machen, um Land und Leute kennen zu lernen. ...

Die Schulzeit ist beendet und Elisabeth ist noch auf der Suche nach einem Platz im Leben. So beschließt sie, zunächst einmal zwei Wochen Urlaub in Afrika zu machen, um Land und Leute kennen zu lernen. Auch Stefan, mit dem sie vor einem Jahr mal kurz befreundet war, möchte nach Afrika, seine Gründe sind jedoch profaner. Er will feiern, schwarze Frauen kennen lernen und das Strandleben genießen. Am Flughafen treffen sie sich zufällig wieder …

Henning Mankell (1948-2015) unternahm als junger Mann von 24 Jahren seine erste Reise nach Afrika. Seine Eindrücke verarbeitete er in seinem ersten Roman „Der Sandmaler“, der 1974 in schwedischer Originalausgabe gedruckt wurde und erst jetzt, 2017, in deutscher Übersetzung erschien. Anhand der beiden Protagonisten Elisabeth und Stefan zeichnet Mankell die typischen, meist gedankenlosen, Verhaltensweisen der Urlauber auf. Er spricht Themen an, die auch heute noch aktuell sind und den Leser dazu anregen, über sein eigenes Verhalten nachzudenken. Während Stefan nur seinen Spaß haben will und sich nicht für Land und Leute interessiert, möchte Elisabeth mehr über ihr Reiseland erfahren. Sie geht auf ihre Umgebung ein, lernt die Lebensweise einer einheimischen Familie kennen und lässt sich von Sven, einem schwedischen Lehrer, einiges über die Geschichte des Landes, über Kolonialismus und Ausbeutung erzählen. Sie zieht Nutzen aus dieser Reise, wird gereifter und sicherer für ihr zukünftiges Leben, während Stefan nichts dazu gelernt hat.

Der Schreibstil ist sehr schlicht und einfach, ohne Tiefgang, ganz anders als man ihn von Mankell in seinen späteren Romanen kennt. Zu den Protagonisten und ihrem Erleben bleibt stets eine gewisse Distanz. Anspruchsvolle Lektüre sucht man hier vergebens. Was man aber bekommt, ist ein leichter, flott zu lesender Roman, der in Ansätzen sogar manchmal die Atmosphäre und die Schönheit Afrikas vermittelt. Leider ist nie davon die Rede, in welchem Land „im Westen Afrikas am Meer“ sich die Geschichte abspielt.

Fazit: Ein interessantes Frühwerk Mankells – kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 15.08.2017

Eine afrikanisch-amerikanische Familiensaga

Heimkehren
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Effia und Esi sind Schwestern, kennen sich jedoch nicht und wissen auch nichts von der Existenz der anderen. Während Effia bei ihrem Vater und Stiefmutter im Stamme der Fante aufwächst, lebt Esi bei ihrer ...

Effia und Esi sind Schwestern, kennen sich jedoch nicht und wissen auch nichts von der Existenz der anderen. Während Effia bei ihrem Vater und Stiefmutter im Stamme der Fante aufwächst, lebt Esi bei ihrer Mutter und Stiefvater im verfeindeten Stamm der Asante. Als die Engländer Mitte des 18. Jahrhunderts in Ghana einfallen, kooperieren die Fante bald mit ihnen. Effia wird mit einem Engländer verheiratet und wohnt nun in Cape Coast Castle, einer Festung, in deren Verlies die gefangenen Schwarzen bis zu ihrer Verschiffung als Sklaven eingesperrt werden.

Von den Asante werden viele Stammesangehörige, unter ihnen auch Esi, gefangen genommen und als Sklaven nach Amerika verschickt, wo sie unter unwürdigsten Bedingungen auf den Baumwollfeldern und in Kohlegruben ums Überleben kämpfen. Während Effias Nachfahren über Generationen in einem gewissen Wohlstand leben und vom Sklavenhandel profitieren, müssen Esis Nachkommen über Jahrhunderte als Leibeigene in Amerika schuften. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts beginnt sich langsam einiges zu ändern …

„Heimkehren“ ist der Debütroman der jungen, 1989 in Ghana geborenen und in den USA aufgewachsenen, Autorin Yaa Gyasi. Das Buch erschien im April 2017 unter dem Titel „Homegoing“ zuerst in den USA und erhielt bereits von National Book Critics Circle den Preis „Best First Book“ und steht auf der Shortlist für PEN/Robert W. Bingham Prize for Debut Fiction. Die Autorin studierte Englische Literatur an der Stanford University und lebt in den USA.

Anhand zweier Familiengeschichten, die in Ghana etwa Mitte des 18. Jahrhunderts beginnen, schildert Yaa Gyasi sehr eindringlich die Rechtlosigkeit und die Unterdrückung, die die schwarze Bevölkerung erleiden musste und teilweise bis in die heutige Zeit noch erleiden muss. Man erlebt mit ihnen Sklaverei, Rassenhass, Bürgerkriege und Aufstände. Dabei wird dem Leser auch klar gemacht, dass daran nicht nur die Weißen Schuld tragen, sondern die Kriege und Fehden der verschiedenen schwarzen Stämme untereinander ein Großteil zum Sklavenhandel beigetragen haben. Hin und her pendelnd zwischen den beiden Zweigen der Familie über sieben Generationen hinweg widmet die Autorin jeweils einem Nachkommen ein Kapitel. Diese sind meist sehr kurz gehalten, so dass der Leser ständig mit einer geballten Ladung unerträglichen Leids und tragischen Schicksals konfrontiert wird.

