Die Liebe zur Poesie schenkt neues Leben
Offene See"Niemand gewinnt einen Krieg wirklich, manche verlieren bloß ein bisschen weniger als andere."
Wir befinden uns in England im Jahr 1946. Der Krieg ist offiziell zu Ende, doch in den Köpfen und Herzen ...
"Niemand gewinnt einen Krieg wirklich, manche verlieren bloß ein bisschen weniger als andere."
Wir befinden uns in England im Jahr 1946. Der Krieg ist offiziell zu Ende, doch in den Köpfen und Herzen der Menschen hat er tiefe und unauslöschliche Spuren hinterlassen. Nun geht es daran wieder in einen Alltag zurückzufinden, doch das fällt nicht allen leicht, denn diese sechs schrecklichen Jahre haben vielen Menschen schwere Verluste eingebracht. Der junge Robert wächst in einem Arbeiterdorf im Norden Englands auf, in dem schon seit Generationen die Söhne den Vätern folgen um schwere Arbeit unter Tage zu leisten. Die Sehnsucht nach dem Meer treibt ihn an und er folgt dem Weg nach Süden um endlich mal das Meer, die offene See zu erleben, bevor er seinem Vater folgt um unter Tage zu arbeiten. Er ist jung und reist mit sehr leichtem Gepäck, arbeitet als Tagelöhner und schläft meistens im Freien. Das beschreibt der Autor in einer so wunderbaren poetischen Sprache, dass ich aus dem Zitate schreiben gar nicht mehr raus kam.
Endlich kommt er am Meer an und lernt eine mehr als unkonventionelle Dame älteren Semesters kennen, die die bis dahin poetische, sanfte und stille Sprache der Geschichte mit direktem und teilweise recht deftigen Kommentaren zu dem Leben, der Liebe, der Dichtung, der Gesellschaft, dem Krieg und den Despoten, die sie verursachen, reichlich würzt. Für Robert öffnen sich ganz neue Türen und im Laufe eines Sommers entwickelt sich der linkische und unsichere Junge zu einem jungen Mann, der nun um die Vorzüge eines Brennnesseltees Bescheid weiß, und warum gutes Essen bei vieler Arbeit oder überhaupt unerlässlich ist und warum dazu ein guter Wein oder eben ein Brandy gehört. Doch das wichtigste ist seine Entdeckung der Literatur, der Poesie und der Lyrik, die Dulcie ihm auf ihre ganz spezielle Weise näherbringt und ihm dadurch einen kleinen Stoß in eine Richtung gibt, die er sich nie hätte vorstellen können.
"...ein gutes Gedicht bricht die Austernschale des Verstande auf, um die Perle darin freizulegen. Es findet Wärter für Gefühle, deren Definitionen sich allen Versuchen des verbalen Ausdrucks entziehen."
Es ist eine ganz besondere Freundschaft, die diese beiden unterschiedlichen Menschen in diesem Sommer erleben und auch für Dulcie öffnet sich eine Tür, die sie bis Roberts Erscheinen ganz fest verschlossen hielt und Robert lernt, seinem Herzen zu folgen, nicht dem was seine Generationen vorgegeben haben, was Pflichterfüllung und Anstand erwartet, sondern ein Leben in dem Freundschaft und Liebe gelebt wird, auch wenn es mit Schmerz verbunden ist, denn auch er gehört zu gelebtem Leben dazu und nur dann ist auch wieder Freude und tiefer Friede spürbar.
Benjamin Meyers hat einen wirklich wunderbaren Roman geschrieben, in dem er so wundervolle Worte findet, die gerade heute, wo wieder die Kriegstreiber schreien und toben und ihnen die Menschen heute ganz genau so egal sind wie damals. Ich kann nur empfehlen, dieses Buch zu lesen und sich in seiner feinen Sprache durch England tragen zu lassen, bis zur offenen See.