Was ich anfangs noch spannend und interessant fand, wurde im Verlauf der Geschichte doch ziemlich anstrengend. Hätte ich nicht hinten im aufgeführten Stammbaum nachsehen können, wäre mir der Überblick öfters total verloren gegangen. Leider litt dadurch auch der Lesefluss. Für mein Empfinden wurde in die Geschichte zu viel rein gepackt, zu viele Familien, zu viele Einzelschicksale, zu viel Tragik und zu viel Leid. Da konnte mich auch ein versöhnlicher Schluss nicht mehr überzeugen, der für mich einem konstruierten Zufall gleichkommt.

Fazit: Ein durchaus lesenswertes Buch, das durch flüssigen Schreibstil und gut rekonstruierte geschichtliche Tatsachen überzeugt, vom Leser aber ein gewisses Maß an Konzentration erfordert und ihn recht nachdenklich zurück lässt.

Veröffentlicht am 11.07.2017

… und alles geschieht im Namen Gottes …

Nicht ohne meine Schwestern
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Celeste, Kristina und Juliana wachsen als 2. Generation in der Sekte „Children of God“ auf, welche Ende der sechziger Jahre in Kalifornien von David Berg gegründet wurde. Anfang der siebziger Jahre trat ...

Celeste, Kristina und Juliana wachsen als 2. Generation in der Sekte „Children of God“ auf, welche Ende der sechziger Jahre in Kalifornien von David Berg gegründet wurde. Anfang der siebziger Jahre trat der Vater der Mädchen der Sekte bei und bald wurde auch Celeste, die Älteste, geboren. Insgesamt zeugte Vater Jones mindestens 14 Kinder mit 7 verschiedenen Frauen. Die Kinder wuchsen nicht gemeinsam auf, sondern wurden zu Pflegefamilien oder in „Internate“ der Gemeinschaft gegeben, die sich an den verschiedensten Orten in Europa, Afrika und Asien befanden. Dort erwartete sie eine strenge Erziehung, harte Arbeit, Sex und Missbrauch. Die Sekte nannte sich inzwischen „Family of Love“ und handelte auch danach: Sie sollten möglichst viel Sex haben, auch mit Kindern, denn das sei der größte Ausdruck von Liebe. Fragwürdige Erziehungsmethoden, brutale Züchtigung und Prügel erwartete die Kinder, wenn sie ihre Meinung kundtaten oder nicht zu Willen waren. Da die Behörden mittlerweile auf das Treiben der Sekte aufmerksam wurden, wurden ständig Namen und Aufenthaltsorte und somit auch die Bezugspersonen gewechselt. Erst im Erwachsenenalter gelingt es den Schwestern, sich unabhängig voneinander aus den Zwängen der Sekte zu befreien …

„Nicht ohne meine Schwestern“ ist ein erschütternder Tatsachenbericht, der meine Vorstellungskraft, die ich bisher über Sekten hatte, bei weitem übertrifft. Die drei Autorinnen Celeste Jones, Kristina Jones und Juliana Buhring widmeten das Buch ihrer Schwester Davida, die an ihren Erlebnissen zerbrach und an einer Überdosis Heroin starb. In je einem Kapitel erzählen die Frauen zunächst von ihrer eigenen Kindheit und Jugend, die unabhängig voneinander doch ähnlich verlief. Da sie sich ab und zu trafen ist es nicht verwunderlich, dass einzelne Passagen ähnlich klingen und manche Ereignisse sich wiederholen. Ängste und Verluste, harte Arbeit und Gewalt, Züchtigungen, Gebete und Sex bestimmen die ersten Jahre der Mädchen, die der Willkür der Erwachsenen hilflos ausgeliefert sind. Um Geld zu beschaffen mussten sie singen, tanzen und betteln – das war ganz normal, sie kannten ja nichts anderes.

Im vierten Teil kommen die Schwestern abwechselnd zu Wort. Jede erzählt von ihren Gefühlen und von ihren ersten zaghaften Gedanken, die „Familie“, wie sich die Sekte nun nennt, zu verlassen. Doch wie sollten sie sich im „System“, wie die Welt außerhalb der Gemeinschaft genannt wurde, zurecht finden? Wie sollten sie sich von der eingetrichterten Ideologie befreien, wo doch draußen eine feindliche Welt auf sie lauert? Obwohl vor jedem Kapitel steht, welches der Mädchen gerade seine Geschichte erzählt, ist dieser Teil des Buches nicht ganz leicht zu lesen. Zeitangaben und Zeitspannen überschneiden sich und neue Namen von Bezugspersonen, von Halb- und Stiefgeschwistern tauchen auf, die man bald nicht mehr zuordnen kann. Man verliert leicht den Überblick darüber, in welchem Alter das jeweilige Mädchen gerade war, als sie von diesem oder jenem Erlebnis berichtet. Dennoch gebührt ihnen größten Respekt dafür, dass sie es geschafft haben, sich aus den Klauen der Sekte zu befreien und für ihren Mut, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.